Stirb langsam

 

 

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Autorin: Ani


Stirb langsam

Mit Begeisterung sieht er der Frau zu, die mit Wucht ihre Faust in das Gesicht eines relativ dämlich aussehenden Mannes schlägt. Was für ein Weib! Fast zu schön, um wahr zu sein. Aber leider ist alles schon zu Ende und er steht auf. So richtig überzeugt hat ihn die Schlussszene natürlich nicht, aber man könnte es schließlich einmal probieren.

Leicht nervös betritt er den großen Raum, wo alle anderen schon warten. Prüfend sieht er sich um und kann eigentlich nur für seine Begriffe zu laxe Umgangsformen feststellen. Eigenartige Welt. Da kommt schon ein grinsender Bengel auf ihn zu. "Mensch, du siehst ja echt aus wie der. Ich fasse es einfach nicht. Dann würde ich sagen, schmeiße dich mal in deinen feinen Zwirn."

Irritiert schaut er den Typen an. "Ich soll bitte was? Und wer sind Sie überhaupt?"

Der Typ grinst und sagt: "Schweinebacke, ich bin dein schlimmster Albtraum." Während er sich umdreht und seine eigene Garderobe überprüft, die er zu tragen hat, nämlich das weiße Unterhemd, das weiße blutbefleckte, das dunkle und das dunkle blutbefleckte, falls es zu Regiefehlern kommt, redet er weiter. "Du willst mir doch nicht ernsthaft erzählen, in dem Aufzug willst du den Nakatomi-Tower entern. Sag mal, aus welcher Welt kommst du, Mann? Wo ist dein Bart? Und was sollen die langen Zotteln? Mit dem Lappen, den du anhast, bleibst du doch im Lift stecken."

Der Typ, der sich als schlimmster Albtraum vorgestellt hat, verabschiedet sich mit einem zu kräftigen Schulterklopfen. Severus Snape geht fast in die Knie. Sprachlos.

Was in Gottes Namen hatte ihn geritten, hierher zu kommen? Oder wer? Komische Welt, die Muggelwelt. Er verflucht in diesem Moment die Tatsache, dass die Muggelwelt ab und an etwas aufgepeppt wird. Es erscheinen Bilder von Zauberern in der Muggelpresse. In Absprache mit dem Ministerium natürlich. Um so eventuell unerklärliche Phänomene oder ähnliches zu kaschieren. Denn diese "Magier" sind schließlich nicht aufzutreiben und bleiben geheimnisvoll.

Und so begab es sich, dass irgendein John McTiernan auf sein Gesicht aufmerksam wurde. Er schrieb eine Eule, nein, korrigiert sich Severus im Stillen, eine Ih-Mäl nach Hogwarts, wo seit neuestem ein einziger Computer herumstand. Natürlich für den Muggelkundeunterricht, wofür sonst. Und diese Ih-Mäl wurde von der Lehrerin Albus überreicht. John McTiernan wollte ihn unbedingt sehen. Weil er eben aussah wie ein gewisser Alan Rickman, der leider erkrankt war. Und jetzt steht Severus hier, muss sich beleidigen und seinen schönen Umhang verunglimpfen lassen, muss sich wirres Zeug anhören, was nach Piraterie klingt, soll sich zur gleichen Zeit Haare schneiden und Bart wachsen lassen, was schon ein Ding der Unmöglichkeit ist, und ist nur noch vollkommen entsetzt. Natürlich hat er bei seinem Aufbruch nicht daran gedacht, sich muggelmäßig umzuziehen. Er ist einfach davon ausgegangen, so schnell wie möglich wieder zu disapparieren. Aber nun?

Was muss er statt dessen hören? "Perfekt, perfekt, du siehst genauso aus wie Alan. Ich hoffe doch, du weißt, wie er spielt?" Severus schüttelt den Kopf, obwohl er es weiß. Aber was geht ihn in diesem Moment dieser Rickman an? Er hat genug mit sich und der Zaubererwelt zu tun und ist von früh bis spät damit beschäftigt, außerordentlich nervenden Gryffindors Punkte abzuziehen. DAS ist seine Welt. Und jetzt wird vorausgesetzt, er kennt diesen Rickman. Kopfschüttelnd steht er da und betrachtet zweifelnd den, wie er sich selbst nennt, Regisseur. Der drückt ihm nur einen Riesenwälzer in die Hand, gegen den das NECRONOMICON wie ein kleines Heftchen wirkt. Er bekommt zu hören, das sei ein Drehbuch und alles, was dort drin steht, muss von ihm dargestellt oder gesprochen werden. Bei Hogwarts Geistern, da ist ja Gryffindors unterrichten erholsamer. Bevor er widersprechen kann, ist John McTiernan weg und Severus schaut auf diesen Wälzer. Geplagt schließt er die Augen. Aber diese Schlussszene hängt ihm noch im Hirn, also macht er sich frohen Mutes ans Lesen.

***



Er wollte sie doch umbringen? Wieso hängt er aus dem Fenster? Das kann einfach nicht wahr sein. Das ist doch die Frau, die zugeschlagen hat. Er krallt sich an ihrer Uhr fest und denkt schon, er gewinnt den Kampf, da kommt auch schon das Unterhemd ans Fenster und hilft seiner Frau. Ängstlich schaut er auf das Uhrband und sieht, wie es gelöst wird. Mit Schrecken wird ihm bewusst, dass es nun wohl ans Sterben geht. Aber tapfer bleiben, es ist nur ein Film, es ist alles nur Einbildung. Das hat er im Kino gesehen. Alles nicht echt. Mit diesem Gedanken segelt er aus dem 30. Stockwerk des Nakatomi-Tower der Erde entgegen.

Im Fallen greift er sich an den Hintern. WAS? Er soll nackt ins Meer rennen? Wem ist dieser krause Gedanke nun wieder in den Kopf gekommen? Das hört sich an wie das reinste Dogma und es wird wohl nicht mehr viel von Sinn und Sinnlichkeit übrig bleiben. Während er unter den Bäumen dahin reitet, das Wams zerschlissen, fährt ihm durch den Kopf, dass er darüber unbedingt mit König John reden muss. König? John McTiernan ein König? Kein Regisseur? Diesen Gedanken kann er nicht zu Ende führen, denn es gibt einen harten Schlag.

Es tut zwar unheimlich weh, aber Severus hat gewusst, dass er nicht hängengelassen wird. Diese Muggel mögen verrückt sein, aber es hätte ihn gewundert, wenn sie nicht für eine Absicherung gesorgt hätten. Aber Staunen macht sich in ihm breit. Er hebt den Kopf und sieht Häuser vorbeihuschen. Hinter seiner Stirn entstehen mehrere Fragezeichen. Seit wann fliegen Automobile durch die Luft, abgesehen von der Kutsche dieses durchgeknallten Arthur Weasley? Also war wohl alles ein böser Traum und er ist wieder in der Zaubererwelt. Wieso liegt er auf einer Frau? Rothaarig, noch dazu unschicklich bekleidet. Mit weißen Bändern umwickelt, als wäre sie während einer Mumifizierung vom Tisch gesprungen. So kann man doch nicht durch die Gegend laufen! Severus will sich gerade entschuldigen, als er feststellt, dass es ja noch einen Fahrer gibt. Denn er ist hier hinten und das Ding fliegt trotzdem.

Weil die Frau unverständliches Zeug schreit, rappelt er sich auf und tippt dem Fahrer auf die Schulter. Der dreht sich um. Severus erschrickt bis auf die Knochen. Das Unterhemd! Schon wieder? Dem soll er doch erst in Teil 3 wieder begegnen. Und dann ausgerechnet in der von den Muggeln mit reichlichem Sadismus ausgewählten "Ich-hänge-am-Arm-einer-Frau-und-stürze-gleich-runter"-Szene. "Neeeeein!" Ungeachtet der Tatsache, wo er sich befindet, wirft er sich mit diesem Aufschrei aus dem Autofenster und fällt ins Bodenlose.

Und fällt…

…und fällt…

…und plötzlich findet er eine Assoziation zum Filmtitel. Klar, warum schnell sterben, wenn es langsam geht?

***



Schweißgebadet und unartikuliert stöhnend fährt Severus Snape hoch. Sein erster Blick, obwohl Finsternis herrscht, gilt seiner Umwelt. Es ist SEIN Bett. Keuchend lässt er sich in die Kissen fallen und schaut den Himmel seines Bettes an. Plötzlich wirft er die Decke beiseite und springt auf. Rennt ins Bad. Sorgt für Helligkeit. Schaut sich im Spiegel an. Leise seufzend schließt er die Augen. Ihm schaut noch Severus Snape entgegen, mit ungepflegten Haaren und trotzdem aalglatt rasiertem Gesicht. Er ist er selbst und keine "Schweinebacke". In diesem Moment schwört er vor seinem Spiegelbild, wenn schon einmal in der Muggelwelt, wird er sich nie wieder, nie wieder Filme mit diesem Alan Rickman anschauen. Nie wieder.

Bei Grabtas Hammer…


 

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