Could you be Loved

 

 

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Autorin: Persephone Proserpina



Sylvia Hugentobler arbeitete schon einige Jahre als Angestellte in diesem Sekretariat.
Sie lebte sehr zurückgezogen und hatte nur wenige Freunde. Keiner ihrer Arbeitskollegen wusste eigentlich etwas Näheres über sie.
Im Büro galt sie als sehr zuverlässig und hilfsbereit. Sie war also ganz und gar nicht unbeliebt, aber es schien sich auch niemand wirklich für sie zu interessieren.
Das änderte sich, als ein neuer Kollege in der Buchhaltung eingestellt wurde. Roman Oberholzer war nämlich ebenfalls ein etwas scheuer Typ und Sylvias Art gefiel ihm von Anfang an. Nur hätte er sich nie getraut, sich mit ihr näher als es unter Kollegen so üblich war, bekannt zu machen, sie also beispielsweise mal zum Essen einzuladen. Der Umgang mit Frauen war für ihn etwas ziemlich Unbekanntes. Außerdem verließ sie nach der Arbeit meist sehr schnell das Büro. Also hatte sie vermutlich bereits jemanden.

Abend für Abend saß Sylvia auch zuhause am Computer. Dort beschäftigte sie sich allerdings nicht mehr mit den Fakten und Tabellen aus ihrem Alltag. Nein, dort besuchte sie Websites, in denen sie alles lesen konnte über den Mann, der in ihrem Leben bereits sehr viel Raum einnahm: Er hieß Severus Snape, war ein großer Magier, Lehrer an einer Zauberschule und sah hinreißend aus. Kennen gelernt hatte sie ihn im Kino. Als sie mehr über ihn erfahren wollte, und im Internet herumstöberte, entdeckte sie, dass sich viele andere, vor allem weibliche Personen, ebenfalls für ihn zu interessieren schienen. Es gab bereits unzählige Websites mit Inhalten über ihn. Viele erfanden sogar eigene neue Geschichten über ihn, Kurzgeschichten, Liebesgeschichten, ja ganze Romane. Am Anfang hatte sie eine Geschichte nach der anderen gelesen und war fasziniert von all diesen Abenteuern. Eines Abends hatte sie beschlossen, dass sie ebenfalls versuchen wollte, eine eigene Geschichte zu erfinden und sie haute ihre angestauten Ideen in die Tasten. In der Folge wurde sie eine erfolgreiche Snape-Fiction-Autorin und bekam von etlichen Lesern Feedbacks voller Lob und Bewunderung.
Auch heute Abend hatte sie sich wieder vorgenommen, zu schreiben. Sie hatte diesmal eine längere Fortsetzungsgeschichte verfasst und wollte sie unbedingt mit Schlusskapitel und Epilog beenden.
Aber heute gab es ein Problem mit ihrem Computer. Sie kam nicht ins Internet. Sie machte mehrere Versuche, hatte aber keine Ahnung, was sie da unternehmen musste. Und weil sie sehr entschlossen war, diese Geschichte heute zu beenden, beschloss sie, nochmals zurück ins Büro zu gehen und den dortigen Computer zu benutzen.

Zur gleichen Zeit saß Severus Snape müde in seinem Sessel vor dem Kamin in einem seiner düsteren Kerkerräume von Hogwarts.
Er fror und hatte gerade ein Feuer entzündet. Er starrte mit leeren Augen ins Feuer. Er fühlte eine unendliche Müdigkeit und eine bleierne Schwere in seinem ganzen Körper. Er wollte nur noch schlafen.
Er ließ seine Gedanken durch den Kopf ziehen.
Plötzlich schlug er mit der Faust wütend auf die Armlehne.
Mit einer geradezu wilden Entschlossenheit stand er auf und begann, vor dem Feuer auf und ab zu gehen.
Ja, nun hatte er endgültig genug von diesen Muggeln, die dauernd in sein Privatleben eingriffen.
Dauernd nahmen sich irgendwelche … Damen … da draußen die Frechheit heraus, das Drehbuch für sein Leben neu zu erfinden.
Dabei konnten sie sich wahrscheinlich kaum vorstellen, dass er all diese Geschichten, die sie über ihn schrieben, wirklich durchleben und durchleiden musste.
Leise vor sich hin sprechend ging er unruhig hin und her:
„Albernes Geschreibsel… Nur weil sie allmählich den Kontakt unter ihresgleichen zu verlieren scheinen, wollen sie mit uns so genannte *Abenteuer* erleben…. Sollen sie sich doch in ihr eigenes Leben stürzen…
Dabei haben sie keine Ahnung! Wenn sie wüssten, was sie insbesondere mir damit antun. Ja, was glauben die denn, was mit uns passiert, wenn sie den Computer abstellen! Wir müssen nämlich dieses Leben hier wirklich führen, das durch ihre Gedanken erfunden wurde.
Nebst meinem gewiss nicht leichten Job hier an der Schule werde ich dauernd auf haarsträubende Missionen geschickt. Daneben muss ich abgedroschene Liebesgeschichten und perverse Liebesabenteuer durchleben.
Aber jetzt habe ich genug! Schluss mit diesen albernen so genannten Fan-Fictions.
Ich will wieder mein Leben so leben wie ich es will. Ich werde wieder das tun, was ich kann und liebe: Experimentieren, forschen, unterrichten… natürlich auch die Schüler etwas quälen, Punkte abziehen... Ja, und dann kann ich mich endlich auf diesen neuen Posten konzentrieren, den Albus mir gestern anbot: 'Lehrer für die Verteidigung gegen die dunklen Künste'. Als erstes werde ich neue Schutzzauber gegen Muggel-Attacken aus diesem *Internet* entwickeln. Das ist bitter nötig.“

Severus erinnerte sich nur allzu gut an die letzte Begegnung mit einer dieser Abenteurerinnen, Sylvie de Châteaupers. Sie schlich sich unter dem Vorwand, die neue Lehrerin für die Verteidigung gegen die dunklen Künste zu sein, hier in Hogwarts ein:
„Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, dass ich Voldemort vernichten sollte. Dabei hätte dieser schon lange keine Macht mehr, wenn er nicht mit diesen unendlichen Geschichten dauernd wieder belebt würde. Das ist sein wahres Lebenselixier: dass er in den Köpfen der anderen existiert.
Sie verlangte von mir, Voldemort mit einem vertauschten Zaubertrank zu vernichten. Ich sollte an der nächsten Todesser-Versammlung berichten, dass sein Lebenselixier das nächste Mal bereit sei.
Mit Voldemort war aber nicht zu spaßen. Er witterte sofort, dass etwas nicht stimmte und ließ mich dafür büßen. Ich wäre dabei fast umgekommen, weil er mich mehrmals mit dem Crucio quälte. Schließlich war ich wieder einmal mehr davongekommen. Aber ich ertrug diese Qualen von Mal zu Mal weniger.
Beim Schloss hatte Sylvia auf mich gewartet. Sie half mir in mein Schlafzimmer zurück und versorgte mir dort die Wunden.
Anschließend hatte sie bei mir geschlafen und war dann im Morgengrauen plötzlich verschwunden.
Natürlich hat Albus keine neue Lehrerin eingestellt. Das war Sylvies reine Erfindung gewesen. Ich bin überzeugt, dass sie an irgend einem Wahn leidet, einer dieser Muggelsüchte… Die können ja praktisch von allem süchtig werden!“


Severus Snape, immer noch vor dem Kamin hin- und hergehend, blieb abrupt stehen. Mit einer energischen Kopfbewegung schüttelte er die langen Haarsträhnen aus dem Gesicht und neigte den Kopf leicht zur Seite. Seine Stirnfalte wurde noch tiefer und seine Lippen kräuselten sich zu einem säuerlichen Lächeln. Er blickte lauernd zur Tür. „Hat da eben jemand geklopft? - Ich warne jede und jeden, der es heute Abend wagt, mich mit irgendwem - irgendwohin - zu irgendeinem - dubiosen Abenteuer zu schicken.“

Mit einem gemurmelten „Alohomora“ öffnete er die Tür. Tatsächlich - da stand sie, diese Sylvie. Sie war recht hübsch, halblanges, schwarzes, gewelltes Haar, schöne blaue Augen. Und sie trug wieder dieses hinreißende blaue Kleid.
Aber heute Abend würde sie ihn in kein Abenteuer verwickeln. Er stand ja im Ruf, boshaft und mächtig zu sein. Er war ein starker Magier…. Am liebsten hätte er das Problem für immer gelöst. Doch das war nicht sein Stil.
Er zückte seinen Zauberstab und richtete ihn auf die Frau. Sie starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Sie öffnete den Mund um zu schreien, aber ihr Schrei blieb stumm.
"A….“

Sylvia hatte sich für heute Nacht eine neue tolle Story ausgedacht. Sie hatte es sich zum Ziel gesetzt, zusammen mit Severus, ihrem Severus, diesen verdammten Voldemort endgültig zur Strecke zu bringen. Seit langem hatte sie einen Plan ausgearbeitet, von dem sie überzeugt war, dass er funktionieren musste. Heute Abend wollte sie mit Severus ihren Plan Punkt für Punkt durchgehen.
Sie stand erregt vor der schweren Kerkertür und klopfte. Die Tür ging auf, da stand er: Groß, stark, schwarze Haare, die sein vornehmes Gesicht umrahmten wie Ebenholz. Einen Moment lang begannen ihre Knie schwach zu werden. Das passierte ihr jedes Mal, wenn sie ihn wieder sah.
Aber was war das, heute stimmte etwas ganz entschieden nicht an dieser Szene. Nein, das hatte sie nicht so vorgesehen: Severus hatte seinen Zauberstab in der Hand… er war auf sie gerichtet. Er fixierte sie mit seinem Blick und kam langsam auf sie zu…
Er wollte doch nicht…! Ihr Mund formte sich zu einem Schrei, aber es kam kein Laut aus ihr heraus…
Sie begann zu wanken und wie durch Watte hindurch hörte sie…

“AMNESIA*

Severus fing die zu Boden gleitende Frau auf und legte sie zunächst in seinen Lehnsessel. Er überlegte kurz, was er mit ihr tun sollte. Er stellte sie auf, nahm sie fest in seine Arme und apparierte mit ihr.

Als Sylvias Arbeitskollegin am anderen Morgen die Tür zu ihrem Büro aufschloss, bot sich ihr ein merkwürdiges Bild. Sofort rief Tamara den Chef und die restliche Belegschaft zusammen.
Sylvia saß zusammengesunken vor dem Computer, die Hände noch auf der Tastatur, den Kopf auf dem linken Unterarm.
Das eigenartige war jedoch, dass die Bildschirmoberfläche mit tausenden Haarrissen überzogen war wie ein Netz. Es sah aus wie die zerborstene Frontscheibe eines Autos nach einer Kollision.
Sie versuchten, sie wachzurütteln um zu erfahren, was passiert war.
Sylvia stöhnte und flüsterte: „Es kam… am Bildschirm… plötzlich….. war da ein grelles… Licht … etwas knallte….. ich kann mich…. nicht… erinnern…“
Dann sank sie wieder auf dem Tisch zusammen.
Tamara rief den Notarzt. Sylvia wurde auf einer Trage hinausgetragen und mit dem Ambulanzwagen ins Spital gefahren.
Dort erholte sie sich rasch. Die Ärzte stellten einen allgemeinen Kreislaufkollaps und einen Nervenzusammenbruch fest. Die genauere Ursache blieb jedoch ein Rätsel.
Gänzlich unaufgeklärt blieb die Frage, was mit diesem Bildschirm passiert war. Niemand hatte eine Erklärung für dieses rätselhafte Vorkommnis. Noch unerklärlicher war die Tatsache, dass auf der Festplatte alle Daten zerstört waren.

Roman Oberholzer betrat mit einem Strauss von kleinen roten Rosen das Zimmer. Sylvia lag mit immer noch etwas bleichem Gesicht in den Kissen.
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Der neue Kollege hatte kurze, etwas strubbelige hellbraune Haare. Blaugrüne Augen guckten schalkhaft hinter einer ovalen Titanbrille hervor. Verlegen stand er am Bett und wusste nicht so recht, was er sagen sollte. „Ich dachte, ich besuch dich mal kurz. Hoffentlich wirst du bald entlassen…Weißt du, ich dachte, wir könnten mal zusammen essen gehen.“

Einige Wochen später, es war im Juni, berichteten alle Zeitungen vom Werberummel rund um das Erscheinen des 5. Bandes der Harry Potter Reihe. Sylvia blickte über den Zeitungsrand zu Roman. „Roman, kennst du diese Bücher? Komisch, ich lese doch viel, aber von Harry Potter habe ich noch nie gehört.“ Roman stand auf und gab ihr einen sanften Kuss auf die Nase. „Das kannst du ja noch nachholen!“

Zur gleichen Zeit in Hogwarts: Ein für seine Verhältnisse äußerst gut gelaunter Severus Snape rauschte mit wehender Robe ins Zimmer, die Türflügel knallten hinter ihm. „Ruhe! Setzen Sie sich! Fünf Punkte Abzug für jeden Gryffindor für unangemessenes lautes Verhalten im Unterricht. Nehmen Sie Ihre Federn hervor und schreiben Sie….“




(14.05.2003)
 

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