Tears in the dark

 

 

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Autorin: Durloth



Tears in the dark




Es war stockdunkel um ihn herum. Finster und kalt. Er fror erbärmlich, trotz der Decke, die er sich umgelegt hatte. Der eisige Wind peitschte sein Gesicht und ließ seine Haare flattern. Schneeflocken trieben in der Luft, klatschten gegen ihn, schmolzen unter der Wärme seines Körpers. Wie sehr hatten sich diese dummen kleinen Schüler auf diesen Abend gefreut. Nun war er da. Stille ruhte über dem Schloss. Die ganze Meute war in der Großen Halle versammelt und freute sich über den Neuschnee und die Heilige Nacht. Alle waren gut gelaunt und feierten.

Doch er stand ganz alleine auf dem Turm und starrte in die Finsternis. Von unten schien ganz sachte das Licht der Großen Halle zu ihm herauf. Aber es schien ihn nicht einmal zu erreichen. Es war ihm egal. Wie so vieles. Es kümmerte ihn nicht, was die anderen über ihn dachten, er war viel zu stolz seine Gefühle zu offenbaren, hatte Angst, wie so oft abgelehnt zu werden. Ungezählte Male hatte er verzweifelt nach Freundschaft, gar Liebe ihm gegenüber gesucht, doch die einzige Frucht, die er geerntet hatte, war Ablehnung und Unverständnis, manchmal Hohn, selten Hass. Auch Mitleid hatten sie ihm entgegengebracht, doch nie genug, um sich zu einem Treffen mit ihm durchzuringen. Es war kein Wunder, dass er einsam war, einsam und verbittert. Dass er sich verschloss, mürrisch und oft gemein. Inzwischen machte es ihm sogar in gewisser Weise Spaß, seine Schüler zu verletzen, sie zu verspotten und sie bloßzustellen. Es tat ihm leid, ja. Doch wenn er es zugab, was wäre er dann? Der gemeine Feigling, der am Ende sowieso den Kürzeren zog? Ein besiegter, gebrochener Mann, dessen Ruf er selbst in den Schmutz gezogen hatte? Würde er dann vor allen anderen kriechen und sie um Vergebung anbetteln? Oder würde er sich noch weiter zurückziehen, stets in dem Bewusstsein, nun endgültig durchschaut worden zu sein?

Seine Last wäre um vieles leichter, hätte er einen Freund, dem er sich anvertrauen könnte. Wie sehr wünschte er sich jemanden, der seine Sorgen und seine Ängste mit ihm teilen könnte. Wie sehr sehnte er den Tag herbei, an dem ihm jemand die Hand auf die Schulter legen und sagen würde: "Komm, mein Freund, lass uns einen trinken gehen." Doch dieser Tag würde nie kommen, soviel stand für ihn fest. Dieser Freund wüsste alles über ihn, könnte ihn jederzeit ausnutzen, seine Geheimnisse verraten, er hätte sein Vertrauen und könnte es missbrauchen, wann immer er wollte. Dieses Risiko jedoch war er nicht bereit, einzugehen. Noch nicht. Vielleicht würde sich irgendwann jemand finden, der sich seiner annehmen würde. Irgendwann...

Dieses Wort klang schön. Er sprach es laut aus, ließ es auf der Zunge zergehen wie ein Stück Zucker. Es war auch genauso süß wie Zucker, genauso süß und verlockend. Und doch hinterließ es einen bitteren, schalen Nachgeschmack. Der Nachgeschmack, ein bitterer Gedanke: Wann? Wann war dieses Irgendwann?

Vermutlich nie.

Nie! Er lachte bitter. Ja, das war das naheliegendste. Nie! Wer interessierte sich schon für ihn, fragte, wie es ihm ging, erkundigte sich, ob er einen guten Tag gehabt hatte? Niemand. Wenn er den Gang entlang ging, wichen ihm die Schüler aus. Fröhliche Gespräche wurden rasch unterbrochen, man kehrte ihm den Rücken zu, machte böse Witze über ihn. Ihn, die Fledermaus von Hogwarts. Ihn, den verbitterten, den bösartigen und gemeinen Lehrer. Ihn, den einsamen und verhassten Professor Snape.

Wie oft hatte er das Leben der Schüler gerettet, ihnen geholfen, ihnen Ratschläge gegeben. Wie oft waren seine gutgemeinten Worte als böser Spott abgetan worden, wie oft hatte man ihn beleidigt. Sie trauten ihm alles zu. Verrat, Lügen, Angriffe, ja, wahrscheinlich sogar einen Mord. Er war immerhin der Böse. Und einen Sündenbock brauchten sie auf jeden Fall. Auf wen sollten sie all die kleinen Missgeschicke, die Unfälle und Sorgen sonst schieben, als auf ihn, der sich nach Gesellschaft sehnte, doch nur gemieden wurde.

Warum ließ er das alles nur geschehen? Warum erduldete er die Gemeinheiten und die Ausgrenzungen? Warum? Er wusste es selbst nicht. Vielleicht hing er einfach zu sehr an seinem einsamen Leben als verhasster Lehrer, als ........ Monster. Ja, ein Monster. Ein Monster war er sicherlich in den Augen der Schüler. Doch sie konnten nicht in ihn hineinsehen, sie wussten nicht um seine Vergangenheit. Blutig, einsam, schwarz war sie und vor allem traurig.

Seine Eltern hatte er früh verloren, war ein Waisenkind. Da ihn keiner haben wollte, hatte er sich mal hier und mal dort herumgetrieben. Auf dem Friedhof, auf dem seine Eltern begraben lagen, hatte er gewohnt. Er hatte in einer Nische an einer Mauer geschlafen. Jeden Abend vor dem Einschlafen hatte er gebetet, dass ihn die Ratten und die Kälte noch einmal verschonen würden. Er lebte auf dem Friedhof, von Ratten, kleinen Vögeln, Beeren und Wurzeln. Manchmal aß er sogar die Blumen auf den Gräbern.

Im Winter musste er hungern. Er verkroch sich in die Kirche, vor dem Altar auf dem Boden zusammengerollt um zu schlafen. Er wartete sehnsüchtig auf die Sonntagsmesse. Oft stahl er mit einfachen Aufrufungszaubern, die sein Vater ihn gelehrt hatte, die Opfer der Kirchgänger und kaufte sich dafür im Dorf einen Kanten Brot und wenn er Glück hatte, gab es sogar noch ein wenig Trockenfleisch für ihn. Die Leute im Dorf mochten ihn nicht. Sie nannten ihn Ratte oder kleinen Teufel, Dämonenkind. In gewissem Sinne stimmte das ja auch. Er war ein Teufelskind in ihren Augen. Der Sohn der Hexe. Schwarze Augen, schwarzes Haar, zerfetzte schwarze Kleidung.

Bald gab es Gerüchte, er würde den Leuten schaden, wo immer er auch auftauchte. Sie vertrieben ihn, streckten ihm Kreuze entgegen, sobald sie ihn sahen, gingen ihm aus dem Weg. Sie fürchteten sich vor der entsetzlichen Macht seiner Mutter, die vielleicht auch in ihm ruhte.

Früher war sie eine angesehene Heilerin gewesen, die jedem geholfen hatte. Dann war die Seuche gekommen. Die Leute gaben ihr die Schuld daran, drangen in ihr Haus ein um sie zu holen. Sein Vater starb bei dem verzweifelten Versuch, seine Frau zu schützen. Sie verschleppten sie, zerrten sie gewaltsam mit sich. Noch in der selben Nacht wurde sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Man sollte nicht glauben, dass Muggel zu so etwas fähig waren. Ihr Gesetz verbot es, doch ihre Furcht vor dem Bösen half ihnen, sich über das Gesetz zu stellen.

Er war entkommen, wahnsinnig vor Angst und Wut war er weggerannt. Hatte sich versteckt. Zur Beerdigung seiner Eltern, oder dem, was von ihnen übrig war, war er nicht gekommen. Erst drei Monate später war er auf den Friedhof gekommen. Zwei Tage und drei Nächte hatte er auf dem Grab gelegen und geweint. Dann hatte ihn der Durst gezwungen aufzustehen. Damals hatte ihn der Gedanke aufrecht erhalten, Rache an denen zu nehmen, die seine Eltern ermordet hatten.

Irgendwie hatte er sich nach London durchgeschlagen, hatte es nach Hogwarts geschafft, doch die Finsternis blieb ...

Er fand keine Freunde, damals wie heute war er allein. Noch bevor er die Schule abgeschlossen hatte, war er schon längst den finsteren Künsten verfallen. Schon immer hatten ihn die Giftmischerei und die geheimnisvollen Elixiere fasziniert. Doch bevor er sich an einer Universität einschreiben konnte, hatte sich alles verändert. Er hatte jenen Fremden kennen gelernt, den er heute als Voldemort kannte und hasste. Von ihm ließ er sich verzaubern, glitt hinab in einen dunklen Sog der Verzweiflung und Angst. Doch zum ersten Mal in seinem Leben hatte er Freunde ...

Er zog mit ihnen los, gemeinsam erfüllten sie den Auftrag des Meisters. Sie töteten, folterten und quälten Menschen, manchmal sogar Kinder. Damals hatte es ihm nichts ausgemacht, Kinder zu töten. Er dachte, sein Schicksal hätte es ihm so bestimmt. Wie leichtgläubig war er doch in sein Verderben gestolpert.

Dann plötzlich veränderte sich wieder alles um ihn herum. Seine ganze kleine Welt aus Hass, Abscheu und Selbstmitleid schien in sich zusammenzustürzen, als sein Lord besiegt wurde. Sein Meister, den er für unbesiegbar gehalten hatte! Vernichtet! Von einem kleinen Jungen, der noch nicht einmal sprechen konnte.

Eine Zeitlang hatten sie sich zurückgezogen, gewartet, getrauert, dann hatten sich einige von ihnen aufgerafft und weitergemacht. Die Morde wurden brutaler, das Töten schien kein Ende zu nehmen. Doch letztendlich schnappten sie sie. Brachten sie nach Askaban. Viele von ihnen starben auf dem Weg dorthin, andere dann später unter dem Einfluss der Dementoren. Wenige versuchten, zu fliehen. Auch sie starben.

Aber eines Tages, als er die Hoffnung beinahe aufgegeben hatte, bekam er unerwarteten Besuch. Sein Leben schien sich wieder aufzuhellen. Dumbledore hatte sich an ihn erinnert, war zurückgekommen, holte ihn aus seinem Leid. Er gab ihm ein neues, schönes Zuhause und nahm sich seiner an. Er war gütig und weise und ließ ihn spüren, dass er ihm am Herzen lag. Er war mit ihm nach Hogwarts gegangen hatte eine Stelle als Lehrer für Zaubertränke angenommen. Er hatte viel Freude daran geheime Rezepte auszuprobieren und neue Tränke zu schaffen. Schließlich war er ein Meister geworden, der Herr der Gifte. Er brachte seinen Schülern bei, wie sie sich mit Hilfe der Tränke wehren konnten, wie sie Wunden damit heilten und wie sie töten konnten. Doch er fand keinen Dank. Als dann auch noch Potter an die Schule kam, fühlte er sich hin- und hergerissen. Zum einen hasste er den Jungen. Schließlich hatte er seinen Meister besiegt, sein Vater hatte ihn früher gehänselt, ihn fertiggemacht. Doch zum anderen empfand er tiefe Vertrautheit für ihn. Er hatte den starken Drang, ihn vor Voldemort zu beschützen. Bereits im ersten Schuljahr musste er ihn vor Quirrell retten.

Dieses eine Mal war es ihm gelungen. Doch als Potter im dritten Jahr Snapes Erzfeind Sirius Black gegenüberstand, hatte er versagt. Er vermochte den jungen Harry nicht vor Black zu schützen. Potter kehrte sich von ihm ab und sah Sirius als seinen Beschützer an. Weniger als zuvor glaubte er nun an Snapes guten Willen.

Ihm wurde schwindelig. Plötzlich wurde ihm bewusst, wie kalt es hier oben eigentlich war. Er fror. Seine Füße und Hände fühlten sich taub an, jeder Atemzug in der eisigen Luft tat ihm weh. Die Decke spendete keine Wärme mehr. Sein Atem stieg in weißen Wolken dem Himmel entgegen. Einsam! Ja, das war er. Einsam, verlassen, vergessen. Alle hatten sie ihn vergessen in dieser mondlosen, eiskalten Nacht. Die Decke rutschte ihm von den Schultern. Egal! Er würde erfrieren, wenn er nicht hineinging, doch er wollte nicht zurück in diesen goldenen Käfig. Lieber erfrieren. An der Kälte sterben. Nie mehr Einsamkeit.

Kälte. Wie sehr er die Kälte hasste. Er suchte Wärme, bettelte verzweifelt darum, doch niemand gab sie ihm. Dumbledore versuchte es, doch er konnte ihm nicht die Art von menschlicher Nähe geben, der er so sehnsüchtig suchte. Dumbledore liebte ihn wie einen Sohn, doch das reichte ihm nicht. Er wollte von mehreren geschätzt werden. Nicht nur von einem einzelnen, dem man bisweilen nachsagte, verrückt zu sein.

Eine Träne löste sich aus seinem Augenwinkel, rollte langsam seine Wange hinab und hinterließ eine langsam gefrierende feuchte Spur. Es war das erste Mal seit langem, dass er weinte. Und er ließ es geschehen. Die Tränen tropften hinunter auf seinen schwarzen Umhang, der wie seine restliche Kleidung ganz im viktorianischen Stil gehalten war.

Er hob den Kopf und schloss die Augen. Schneeflocken stachen wie tausend Nadeln in seine Haut. Mischten sich mit seinen Tränen, die weiterhin unablässig flossen. Er fühlte sich frei. Und es war gut so. Schönes Gefühl.

Er hörte die schwere Holztür hinter sich knarren, als sie geöffnet wurde. Doch er nahm keine Notiz davon. Die Blicke des anderen streifen ihn, sahen ihn zittern. Es war ihm egal. Das Geräusch von Stiefeln störte die Ruhe, die er um sich aufgebaut hatte. Stiefel, die durch den mittlerweile knietiefen Schnee auf ihn zukamen. Jemand stellte eine kleine Laterne neben ihm ab, blieb neben ihm stehen und sprach nicht. Auch er starrte in die Finsternis jenseits des Schlosses. Lange Zeit rührte sich keiner von ihnen. Dann hörte er den Umhang des Anderen rascheln. Plötzlich fühlte er Wärme auf seiner kalten Hand. Der Andere ergriff sie und drückte sie sanft. Warum tat der Fremde das? Woher wusste er, dass er hier oben stand, alleine in seiner Verzweiflung und darauf wartete, dass jemand kam und ihm Trost spendete?

Die andere Hand fühlte sich warm und weich an. Sie war schmal, ja fast zerbrechlich. Vorsichtig schlossen sich seine Finger um die des Anderen. Behutsam, als könnten die Knochen des Fremden im nächsten Moment unter seinem Griff zersplittern. Doch es geschah nicht.

"Sie sind ganz kalt, Professor", sagte der Andere. Es war mehr ein unmerkliches Flüstern in die Dunkelheit als ein Satz. Der Wind riss die Worte fort.

Severus nickte schwach. Die Wärme der anderen Hand kroch langsam seinen tauben Arm hinauf, machte ihm wieder Mut. Er war froh, dass der Fremde gekommen war. Er war dankbar dafür, dass er ihm beistand. Langsam öffnete er seine Augen wieder und wandte sein Gesicht dem Fremden zu. Die Tränen hatten seinen Blick gereinigt, er sah den Fremden an, als ob er ihn zum ersten Mal sähe. Sein Blick wanderte über sein Antlitz, über die schmalen Lippen, die gerade Nase, die dunklen Augenbrauen, unter denen wache, tiefgrüne Augen lagen. Die schwarzen struppigen Haare wurden vom eiskalten Wind zerzaust. Die Kerzenflamme in der kleinen Laterne flackerte und ließ die Schatten auf dem jugendlichen Gesicht tanzen.

"Danke", flüsterte Severus, seine Stimme klang erstickt.
Der andere sah ihn fragend an. "Wofür?"
"Dass du gekommen bist."

"Sch", machte Harry und legte ihm in einer sanften Geste den Zeigefinger über die Lippen. Langsam und ganz sachte fuhr er mit dem Finger weiter über Severus' helles Gesicht. Er streifte ihm die schwarzen Haarsträhnen aus dem Gesicht und strich sie ihm zärtlich hinter die Ohren. Der Blick seiner wunderschönen Augen folgte konzentriert den Bewegungen seiner Hand. Severus hob seine andere Hand und legte sie behutsam auf die des Jungen. Sanft schob er sie weiter nach unten bis sie seinen Hals berührte. Er hatte grenzenloses Vertrauen zu Harry. Vertrauen, das ihm niemand mehr nehmen konnte.

Harry blickte ihm tief in die Augen. Die goldene Flamme der Kerze spiegelte sich in ihnen. Sie waren schwarz und von einer Tiefe, die ihm beinahe Angst machte. Sein Blick saugte sich an ihnen fest. Es war sich sicher, er würde sich in diesen Augen verlieren, wenn er sie weiterhin ansah. Doch er wollte nicht wegsehen, zu schön war der goldene Glanz auf dem tiefen Schwarz seiner Augen. Die Kälte der Nacht, das Heulen des Windes und der wirbelnde Schnee, all dies trat in den Hintergrund als sie die Welt um sich herum vergaßen, ihre Gedanken miteinander verschmolzen und das heiße Feuer einer starken Freundschaft in ihnen aufloderte...

***



Der Morgen des 25. Dezember war strahlend schön, die goldene Wintersonne ließ den Schnee und die Eiszapfen auf dem Turm glitzern. Der Neuschnee knirschte leicht, als Dumbledore auf die Plattform hinaustrat. Vor ihm im Schnee saßen zwei schlafende Gestalten, gegen eine der Zinnen gelehnt. Sie hatten sich eng aneinandergeschmiegt und unter eine warme Decke gekuschelt, die ziemlich eingeschneit war. Ihr Atem ging im gleichen Rhythmus und immer, wenn sie ausatmeten stieg eine silberne Dampfwolke um ihre Köpfe. Der kleinere der beiden, Harry, hatte seinen Kopf an Severus' Hals gelegt, ihre Hände umklammerten sich, als wollten sie sich nie mehr loslassen. Neben ihnen im Schnee lag eine zerbrochene Laterne.

Dumbledore lächelte, wandte sich um und ging wieder ins Schloss zurück....


--- END ---




 

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