Die Austauschlehrerin

 

 

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Autorin: Njusha






Verärgert und außer sich vor Wut schloss Snape die Kerkerktür hinter sich. Diese Gryffindors hatten ihn wieder mal den letzten Nerv gekostet, vor allem dieser Neville Longbottom. Er hätte es beinahe geschafft, das gesamte Schloss in die Luft zu sprengen, wenn er, Snape, nicht rechtzeitig eingegriffen hätte. Er beschloss mit Dumbledore zu sprechen. Der Direktor musste etwas unternehmen. Longbottom würde sie noch alle umbringen.

In Gedanken versunken ging er in sein Büro und stutzte erst, als er das Kerzenlicht bemerkte, das den düsteren Raum erhellte. Ein Mädchen blätterte gerade durch ein Buch. Sie musste etwa 15 sein, war aber keine Hogwarts-Schülerin. Ihre Haare waren schwarz, ebenso wie ihre Augen. Sie verzog keine Miene, als er sie wütend musterte. Mit gleichgültiger Stimme fragte sie: „Professor Snape?“

„Was haben Sie hier verloren?“, blaffte er zurück.

Sie stellte das Buch an seinen Platz und stellte mit unbewegter Miene fest: „Sie müssen Professor Snape sein. Meine Mutter hat Sie so beschrieben. Übrigens“, sie fischte ein zusammengefaltetes Stück Pergament aus ihrer Umhängetasche, „meine Mutter hat mir das für Sie mitgegeben. Sie sollten es lesen, meinte sie.“

Snape riss ihr das Pergament aus der Hand und funkelte sie Unheil verkündend an, während er es auseinander faltete. Das Mädchen zeigte keine Reaktion und schien sich eher über ihn zu amüsieren. Zornig registrierte er dies, begann dann jedoch den Brief zu lesen, den sie ihm gegeben hatte.

„Severus,

es tut mir Leid. Ich weiß. dass ich versprochen habe, mich nie mehr bei Dir zu melden, aber es geht einfach nicht anders.

Ich schicke Fayth zu Dir, weil es hier für sie zu gefährlich ist. Voldemort ist nach Durmstrang gekommen und hat Karkaroff getötet. Ich habe Angst, dass ihr etwas zustoßen könnte. Sie ist alles, was mir von Dir geblieben ist.

Ich glaube, dass Fayth in Hogwarts besser aufgehoben ist als hier. Bitte kümmere Dich um sie. Fayth ist unsere Tochter.

Bitte verzeih mir.

S.“




Snape kam es vor, als würde sich die Erde schneller drehen als zuvor. Er setzte sich. Fayth musterte ihn argwöhnisch. „Fayth?“ Seine Stimme war tonlos. Sie setzte sich ebenfalls. „Deine Mutter ist Anuschka Sassonowa?“

„Ja.“

„Sie ist Lehrerin in Durmstrang, nicht wahr?“

„Für Zauberkunst, ja.“

„Sie war einmal ein Jahr lang hier, als Austauschlehrerin.“

„Ich weiß. Im Jahr vor meiner Geburt. Ich bin jetzt 15 und gehe in die 5. Klasse. Mutter meinte, der Direktor hier hätte schon einen Platz für mich. Sie wollte aber, dass ich zuerst zu Ihnen komme.“

„Hat sie gesagt, warum?“

„Nein. Sie glaubte, Sie würden es schon verstehen.“

Snape entgegnete nichts. Anuschka. Er hatte sie nach 15 Jahren noch immer nicht vergessen, obwohl es ihm endlich gelungen war, nicht immer an sie zu denken. Sie war nach Hogwarts gekommen um Erfahrungen zu sammeln. Er selber war damals noch nicht so lange als Lehrer tätig. Er hatte sie sofort leiden können, auch wenn er es ihr zu Beginn nicht gezeigt hatte. Sie war ihm in vielerlei Hinsicht ähnlich. Nicht nur, dass sie schwarze, lange Haare und schwarze Augen hatte, sie hatte auch eine dunkle Seele - und sie hatte sich, so wie er, von Voldemort losgesagt. Über ihre gemeinsame Vergangenheit hatten sie zueinander gefunden. Anuschka hatte beschlossen in Hogwarts zu bleiben. Dann hatten sie sich zerstritten und stur, wie beide waren, wollte niemand nachgeben. So war sie schließlich nach Durmstrang zurück gekehrt. Anuschka hatte ihm jedoch nie geschrieben, dass sie beide ein Kind erwarteten. Schließlich hatten sie einander geschworen, nie wieder von einander hören zu lassen. Aber ein Kind... das hätte doch alles verändert. Sie hatte Fayth nun zu ihm geschickt, weil sie in Gefahr schwebte. Dies bedeutete aber auch, dass Anuschka nicht in Sicherheit war. Er würde ihr eine Eule schicken und...

„Professor Snape?“

Er schreckte auf. „Äh ... ja?“

„Was ist jetzt? Ich denke, wir sollten zum Direktor gehen, oder?“

„Ja, ja, natürlich. Komm mit.“

Auf dem Weg zu Dumbledore begegneten sie Harry Potter, Ron Weasley und Hermine Granger, die ihm, aber vor allem Fayth, neugierige Blicke zuwarfen. Snape setzte seine bedrohlichste Miene auf und fuhr die drei an: „Habt ihr nichts zu tun? Ab in euren Turm, wo ihr hingehört!“ Snape und Fayth gingen weiter.

„Wer war das?“, fragte Fayth.

„Ach, Potter, Weasley und Miss Granger.“

„Potter? Harry Potter?“

„Ja, der aufgeblasene Bengel. Verstößt ständig gegen die Schulregeln und wird von allen in Schutz genommen.“ Bevor sich Snape mehr über Harry Potter auslassen konnte, hatten sie Dumbledores Büro erreicht. Snape führte Fayth hinein.

„Direktor? Entschuldigen Sie die Störung.“

„Kommen Sie nur, Severus. Wen haben Sie denn mitgebracht?“

„Direktor, das ist Fayth Sassonowa. Fayth, dies ist Direktor Dumbledore.“

Dumbledore musterte Fayth eingehend und murmelte: „Sassonowa... Wir hatten da einmal eine Austauschlehrerin aus Durmstrang...“

„Das ist meine Mutter“, fiel Fayth ihm ins Wort.

Dumbledore lächelte. „Natürlich. Ich habe es mir gleich gedacht.“ Dann sah er Snape fragend an. „Warum ist Fayth hier?“

„Anuschka hat sie hergeschickt. Voldemort ist in Durmstrang und hat Karkaroff ermordet. Anuschka fürchtet um die Sicherheit ihrer Tochter.“

„Warum ist sie denn nicht gleich mitgekommen? Für sie ist es nicht minder gefährlich als ehemalige ... nun ja ...“

„Ich weiß, dass Mutter eine Todesserin war.“

„Aha. Wenn dies so ist... Dann werden wir einmal sehen, wohin dich der Sprechende Hut steckt. Severus, wären Sie so freundlich und würden bitte den Hut holen?“

Wortlos tat Snape, wie ihm aufgetragen worden war. Als er zurück kam, setzte er Fayth den Sprechenden Hut auf. Er war sich sicher, dass er sie nach Slytherin schicken würde. So wie Snape selbst in Slytherin gewesen war und Anuschka in jenem Haus in Durmstrang, das die meisten Schwarzen Magier hervor gebracht hatte, würde gewiss auch ihre Tochter dorthin kommen. Dann würde er ihr Hauslehrer sein. Wenigstens konnte er so ein Auge auf sie werfen.

Der Ruf des Hutes riss ihn aus seinem Gedankengang: „Gryffindor!“

„Gryffindor?!“, fuhr er auf.

„Sie haben es gehört, Severus.“

"Der Hut muss sich geirrt haben! Das ist doch unmöglich!“

„Der Hut irrt sich nie.“

„Aber dann kommt sie ja zu Potter und seinen Freunden!“

„Genauso ist es!“

„Was ist den so schlecht daran?“, fragte Fayth verwirrt.

Snape hätte beinahe geantwortet: „Meine Tochter kann doch unmöglich eine Gryffindor sein!“, doch Dumbledore war schneller: „Professor Snape ist Hauslehrer von Slytherin und freut sich über jeden Schüler, den sein Haus bekommt. Deine Hauslehrerin, Fayth, wird Professor McGonagall sein. Sie holt dich gleich ab.“ Kaum hatte er zu Ende gesprochen, war Professor McGonagall auch schon da. „Sie haben eine neue Schülerin, Albus?“

„Ja, Minerva. Fayth Sassonowa.“ Dumbledore erläuterte ihr kurz die Umstände, unter denen Fayth nach Hogwarts gekommen war. Professor McGonagall nickte und sagte: „Dann kommen Sie mit, Miss Sassonowa. Ich werde Ihnen Ihre Mitschüler vorstellen. Sie sind im selben Jahrgang wie Harry Potter.“

Fayth begleitete Professor McGonagall zur Tür hinaus. Dumbledore musterte Snape. „Severus, was bedrückt Sie?“

Snape seufzte. „Anuschka hat Fayth einen Brief an mich mitgegeben. Darin hat sie mich von einer Tatsache in Kenntnis gesetzt, von der ich nichts wusste.“ Snape reichte Dumbledore Anuschkas Brief. Der Direktor las ihn und zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Fayth ist Ihre Tochter, Severus?“

„Anuschka schreibt es. Wir waren ein Paar, als sie hier war. Es kam jedoch zu Differenzen zwischen uns und Anuschka ging zurück nach Durmstrang. Von dem Kind wusste ich nichts.“

„Deshalb waren Sie so aufgebracht, als der Sprechende Hut Fayth nach Gryffindor schickte?“

„Ich war sicher, dass sie nach Slytherin kommen würde. Bei der Vergangenheit ihrer Eltern... Außerdem ... ich bin ihr Vater ... ich wäre gern ihr Hauslehrer gewesen.“

„Ich verstehe. Aber Minerva ist keine schlechte Hauslehrerin. Außerdem weiß der Hut, was er tut.“

Snape erhob sich. „Wenn Sie mich entschuldigen, Direktor, ich möchte Anuschka eine Eule schicken und sie bitten zu kommen. Ihr Leben ist in Gefahr.“

„Natürlich.“ Dumbledore nickte ernst.



***

„Anuschka,

ich möchte Dir keinen Vorwurf machen, ich weiß, was Dich dazu bewogen hat, mir nichts von Fayth zu sagen. Ich schreibe aus einem anderen Grund.

Zunächst möchte ich mich entschuldigen. Wir waren beide nicht an unserer Trennung unschuldig, aber Du sollst wissen, dass es mir Leid tut. Ich habe Dich nie vergessen.

Ich möchte Dich bitten, nach Hogwarts zu kommen. Zu Fayth. Zu mir. In Durmstrang ist es zu gefährlich.

Ich habe Dir schon vor Jahren vergeben.

S. S.“




Snape stieg die Stufen zur Eulerei hinauf, band seinen Brief an das Bein einer dunkelgrauen Eule und sah ihr nach, wie sie im Dunkel der Nacht verschwand.

Die Tage schienen in Zeitlupe zu vergehen. Snape ertappte sich oft dabei, dass er gedankenverloren in den Himmel starrte und an Anuschka dachte. Und er suchte Kontakt zu Fayth, die sich offensichtlich gut mit Harry Potter, Ron Weasley und Hermine Granger verstand. Fayth schien auch ihren Vater zu mögen, ohne zu wissen, wer er war. Doch sie spürte seine Zuneigung.

Nach sechs Tagen kam Anuschkas Eule an.



„Es tut mir Leid, ich kann nicht kommen. Ich muss gegen Voldemort kämpfen. Jede Kraft wird hier gebraucht.

Auch ich habe Dir schon vor Ewigkeiten vergeben. Ich denke noch heute Tag und Nacht an Dich. Ich wäre gern bei Euch.

Anuschka“




Jede Hoffnung, die Snape gehegt hatte, erstarb. Warum lieferte sie sich Voldemort aus? Warum kam sie nicht zu ihm?

Es klopfte heftig gegen Snapes Bürotür. Er öffnete. „Oh, guten Abend, Direktor. Kommen Sie herein.“

„Keine Zeit, Severus! Kommen Sie mit!“

Alarmiert über den Ton in Dumbledores Stimme schloss Snape seine Bürotür und folgte dem Direktor, der ihn direkt zum Krankenflügel führte. „Wir haben vor einigen Minuten ... sehen Sie selbst." Dumbledore geleitete zu einem der Betten, in dem eine blasse Gestalt lag. Snape erkannte sie sofort. Anuschka. Er stürzte zum Bett.

„Oh, Sev, schön, dich zu sehen.“

„Anuschka ... Was ist passiert? Wie geht es dir?“

„Voldemort hat mich erwischt.“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein leises Flüstern.

Snape ergriff ihre Hand. Sie war eiskalt.

„Ich liebe dich, Sev. Vergiss...“

„Pst“, unterbrach er sie, „sag jetzt nichts. Du wirst wieder gesund und dann...“ Seine Stimme erstarb, als sie kaum merklich den Kopf schüttelte. Er warf Dumbledore einen raschen Blick zu, doch auch er schüttelte den Kopf.

Snape beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie sanft auf den Mund. „Ich liebe dich, Anuschka.“ Er versuchte verzweifelt, die Tränen zurück zu halten, die in seinen Augen brannten. Sie drückte seine Hand und flüsterte: „Fayth.“ Snape warf Dumbledore einen kurzen Blick zu. Dieser nickte und verschwand. Snape und Anuschka waren alleine. Sie lächelte ihm zu und er versuchte, das Lächeln zu erwidern, auch wenn es ihm schwer fiel. Beide sprachen kein Wort. Snape streichelte sanft über ihre Wange. So fand sie Fayth, die mit Dumbledore den Krankensaal betrat. „Mama!“ Fayth stürzte zu Anuschkas Bett. Sie weinte. „Mama, was ist passiert?“

„Voldemort“, antwortete Anuschka kaum hörbar. Dumbledore zog sich zurück. Fayth griff nach der Hand ihrer Mutter. „Mama“, schluchzte sie, „Mama, du kannst mich doch nicht verlassen! Ich hab doch sonst niemanden außer dich!“

Anuschka nickte. „Dein Vater“, flüsterte sie, „wird sich um dich kümmern.“

„Mein Vater? Wer...?“ Fayth folgte Anuschkas Blick, der von ihr zu Snape wanderte. „Sie?“

Snape nickte.

„Er wird für dich da sein“, hauchte Anuschka. Fayth verbarg ihre Tränen nicht. Sie zitterte und griff nach Snapes Hand. Er zuckte zusammen, dann schloss sich Snapes Hand um ihre. Anuschka sah diese Geste und lächelte. Sie atmete tief ein und flüsterte: „Ich liebe euch. Ich werde auf euch warten.“ Dann schloss sie die Augen für immer.

Als Dumbledore nach einer Stunde zurück kam, fand er Snape und Fayth neben Anuschkas Bett stehen. Fayth weinte und drückte sich an ihren Vater. Auch er weinte. Aus tränennassen Augen sah er Dumbledore an. In Snapes Blick konnte der Direktor den Schmerz eines ganzen Lebens sehen.

 

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