Der letzte Auftritt

 

 

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Angels Special

 

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Müde kämpfte ich mich aus dem Bett. Gerade mal drei Stunden hatte meine Nacht gedauert. Und noch immer dröhnte der Bass des Konzerts gestern Abend in meinen Ohren. Das nervtötende Rauschen in meinem Kopf hielt seit Wochen an. Nein, wenn ich ehrlich war, spürte ich es schon viel länger. Meine Mittelohrentzündung hatte sich in den letzten Wochen einfach verschlimmert. Alle Antibiotika halfen nicht mehr. Durch mangelnde Ruhe war die Entzündung chronisch geworden.

Im Badezimmer klatschte ich mir kaltes Wasser ins Gesicht. Langsam hob ich den Kopf und blickte widerwillig in den Spiegel. Dieses blasse Gesicht, mit den dunklen Schatten unter den Augen konnte kaum mir gehören. Nein, das, war nicht der große Sänger und Rockmusiker Erik Baumann, den alle Welt verehrte. Dieses Gesicht gehörte einem gebrochenen Mann. Jemandem, der kurz davor stand das Kostbarste zu verlieren, was er je besessen hatte. Sein Gehör... Ich war nur noch ein Schatten meiner selbst. Doch heute würde ich das ändern. Heute würde ich den ersten Schritt tun. Ich zog mich an, kämmte meine langen grauen Haare zurück und band sie wie üblich zu einem Pferdeschwanz.

Kurze Zeit später betrat ich die Hotellobby. Sofort stürzten sich die Fotographen, die auf die angekündigte Pressekonferenz warteten, auf mich. Doch ebenso schnell waren die Bodyguards, die meine Managerin Samantha de Angelo engagiert hatte, an meiner Seite. Sie waren ihr Geld eindeutig wert.
Die dunkle Sonnenbrille, die ich nun schon gewohnheitsmäßig auch drinnen trug, schützte meine Augen vor dem grellen Blitzlicht, das augenblicklich die
Lobby erhellte. "Erik! Erik! Eine kurze Frage!" "Bitte Erik! Wie fühlt man sich, wenn alle Konzerte ausverkauft sind?" "Erik bitte, sehen Sie kurz in die Kamera!"
Die Bodyguards zogen mich in die kleine Hotelbar, die eigens für mich abgesperrt war. Endlich schloss sich die Tür zwischen den Reportern und mir. Als ich stolperte, griff einer meiner Leibwächter nach meinen Arm und verhinderte, dass ich fiel. Verdammt, ich war wirklich am Ende. "Danke," murmelte ich und ließ mich in einem königsblauen Designersessel nieder. "Teuer und doch nicht bequem," sagte ich mehr zu mir selbst, als dass ich eine Antwort erwartete.
"Schon wieder miese Laune, Erik?" Die samtweiche Stimme Samanthas ließ mich aufblicken. Mit einem Drink in der Hand beugte sie sich zu mir herunter und küßte mich auf die Wange. "Martini?"
Ich schüttelte den Kopf. "Es ist erst morgens kurz nach halb Neun, Sam."
"Genau das ist dein Problem. Werde endlich mal locker. Genieße doch einfach das, was dir das Leben bietet." Sam strich sich lachend durch die strubbeligen roten Haare. "In zwanzig Minuten startet die Pressekonferenz. Komm langsam in die Gänge Erik. Hier sind die Antworten auf die Fragen, die dir die Journalisten stellen werden." Samantha warf mir zwei A4-Seiten in den Schoß und stöckelte elegant zurück zur Bar. Unwillig starrte ich auf die Blätter. Schon der bloße Gedanke an die Pressekonferenz ließ Schweiß auf meine Stirn treten. Ich war nicht in der Verfassung den gierigen Reportern gegenüber zu treten. Mit zitternden Händen griff ich nach den Zetteln und überflog sie kurz. Dann blickte ich entgeistert hoch. "Ich soll noch fünf Zusatzkonzerte geben?"
"Ja, Erik. Ist das nicht wunderbar? Die Leute lieben und verehren dich. Sie können einfach nicht genug von dir kriegen." Ihre Augen leuchteten, als sie mich lächelnd ansah.
Langsam schüttelte ich den Kopf. "Sam, bitte. Ich kann nicht mehr. Das
kannst du nicht von mir verlangen. Diese Konzerte.... Ich bin schon froh, wenn ich die regulären drei noch irgendwie schaffe. Nochmals fünf übersteigen meine Kräfte. Ich bin am Ende, Sam." Verzweifelt versuchte ich, ihr meine Situation klar zu machen. Doch sie schüttelte wie immer nur lächelnd den Kopf.
"Erik, Erik, Erik. Wie oft soll ich es dir noch sagen. Deine Fans brauchen dich, sie lieben dich. Sie würden jeden Preis zahlen, um dich nochmals live erleben zu können. Sie-"
"Das ist mir egal, Sam!" fiel ich ihr ins Wort. "Ich werde heute meinen Rücktritt bekannt geben! Und die Zusatzkonzerte, wird es nicht geben! Dies ist mein Ernst!"
"Oh nein, Erik! Du wirst diese Konzerte geben! So leicht kannst Du nicht zurücktreten! Du hast einen Vertrag für diese Tournee und noch einen Vertrag für weitere drei CD's! An diese Verträge hast du dich zu halten!" Aus der witzigen Tourneemanagerin Sam war von einer Sekunde zur anderen wieder die eiskalte Geschäftsfrau geworden, die sie seit über zehn Jahren war. Sie griff nach der neuen Zigarettenschachtel auf der Theke und riss die durchsichtige Folie auf. Nervös hielt sie die Flamme des Feuerzeugs an den Glimmstängel und zog dran, bis der Tabak rot aufglühte. Sam nahm einen tiefen Zug und schloss dabei die Augen. Nach ein paar Sekunden, in denen sich Sam zu beruhigen suchte, kam sie kalt lächelnd auf mich zu und beugte sich zu mir herunter. Mit Genugtuung blies sie mir den Rauch mitten ins Gesicht. Unwillkürlich musste ich husten. Ich hasste Zigarettenrauch und das wusste Sam.
"Seit Monaten hetzen wir von Stadt zu Stadt, von Konzert zu Konzert. Sam, mein Hals schmerzt und meine Stimme ist ewig heiser. Zudem höre ich kaum mehr etwas. Bitte... Ich kann nicht mehr...." Verzweifelt verbarg ich das Gesicht in meinen Händen und flüsterte. "Ich kann nicht mehr."
Sam zog meine Hände weg und blickte mich ärgerlich an. "Erik! Du bist ein
verdammter Waschlappen! Ich hab dein Geheule satt! Hier, nimm die Zettel und jetzt lass uns raus zur Pressekonferenz gehen! Reiß dich zusammen!" Sie erhob sich und klatschte mir die Zettel auf die Brust.
Mit zitternden Händen griff ich danach und folgte Samantha hinaus in die Hotellobby. Sofort stürzten die Reporter heran. Die Scheinwerfer blendeten mich, trotz der dunklen Sonnenbrille, und die Mikrophone wurden mir beinahe ins Gesicht gehalten.
"Erik! Stimmt es, dass Sie fünf Zusatzkonzerte geben werden?"
"Haben Sie tatsächlich eine sexuelle Beziehung mit Ihrer Managerin?"
"Schreiben Sie schon an den neuen Songs?"
"Erik! Erik, beantworten Sie mir bitte eine Frage: Stimmt es, dass sie Ihr Kind noch nie gesehen haben?"
"Wird es heute vor dem Konzert eine Autogrammstunde geben?"
Das Rauschen in meinem Kopf wurde stärker. Ich presste die Hand auf das rechte Ohr. Der Schmerz raubte mir beinahe den Verstand. Als ich die Hand runternahm, bemerkte ich das Blut. Mein Ohr hatte wieder begonnen zu bluten. Das gab dann den Ausschlag. Ich hob den Kopf und rief, so laut ich mit meiner heiseren Stimme konnte: "Hiermit gebe ich meinen Rücktritt bekannt! Die letzten Konzerte werden abgesagt!"
Das nachfolgende Blitzlichtgewitter und den Lärm der daraufhin auf mich einstürzte, nahm ich nur noch am Rande wahr. Die Welt um mich herum begann zu verschwimmen und ich fühlte noch, wie mich jemand auffing und sachte zu Boden gleiten ließ. Aus weiter Ferne hörte ich eine Stimme: "Ruft einen Notarzt!" Dann wurde alles um mich herum dunkel.


ENDE

 

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