Das Experiment

 

 

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Autorin: Ines



Das Experiment




Snape war für seine Verhältnis in recht guter Laune. Er konnte sich endlich nach langer Zeit mal wieder seinen wissenschaftlichen Experimenten widmen. In letzter Zeit war so viel zu tun, dass er dafür schlicht keine Zeit oder, nach einem langen, anstrengenden Tag, keine Lust mehr hatte. Das Schuljahr ging dem Ende entgegen, also hatte er seinen Schülern Unmengen von Hausaufgaben in Form von Aufsätzen aufgegeben, um sie möglichst gut auf die Abschlussprüfungen vorzubereiten. Auch wenn er dies niemals zugeben würde, er war in seinem Beruf ehrgeizig genug, um möglichst wenige Schüler in seinem Fach durchfallen zu lassen. Außer vielleicht den ein oder anderen "Lieblingsschüler". Und ganz besonderes Vergnügen würde es ihm bereiten James Potters Sohn eine 6 in Zaubertränke zu verpassen.
Die Sache hatte nur mehrere Haken. Erstens reichte eine 6 nicht aus, um das Schuljahr wiederholen zu müssen, und so ungern er es zugab, Potter schien ein ganz passabler Zauberer zu sein. Die Chance, dass er in anderen Fächern auch eine 6 erhielt, war eher gering. Zweitens, selbst wenn dieser Fall eintreten würde, bedeutete dies jedoch, dass er den Jungen noch ein zusätzliches Jahr ertragen musste, und das war auch nicht gerade eine angenehme Vorstellung. Und schließlich und endlich, und das war das Entscheidende, würde Dumbledore es niemals zulassen, dass sein kleiner Liebling eine Ehrenrunde drehen musste. Schon einmal hatte er Snape angewiesen, aus einer 6 eine 3 zu machen. Das war vor zwei Jahren gewesen, nachdem dieser Bengel und seine Freunde ihn vor seinen langjährigen Feinden gedemütigt hatten. Sie hatten zu dritt vereint ihn mit einem einfachen "Expelliarmus" außer Gefecht gesetzt, so dass Black ihn unsacht durch den Geheimgang schweben lassen konnte, was ihm etliche Beulen und Schürfwunden verpasste. Viel schlimmer war es für Snape jedoch, dass er im Moment seines größten Triumphes über eben diesen Widersacher um seine Rache betrogen wurde, weil dieser verzogene Bengel seinem neugewonnenen Patenonkel zur Flucht verhalf. Die ganzen Jahre seiner Schulzeit und auch noch danach hatte er sich gewünscht, es Black so richtig zu zeigen. Erst recht nach dessen Anschlag auf Snapes Leben. Und als die Rache zum Greifen nah war, der Dementor bereit stand, der Merlinorden so gut wie sicher, und Snape endlich mal das Gefühl hatte, Glück zu haben und als der Held gefeiert zu werden, der er ja auch war, brach das ganze Kartenhaus in sich zusammen, wegen dieses Harry Potters. Und dann durfte er ihm noch nicht einmal in Zaubertränke durchfallen lassen !
Bei diesen Gedanken nahm Snapes Gesicht wieder jenen mörderischen Ausdruck an, mit dem er damals wochenlang durch die Schule gefegt war. Aber er musste sich auch eingestehen, dass es nicht allein die verpasste Chance auf diese kleine Rache war, die ihn so erzürnte. Auch wenn er kein Gefühlsmensch war, er war sich immer der Tatsache bewusst, dass Dumbledore eine große Sympathie für ihn empfand, Gefühle, die wahrscheinlich denen gleich kamen, die ein Vater - oder wenigstens ein Onkel - für einen Sohn/Neffen empfand. Dieses Wissen war es so manches Mal gewesen, das ihn von törichten Handlungen abhielt, wenn er mal wieder mit seinem Leben haderte. Wenn er mit dem Direktor beim Tee zusammensaß und dieser ihn mit seinem wohlwollenden Lächeln anblickte, spürte er die Wärme in seinem Herzen, mit der er in seinem bisherigen Leben nicht allzu reich beschenkt worden war. Und dann kam dieser Pottersohn zur Schule, und Snape musste erkennen, dass Dumbledore jenem mit der gleichen Zuneigung entgegentrat, wie ihm. Hätte ihm jemand ins Gesicht gesagt, dass er eifersüchtig reagierte, hätte dies dem Vorwitzigen ein paar üble Flüche eingebracht. Aber Snape ließ niemanden so dicht an sich ran, dass seine Gefühlswelt durchschaut werden könnte.

Derart in Gedanken versunken, bereitete Snape seinen Zaubertrank vor, an dem er sich schon seit einigen Monaten versuchte. Es war eine Kombination aus mehreren Tränken, die im richtigen Verhältnis und ein wenig abgewandelt zusammengebraut, den Probianten in einen derartigen Bewusstseinszustand versetzen sollte, dass es dem Geist gelang, losgelöst vom Körper, an entfernte Orte zu reisen und dort für eine Weile zu verharren. Wenn es ihm gelang, diesen Zaubertrank zu erfinden, würde das nicht nur für seine Spionagearbeit sehr nützlich sein. Als Erfinder eines völlig neuen Kommunikationsmittels könnte es doch noch mit dem Orden des Merlin klappen. Sein nach wie vor zweifelhafter Ruf wäre gerettet und er würde als großer Erfinder in die Geschichte der Magie eingehen.
In seine Träumereien versunken, vernachlässigte Snape seine Aufmerksamkeit beim Schneiden des Ginger. Prompt schnitt er sich mit dem scharfen Skalpell in den Finger. Tief drang das Messer ins Fleisch, er glaubte fast, den Knochen getroffen zu haben. Einen kurzen Aufschrei konnte Snape nicht unterdrücken. Leise fluchend betrachtete er seinen Finger, aus dem nach einer Sekunde das Blut schoss. Hastig zog er sein Taschentuch hervor, um es um den Finger zu wickeln. Verdammt! Ein derartiges Missgeschick konnte einem die ganze Stimmung verderben. Nicht, dass er sich davon abhalten ließe weiterzubrauen. Aber es verdarb ihm schon ein wenig die Laune, nicht nur weil sich jetzt ein stechender Schmerz einstellte, sondern weil so ein eingewickelter Finger auch äußerst hinderlich beim Tränkebrauen war. Er dachte kurz darüber nach, zu Madam Pomfrey zu gehen, die ihm ein Sofort-Heil-Spray auf die Wunde geben würde. Aber erstens müsste er dafür durchs halbe Schloss laufen, zweitens würde ihn das mindestens eine halbe Stunde Zeit kosten und drittens mochte er bei ihr nicht wegen einer solchen Lappalie aufkreuzen. Madam Pomfrey war zwar sicher sehr fürsorglich, aber auch nicht gerade zimperlich mit ihren Patienten. Weinerlichkeit verachtete sie. Und Snape wusste, dass er nun, wo er wieder seine Spionagetätigkeit aufgenommen hatte, demnächst mit ganz anderen Verletzungen bei ihr auftauchen würde.
Also verschwand er lieber in seinem Bad, um sich kurz darauf mit einem Mullverband um den Finger auf die restlichen Vorbereitungen der Zutaten zu stürzen.

Fasziniert betrachtete Snape die brodelnde Masse. Bisher verlief alles nach Plan. Soweit war er noch nie gekommen! Langsam stellte sich bei ihm jenes Hochgefühl ein, das er auch erlebte, wenn er Gryffindor einen Haufen Punkte abziehen konnte.
Jetzt nur nicht übermütig werden! Als nächstes kamen Eisenhut und Mohnsamen in den Trank. Snape zügelte die Flammen ein wenig und ließ beide Zutaten in den Kessel gleiten.
Sofort schäumte der Sud auf, es brodelte wie wild, dicke grüne Rauchschwaden umhüllten den Tränkemeister binnen weniger Sekunden. Er spürte wie seine Sinne sich benebelten. "Ich muss das Feuer löschen! Jetzt! Sofort!" Er hob seinen Zauberstab, richtete ihn auf den Kessel, doch irgendwie war er nicht mehr imstande, einen Feuerlöschzauber auszuführen. Verzweifelt bemühte er sich, sich zu erinnern, wie der Spruch lautete, doch sein Gehirn schien sich gegen jede Denkaktivität zu sperren. Schlimmer noch, die ganze Brühe kochte höher und höher, spritzte über den Kesselrand, und ein großer Schwall ergoss sich über seine ausgestreckte Hand mit dem Zauberstab. Seine Hand war verbrannt, der Verband, den er sich um den Finger gewickelt hatte, war mit heißer Brühe durchtränkt. Vor seinen Augen verschwammen Kessel, Tisch, Feuer und grüner Rauch zu einem Strudel bunter Farben, der ihn einkreiste, schwindlig machte, mitriss und in dem er sich völlig aufzulösen schien.
Dann verlor Professor Snape das Bewusstsein. An die Reise, die er antrat, konnte er sich später nicht mehr erinnern.


Unerwarteter Besuch

Zur selben Zeit in Notting-Hill:

Mr. Alan Rickman saß in einem bequemen Sessel, eine Tasse Tee stand auf einem kleinen Tisch neben ihm, auf seinem Schoß lag das Drehbuch zum ersten Teil des geplanten Harry-Potter-Filmes. Man hatte bei ihm angefragt, ob er nicht die Rolle des exzentrischen Professor Snape spielen wollte. Er musste sich eingestehen, dass er die Bücher über den jungen Zauberer Harry Potter nie gelesen hatte, aber seine Neffen waren sofort begeistert, als er ihnen davon erzählte.
Er hatte bereits die Hälfte des Drehbuches durchgelesen, und in der Tat war dies ein Charakter ganz nach seinem Geschmack. Er hatte sich schon mehrfach in der Rolle des Fieslings probieren können, und dafür jedes Mal gute Kritiken erhalten. Auch wenn er sehr darauf achtete, nicht in das Klischee des ewigen Bösewichtes gedrängt zu werden, er war sicher, dass ihm die Darstellung des Professor Snape viel Spaß machen würde. Abgesehen davon, dass es sicherlich sehr interessante Filmarbeiten werden würden, bei den erforderlichen Kulissen und Special Effects. Und dieser Professor Snape hatte irgendwie etwas Faszinierendes an sich. Undurchschaubar, mysteriös, düster und sarkastisch. In Gedanken spielte er schon einige Mimiken und Gestiken durch, die nützlich sein könnten.
Gedankenverloren nahm er seine Teetasse vom Tisch und führte sie an den Mund.

Mitten im Schluck hielt er inne. Im Zimmer vor ihm schien sich plötzlich die Luft zu bewegen. Erst glaubte er an eine optische Täuschung, an eine Luftspiegelung, hervorgerufen durch den dampfenden Tee. Doch dann war deutlich grüner Nebel zu erkennen, der sich immer dichter werdend im Zimmer ausbreitete. Er schien in einen Strudel überzugehen, dessen Zentrum jetzt so dicht war, dass der Nebel nicht mehr durchsichtig war. Plötzlich fiel ein Körper aus dem Nebel und landete mit einem dumpfen Aufprall auf dem Teppich. Der Nebel wurde lichter und löste sich langsam auf. Das alles kam so unerwartet und ging so schnell, dass Mr. Rickmann immer noch mit der Teetasse vor dem Mund wie versteinert in seinem Sessel saß, unfähig zu begreifen, was er da gerade gesehen hatte. Er hätte glauben wollen, dass dies alles nur eine Einbildung, eine kurze Halluzination gewesen war, wenn, ja, wenn da nicht ein Mensch mitten in seinem Zimmer auf dem Boden liegen würde. Eine schwarze Gestalt, reglos - ohnmächtig scheinbar - sonderbar gekleidet und mit schwarzen langem Haar. Das Gesicht konnte er nicht sehen, da er mit dem Rücken zum Sessel lag. Rickman war sich nicht sicher, ob er überhaupt das Gesicht sehen wollte, das alles war so paradox, dass er nicht glauben konnte, was er da sah. An einen Scherz seiner Kollegen glaubte er nicht, das überstieg wohl auch die Fähigkeiten der Special-Effects-Experten.
Schließlich nahm er sich zusammen und stand doch auf, um den ungebetenen Gast näher zu betrachten. Vielleicht brauchte er ja Hilfe, er schien immer noch nicht bei Bewusstsein zu sein. Mit einigem Abstand ging er um die Person herum, bis er vor ihr stehen blieb. Es war ein Mann, ein wenig jünger als er selbst. Er sah blass aus, hatte eine stark gebogene Nase, sein schwarzes, fettiges Haar hing ihm in Strähnen ins Gesicht. Er wirkte trotzdem nicht asozial, denn seine Kleidung war zwar ungewöhnlich, doch offensichtlich extravagant und gut gepflegt. Jetzt erkannte Rickman, dass der Mann sich vor kurzem den Finger verletzt haben musste. Er war bandagiert, der Verband war leicht blutig, aber mit etwas Grünen verschmutzt.
Plötzlich stöhnte der Fremde auf. Schnell ging Rickman zu ihm und hockte sich neben ihm hin. Er berührte ihn leicht an der Schulter und sprach zu ihm: "Hey Mister, sind Sie in Ordnung? Kann ich Ihnen helfen?"
Schlagartig kam der Mann zu sich. Schwarze, erschrockene Augen starrten ihn an.


Die Begegnung

Das Erste, was Snape registrierte, als er langsam zu sich kam, war, dass er auf dem Boden lag. Wieso lag er auf dem Boden und wie lange schon? Sein erster Gedanke galt Voldemort und den Todessern, doch dann fiel ihm ein, dass er seit vier Wochen bei keinem Treffen gewesen war. Was war dann der Grund? Ihm fiel sein Experiment wieder ein. Klar, etwas war mächtig daneben gegangen. Er stöhnte leise auf.
Plötzlich - eine Bewegung neben ihm, eine Berührung (Albus?). Dann hörte er eine fremde Stimme fragen, ob er in Ordnung sei und Hilfe brauche. Eigentlich hätte Snape fragen wollen, wonach es denn aussähe, aber die Tatsache, dass er nach einem Unfall in seinem Labor von einem Fremden nach seinem Befinden gefragt wurde, ließ ihn sofort wach werden. Er riss die Augen auf und starrte in das Gesicht eines Mannes, den er nie zuvor gesehen hatte.
Der Andere sah ihn besorgt und verunsichert an. Es hatte nicht den Anschein, dass er Snape bedrohen wollte. Beide sahen sich für wenige Sekunden unverwandt in die Augen.

"Wer sind Sie?" Diese Fragen stellten beide Männer im gleichen Moment ihrem Gegenüber. Alan Rickman konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Das hätte eine sehr witzige Filmszene sein können.
Sein "Gast" fand das scheinbar nicht so lustig. Er schaute ihn weiterhin mit seinen tiefschwarzen Augen unverwandt und misstrauisch an. Offensichtlich war dieser spektakuläre Auftritt von dem Anderen nicht geplant gewesen.
Als höflicher Mensch beschloss Mr. Rickman die Frage als erster zu beantworten. "Mein Name ist Alan Rickman. Sie sind hier in meinen Haus - sozusagen aus dem Nichts aufgetaucht. Sie waren bewusstlos."

Snape glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Wieso in dem seinem Haus? ‚Das ist mein Labor!' Doch ein kurzer Blick durch den Raum überzeugte ihn vom Gegenteil. Er war definitiv nicht in seinem Labor. Also doch im Haus des Anderen. Wie hieß er gleich noch: Alan Rickman.
Snape setzte sich auf. Schnell wich der Rickman ein Stück zurück und stand auf. Nun konnte Snape ihn genauer ansehen. Er war etwas älter als er selbst, trug Muggelkleidung, wirkte gepflegt und genauso verwirrt über diese Situation, wie er selbst. Das beruhigte den Zauberer etwas. Es war also keine Entführung oder sonst ein beabsichtigtes Verhalten, dass er sich im Hause Rickman wiederfand.
Durch diese Erkenntnis selbstsicher geworden, stellte auch Snape sich auf die Beine. Obwohl der Unfall ihn bewusstlos hatte werden lassen, schien er sich nichts gebrochen oder gezerrt zu haben. Genaugenommen spürte er außer in seinem Finger keinen Schmerz, der pochte und brannte dafür um so heftiger. Unwillkürlich musste Snape die Hand heben und sich die Ursache des Schmerzes näher zu betrachten.

Als der Unbekannte sich aufrichtete, ging Mr. Rickman doch lieber einen Schritt zurück. Man wußte ja nie, und der Fremde hatte sich bisher weder vorgestellt noch sein Eindringen erklärt. Doch so, wie er sich im Raum umsah und ihn selbst taxierte, schien er genauso ahnungslos zu sein, wie er hierher gekommen war. Auch der Andere stand jetzt auf. Nun kam dessen merkwürdige Kleidung erst richtig zur Geltung. Er trug einen altertümlich aussehenden, schwarzen Gehrock über der schwarzen Hose und einen Umhang darüber. Sein Haar fiel ihm ins Gesicht. Sie waren beide annähernd gleich groß.
Alan Rickman wusste nicht so recht was er sagen oder tun sollte. Er hatte irgendwie das Gefühl, dass erst mal der Andere an der Reihe war, sich zu erklären. So standen sich beide Männer für einen Augenblick gegenüber, sahen sich an, ohne dass einer ein Wort sagte.

Snape wusste, dass er jetzt wohl an der Reihe war, sich vorzustellen. Immerhin war er hier in das Haus des Fremden eingedrungen, auch wenn er sich selber nicht erklären konnte, wie.
"Mein Name ist Severus Snape. Ich bin der Lehrer für Zaubertränke in Hogwarts. Ich kann Ihnen im Moment nicht erklären, wie ich hierher kam, seien Sie jedoch versichert, dass es nicht meine Absicht war, einfach in Ihr Haus einzudringen."
Bevor Snape weitersprechen konnte, stutzte er über den erschreckten Ausdruck auf dem Gesicht des Gegenüber. Dann wurde dieser blass, gleich darauf rot, für einen Moment sah es so aus, als wollte der Hausherr sich wütend auf ihn stürzen, doch dann wich wieder jegliche Farbe aus dessen Gesicht. Er taumelte. Seine Hand suchte verzweifelt etwas, voran er sich festhalten konnte. Bevor Rickman hinstürzen konnte, eilte Snape zu ihm und griff seinen Arm, um ihn am Fallen zu hindern. Intuitiv stützte sich Rickman auf Snapes Arm ab. Dieser führte den Geschwächten zu einem der Sessel und ließ ihn darin Platz nehmen.
"Danke", murmelte Rickman leise. "Nehmen Sie doch Platz."
Professor Snape setzte sich in den gegenüberstehenden Sessel und schaute seinen Gastgeber, verwirrt über dessen Bestürzung, an. Angestrengt dachte er nach, ob und gegebenenfalls wo er den Namen Rickman schon einmal gehört haben könnte. Er konnte sich jedoch an keinen Bekannten, Gegner, Schulgefährten oder Schüler erinnern, der so hieß. Woher kannte der Andere also seinen Namen. Dass er ihn zu kennen schien, stand außer Frage, anders war seine Reaktion nicht zu deuten.
"Verzeihen Sie, so sehr ich mich bemühe mich zu erinnern, ich kann mich nicht entsinnen, Sie schon einmal getroffen zu haben. Offensichtlich ist Ihnen mein Name aber ein Begriff, Sie sind klar im Vorteil. Hätten Sie die Güte mir zu erklären, woher Sie mich kennen ?"



Das Gespräch

Mr. Rickman wurde es unbehaglich. Diese Frage war nicht so einfach zu beantworten. Er war sich nicht sicher, ob er überhaupt die Antwort kannte, oder ob da nicht nur ein großes Missverständnis vorlag.
Als der Mann sich eben vorstellte, dachte er an einem blöden Scherz. Aber dann musste er sich eingestehen, dass der Andere tatsächlich auffallend genau auf die Beschreibung des Professor Snape aus dem Roman passte. Auch die Kleidung, Ausdrucksweise und der Auftritt sprachen eher für als gegen die Annahme, dass ihm tatsächlich Professor Snape gegenüber stand. Doch was sollte er diesem jetzt antworten? 'Ja, ich kenne Sie, Sie sind eine Romanfigur, die ich in der Romanverfilmung zu spielen gedenke.'?
Das klang, als wäre er total durchgeknallt.
"Ich kenne Sie nicht persönlich, ich habe nur von Ihnen gehört." Das entsprach in etwa der Wahrheit.
"Durch wen haben Sie von mir gehört?" Nach der Reaktion des Rickman, konnte es nichts Gutes gewesen sein, was man über ihn erzählt hatte. Seine Todesser-Vergangenheit schien ihn wieder einmal eingeholt zu haben.
"Ich weiß nicht recht, wie ich es Ihnen erklären soll. Ich habe durch ein Buch von Ihnen erfahren", sagte Rickman und dachte sich dabei: 'Wir tasten uns langsam an die Wahrheit heran.' Doch bevor er sich total zum Idioten machte, wollte er sich noch versichern, dass er mit seiner Vermutung richtig lag.
"Sagen Sie Professor Snape, ist es wahr, dass Sie viel lieber Verwandlungen unterrichten würden?" Das war natürlich eine Falle. Der echte Snape würde entsprechend reagieren.
"Verwandlungen? Nein, das soll mal McGonagall machen, dafür ist sie Expertin. Ich mag Zaubertränke, aber die meisten Schüler sind auf dem Gebiet so unbegabt. Verteidigung gegen die dunklen Künste zu unterrichten, wäre nur halb so nervend. Ein paar aufregend Stories erzählen, hin und wieder ein Anschauungsobjekt zum Unterricht mitbringen oder die Schüler in den Verbotenen Wald führen, und hoffen, dass der Eine oder Andere verloren geht. Das wäre mir viel lieber. Aber Dumbledore lässt da nicht mit sich reden. Was für ein Buch war das, eines von einem Wahrsager?" Snape musste an Trelawney denken, ihre Vorhersagen waren eher amüsant als informativ.
"Nein, von einer Schriftstellerin. Für mich waren Sie bisher eine Romanfigur."
Jetzt war es Snape, der seinen Ohren nicht traute. Er eine Romanfigur? Er war definitiv existent, dessen war er sich sicher.
"Ich weiß auch nicht, wie ich das verstehen soll. Es gibt in meiner Welt Bücher, in denen Ihre Welt genau beschrieben wird und die Abenteuer, die ein Junge namens Harry Potter dort erlebt. Gibt es diesen Jungen wirklich?" fragte Rickman.
Das gab es doch nicht! Bisher war man in der Zaubererwelt immer davon ausgegangen, dass die Muggel alles Mögliche glaubten, nur an die Magie, die vor ihrer Nase passierte, nicht. Und jetzt hörte er, dass es Bücher mit den Geschichten um Hogwarts gab. Und schlimmer noch, nicht nur dass der Bengel in der Zaubererwelt eine Berühmtheit war, obwohl er eigentlich gar nichts getan hatte. Auch für die Muggel schien Harry Potter der Held zu sein. Das war wirklich zu viel für Snape.
"Dieser kleine freche Bengel macht uns mit seinen ständigen Regelverstößen das Leben schwer, aber anstatt ihn von der Schule zu weisen, gibt der Direktor ihm auch noch Extrapunkte für seine ‚Heldentaten'. Ihr solltet diese Bücher lieber verbieten lassen, damit eure Kinder nicht auch noch anfangen, ihm nachzueifern."

Alan Rickman war erstaunt. Irgendwie schien sein Gegenüber die Tatsache, dass er für ihn nur eine Romanfigur war, nicht so beunruhigend zu finden, wie es ihm an seiner Stelle gegangen wäre. Aber vielleicht war man für Absurditäten nicht so empfindlich, wenn man in einer Welt lebte, in der jeden Tag Magie, Zeitverschiebungen, Verwandlungen, Teleportationen und andere Dinge geschahen, die er als unrealistisch bezeichnen würde.
"Sagen Sie Mr. Snape..." - "Professor Snape bitte." - "Okay, Professor Snape, haben Sie irgendeine Ahnung, wie es Ihnen gelungen ist, von Ihrer Welt in die meine zu wechseln?" Diese Frage hatte Snape sich auch schon gestellt. "Das letzte, woran ich mich erinnern kann, ist dass mein Zaubertränkeexperiment außer Kontrolle geriet. Das muss wohl irgendwie zusammenhängen. Die meisten Zaubertränke haben aber nur eine zeitlich begrenzte Wirkung. So auch der, an dem ich gearbeitet habe. Deshalb wird es wohl nur eine Frage von Minuten oder Stunden sein, bis ich in meine Welt zurückkehre. In meiner Welt würde ich jetzt wohl einen Whisky trinken. Sagen Sie, so etwas gibt es bei Ihnen nicht auch, oder?"
Mr. Rickman verstand den Wink und ging zu einem Schrankteil in der Ecke seines Arbeitszimmers. Er holte zwei Becher und eine Flasche Scotch hervor und schenkte sich beiden ein. Vielleicht sollte er die verbleibende Zeit und die einmalige Chance nutzen, so viel wie möglich über Snape herauszufinden. Das würde ihm beim Spielen seiner Rolle sehr nützlich sein.
Als er sich wieder umdrehte und zum Tisch zurückging, sah er, dass das Drehbuch noch darauf lag. 'Warum soll ich es ihm nicht einfach sagen? Er scheint diese ganze Situation nicht halb so absurd zu finden wie ich. Es wird ihn nicht gleich umhauen.'
"Übrigens Professor Snape, was Sie da auf dem Tisch vor sich sehen, ist das Drehbuch zu einem Film über Harry Potter und sein erstes Jahr in Hogwarts. Hat sich die Geschichte mit dem Stein der Weisen tatsächlich so zugetragen?"
Snape musste verächtlich schnauben. 'Einen Film machen sie über diesen Bengel auch noch! Das wird ihn ja geradezu zum Superstar machen! Hoffentlich erfährt das niemand in unserer Welt. Dann platzt ihm sein bereits übergroßer Kopf am Ende noch vor Selbstgefälligkeit.' Das sagte er jedoch lieber nicht zu Rickman. "Ja, es scheint, alles was sich damals zugetragen hat, ist in Ihrer Welt der Inhalt Ihres Buches. So, so ein Film soll also darüber gedreht werden. Ich hoffe, niemand vergisst am Ende zu erwähnen, dass ich das ganze Jahr über damit beschäftigt war, diesem Jungen das Leben zu retten, während er nichts Besseres zu tun hatte, als nachts durch das Schloss zu schleichen."
"Ich werde dafür sorgen, dass Ihr Ruf gewahrt bleibt. Ich denke, dass ich da wohl ein Wörtchen mitzureden habe."
Snape stutzte bei den Worten Rickmans. Etwas an der Art wie dieser sie aussprach ließ ihn nachfragen. "Wieso glauben Sie, dass man Sie fragen wird?"
"Weil ich es sein werde, der Ihre Rolle in dem Film übernimmt."
Snapes Augenbrauen zogen sich zusammen. Er starrte den anderen undurchdringlich an. Alan Rickman wurde es etwas unbehaglich. "Schön, schön", sagte Snape mit samtiger Stimme. "Man glaubt also, dass Sie der richtige Mann sind, um mich wiederzugeben. Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wer ich bin?"
"Nein, sagen Sie es mir."
"Nein, aber Sie können mir ja mal erklären, wie Sie gedenken, mich darzustellen."
Alan Rickman spürte, dass er jetzt vorsichtig sein musste, mit dem, was er sagte. Offensichtlich erwartete sein Gast, dass er etwas Falsches sagte.
"Ich denke, Sie sind ein strenger Lehrer, zuweilen sarkastisch. Sie können Harry Potter aus irgendeinem Grund nicht leiden, oder geben es zumindest vor." - "Stop ! Ich gebe es nicht vor. Ich kann ihn nicht ausstehen."
"Warum eigentlich? Er ist doch eigentlich ein ganz netter Junge. Und er hatte es wirklich nicht leicht bisher."
"Oh ja, das passt zu gut, nicht wahr. Der arme kleine Junge, der seine Eltern verloren hat, und bei Verwandten aufgewachsen ist. Und dann auch noch von allen als Held gefeiert wird. Er kann einem wirklich leid tun", raunzte Snape mit verächtlicher Stimme.
"Haben Sie eigentlich eine Vorstellung, wie er bei seinem Onkel und seiner Tante gelebt hat. Ehrlich, das wünsche ich keinem Kind, dass es so etwas erleben muss. Es ist ein Wunder, dass der Junge nicht entartet ist."
"Wer sagt Ihnen, dass er es nicht ist? Außerdem gibt es Kinder, die ähnliche oder noch schlimmere Sachen durchgemacht haben. Einige sogar bei den eigenen Eltern. Manche mussten mit ansehen, wie ihre Familie regelrecht ausgelöscht wurde. Der dunkle Lord hatte in unserer Welt mehr Opfer als nur die Potters. Unter ihnen sind auch andere Kinder." Snapes Augen hatte einen hasserfüllten Ausdruck angenommen. Rickman hatte das ungute Gefühl, dass Snape nicht nur von fremden Schicksalen sprach. Trotzdem konnte er nicht den Hass nachvollziehen, den dieser für den jungen Harry empfand.
"Aber nur weil Harry nicht das einzige kindliche Opfer Voldemorts ist, können Sie ihn nicht so hassen. Es kann auch nicht an seiner Neigung zu nächtlichen Streifzügen liegen. Ich hatte beim Lesen den Eindruck, dass Sie ihn von Anfang an nicht mochten. Was steckt wirklich dahinter?"
"Ihnen entgeht wohl auch gar nichts, oder?", fragte Snape sarkastisch. "Und nennen Sie den dunklen Lord nicht beim Namen! Na gut. Zur selben Zeit wie ich war auch James Potter - Harry`s Vater - in Hogwarts Schüler. Wir konnte uns von Anfang an nicht ausstehen. Seine Familie war von jeher in Gryffindor, meine immer in Slytherin. Es scheint uns im Blut zu liegen, dass wir uns hassen. James und seine Freunde haben mir damals einigen Ärger eingehandelt." Dass er ihm aber auch das Leben rettete, verschwieg er. Rickman würde es auch alleine rausfinden. Snape wusste, dass Dumbledore es Harry verraten hatte. Der Junge hatte es ihm irgendwann mal auf den Kopf zugesagt. Wenn wirklich alles, was in Hogwarts passierte, in deren Büchern stand, erfuhr es auch Rickman früher oder später.
Rickman gab jedoch noch nicht auf. "Finden Sie es nicht ein wenig unfair, Ihren Groll gegen den Vater auf den Sohn zu übertragen? Der kann doch nun wirklich nichts dafür."
Na Prima, jetzt musste er sich von einem Muggel Unterricht in fair play geben lassen, oder wie. Was wusste der denn schon von ihm, von Potter, von Lilly, vom dunklen Lord und Dumbledore. "Mr. Rickman, bei aller Ehre, es gibt Dinge, die Sie aus Ihrer Unwissenheit heraus nicht beurteilen können. Ich habe meine Gründe, diesen Jungen nicht zu mögen, und damit Schluss." Es reichte schon, wenn er sich vor Dumbledore ständig für die Punktabzüge, die er Potter und seiner Bande verpasste, rechtfertigen musste.
Mr. Rickman merkte, dass sein Gast verärgert war. Er wollte ihn wieder beruhigen, deshalb bot er ihm noch einen Whisky an. Snape nahm mit einem zustimmenden Knurren an. So schenkte Rickman sich beiden ein und versuchte, das Gespräch auf andere Themen zu lenken.
"Erzählen Sie mir von Hogwarts. Wie ist es, dort zu leben?"
Snape war dankbar für den Themenwechsel, und durch den Whisky etwas gelockert, fing er an zu erzählen. "Für mich ist es inzwischen ein Zuhause geworden. Wenn die Schüler nicht wären, könnte man dort richtig gut leben. Ich habe meine Unterrichtsräume und mein Büro im Kerker. Die anderen Lehrer finden es dort eher ungemütlich, aber ich mag die Ruhe dort unten. Man kriegt von dem Trubel des Schulalltags kaum was mit. Nur im Winter ist es ziemlich kalt. Wenn die Hauselfen das Feuer haben ausgehen lassen, dauert es ewig, bis die Räume wieder warm sind. Dafür ist es im Sommer recht angenehm dort unten. Dann kam sogar schon Minerva in meinen Klassenraum, um ihre Vorbereitungen zu machen.
Quidditchspiele sind immer noch das Highlight bei Schülern und Lehrern. Das war schon immer so. Meine Slytherins sind meist die beste Mannschaft, auch wenn sie gegen die Gryffindors ab und an verloren haben, seit Potters Sohn dort Sucher ist. Naja, das hat mich nicht wirklich überrascht. Es war vorauszusehen, dass er das Talent seiner Ahnen geerbt hat. Soweit ich weiß, kommen aus der Familie sogar einige Nationalspieler. Ich selbst war als Junge aber auch ganz gut. Sie werden feststellen, dass ich in Ihrem Buch auch in einem Quidditchspiel als Schiedsrichter fungiere. Wie wollen Sie das mit dem Fliegen überhaupt machen? Ich meine, Sie können doch gar nicht auf Besen fliegen."
Rickman musste lächeln. Offensichtlich hielt man in der Zaubererwelt nicht viel von den Fähigkeiten nichtmagischer Menschen. "Nein, auf Besen können wir nicht fliegen, aber wir haben Techniken entwickelt, die es für den Zuschauer so aussehen lässt, als ob wir es könnten. Wir nennen das Special Effects. Darf ich Ihnen eine ganz persönliche Frage stellen?"
Snape schaute befremdet drein. "Nun gut."
"Sie werden in unserem Buch genau so beschrieben, wie Sie hier vor mir sitzen. Sie legen offensichtlich großen Wert auf stilvolle Kleidung und ein respekteinflößendes Äußeres. Aber warum vernachlässigen Sie Ihren Körper derart?"
"Wie bitte?" schrie Snape und wäre fast aus dem Sessel gesprungen.
"Verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht beleidigen. Aber Ihr Haar ist fettig, Ihre Zähne gelb, Ihre Haut sieht aus, als wären Sie schon lange nicht mehr in der Sonne gewesen. Das macht Sie nicht gerade zu einem ..., nun ja, ansehnlichen Menschen."
Snape schaute säuerlich drein. Es war ja nicht so, dass er das nicht selber wüsste und es ihm egal wäre. "Einiges ist genetisch, das mit den Zähnen und der blasse Teint. Außerdem bin ich viel im Kerker, da scheint keine Sonne. Dass meine Haare schnell fetten, kommt vom Tränkebrauen. Ich stehe an manchen Tagen stundenlang über irgendwelche Kessel gebeugt. Ich habe aber weder die Lust noch die Zeit, mir jeden Tag die Haare zu waschen. Außerdem interessiert es in Hogwarts sowieso niemanden, wie ich aussehe. Die Schüler könnten mich auch nicht besser leiden, wenn ich so ein Schönling wie Lockhart wäre."
"Bitte, wie wer?" fragte Rickman.
"Ach ja, der kam ja erst nach Quirrell als Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste. Er war ein Aufschneider, rausgeputzt wie ein Pfau, ständig von seinen Fans angehimmelt, aber mit den magischen Fähigkeiten eines Teebeutels. Ich glaube, sämtliche Schülerinnen hatten sich ihm zu Füßen geworfen. Mir ist bis heute unklar, warum Dumbledore ihn überhaupt eingestellt hatte. Allerdings hat er anfangs uns alle mit seinem Gehabe getäuscht. Erst als ich ihm im Duellierclub - nennen wir es - ein wenig testen konnte, war mir klar, dass er eine Null ist. Dumbledore meinte damals es wäre nun zu spät, um ihn auszutauschen. Das Schuljahr müssten wir durchstehen. Es wäre besser gewesen, er hätte ihn entlassen. Beinahe hätte Lockhart Potter und seinen Schatten Weasley einem Gedächtniszauber unterworfen und dem Basilisken zum Fraß vorgeworfen."
Rickman verstand nur die Hälfte von dem, was Snape ihm da erzählte. Er würde die anderen Bücher über Harry Potter demnächst lesen müssen. Eine Frage brannte ihm jedoch noch auf der Seele. "Ich habe das Drehbuch zum ersten Jahr Harry Potters noch nicht durchgelesen. Bin etwa in der Mitte. Bisher hatte ich den Eindruck, dass Sie ...", er stockte. Wie soll er sich ausdrücken, ohne Snape schon wieder zu beleidigen oder gar zu provozieren? Immerhin saß ein Zauberer vor ihm! Wer wußte, was der mit ihm anstellen könnte!
"Ja bitte, sprechen Sie weiter. Was ist mit mir?" fragte Snape mit einem gefährlichen Unterton in der Stimme.
"Nun, ähm, bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich will mich aber so gut es geht auf die Darstellung Ihrer Person vorbereiten. Es ist nur so, die Kinder verdächtigen Sie, den Stein der Weisen stehlen zu wollen und Harry Böses zuzufügen. Bis zu dem Punkt des Buches, den ich gelesen habe, hätte sich mir der Verdacht auch aufgedrängt. Nur von den Erzählungen meiner Neffen weiß ich, dass Sie eigentlich nicht der Böse sind. Warum tun Sie aber so, als ob Sie es wären?"
Snape war nicht überrascht über diese Gedanken. Er war sich durchaus bewusst, dass die meisten Schüler, bis auf wenige Ausnahmen, ihn für bösartig hielten und wahrscheinlich auch annahmen, dass er mit dem Dunklen Lord verbunden war. Und im Grunde hatten sie damit auch recht. Er war noch nie der nette Typ gewesen, und es gab eine Zeit, da war er stolz darauf, ein Todesser zu sein. Heute hasste er sich dafür und riskierte als Spion sein Leben im Kampf gegen Voldemort. Doch wie viel davon konnte er diesem Muggel sagen?
"Ich verstehe Ihre Frage. Tatsächlich bin ich wohl so was wie das Ungeheuer Hogwarts. Die Schüler haben vor mir Angst und hassen mich. Nicht, dass mich das stören würde, oder ich mir die Mühe machen möchte, daran etwas zu ändern. Es waren nie meine Ambitionen, beliebtester Lehrer Hogwarts zu werden. Und dann gibt es da einiges in meiner Vergangenheit, was mich vielleicht etwas emotionslos hat werden lassen. Ich kann Ihnen nicht viel dazu sagen, aber ich habe Dinge gesehen und leider auch getan, die wohl vielen Menschen die Freundlichkeit, manchen vielleicht sogar den Mut rauben würden. Es gibt ein dunkles Kapitel in meiner Vergangenheit, in dem ich mich schuldig gemacht habe. Leider kam ich viel zu spät zu einer besseren Erkenntnis. Wenn ich dann sehe, wie ungeniert, unbefangen und respektlos einige Menschen mit den dunklen Mächten und mit dem Leben anderer umgehen, macht mich das rasend.
Aber das ist nur ein Teil von mir. Ich komme aus einer Familie, die nie ganz frei von Zweifeln war. Ich war wohl nie der nette Junge. Ich hatte schon als Junge Spaß daran, andere zu provozieren und zu schikanieren. Das hat mir damals häufig Ärger eingebracht."
"Doch gerade dann sollte Sie doch mehr Verständnis für Harry und seine Freunde aufbringen. Ist das nicht der häufigste Fehler von uns Erwachsenen, dass wir vergessen, wie wir als Kinder waren?", antwortete Rickman.
Snape gefiel es nicht, dass der Muggel ihm Borniertheit vorwarf. Aber was er ihm da vorhielt, das war wohl nicht ganz unrichtig. Trotzdem mochte er nicht, sein Verhalten so vorgeworfen zu bekommen und sich dafür rechtfertigen zu müssen.
"Ich war nur ein ganz gewöhnlicher Junge, das war etwas anderes. Potter denkt, weil alle Welt ihn für eine Berühmtheit hält, wäre er über jeden Zweifel erhaben und könnte tun und lassen, was er will. Eine Menge erwachsener Zauberer riskieren ihr Leben und ihre Gesundheit, um ihn zu beschützen, und der Bengel denkt gar nicht daran, sich an die Regeln zu halten. Er scheint in unserem Kampf eine wichtige Rolle zu spielen, doch anstatt sich dem entsprechend zu verhalten, macht er, was er will."
Rickman war davon nicht überzeugt. "Aber er ist doch ein Kind. Sie erwarten zu viel von ihm. Es ist sein Recht, sich zu beweisen und sich auszutoben. Der Ernst des Lebens holt ihn früh genug ein."
Snape schnaubte ärgerlich. Was wusste der denn schon! Aber es machte wohl keinen Sinn, mit einem Muggel darüber zu diskutieren. Er wünschte sich plötzlich, dass die Wirkung des Zaubertrankes langsam nachließe. Er wollte nur zurück ins seine Welt, in sein Labor und dort ungestört sein, ohne ständig hinterfragt zu werden.
Kaum hatte er diese Gedanken zu Ende gedacht, spürte er, wie sich etwas in der Luft bewegte. Grüner Nebel zog sich an seinem Körper entlang, schien aus dem Nichts aufzutauchen oder aus ihm selbst heraus und verdichtete sich nach und nach.
Beide Männer waren aufgestanden. "Es wird wohl Zeit, mich zu verabschieden", sagte Snape mit einem unverbindlichen Ton, aus dem nicht gerade Bedauern klang.
Auch Rickman sah, dass die Zeit dieses einmaligen Interviews vorüber war. Er fand das im Gegensatz zu seinem Gast aber schade. Er hätte gerne noch mehr über diesen Mann herausgefunden.
Inzwischen war Snapes Körper komplett eingenebelt. Der grüne Rauch begann um ihn zu kreisen, bis ein dicker Strudel ihn einhüllte. Beide Männer warfen sich noch einen Blick zu und dann war Alan Rickman wieder allein in seinem Arbeitszimmer.


Der bleibende Eindruck

‚Wirklich schade', dachte Alan Rickman, ‚Ich hätte noch einige Fragen gehabt. Aber ich glaube, ich habe seine Geduld sowieso schon überstrapaziert. Was für ein negativer Mensch! Ihn zu spielen wird eine große Herausforderung.' Aber er war sich auch sicher, dass es viel Spaß machen würde.
Komisch war es aber schon, dass Snape ausgerechnet bei ihm gelandet war. Auch der Zauberer hatte das offensichtlich nicht so geplant. Zufall konnte das aber nicht gewesen sein. Was war denn unmittelbar vor dessen Auftauchen passiert? Der Zauberer hatte ein Experiment durchgeführt, das misslang. Soviel hatte er verstanden. Das könnte der Auslöser auf der anderen Seite gewesen sein. Und er selbst hatte beim Drehbuchlesen eine Pause gemacht, um einen Schluck Tee zu trinken - und hatte über die Rolle nachgedacht. Natürlich! Durch seine intensiven Gedanken hatte er Snape wohl wie ein Magnet angezogen. Ob das wieder funktionieren würde? Wahrscheinlich wohl eher nicht. So wie er den Magier einschätzte, würde der wohl nicht noch mal versuchen, zu ihm zu kommen. Das Gespräch schien ihm weniger behagt zu haben. Außerdem könnte es passieren, dass nach Erscheinen des Films plötzlich noch mehr Leute intensiv über den Professor nachdachten. Wer wußte, wo der dann überall landen könnte.
Etwas hatte Rickman sich noch vorgenommen. Er würde sich die anderen Bücher über Harry Potter kaufen und lesen. ‚Vielleicht finde ich ja auf diesem Weg noch etwas über diesen eigenartigen Mann heraus. Auf jeden Fall werde ich mir Mühe geben, wenigstens in unserer Welt für ihn Sympathiepunkte zu sammeln.'
Damit setzte er sich in seinen Sessel, nahm das Drehbuch vom Tisch und begann sich wieder darin zu vertiefen.


Diesmal wurde Snape nicht ohnmächtig. Unsanft landete in seinem Labor und wäre fast gefallen, hätte er sich nicht an einem Tisch festgehalten. Das Labor sah verwüstet aus, der Kessel war während seiner Abwesenheit explodiert. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er ungefähr eine Stunde abwesend gewesen war.
Das war auch für einen Zauberer eine ziemlich verrückte Reise gewesen. So war das eigentlich nicht geplant. Er hatte faktisch gar keinen Einfluss auf das Ziel und die Zeit gehabt. Wieso war er nur ausgerechnet zu diesem Muggel in einer scheinbaren Parallelwelt gelangt? Zumindest hatte er den Eindruck, dass er seine Rückreise durch den heftigen Wunsch, wieder in seinem Labor zu sein, selbst eingeleitet hatte. Aber trotzdem, er musste das Rezept für seinen Zaubertrank noch mal überarbeiten. So wie er heute funktioniert hat, mochte Snape ihn nie wieder ausprobieren. Wer wusste schon, wo er das nächste Mal landen würde?
Mit Ärger, dachte er daran zurück, wie unverfroren dieser Rickman ihn ausgefragt hatte. Und noch mehr ärgerte es ihn, dass er sich von jenem so zum Plaudern hatte hinreißen zu lassen.
Und der sollte ausgerechnet ihn in ihrem kleinen Muggelfilm über den berühmten Harry Potter darstellen! ‚Nun ja', dachte Snape plötzlich schmunzelt, ‚wenigstens werde ich in dem Film besser aussehen als in Wirklichkeit. Denn hässlich war der ja nicht gerade gewesen.' Nicht, dass Snape sich je darüber Sorgen gemacht hätte, dass man ihn für hässlich halten könnte, aber er wusste, dass er keine Schönheit war.
Mit einem Seufzer machte er sich daran, sein Labor aufzuräumen.


Ende


 

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