Zu spät

 

 

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Autorin: Lorelei Lee



Zu spät?

„Florence? Du kannst den nächsten Patienten hereinbitten.“ Hermine wartete kurz, bis Madam Nithing zur Bestätigung nickte, dann zog sie sich wieder in ihr Untersuchungszimmer zurück.

Seit ihrem Abschluss in Hogwarts waren 10 Jahre vergangen, in denen sie sich zur Medi-Hexe hatte ausbilden lassen. Nach ihrer Ausbildung hatte sie drei Jahre in St. Mungos praktiziert, doch vor kurzem war sie von zwei erfahrenen Medi-Hexern gebeten worden, sie in ihrer Gemeinschaftspraxis zu unterstützen. Im Gegensatz zu ihren Kollegen hatte sie es sich allerdings nicht nehmen lassen, auch einige Semester Medizin an einer Muggel-Universität zu studieren. Doch die Patienten waren mit ihr zufrieden und auch Dr. Stitching und Dr. Hallow sparten nicht mit Lob. Die Arbeit war interessant, die Bezahlung ausreichend und Hermine – oder Dr. Granger, wie es seit einigen Jahren hieß, fühlte sich rundum glücklich.

Madam Nithing betrat Hermines Zimmer, reichte ihr die Patientenkarte und öffnete die Tür um den Patienten einzulassen. Hermine erhob sich von ihrem Stuhl, streckte die Hand aus und las gleichzeitig den Namen von der Karte ab um den neuen Patienten zu begrüßen.
„Guten Tag...“, begann sie mit einem freundlichen Lächeln, das von einer Sekunde zu anderen wieder erstarb, als sie den Namen entzifferte und gleichzeitig den Mann erkannte, der vor ihr stand und ihre Hand mit erschreckend kalten Fingern ergriff.
„... Professor Snape?!“

Hermine wurde sich bewusst, dass sie ihn angestarrt hatte und schlug ihr Augen nieder. Sie erwiderte kurz den Druck seiner Hand und ließ sie dann los. Mit einer vagen Handbewegung bedeute sie ihm Platz zu nehmen und ließ sich selbst völlig unprofessionell in ihren Stuhl plumpsen.

„Es heißt nicht mehr Professor Snape, Dr. Granger“, stellte Snape mit einer Stimme fest, die Hermine sofort um 10 Jahre zurückversetzte, obwohl sie sie nicht so brüchig in Erinnerung hatte.
Snape räusperte sich. „Mister Snape genügt völlig – ich unterrichte seit zwei Jahren nicht mehr.“
Hermine bemerkte am Rande, dass seine Stimme noch genauso kühl und emotionslos klang wie immer.
„Was kann ich für Sie tun, Prof... Mister Snape“, verbesserte sie sich hastig.
Snape hob eine Augenbraue in die Höhe.
„Ist das nicht offensichtlich?“, fragte er mit beißendem Sarkasmus. „Ich bin hier um mich von Ihnen untersuchen zu lassen.“
‚Bastard’, dachte Hermine automatisch. ‚Er hat sich einfach nicht verändert. Obwohl er entsetzlich schlecht aussieht.’

Hermine musterte ihn genauer. Er war natürlich ganz in schwarz gekleidet wie immer, doch seine Haare waren von vielen grauen Strähnen durchzogen, dunkle Ringe lagen unter seinen Augen und seine Haut war nicht mehr einfach nur blass, sondern wirkte seltsam fahl. Er sah tatsächlich nicht gut aus und Hermine verzieh ihm seine Schroffheit. Es musste für ihn nicht einfach gewesen sein, hierher zu kommen und vor einer ehemaligen Schülerin zuzugeben, dass er sich nicht wohl fühlte. Es musste schwer gewesen sein, seinen Stolz soweit herunter zu schlucken.

„Was fehlt Ihnen denn?“ fragte sie deshalb und nahm sich einen Bleistift um seine Antwort auf der Patientenkarte zu notieren.
„Ich dachte eigentlich, Sie würden mir das sagen“, antwortete Snape ironisch und Hermine seufzte.
Das würde nicht einfach werden.
Sie blickte auf.
„Es wäre für mich wesentlich einfacher, wenn Sie mir die Symptome schildern würden, die Sie an sich beobachtet haben“, erläuterte sie ihm geduldig.
Seine Mundwinkel zuckten bei ihrer Antwort leicht, doch Hermine konnte nicht erkennen ob aus Unmut oder aus Anerkennung, dann nickte er knapp und begann seine Aufzählung.
„Erschöpfung, Müdigkeit, gelegentliche Konzentrationsschwächen, unregelmäßiger Puls, Magenbeschwerden und ein Zittern in den Händen, das ich zeitweise nicht kontrollieren kann“, antwortete er mit spröder Stimme.
Hermine unterdrückte ihre Bestürzung bei dieser Litanei und notierte sie gewissenhaft. Als sie fertig war und zu ihm aufsah, bemerkte sie, dass er ihren Blick mied.
„Danke“, sagte sie deshalb knapp, aber nicht unfreundlich. „Wie lange haben Sie diese Beschwerden schon?“
„Schon seit einigen Jahren...“, sagte Snape zögernd. „Angefangen hat es mit leichten Magenbeschwerden...“
Hermine nickte und machte sich noch eine letzte Notiz.
„Sie wissen, dass ich Sie nicht nur mit Hilfe von Magie untersuchen werde, sondern auch einige Muggelmethoden anwende.
„Deshalb bin ich hier“, bestätigte Snape knapp.
„Gut – wenn Sie dann bitte den Oberkörper freimachen würden? Ich bin gleich wieder da.“

Sie ging kurz zu Madam Nithing hinaus und informierte sie, dass sie heute keinen weiteren Patienten mehr übernehmen konnte.
„Das ist in Ordnung Dr. Granger“, erwiderte Madam Nithing sorglos. „Es ist sowieso schon nach sechs Uhr und im Wartezimmer sitzen nur noch drei Frauen. Die wollen sowieso lieber zu Dr. Stitching.“ Sie grinste vielsagend.
„Danke, Florence“, sagte Hermine und ging zurück.

Snape erwartete sie schon. Weisungsgemäß hatte er sich halb ausgezogen und auf die Untersuchungsliege gelegt. Sie ließ sich viel Zeit und untersuchte ihn gründlich. Zuerst mit Muggelmethoden, später dann auch mit einigen Zaubersprüchen. Zwischendurch blätterte sie immer wieder in einigen alten Büchern.

Schließlich legte sie ihren Zauberstab beiseite.
„Sie können sich wieder anziehen.“
Sie setzte sich wieder an ihren Schreibtisch und blätterte in einem medizinischen Journal, bis er wieder ihr gegenüber Platz nahm.
„Sie wissen, was Ihnen fehlt, nicht wahr?“ fragte Hermine und legte das Journal beiseite.
„Sagen Sie es mir“, sagte er mit einem Ausdruck, der nicht zu deuten war.
„Ich halte es für die Spätfolgen des ‚Hide Cogitus Trankes’ (AN: Mix aus Englisch und Latein – ein Trank um seine Gedanken geheimzuhalten). Obwohl einige Symptome nicht wirklich in dieses Krankheitsbild passen.“
Snape nickte matt.
„Warum sind Sie dann zu mir gekommen?“ fragte Hermine verständnislos.
„Um die Wahrheit zu erfahren“, sagte Snape angespannt. „Ich habe den Trank bis zu Voldemorts Untergang täglich eingenommen – über vier Jahre lang. Danach habe ich regelmäßig ‚Dreamless Potion’ eingenommen um überhaupt schlafen zu können. Ich nehme an, dass dies die Abweichung erklären dürfte.“
Er hatte hastig, fast drängend gesprochen – als ob er nicht mehr die Kraft hätte ihr alles mitzuteilen, wenn er sich mehr Zeit damit lassen würde.

„Vier Jahre?!“ Hermine war entsetzt. Es musste ihm bekannt gewesen sein, dass der Hide Cogitus Trank den Organismus auf Jahre hinaus schädigte, selbst wenn man ihn nur über einen kurzen Zeitraum einnahm. Allerdings war er das einzige bekannte Gegenmittel gegen das Veritaserum. Doch Hermine hatte noch nie von jemandem gehört, der den Trank länger als einige Wochen eingenommen hatte. Das erklärte leider auch ihre Diagnose. Um noch etwas Zeit zu gewinnen, stellte sie ihm eine weitere Frage.
„Aber Sie mussten doch gewusst haben...“
„Natürlich habe ich es gewusst!“ unterbrach er sie schroff. „Aber ich hatte keine andere Wahl!“
Es entstand ein kurzes Schweigen.
„Nehmen Sie den Dreamless Potion im Moment noch ein?“ fragte Hermine.
„Nein. Ich habe vor zwei Jahren damit aufgehört. Es hat nicht mehr geholfen.“
„Nehmen Sie jetzt etwas anderes?“
Snape schüttelte den Kopf und lachte kurz. Doch es war kein fröhliches Lachen.
„Nein, ich schlafe seither eben einfach nicht mehr – oder zumindest nur wenig“, ergänzte er, als er Hermines bestürzten Blick bemerkte. „Ich weiß, dass ich sterben werde“, ergänzte er mit dumpfer Stimme. „Von Ihnen möchte ich wissen, wie lange ich noch zu leben habe.“
Hermine schluckte krampfhaft.
„Ein Jahr – vielleicht anderthalb, wenn Sie sich schonen, verschiedene Medikamente einnehmen, vielleicht eine Kur oder einen Klimawechsel in Betracht ziehen...“ Sie versuchte so professionell zu klingen, wie es ihr nur möglich war, doch sie wusste, dass er das unterdrückte Beben ihrer Stimme hören musste.
Obwohl er äußerlich gefasst vor ihr saß, ruhten doch seine Augen mit fiebriger Intensität auf ihr.
„Zwei Jahre?“ fragte er kaum hörbar.
Hermine schüttelte den Kopf.
„Es tut mir leid. Sie sollten aber auf jeden Fall noch eine zweite Meinung einholen.“
„Sie sind meine zweite Meinung“, sagte er langsam und mit einem schmalen Lächeln. „Ich war schon bei Dr. Green und Professor Moorhead.“
„Und da kommen Sie noch zu mir?“ fragte Hermine verblüfft. „Professor Moorhead ist eine Kapazität auf diesem Gebiet und auch Dr. Green...“
„...war zu feige um mir die Wahrheit über die mir verbleibende Zeit zu sagen“, unterbrach Snape sie müde.
„Ich werde Ihnen einige Tränke verschreiben“, sagte Hermine hastig um ihre Verlegenheit zu überspielen. „Außer, Sie wollen sie vielleicht selbst...“
„Warum glauben Sie wohl, unterrichte ich nicht mehr?“ fiel Snape ihr scharf ins Wort und hielt ihr seine ausgestreckte Hand hin, die jetzt unkontrollierbar zitterte.

Hermine errötete und biss sich beschämt auf die Lippen. Nein, mit diesen Händen würde er nie wieder einen Trank korrekt brauen können.
„Ich werde dem Labor Bescheid geben – die Tränke werden Ihnen morgen zugestellt werden.“ Sie erhob sich und Snape tat es ihr gleich.
„Wenn ich sonst noch etwas für Sie tun kann...“, begann sie zögernd und reichte ihm die Hand.
Er ergriff sie und schüttelte sie kurz zum Abschied.
„Auf Wiedersehen, Dr. Granger.“


Am nächsten Mittag stand Hermine vor Snapes Haus und benutzte den Türklopfer um auf sich aufmerksam zu machen. Sie hatte sich entschieden ihm die Tränke während ihrer Mittagspause selbst vorbei zu bringen. Doch wenn sie über das ‚Warum‘ nachdachte, fiel ihr keine vernünftige Antwort ein.
Sie hatte die Medikamente am Vormittag vom Labor abgeholt, in eine Papiertüte gesteckt und war damit zu der angegebenen Adresse in der Nähe von Edinburgh appariert. Das Haus hielt natürlich keinem Vergleich mit Malfoy Manor stand, dessen Abbildung sie vor Jahren in der Hexenwoche gesehen hatte, aber es wäre groß genug gewesen für eine Familie mit einem Dutzend Kinder. Es lag allerdings recht einsam und der Garten wirkte ungepflegt.

Sie klopfte erneut – diesmal ein wenig lauter und ungeduldiger und endlich wurde die Tür geöffnet.
„Guten Tag, Missus“, piepste unverkennbar die Stimme einer Hauselfe. „Wollen Sie den Master besuchen?“
Hermine starrte die Hauselfe einen Moment lang an, bevor sie sich auf ihre gute Erziehung besann. Eine Hauselfe – natürlich – was hatte sie von einem Sklaventreiber wie Snape auch anderes erwartet?
„Mein Name ist Dr. Granger“, stellte sie sich der Hauselfe vor. „Mister Snape ist mein Patient.“
„Ah, sehr gut“, nickte die Hauselfe und zog ein weinerliches Gesicht. „Der Master ist sehr krank. Polly macht sich große Sorgen. Ich bringe Sie zu ihm.“

Hermine folgte der Hauselfe, die sie in einen altmodischen Salon führte, in dem Snape sie in einem Sessel sitzend empfing.
„Dr. Granger – was verschafft mir die Ehre?“ fragte er mit leichter Arroganz. „Sie verzeihen, wenn ich nicht aufstehe...“
„Guten Tag, Prof... Mister Snape.“ Hermine ärgerte sich, weil sie sich unwillkürlich wieder verhaspelt hatte, was Snape mit einer höhnisch hochgezogenen Augenbraue quittierte.
„Ich habe Ihnen Ihre Medikamente gebracht“, sagte sie deshalb kühler als beabsichtigt und stellte die Papiertüte auf eines der Beistelltischchen, neben dem sie stand und empörte sich darüber, dass er offensichtlich nicht vorhatte, ihr einen Platz anzubieten. „Die Dosierung ist auf jeder Flasche vermerkt.“
„Und diese verantwortungsvolle Aufgabe konnten Sie niemand Anderem übertragen, Dr. Granger? Ich fühle mich geehrt“, spöttelte er.

Hermine versuchte im Stillen bis zehn zu zählen, doch es wollte ihr einfach nicht einfallen, was nach drei kam.
„Ich versuche, jedem meiner Patienten ein gewisses Maß an Freundlichkeit und Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Ich dachte, Sie wären froh darüber, ein bekanntes Gesicht zu sehen – aber wie ich sehe, brauche ich mir um Sie keinerlei Sorgen zu machen, denn Sie sind ja bereits in der einzigen Gesellschaft, die Sie ertragen – Ihrer eigenen! Ich dachte, es wäre vielleicht angenehmer für Sie, wenn ich Sie hier ab und zu aufsuchen würde um Ihnen den Weg in meine Praxis zu ersparen, aber ich begreife jetzt, dass ich mich geirrt habe! Guten Tag!“
Sie drehte sich auf dem Absatz um und war eben im Begriff, den Salon mit stürmischen Schritten zu verlassen, als ein beunruhigendes Geräusch sie stoppte.

Erschrocken drehte sie sich wieder um. Hatte sie ihn so sehr aufgeregt, dass sein Herz....? Das würde sie sich nie verzeihen! Aber wenn er so ekelhaft zu ihr war, vergaß sie einfach, dass er todkrank war.
Sie starrte ihn geschockt an und für einen Augenblick weigerte ihr Gehirn sich, die Botschaft zu verarbeiten, die Auge und Ohr aufgenommen hatten.

Snape saß in seinem Sessel und lachte leise. Als er ihren ungläubigen Blick bemerkte, hörte er damit auf und winkte sie zu sich zurück.
„Touché.“ Sein Lachen war genauso plötzlich verschwunden, wie es aufgetaucht war. Er wirkte nun wieder sehr ernst.
„Glätten Sie Ihr gesträubtes Gefieder und setzen Sie sich doch“, lud er sie höflich ein und Hermine nahm zögernd ihm gegenüber in einem zweiten Sessel Platz.
„Sie haben nicht ganz Unrecht“, gab er widerstrebend zu. „Es ist hier zuweilen etwas... abgeschieden... und ich gehe nicht mehr so oft aus... wie früher...“

Hermine hielt ein wenig den Atem an und bestaunte das Schauspiel, welches sich vor ihren Augen entfaltete, während Snape seinen Stolz hinunterschluckte – und egal, was sie sonst von ihm halten mochte - sein Verhalten nötigte ihr Respekt ab.

„Ich wäre deshalb damit einverstanden, wenn Sie mich hier – in meinem Haus – untersuchen würden. Wie oft wird es nötig sein?“
Hermine wollte die übliche Antwort geben: einmal die Woche – doch dann sah sie etwas in seinem Blick, was sie erst zögern und dann ihre Meinung ändern ließ.
„Zu Anfang werde ich lieber jeden dritten Tag vorbeischauen – natürlich nur, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Prof... Mister Snape. Ich möchte gerne kontrollieren, wie die Medikamente wirken – über Ihre Wirkungsweisen in einem solchen Fall liegen noch nicht genügend Erkenntnisse vor.“

Snape nickte leicht. „Einverstanden – aber... darf ich Ihnen noch einen Vorschlag unterbreiten?“
Hermine nickte überrascht. „Bitte.“
„Da Sie offensichtlich Probleme damit haben, die mir zustehende Anrede zu gebrauchen, würde ich vorschlagen, dass Sie mich beim Vornamen nennen. Es würde alles erheblich vereinfachen, finden Sie nicht auch?“
„Oh, nein, das könnte ich nicht... ich meine, es wäre auch gar nicht angebracht... Sie sind immerhin mein Patient und Sie waren schließlich mein Lehrer... ich kann doch nicht einfach...“ Mit einer unbeholfenen Geste brach sie ihr gestammelte Ablehnung ab.
„Aber, *Miss* Granger“, erwiderte er mit einem boshaften Lächeln. „Wovor fürchten Sie sich denn?“
„Ich fürchte mich nicht“, entgegnete Hermine vorschnell, „...aber...“
„Gesellschaftliche Skrupel?“ fragte Snape ironisch. „Ich verspreche, dass ich es niemandem verraten werde.“
Gegen ihren Willen musste Hermine daraufhin lachen.
„Ach, das ist doch alles zu albern!“
„Sehr richtig! Warum weigern Sie sich denn so standhaft, wenn es albern ist?“ fragte er listig.
„Ich... Oh, also schön!“ gab Hermine schließlich belustigt nach. „Ich sehe Sie dann also Montag wieder – die Uhrzeit werde ich Ihnen allerdings erst kurzfristig mitteilen können... Severus.“
„Dann also bis Montag... Hermine.“
Hermine schüttelte ihm die Hand und stellte fest, dass er sie auf übelste Art und Weise ausgetrickst hatte, denn unter normalen Umständen hätte sie ihm nie erlaubt, sie ‚Hermine‘ zu nennen. Doch jetzt hatte sie eingewilligt, ‚Severus‘ zu ihm zu sagen und alle ihre Einwendungen würden ihr nun nicht mehr helfen.
‚Slytherins sind doch alle aalglatt und gerissen – Hermine, wann wirst du das endlich lernen?‘ schalt sie mit sich selbst, während Polly sie hinausbegleitete.

***



Seit Hermines erstem Hausbesuch bei Snape waren mittlerweile drei Wochen vergangen, in denen es ihm weder besser noch schlechter gegangen war. Hermine modifizierte die Heiltränke ein wenig, doch auch das hatte nicht den gewünschten Erfolg. Sie besuchte ihren ehemaligen Lehrer immer noch alle drei Tage und gewöhnte es sich an, sich immer ein wenig mit ihm zu unterhalten. Über das Wetter, über einen anderen Wirkstoff in seinen Medikamenten, über den Leitartikel im Tagespropheten... alles, was ihr eben so in den Sinn kam. Manchmal antwortete Snape sehr höflich und ausführlich, dann wieder konnte er schroff und abweisend sein. Hermine glaubte, dass die Ursache für seine Stimmungsschwankungen in seiner Krankheit zu suchen wären und nahm sie deshalb nicht persönlich – weshalb sie nach einiger Zeit ziemlich gut mit ihrem schwierigen Patienten zurecht kam.

An einem Mittwoch hatte sie ihre Untersuchung beendet, die neuen Tränke verordnet und hatte sich dann von ihm in eine Diskussion über den Amtsantritt des neuen Zaubereiministers – Arthur Weasley – verleiten lassen. Sie hatte über seine ungewöhnlichen Ansichten zu diesem Thema völlig die Zeit vergessen und sah erst wieder nach der Uhr, als es draußen schon dunkel wurde.
„Ach, du liebe Zeit!“ rief sie perplex aus. „Schon so spät?! Es tut mir leid, Severus – wir müssen ein anderes Mal weiter diskutieren. Ich muss jetzt gehen.“
Sie erhob sich und suchte den Inhalt ihrer Tasche zusammen.
„Warum?“
„Was?“ Im ersten Moment hatte sie seine Frage überhaupt nicht verstanden und blickte ihn etwas orientierungslos an, während sie ihr Stethoskop zurück in die Tasche stopfte.
„Warum müssen Sie jetzt gehen, Hermine? Sie sagten doch vorhin, die Praxis hätte schon zugemacht.“
„Ich... ich muss nach Hause“, sagte Hermine unsicher.
„Warum? Wartet dort jemand auf Sie?“ fragte Snape kühl.
„Nein, ich...“
„Warum leisten Sie mir dann nicht beim Abendessen Gesellschaft?“
Sie musterte ihn genau, doch in seinen Gesichtszügen las sie nur höfliches Interesse.
„Weil... es ist schon spät...“, entgegnete sie lahm.
„Befürchten Sie, ich würde sie verführen? Oder ich könnte mein leidenschaftliches Verlangen nicht mehr länger bezähmen?“ spottete er sarkastisch. „Seien Sie nicht albern!“
Das war zwar genau das, was Hermine automatisch gedacht hatte, doch das wollte sie jetzt nicht mehr zugeben. Es war ja auch wirklich lächerlich. Sie war schließlich eine erwachsene Frau und kein kleines Mädchen mehr, das sich noch vor dem schwarzen Mann fürchtete. Außerdem war er durch seine Krankheit sicher so geschwächt, dass sie ihn locker...
Oh mein Gott. Was dachte sie da nur für einen Blödsinn! Als ob Snape jemals mit einer ehemaligen Schülerin...! Lachhaft!

„Also gut.“ Sie lächelte. „Ich gebe mich geschlagen. Ich bleibe sehr gerne zum Abendessen.“
„Die Freude ist ganz auf meiner Seite“, erwiderte Snape mit einem Lächeln, bei dem Hermine das ungute Gefühl beschlich, dass er sie nun schon zum zweiten Mal ausmanövriert hatte.

***



Während des Essens wanderte Hermines Blick immer öfter zu Snape hinüber. Dieser Mann war ihr einfach ein Rätsel... Ihr Anteil an der Unterhaltung, die sie führten, wurde immer geringer und einsilbiger, bis Snape sein Besteck beiseite legte und sie durchdringend ansah.
„Woran denken Sie?“
„Was? Wieso?“ stammelte Hermine peinlich berührt.
„Ich möchte gerne wissen, woran Sie die ganze Zeit gedacht haben“, wiederholte Snape sachlich. „Es war nicht zu überhören, dass Sie mit Ihren Gedanken überall waren, nur nicht hier.“
„Nun ja... ich habe mich darüber gewundert...“ Hermine schloss plötzlich wieder den Mund, als ob sie es sich anders überlegt hätte. „An nichts besonderes“, behauptete sie schließlich mit fester Stimme. Zu ihrer Überraschung lächelte Snape liebenswürdig.
„Sie erwarten doch nicht, dass ich das glaube?“
„Und warum nicht?“ fragte Hermine mit kriegerisch hervor gerecktem Kinn.
Snape beugte sich ein wenig über den Tisch. „Weil Sie noch nie besonders gut lügen konnten“, erwiderte er mit verschwörerischem Unterton. „Woran haben Sie also gedacht? Nur Mut... ich werde Ihnen nicht gleich den Kopf abreißen.“

Hermine kicherte bei diesen Worten leicht nervös. Er würde wahrscheinlich nicht eher locker lassen, als bis sie ihm verraten hatte, worüber sie nachgedacht hatte.
„Verstehen Sie mich bitte nicht falsch“, begann sie vorsichtig, „ich habe mich darüber gewundert, wie gleichmütig Sie Ihre Krankheit hinnehmen...“

Snape starrte eine Weile blicklos in die Flammen der Kerzen, welche auf dem Tisch standen, bevor er antwortete.
„Der Hide-Cogitus-Trank vergiftet langsam den ganzen Körper. Mir war von Anfang an bewusst, dass ich eines Tages an den Spätfolgen sterben würde. Ich bin nicht wirklich gleichmütig, ich habe mich nur über Jahre hinweg an den Gedanken gewöhnt.“
Seine Stimme klang hart und bitter und Hermine fühlte, wie ihre Verwunderung über sein Verhalten schwand und einem wärmeren Gefühl Platz machte.
„Aber warum haben Sie nicht schon viel früher einen Arzt aufgesucht?“ fragte sie behutsam.
Snape seufzte resigniert.
„Wozu? Es gibt keine Heilung – wird nie eine geben... Außerdem hätte ein Arztbesuch meinerseits genau die Form von Aufmerksamkeit in Hogwarts hervorgerufen, die ich tunlichst vermeiden wollte. Es war mir wichtig, so lange wie möglich ungestört zu unterrichten. Erst als das nicht mehr ging...“
„Aber selbst dann sind Sie nicht gleich zu einem Medi-Zauberer gegangen. Warum haben Sie so lange gewartet?“ fragte Hermine hartnäckig.

Erst jetzt sah er ihr wieder in die Augen und Hermine verbarg ihr Erschrecken über seinen Blick, der gleichzeitig flammend und doch eisig erschien.
„Weil es mich erst jetzt interessiert hat, wie viel Zeit mir noch bleibt.“
„Zeit? Wofür denn nur, um alles in der Welt?“ platzte Hermine unüberlegt heraus und schlug sich gleich darauf die Hand vor den Mund. „Entschuldigen Sie, Severus. Es geht mich natürlich überhaupt nichts an.“
„Da haben Sie allerdings Recht“, erwiderte Snape trocken. „Es ist schon spät – Sie sollten jetzt wirklich besser nach Hause gehen, Hermine.“

Hermine erhob sich folgsam und schuldbewusst gleichzeitig. Seltsamer Weise hatte sie das Gefühl gleichzeitig sehr viel und doch so gut wie Nichts erfahren zu haben.

***



In den folgenden Wochen lud Snape Hermine noch einige Male zum Abendessen ein. Ein paar Mal nahm sie seine Einladung an, doch ab und zu schlug sie sie auch aus, was er genauso gleichmütig hinnahm, wie ihre Zusagen. Sie besuchte ihn immer noch alle drei Tage, denn sein Zustand verschlechterte sich an manchen Tagen – doch bis jetzt hatte Hermine immer noch ein Mittel gefunden um ihn wieder zu stabilisieren.

An einem dieser Tage hatte er ihr nicht wie üblich die Hand geschüttelt, sondern sich mit einem Handkuss von ihr verabschiedet. Hermine war es erst aufgefallen, als sie schon wieder in ihrer Praxis eingetroffen war und sie betrachtete ihren Handrücken mit milder Verwunderung. Doch als er diese Geste bei ihren nächsten Besuchen nicht wiederholte, hörte sie auf, darüber nachzugrübeln.

Zehn Wochen nach seinem ersten Besuch in ihrer Praxis führte Polly Hermine nicht wie üblich in den Salon oder die Bibliothek, wo Snape sie üblicher Weise erwartete, sondern begrüßte sie mit den ernsten Worten: „Guten Tag, Lady Doktor. Master ist sehr krank. Er liegt immer noch im Bett. Ich bringe Sie zu ihm – obwohl er das nicht will.“
Hermine musste trotz der Besorgnis, die diese Worte bei ihr auslösten, ein Grinsen unterdrücken und folgte der betrübten Hauselfe in den ersten Stock.

„Guten Tag, Severus“, begrüßte sie ihren Patienten mit ausdrucksloser Miene. „Wie geht es Ihnen?“
Snape funkelte sie im ersten Moment wütend an.
„Schlecht, das sehen Sie doch! Wie würde es Ihnen gehen, wenn Sie sogar für den Gang ins Badezimmer auf einen verdammten Stock angewiesen wären?!“ Sein verachtungsvoller Blick glitt zu einem wunderschön geschnitzten Spazierstock, der an sein Bett angelehnt war.
Hermine zückte ihren Zauberstab und fing an, Snape zu untersuchen. „Ich nehme an, das Zittern hat sich mittlerweile auch auf die Beine ausgebreitet?“
„Nein, noch nicht“, antwortete Snape düster. „Es sind nicht die Nerven – es fühlt sich eher an wie Muskelkrämpfe.“
„Schwindelgefühle?“
Snape nickte grimmig.
„Seit wann schon?“
„Seit gestern.“
Hermine wühlte in ihrer Tasche nach einem geeigneten Medikament, doch bei diesen Worten sah sie auf.
„Und warum haben Sie mir keine Nachricht geschickt?“ fragte sie mit tadelndem Unterton und stellte ein blaues Fläschchen auf den Nachttisch. „Dreimal täglich ein Esslöffel davon – davon gehen die Muskelbeschwerden wieder weg. Und wenn Sie von den grünen Tabletten nur noch jeweils eine halbe nehmen und keine ganze mehr, dann dürften auch die Schwindelgefühle nachlassen.“ Sie holte kurz Luft. „Warum haben Sie mich nicht früher geholt? Sie hätten sich Einiges ersparen können.“ Sie wies mit einer vielsagenden Geste auf den Stock. Da Snape nicht antwortete, zuckte sie mit den Schultern und lachte ärgerlich.
„Na gut. Aber das nächste Mal rufen Sie mich gleich – versprochen?“ fragte sie wesentlich sanfter.
Snape nickte knapp. Hermine gab sich damit zufrieden und wechselte das Thema.

„Übrigens habe ich noch einige gute Neuigkeiten!“ vermeldete sie heiter.
„Tatsächlich?“ knurrte Snape desinteressiert.
„Tatsächlich!“ bestätigte Hermine. „Ich habe mich schon vor einiger Zeit mit Professor Moorhead in Verbindung gesetzt und auch mit einigen anderen Medi-Zauberern – und heute schrieb mir nun Professor Moorhead, dass es einem Forschungsteam gelungen ist Phönix-Tränen so zu modifizieren, dass sie zusammen mit Drachenblut in Heiltränken verwendet werden können.“
Hermine ließ Snape einen Moment Zeit um diese Information zu verdauen, doch als nach einiger Zeit immer noch keine Anzeichen von Freude in seinem Gesicht erschienen waren, runzelte sie besorgt die Stirn.
„Haben Sie nicht verstanden, was ich gesagt habe? Mit dieser neuen Methode müsste es möglich sein, einen Heiltrank herzustellen, der Sie kurieren könnte.“
Snape seufzte leise.
„Hermine, bitte nicht...“
„Ja, aber warum denn nicht...?“
„Glauben Sie nicht, ich hätte nicht schon selbst alles versucht?“ unterbrach er sie schroff. „Ich habe kein Interesse mehr daran, das alles noch mal durchzumachen. Die Versuche, die Aufregung, die Erwartung... die Enttäuschung. Ich habe die Hoffnung aufgegeben“, endete er bitter.

Hermine war erschüttert und dennoch begriff sie ihn nicht. Einerseits schien er sich und das Leben, das ihm noch blieb, aufgegeben zu haben – andererseits hatte er wissen wollen, wie viel Zeit ihm noch blieb. Das tat doch kein Mensch, wenn er nicht noch etwas mit der restlichen Zeit vorhatte...

„Die Hoffnung stirbt immer zuletzt. Ich kann nicht zulassen, dass Sie sich aufgeben. Severus...“
„Also schön – von mir aus. Aber Sie können mich nicht zwingen, dass ich mir irgendetwas davon erwarte.“
„Einverstanden. Sie haben hier doch sicher ein eigenes Labor. Ich würde gerne jetzt schon alles vorbereiten, damit wir morgen anfangen können“, äußerte sie energisch, bevor er es sich wieder anders überlegen konnte.
„Wir?“
„Ja, natürlich! Außer Sie würden mich tatsächlich in Ihrem Labor völlig allein und eigenverantwortlich arbeiten lassen“, bemerkte sie mit einem leichten Zwinkern.
„Das Labor ist im alten Gewächshaus im Garten untergebracht. Und Sie haben ganz Recht – ich werde Sie dort nicht alleine arbeiten lassen.“
„Im Garten? Soso. Angst vor Explosionen?“
Snape schnaubte verächtlich. „Ich heiße nicht Longbottom. Ich habe es ins Gewächshaus verlegt, damit die Hauselfen nicht ständig aufräumen und dadurch alles durcheinander bringen.“
„Ach ja, die Hauselfen!“ Hermine konnte nicht verhindern, dass ihre Verärgerung hörbar wurde.
„Ich wusste bislang noch nicht, dass sich Ihre Abneigung gegen Elfen-Arbeit auch gegen Hauselfen richtet, die ein regelmäßiges Gehalt beziehen und die sogar krankenversichert sind“, bemerkte Snape mit einem ironischen Zug um seine Mundwinkel.
„Sie beschäftigen freie Hauselfen? Ausgerechnet Sie?“
„Ja, warum nicht? Außerdem hatte ich so eine Ahnung, als ob ich mir im anderen Fall eine andere Medi-Hexe hätte suchen müssen – aber ich sehe, ich habe mich diesbezüglich in Ihnen getäuscht, Hermine.“
Hermine hatte das Gefühl, sich verteidigen zu müssen.
„Aber Polly trägt jedes Mal, wenn ich sie sehe ein kariertes Küchenhandtuch!“
„Ja und?“ bemerkte Snape ungeduldig. „Ich habe ihr vernünftige Kleidung angeboten – aber sie hat nun einmal eine Vorliebe für karierte Küchenhandtücher. Mir sind da die Hände gebunden.“
Hermine konnte ihn nur mit großen Augen anstarren.
„Fragen Sie sie doch selbst, wenn Sie mir nicht glauben“, knurrte er und bemerkte noch leise zwischen zusammengebissenen Zähnen: „Frauen!“

***



Die Arbeit im Labor war angenehm. Auch wenn Snape selbst nicht mitarbeiten konnte, war er doch ständig an ihrer Seite um sie zu kontrollieren und gelegentlich auch um eine anerkennende Bemerkung zu machen. Sie war sich seiner Nähe mehr als einmal auf verwirrende Art und Weise bewusst, besonders, als sie die Phönix-Tränen abgezählt hatte.

Er hatte hinter ihr gestanden und ihr über die Schulter gesehen. Er war nur noch knapp einen halben Kopf größer als sie und sein warmer Atem streifte ihre Wange, während er unwillkürlich leise die Tropfen mitzählte. Als sie Phiole und Reagenzglas wieder auf dem Labortisch abgestellt hatte, hatte sie kurz das absolut irreale Gefühl, er habe mit seinen Lippen ihre Haare gestreift, doch als sie zu ihm aufsah, war sein Gesicht – wie so oft – völlig undurchdringlich.

***



In den folgenden drei Wochen hatten sie auf diese Weise jede Woche einen Heiltrank hergestellt, den Snape jeweils ohne mit der Wimper zu zucken Freitag abends eingenommen hatte. Obwohl Hermine sicher war, dass keiner der Tränke schlimmere Folgen als eine Magenverstimmung haben sollte, wenn er fehlgeschlagen war, so nötigte ihr seine Haltung doch den allergrößten Respekt ab.

Sie waren übereingekommen, dass Hermine diese Wochenenden in einem Gästezimmer neben Snapes Schlafzimmer verbringen sollte, um ihm bei etwaigen unangenehmen Nebenwirkungen Erleichterung zu verschaffen. Hermine hatte diese Maßnahme von sich aus vorgeschlagen und Snape hatte nach einigen Hin und Her schließlich eingewilligt, dass Polly ein Zimmer neben seinem vorbereitete.

Der erste Trank erwies sich als absoluter Fehlschlag. Er zeigte auch nach dem dritten Tag überhaupt keine Wirkung, obwohl Snape ihn gewissenhaft morgens und abends einnahm. Er bedachte Hermine dabei mit einem Das-hätte-ich-Ihnen-auch-gleich-sagen-können-Blick, der ihr das Blut in die Wangen trieb, doch er enthielt sich jeglicher Bemerkung, sondern schlug von sich aus einige Modifizierungen vor, die sie im Laufe der Woche gemeinsam ausprobierten.

Der zweite Trank war insofern erfolgreicher, als dass er wenigstens die Schwindelgefühle dämmte, doch leider traten im Laufe der Nacht auch einige unbeabsichtigte Nebenwirkungen auf, von denen Hermine nur durch Zufall erfuhr.

Der Tag war für einen Samstag im Spätherbst ungewöhnlich heiß gewesen und auch die Nachtluft war überraschend mild. Hermine wachte mitten in der Nacht auf und kam beinahe um vor Durst. Sie verließ deshalb ihr Bett und das Zimmer um sich aus dem Badezimmer, welches gegenüber von ihrem Zimmer lag ein Glas Wasser zu holen. Sie ließ alle Türen offen stehen und wollte nach dem dritten Glas gerade wieder ins Bett zurück huschen, als sie bemerkte, dass unter Snapes Tür ein schwacher Lichtschein in den Flur fiel. Sie fragte sich gerade, ob er wieder nicht schlafen konnte und er einfach ein Buch las, als einige sehr typische Geräusche an ihr Ohr schlugen. Hermine fluchte leise und betrat Snapes Schlafzimmer. Ein rascher Blick sagte ihr, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Snape kauerte in seinem Badezimmer vor der Toilette und übergab sich unter qualvollem Würgen.

Ohne zu zögern ging sie zum ihm, riss ein Handtuch vom Haken, befeuchtete es mit kaltem Wasser und wischte damit wortlos über Snapes Stirn und Nacken. Snape war offensichtlich zu schwach um sich gegen sie zu wehren. Er würgte noch einmal, doch sein Magen war offensichtlich leer. Erschöpft sackte er auf dem Boden zusammen. Hermine reichte ihm das Handtuch, drückte die Spülung und klappte den Toilettendeckel herunter. Sie reichte ihm ein frisches Handtuch und warf das andere in die Badewanne.
„Geht’s wieder?“ fragte sie sanft.
Snape nickte. Er wirkte immer noch benommen.
„Warum haben Sie mich nicht gerufen? Genau deshalb bin ich doch jedes Wochenende hier“, bemerkte sie zornig und besorgt zugleich.
„Ich wollte nicht, dass Sie das...“, sagte er matt und beendete den Satz mit eine vielsagenden Geste.
Hermine verdrehte die Augen. „Ach du liebe Zeit! Da habe ich wirklich schon Schlimmeres gesehen. Sogar während meiner Ausbildung. Glauben Sie wirklich, dass mich so ein bisschen Erbrechen aus der Bahn wirft?“
Ein müdes Lächeln huschte über seine Lippen. „Offensichtlich nicht“, antwortete er leise. „Ich wollte Sie wegen diesem bisschen Erbrechen nicht wecken.“
„Darum geht’s auch gar nicht. Aber haben Sie schon daran gedacht, dass Sie dabei ohnmächtig werden und ersticken könnten?“
„Jetzt, wo Sie es sagen...“, äußerte er lahm und Hermine erkannte, dass er absolut nicht auf der Höhe war.
„Ich helfe Ihnen jetzt zurück ins Bett und Sie versprechen mir, dass Sie mich das nächste Mal wecken – egal um welche Bagatelle es sich Ihrer Meinung nach handelt“, bemerkte sie burschikos und half ihm, sich wieder aufzurichten.
„Versprochen“, antwortete Snape ungewöhnlich zahm.

***



Wieder eine Woche später – und nach Einnahme des dritten Trankes – klopfte Hermine am Samstag morgen mit pochendem Herzen an Snapes Schlafzimmertür. Als sie keine Antwort vernahm, betrat sie den Raum mit ahnungsvoll zusammengepressten Lippen. Zu ihrer Überraschung war das Bett leer und durch die offene Badezimmertür konnte sie erkennen, dass auch dieser Raum leer war. Im ersten Moment wusste sie nicht, was sie davon halten sollte, als Snapes Gestalt im Türrahmen des Balkons sichtbar wurde.
„Suchen Sie mich, Hermine?“ Sein Blick war ernst, aber sein Gesichtsausdruck wirkte entspannt. Sein Haar schien weniger grau zu sein, oder es fiel im Kontrast zu seinem dunkelgrünen Morgenmantel nicht so sehr auf. Er stützte sich auch heute wieder auf seinen Stock, doch seine Haltung wirkte auf Hermine so kraftvoll, wie schon seit Wochen nicht mehr.
„Ja, allerdings! Sie haben mir einen ganz schönen Schreck eingejagt“, sagte Hermine und versuchte erst gar nicht, ihre Erleichterung, ihn wohlbehalten vorzufinden, zu verbergen.
„Das wollte ich nicht“, erwiderte Snape und Hermine war sich wie so oft nicht im Klaren darüber, ob er es ernst meinte, oder ob er sich mit dieser Floskel nur den Anschein von Höflichkeit geben wollte.
„Ich wollte vor dem Frühstück nur kurz an die frische Luft. Der Sonnenaufgang war heute einzigartig“, äußerte er mit überraschend weicher Stimme.
„Severus?! Es geht Ihnen also tatsächlich besser?“
„Pfui, Hermine – haben Sie etwa daran gezweifelt? So schauderhaft, wie dieser Trank schmeckte, musste er einfach wirken“, spöttelte Snape.
„Wie fühlen Sie sich? Ist das Zittern besser geworden? Haben Sie noch Schmerzen?“ fragte Hermine aufgeregt.
Snape hatte sich mittlerweile wieder zurück ins Zimmer begeben und sich auf sein Bett gesetzt.
„Es ist leider noch alles so, wie gehabt“, dämpfte Snape ihre Begeisterung. „Das war nach einer Einnahme auch nicht anders zu erwarten. Aber ich fühle mich trotzdem sehr viel besser, weil ich...“, er machte eine kleine Pause, „... zum ersten Mal seit zwei Jahren eine ganze Nacht durchgeschlafen habe.“
„Aber das ist ja wundervoll“, flüsterte Hermine.
Snape seufzte leise. „Es ist ein Anfang.“

***



Hermine verließ ihn wie üblich am Sonntag Abend. Sie hatten den Trank noch ein wenig verändert und Snape schien sehr gut darauf anzusprechen. Bei ihrer regulären Visite am Mittwoch konnte sie zu ihrer Freude bereits einige wesentliche Verbesserungen seines Gesundheitszustandes feststellen. Er berichtete, dass die Magenbeschwerden nachgelassen hätten, die Muskelschmerzen fast ganz verschwunden wären und nur das Schwindelgefühl und das Zittern seiner Hände noch kaum verändert war. Trotzdem beschlossen sie gemeinsam, den Trank nicht mehr zu verändern, sondern mit einer Entscheidung bis Freitag Abend zu warten, wenn Hermine ihren nächsten Wochenend-Besuch bei ihm antreten würde.

Am Freitagabend führte Polly eine ziemlich erschöpfte Hermine wie üblich in den Salon, wo Snape und sie immer gemeinsam zu Abend aßen. Der Tag war sehr anstrengend gewesen und merkwürdiger Weise freute sich Hermine auf einen ruhigen Abend mit ihrem ehemaligen Lehrer. Doch als sie den Salon betrat, fühlte sie, dass Snape etwas völlig anderes im Sinn hatte.
Der Raum badete förmlich in warmem Kerzenlicht. Auf dem Tisch stand ein wundervolles Blumenbukett aus roten und weißen Rosen und ein silberner Sektkühler stand ebenfalls bereit. Snape hatte sich bei ihrem Eintreten erhoben und zog nun eine der Rosen aus dem Gesteck.
„Ich weiß, dass ich heute nicht Geburtstag habe“, sagte Hermine um sich durch den Klang ihrer eigenen Stimme zu versichern, dass sie nicht träumte. „Und ich glaube, Ihr Geburtstag ist erst in einem halben Jahr... also, was haben wir zu feiern?“ fragte sie um einen leichten Ton bemüht.
Snape kam gewandt auf sie zu und Hermine fiel auf, dass er keinen Stock mehr benötigte. Als er sie fast erreicht hatte, blieb er stehen und hielt ihr die Rose hin. Sein Arm war ausgestreckt und Hermines Augen weiteten sich, als ihr bewusst wurde, dass weder sein Arm, noch ein einziges Blütenblatt der Rose zitterte. Ihre Blicke trafen sich und Hermine wurde gewahr, wie viel Stolz und Erleichterung in seinen Augen lag. Er sah, dass sie seine Botschaft begriffen hatte und trat näher zu ihr.
„Dank Ihrer Hartnäckigkeit, Hermine“, sagte er lächelnd und Hermine senkte verwirrt den Blick, als er ihr die Rose mit einer geschmeidigen Bewegung ins Haar steckte.

***



„Ich glaube nicht, dass ich noch ein Glas Sekt trinken sollte“, erklärte Hermine mit leicht schwankender Stimme.
Nach dem Essen hatten sie auf Snapes Genesung angestoßen und Hermine hatte nicht wirklich aufgepasst, wie viel sie schon getrunken hatte. Sie standen mittlerweile an der großen Terrassentür und beobachteten die Sterne. Es kam Hermine so vor, als ob Snape auch nicht mehr ganz nüchtern war und sie überlegte sich vage, ob sie wohl noch fähig war, ihn die Treppe hinauf in sein Zimmer zu verfrachten.
„Sekt?“ wiederholte Snape empört und schenkte ihr ungeachtet ihrer Proteste das elegante Kristallglas voll. „Das ist Champagner!“
„Ich bin aber schon ziemlich beschwipst“, protestierte sie lahm und nippte trotzdem automatisch an ihrem Glas.
„Schon?“ fragte Snape mit weicher Stimme.
„Ich vertrage nicht besonders viel“, erläuterte sie und stellte das Glas auf einer Kommode ab. „Ich glaube, ich sollte mich jetzt zurückzie... zurück...“ Sie schüttelte energisch den Kopf. „Ins Bett gehen“, schloss sie schließlich mit Nachdruck.
Sie drehte sich um und kam dabei ins Stolpern. Sie wäre sicher auch so nicht hingefallen, doch dass Snape sie mit seinen überraschend starken Armen festhielt, war trotzdem entschieden von Vorteil.
Seine plötzliche Nähe verwirrte sie und verstärkte seltsamer Weise das leichte Schwindelgefühl, das sie bereits vor einer Weile befallen hatte. Sein Kopf neigte sich ihr leicht entgegen und bevor sie noch reagieren konnte, fühlte sie seine warmen Lippen auf ihrem Mund. Der Kontakt war nur kurz und Hermine blickte verwirrt in seine Augen, die mit einem seltsamen Ausdruck auf ihrem Gesicht ruhten.
„Was- was tun Sie da?“ fragte sie ein wenig atemlos.
„Wonach sieht es denn aus?“ Seine Stimme klang wie flüssiger Samt und der zärtliche Tonfall ließ ihren Magen kribbeln und ihre Knie weich werden und bevor sie noch etwas anders sagen konnte, küsste er sie wieder – leidenschaftlicher, sinnlicher als zuvor. Und entgegen ihrem besseren Wissen gab sie schließlich nach und erwiderte seinen Kuss.

***



Nur langsam kam Hermine zu sich. Was war das nur für ein infernalisches Geräusch? Sie blieb noch eine Weile mit geschlossenen Augen liegen, bis ihr klar wurde, dass sie dem Morgengesang einer Amsel lauschte.

Sie blinzelte schläfrig und drehte sich auf die Seite. Diese Tür... die Bilder an den Wänden... das war doch nicht das Gästezimmer? Plötzlich hellwach setzte sie sich mit einem Ruck auf und starrte fassungslos auf Snape, der schweigend neben ihr auf der Seite lag, den Kopf auf eine Hand aufgestützt und sie mit einem seltsamen Gesichtsausdruck ansah, den Hermine im Moment nicht deuten konnte.

Als sie nach einer kurzen Schrecksekunde begriffen hatte, dass sie beide nackt waren, stieß sie unwillkürlich einen spitzen Schrei aus und raffte die Bettdecke an sich um ihre Blöße damit zu bedecken. Snape schwieg noch immer und Hermine ließ sich völlig überwältigt zurück in die Kissen sinken und schlug die Hände schützend vor ihr Gesicht.

Sie erinnerte sich daran, wie ihr unter seinen Küssen schwindelig geworden war und wie gut sich seine Hände auf ihrem Körper angefühlt hatten. Sie war sich sicher, dass sie unter normalen Umständen nie so schnell schwach geworden wäre. Doch sie hatte Alkohol getrunken und seit ihrer letzten Beziehung zu einem ihrer Mitstudenten waren schon mehrere Monate vergangen. Es hatte sich so wundervoll angefühlt, von einem Mann begehrt zu werden, selbst wenn es nur Snape war.

Sie errötete als sie daran dachte, wie sehr sie seine Liebkosungen genossen hatte und wie dankbar sie für die Dunkelheit der Nacht gewesen war, denn so war es ihr leichter gefallen, zu verdrängen, dass sie sich von ihrem ehemaligen Lehrer und jetzigen Patienten lieben ließ.

Sie stöhnte gequält auf. Wie hatte sie sich nur darauf einlassen können? So ausgehungert konnte ihre Libido doch gar nicht sein, dass sie tatsächlich freiwillig mit Snape... Warum tat sich die Erde nicht auf und verschlang sie einfach? Nie fand eine Naturkatastrophe statt, wenn man sie mal brauchte!

Snape räusperte sich. „Hermine?“
Hermine nahm zögernd die Hände von ihrem Gesicht und überwand sich ihn anzusehen.
„Ich nehme an, Sie sind über die Vorkommnisse der letzten Nacht nicht gerade erfreut“, sagte er tonlos.
Hermine drehte sich wieder auf den Rücken und starrte die Zimmerdecke an.
„Ich vertrage nicht so viel Alkohol – sonst wäre es sicher nicht passiert“, murmelte sie undeutlich.
„Es wäre auch für mich besser gewesen, wenn ich nichts getrunken hätte“, gestand Snape zögernd. „Ich hätte es besser wissen müssen, als Alkohol und Heiltränke zur gleichen Zeit einzunehmen. Ich habe auch nur noch eine sehr ungenaue Erinnerung...“
Hermine schloss erleichtert die Augen. Es war ihr egal, ob er sie in diesem Moment anlog oder nicht. Wichtig war nur, dass es ihm ebenso peinlich zu sein schien wie ihr.
„Wir sollten am Besten gar nicht mehr darüber reden“, schlug Hermine vor. „Meine Erinnerung ist ebenfalls ziemlich lückenhaft“, log sie ohne rot zu werden. „Am Vernünftigsten wäre es, die ganze Angelegenheit zu vergessen.“
„Wenn Sie es so wünschen, dann hat die letzte Nacht nie stattgefunden“, erwiderte Snape nüchtern. „Ich werde jetzt ins Badezimmer gehen. Sie können sich in dieser Zeit anziehen und wir sehen uns in einer halben Stunde beim Frühstück.“
Seine sachliche Art wirkte auf Hermines angespannte Nerven beruhigend und sie lächelte ihn dankbar an.

***



In der folgenden Zeit ging es Snape zuerst sehr viel besser, doch dieser Zustand hielt leider nur zwei, drei Wochen an. Dann folgte ein Zusammenbruch, von dem er sich nur schwer erholte. Hermine machte sich Sorgen um ihn, die sich noch vermehrten, als er sich starrköpfig weigerte einen weiteren Heiltrank auszuprobieren.
Sie besuchte ihn immer noch alle drei Tage, doch seit jener Nacht lud er sie nicht mehr zum Abendessen ein und sie vermied es tunlichst die Wochenenden in seinem Haus zu verbringen. Bis auf diese Veränderungen verhielt Snape sich genauso wie immer und Hermine konnte ihm deshalb auch wieder unbefangener gegenüber treten, als sie es kurz nach diesem Vorfall je für möglich gehalten hätte.

Sie vermied es nach Möglichkeit über die ganze Sache nachzudenken und wenn es sich doch einmal in ihren Gedanken in den Vordergrund drängte, verbannte sie es rücksichtslos in den hintersten Winkel ihres Gehirns. Diese Taktik der Verleumdung klappte ganz hervorragend, bis sich Hermine eines Tages mehr zum Spaß von ihrem Kollegen Stitching untersuchen ließ, da sie sich immer etwas müde und abgespannt gefühlt hatte und ihr Kollege einen neuen Diagnose-Zauberstab zu Testzwecken erhalten hatte.

***



An diesem Abend trat sie äußerlich beherrscht ihren Hausbesuch bei Snape an. Doch innerlich tobte in ihr ein wahres Gefühlschaos. Sie wusste, dass sie blass war und sie fühlte sich elend. Doch gegen ihren Patienten, der sie auf einer Recamier-Couch liegend in der Bibliothek empfing, wirkte sie immer noch wie das blühende Leben – was ihr die Mitteilung, die sie ihm zu machen hatte, nicht gerade erleichterte.

In den letzten Tagen litt er vermehrt unter Taubheitsgefühlen in Armen und Beinen, die fast immer eiskalt waren. Um sich in seinem Haus halbwegs sicher bewegen zu können, benötigte er nun immer einen Stock. Doch was Hermine am Meisten beunruhigte waren nicht die Einschränkungen, unter denen er zu leiden hatte, sondern die Gleichgültigkeit mit der er sich in diese Unvermeidlichkeiten schickte. Sie begrüßte ihn und untersuchte ihn gewissenhaft wie immer.

„Sie hätten auf mich hören sollen, Severus, und einen Klimawechsel oder einen Kuraufenthalt in Betracht ziehen sollen. Wir haben sicher bald den ersten Schnee hier in Schottland und ein Aufenthalt in einer wärmeren Region würde Ihnen sicher gut tun.“
Snape hörte sich ihre Ratschläge wie immer ruhig an und schüttelte dann einfach den Kopf. Damit war die Sache für ihn erledigt.
Sie sprachen noch eine Weile über Belanglosigkeiten und dann war es für Hermine eigentlich Zeit zu gehen. Sie packte zwar ihre Tasche zusammen, doch ihre Bewegungen waren fahrig und so hörte sie wieder damit auf. Ihr wurde bewusst, dass Snape sie leicht irritiert ansah und atmete einmal tief durch.

„Severus...“, begann sie widerstrebend, „...es gibt da etwas, das ich mit Ihnen besprechen muss...“
Etwas wie Neugier zeichnete sich in seinem Blick ab. „Ja?“
"Und zwar wegen... wegen dieser Nacht... als wir...“, begann sie mit unsicherer Stimme.
Snape hob skeptisch eine Augenbraue. „Ich dachte, wir waren uns darüber einig, dass wir gerade über diese Nacht nicht mehr sprechen sollten?“
„Ja... schon“, gab Hermine zu und faltete ihre Hände in ihrem Schoss um sie vom Zittern abzuhalten. „Aber jetzt ist etwas eingetreten, was sich nicht verschweigen lässt.“ Sie sammelte noch einmal kurz all ihre Kräfte, dann sprach sie entschlossen weiter: „Severus, ich erwarte ein Kind.“
Für einen Moment herrschte atemlose Stille. Snapes Augen weiteten sich für einen kurzen Augenblick, bevor sie sich leicht verengten.
„Von wem?“ fragte er leise.
„Von dir natürlich – von wem den sonst!“ fuhr Hermine ihn unbeherrscht an und wischte sich mit einer zornigen Bewegung die aufsteigenden Tränen aus ihren Augen.

„Dann bitte ich dich, mir nachzusehen, dass ich nicht der Tradition entsprechend vor dir auf die Knie sinke... Hermine, willst du meine Frau werden?“
Ihr fassungsloser Blick heftete sich auf seinen ernsten, gleichmütigen Gesichtsausdruck. „Was?“ fragte sie mit erstickter Stimme.
„Du hast mich sehr gut verstanden. Hermine, ich habe dich in diese Lage gebracht – lass mich für dich und das Kind sorgen. Bitte heirate mich“, erwiderte er sanft und eindringlich.
„Aber ich liebe dich doch nicht und du empfindest doch sicher nicht das Geringste für mich“, stammelte Hermine bestürzt. „Wie kannst du mich da heiraten wollen?“ Sie war zu aufgewühlt um zu bemerken, dass sich bei ihren Worten für Sekundenbruchteile ein harter Zug um seinen Mund abgezeichnet hatte.

„Es scheint mir zum gegenwärtigen Zeitpunkt das Vernünftigste zu sein“, antwortete er mit sachlichem Tonfall. „Ich bin nicht so entsetzlich reich wie Malfoy, aber mein Vermögen ist ausreichend um dir und unserem Kind für die Zukunft einige Sorgen zu ersparen. Ist es denn so abwegig, dass ich euch versorgt wissen möchte? Immerhin werde ich dich nicht mehr allzu lange mit meiner Gegenwart belästigen.“
Der Zynismus in seiner Stimme ließ Hermine schuldbewusst die Augen niederschlagen.„So etwas darfst du nicht sagen“, flüsterte sie schaudernd.
„Außerdem wünsche ich nicht, dass mein Kind als Bastard auf diese Welt kommt“, stellte er unmissverständlich fest.
Seine Härte reizte ihren Widerspruchsgeist. „Das ist auch mein Kind“, entgegnete sie heftig. „Und was ist schon dabei – viele Kinder haben nur einen Elternteil!“
„Was für Muggel gilt, muss in unserer Welt nicht auch gelten. Und du kannst mir glauben, ich weiß wovon ich rede.“ Sein Tonfall war bitter geworden. „Snape war der Name meiner Mutter. Ich will nicht, dass mein Kind dieselben Erfahrungen machen muss, die ich hinter mir habe.“
„Das – das wusste ich nicht...“, sagte Hermine eingeschüchtert und suchte nach einem Taschentuch.
„Woher auch“, lenkte Snape durch ihre Tränen besänftigt ein. „Überlege dir mein Angebot bitte gut und lehne es nicht leichtfertig ab. Ich würde gerne Gewissheit darüber haben, dass es dir und... unserem Kind gut gehen wird, wenn ich nicht mehr da bin“, erwiderte er sanft. „Es wäre wirklich das Beste, wenn du mich heiraten würdest, Hermine. Bitte sag‘ doch ‚Ja‘.“
Sie war zu sehr von ihren eigenen Überlegungen in Anspruch genommen, als dass sie einen zweiten Gedanken auf seine atypische Verhaltensweise verschwendet hätte. Er hatte sich mittlerweile auf der Couch aufgesetzt und ihre Hände in die seinen genommen.
Schließlich war Hermine zu einem Entschluss gekommen und sie brach das Schweigen. „Gut – ich bin einverstanden“, sagte sie leise.
„Du wirst es nicht bereuen“, flüsterte Snape und küsste ihr behutsam die Hände.

Hermine begriff selbst nicht wirklich, warum sie eingewilligt hatte Snapes Frau zu werden, doch seine Argumente waren nicht von der Hand zu weisen und wenn sie ihn schon nicht liebte, so hatte sie ihn doch mittlerweile sehr gern. Sie glaubte deshalb, dass es ihnen nicht allzu schwer fallen dürfte, gut miteinander auszukommen.

***



Allerdings musste sie feststellen, dass es ihr, nachdem sie einmal nachgegeben hatte, unglaublich schwer fiel, sich bei anderen Entscheidungen gegen ihren Verlobten durchzusetzen. Er bestand darauf, dass sie sofort in seinem Haus einziehen und innerhalb der nächsten drei Monate ihre Arbeit aufgeben sollte. Hermine wehrte sich zuerst dagegen, doch er machte ihr auf unmissverständliche Art und Weise klar, dass er nicht dulden würde, dass sie sich ihre Gesundheit und die des Kindes ruiniere, so dass sie schließlich einwilligte. Nur in einer einzigen Sache blieb sie hart. Sie wollte keine große Hochzeit, sondern nur eine Zeremonie im engsten Kreis – das Brautpaar, ihre Eltern und ein Trauzeuge.

Es war ihr ohnehin schon schwer genug gefallen, ihren Eltern von ihrer Schwangerschaft und ihrer bevorstehenden Heirat zu berichten – sie fühlte sich einfach nicht stark genug um den neugierigen Blicken und dem ungläubigen Getuschel von Ron, Harry, Ginny und ihren anderen Freunden stand zu halten. Sie würde sie nachträglich per Eulenpost über ihre Vermählung unterrichten und damit basta!

Als sie ihrem Verlobten ihre Absichten unterbreitete, ließ er sie keine Sekunde aus den Augen und auch nachdem sie geendet hatte, sah er sie eine lange Zeit nachdenklich an und schwieg.
„Also gut“, sagte er schließlich. „Eine Frau soll immer genau die Hochzeit haben, die sie sich wünscht. Wer soll der Trauzeuge sein?“
Hermine atmete erleichtert durch.
„Danke, das ist sehr lieb von dir“, antwortete sie und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. „Wäre dir Minerva als Trauzeugin recht?“
„Warum nicht. Schreibst du ihr?“
Hermine nickte. „Ja, ich werde das erledigen.“

***



Die Hochzeit fand mitten im Dezember statt und war tatsächlich so unspektakulär wie Hermine es sich gewünscht hatte. Sie und Snape trafen sich mit einer gerührten Minerva und Hermines gefassten Eltern im Zaubereiministerium, wo der zuständige Beamte die Trauung vornahm.
Hermine trug ein schlichtes, cremefarbenes Kleid mit einem halblangen weinroten Festumhang, während der Bräutigam einen eleganten schwarzen Anzug gewählt hatte, mit einem dunkelgrünen Umhang aus Samt. Hermine stellte insgeheim fest, dass er trotz seiner ergrauenden Haare und seines Stocks eigentlich ein gutaussehender Mann war, auch wenn er nicht unbedingt der Ehemann war, den sie sich in ihren Jungmädchenträumen vorgestellt hatte. Ihre Hand zitterte leicht, als er ihr den Ehering seiner Großmutter auf den Finger schob.

***



Als das frischgebackene Ehepaar Snape am Abend ihres Hochzeitstages wieder ihr Heim betraten, überfiel Hermine eine seltsame Nervosität.
Seit sie vor vier Wochen mit ihren gesamten Habseligkeiten bei ihm eingezogen war, hatte sie jede Nacht in dem Gästezimmer neben seinem Schlafzimmer verbracht und er hatte nie auch nur andeutungsweise zu verstehen gegeben, dass er sie lieber bei sich hätte. Doch jetzt waren sie verheiratet und Hermine fragte sich, ob er geschmacklos genug war um auf einer Hochzeitsnacht zu bestehen.

Ihre Sorge erwies sich jedoch als unbegründet, denn kaum hatten sie die Schwelle übertreten und Polly ihnen die Mäntel abgenommen, richtete Snape das Wort an sie.
„Ich habe Polly heute morgen gesagt, dass sie auch weiterhin das Gästezimmer für dich herrichten soll. Ich hoffe, dass es dir Recht ist – ich schlafe nachts sowieso kaum und das würde dich sicher nur stören“, äußerte er wie nebenbei und Hermine war ihm für seine Einfühlsamkeit zutiefst dankbar.

***



Snape erwies sich in der Ehe zu Hermines Überraschung als liebevoll besorgter Tyrann. Er achtete darauf, dass sie regelmäßig und ausgewogen aß, dass sie sich nicht überanstrengte, sich dennoch genügend an der frischen Luft bewegte und dass sie sich nicht zu sehr langweilte. Obwohl es ihm oft nicht sehr gut ging und Hermine häufig mit ihm schelten musste, bis er sich endlich mehr Ruhe gönnte und sich seine Kraftreserven besser einteilte, hielt er sein Versprechen und sorgte sich um Hermine und um das ungeborene Kind, doch er tat dies immer mit einer Art höflichem Pflichtbewusstsein. Es war ein seltsames Arrangement, doch er schien damit zufrieden zu sein und Hermine war es auch. Er bestand darauf, sie zu jedem Untersuchungstermin zu begleiten und lauschte interessiert auf die Ausführungen des Gynäkologen, der Hermine behandelte.

Im vierten Monat ihrer Schwangerschaft stellte ihr Arzt fest, dass sie Zwillinge erwartete.
„Zwillinge?“ stöhnte Hermine überwältigt. „Zwei Stück?“
„Ja“, schmunzelte ihr Arzt. „Und so wie es aussieht sind es ein Junge und ein Mädchen. Ich hoffe, Sie haben in Ihrem Haus genügend Platz.“
„Platz hätten wir für ein Dutzend“, sagte Snape und half seiner Frau in den Mantel, während ein melancholisches Lächeln seine Mundwinkel umspielte. „Platz haben wir – nur nicht genügend Zeit.“

In dieser Nacht suchte Hermine zum ersten Mal Zuflucht bei ihrem Mann.
Sie war plötzlich aufgewacht und die unbestimmte Erinnerung an einen entsetzlichen Albtraum hielt sie noch gefangen. Ihre ganze Situation erschien ihr mit einem Mal zu schwer für ihre Schultern zu sein und die Gewissheit, dass sie sich nach Snapes Tod allein um zwei Kinder würde kümmern müssen, setzte ihr unvermittelt heftig zu. Auch das Unverständnis ihrer Freunde, als sie von ihrer Ehe erfahren hatten, hatte sie noch nicht überwunden und trieb ihr jetzt die Tränen in die Augen.

Es war weit nach Mitternacht, doch er hatte noch nicht geschlafen und so sah er sie erstaunt an, als sie zitternd im Türrahmen stand und keine zwei Sekunden später ihren Kopf an seiner Schulter barg und herzzerreißend schluchzte. Er schloss sie wortlos in seine Arme und ließ sie weinen bis sie in den frühen Morgenstunden völlig erschöpft einschlief. Er hatte nicht wirklich aus ihr herausbekommen, was sie so aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, doch er glaubte zumindest es zu verstehen.

Nach dieser Nacht benutzte Hermine nie wieder das Gästezimmer. Doch obwohl sie sich mittlerweile manchmal insgeheim wünschte, Snape möge sich ihr gegenüber etwas zärtlicher verhalten, so beklagte sie sich doch nie, wenn er nicht mehr tat, als sie auf die Wange zu küssen.

***



Weitere vier Monate später war Hermines Schwangerschaft soweit fortgeschritten, dass sie oft stöhnte sie wäre sich sicher nicht nur Zwillinge zu erwarten, sondern ein ganzes Rudel.
„Das sind sicher mehr als nur zwei“, beschwerte sie sich mit einer Geste zu ihrer nicht mehr vorhandenen Taille.
Snape lächelte. „Und ich bin mir sicher, dass sich dein Arzt nicht geirrt hat. Hast du mittlerweile die Entwürfe für die Geburtsanzeige wieder gefunden?“
„Nein“, brummte Hermine schlecht gelaunt. „Polly hat sie ein bisschen zu gut aufgeräumt. Aber ich glaube, sie dürften wohl in einem der Regale in deinem Arbeitszimmer sein. Ich werde am besten gleich danach suchen, bevor ich es wieder vergesse.“ Sie erhob sich schwerfällig.
„Tu‘ das“, erwiderte Snape. „Möchtest du, dass ich dir helfe?“
„Nein, das ist nicht notwendig“, wehrte Hermine ab. „Aber sag‘ mir Bescheid, wann das Mittagessen fertig ist... falls ich bis dahin noch nicht wieder zurück bin“, orakelte sie dumpf.

Sie ging in sein Arbeitszimmer und fing bei der ersten Kommode an. Sie zog die Schubladen auf und blickte suchend hinein.
Erste Schublade – Pergamentrollen und Federkiele, zweite Schublade – Kerzen und Streichhölzer, dritte Schublade – einige Aktenmappen und zwei Schachteln. Hermine öffnete aufs Geratewohl eine der Schachteln, doch darin lag nur verschiedenfarbiges Siegelwachs und einige leere Briefumschläge.

Hermine schloss die Schachtel wieder und seufzte. Manchmal war Polly wirklich eine Landplage. Sie holte die zweite, größere Schachtel aus der Schublade und stellte sie oben auf die Kommode. Sie hob den Deckel ab, warf einen Blick auf den Inhalt und stutzte.

Darin lagen Briefe, fein säuberlich gebündelt und mit lindgrünen Schleifen zusammengebunden. Hermine entnahm der Schachtel ein Bündel Briefe und beäugte diese neugierig. Die Umschläge trugen weder Anschrift noch Absender und waren bei näherem Hinsehen auch nicht verschlossen. Hermine fragte sich mit einem nervösen Kichern, ob es sich vielleicht um Liebesbriefe aus der Jugendzeit ihres Mannes handelte, obwohl sie sich das bei Snape nicht wirklich vorstellen konnte.

Versonnen blätterte sie das Briefbündel durch, doch schließlich siegte die weibliche Neugierde, sie zog sich einen Stuhl an die Kommode und setzte sich hin. Willkürlich zog sie einen Brief aus dem Bündel und öffnete ihn, während sie vor wohliger Spannung ihre Unterlippe zwischen die Zähne zog.

Der Brief trug keine Unterschrift, doch sie erkannte deutlich Snapes gestochene, leicht nach rechts geneigte Handschrift und auch über den Adressaten konnte kein Zweifel bestehen.

//Liebe Hermine,
du hast heute im Unterricht schon wieder diesem Trottel Longbottom geholfen...//

Hermine hielt völlig perplex den Atem an. Das konnte doch nicht sein! Ihre Blicke flogen zur rechten oberen Ecke des Briefes in der gewissenhaft das Datum notiert worden war. Für einen Moment verschwamm die Schrift vor ihren Augen, doch ein Irrtum war ganz ausgeschlossen – als Snape diesen Brief an sie geschrieben hatte, war sie noch in die sechste Klasse gegangen.

Fieberhaft riss sie den nächsten Brief auf.

//Liebe Hermine,
ich begreife immer noch nicht, wie mir das passieren konnte...//

//Liebe Hermine,
mit jedem Tag der vergeht...//

//Liebe Hermine,
heute war dein letzter Schultag und ich weiß nicht, ob ich stolz auf dich sein soll, weil ich noch nie eine so begabte Schülerin unterrichtet habe, oder ob ich diesen Tag verfluchen soll, weil er mich deines Anblicks beraubt...//

//Liebe Hermine,
Minerva hat heute im Lehrerzimmer entsetzlich damit angegeben, dass du dich zu Studienzwecken an einer Muggeluniversität eingeschrieben hast. Ich habe so getan, als ob es mich nicht im Mindesten interessiert, doch später....//

//Liebe Hermine,
Als ich heute in der Winkelgasse zufällig Potter getroffen habe, musste ich all meine Kräfte zusammennehmen um ihn nicht nach dir zu fragen – er hat mir trotzdem so Einiges über dich erzählt...//

So ging es immer weiter. Ein Brief nach dem anderen wurde von Hermines bebenden Händen geöffnet, mit ungläubig staunenden Blicken überflogen und schließlich achtlos auf den Boden geworfen, wo sich zu ihren Füssen im Laufe der Zeit eine kleine Papierschneewehe bildete. Snape hatte ihr über Jahre hinweg immer wieder Briefe geschrieben – manchmal jeden Monat einen, dann wieder jede Woche, oder auch nur drei oder vier im ganzen Jahr. Nie hatte er einen dieser Briefe abgeschickt und Hermine stellte mit bangem Herzen fest, dass der Mann, der sich in diesen Briefen offenbarte völlig anders war, als der Snape, den sie glaubte zu kennen. In diesen Briefen war er warmherzig, voller Selbstironie, liebevoll und zärtlich. Schließlich hielt sie den letzten Brief in ihren Händen.

//Liebste!
Du hast diesen Tag– ohne es zu wissen – zum glücklichsten Tag meines Lebens gemacht. Du hast eingewilligt meine Frau zu werden...//

„Hermine?! Steckst du immer noch hier drin? Das Essen ist fertig.“
Hermine sah ertappt auf und erblickte ihren Mann im Türrahmen. Wie immer ganz in schwarz gekleidet, auf seinen Stock gestützt, eine dunkle Haarsträhne hing ihm widerspenstig ins Gesicht, auf welchem sich erst Überraschung und dann milde Resignation abzeichnete.
„Du hast die Briefe also gefunden“, stellte er mit einem leisen Seufzen fest.

Hermines Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an.
„Du hast mich die ganze Zeit geliebt“, wisperte sie fassungslos. „All die Jahre über... und ich habe nie etwas gemerkt... Warum hast du nie etwas gesagt?“
Seine Reaktion überraschte sie.
Er lächelte und in seinen Augen lag ein derart weicher und liebevoller Ausdruck, dass es ihr fast den Atem benahm.
„Wann hätte ich es dir denn sagen sollen?“ fragte er sanft. „Als ich noch dein Lehrer war? Oder als ich dich nicht vergessen konnte, obwohl ich dich schon fünf Jahre nicht mehr gesehen hatte? Oder als ich todkrank in deinem Wartezimmer saß? Sei ehrlich zu dir selbst Hermine – egal wann ich es dir gesagt hätte, egal wie ich es dir gesagt hätte – du wärst schreiend davon gelaufen.“ Ein melancholisches Lächeln huschte über seine Lippen. „Nicht, dass ich es nicht versucht hätte... aber da auf keine meiner Avancen auch nur die leiseste Reaktion erfolgte... nicht einmal nach jener Nacht, in der ich alles auf eine Karte gesetzt habe... ich hatte so sehr gehofft, dass sich dein Kopf endlich von deinem Körper überzeugen lassen würde. Ich habe die ganze Nacht wach gelegen und darauf gewartet, dass du aufwachst. Eine einzige Geste hätte mir genügt – ein Lächeln – ein warmes Leuchten in deinen Augen...Ich hatte wirklich gehofft ich könnte dich für mich gewinnen. Wenn du es nur zugelassen hättest, dann hätte ich dich so zärtlich geliebt, wie noch nie eine Frau zuvor von einem Mann geliebt worden wäre.“

Hermine war wie vor den Kopf geschlagen. Ihr Herz klopfte wie wild, doch er stand immer noch ruhig und unerschütterlich in der Tür und sah sie mit seinen dunklen Augen einfach nur an.
„Wolltest du deshalb wissen, wie viel Zeit dir noch bleibt?“ fragte sie mit bebender Stimme.
„Zum Teil. Ich wollte dich einfach noch einmal sehen und während wir uns über meine Krankheit unterhielten, begriff ich, dass dies meine allerletzte Chance sein würde. Als dieser Entschluss einmal gefasst war, war es für mich natürlich von großem Interesse wie viel Zeit mir noch zur Verfügung stehen würde um dich... nun ja... zu erobern. Es ist mir nicht wirklich geglückt.“ Er lächelte kläglich.

„Warum gerade ich?“ hauchte sie.
„Seit wann fragt Liebe nach Logik? Du kannst mir glauben, wenn ich es hätte vermeiden können, dann hätte ich mich nie in dich verliebt – aber es ist mir nur gelungen, meine Gefühle für dich zu verstecken – abtöten konnte ich sie nicht und dabei habe ich es weiß Gott versucht! Irgendwann habe ich angefangen, diese Briefe zu schreiben... sie haben mir einen gewissen Halt in meinem Leben gegeben...“

Hermine legte unwillkürlich eine Hand über ihren gewölbten Leib.
„Und das hier?“ fragte sie leise.
„Eine glückliche Fügung des Schicksals – zumindest für mich“, gab er mit leisem Bedauern zu. „Nach dieser Nacht hast du mir sehr schmerzhaft klar gemacht, dass mein Werben nie Aussicht auf Erfolg haben würde. Ich muss leider zugeben, dass ich darauf das Interesse an einer eventuellen Genesung meinerseits verloren hatte – bis zu diesem Tag an dem du mir von deiner Schwangerschaft erzählt hast.“

„Du wolltest mich so unbedingt heiraten, dass es dir egal war, was ich für dich empfinde? Und was war mit dieser rührseligen Geschichte über deine Mutter? Hast du die exklusiv für mich erfunden?“ fragte sie aufgewühlt.

Snape schüttelte entschieden den Kopf.
„Nein, diese Geschichte ist leider wahr. Und – ja, ich wollte dich so unbedingt, dass mir die Umstände und deine Gefühle völlig gleichgültig waren“, erklärte er mit brutaler Offenheit. „Nennen wir es doch zielgerichteten Egoismus. Natürlich hast du Recht, wenn du diese Taktik als verwerflich anprangerst, doch was sollte ich tun? Mir lief die Zeit davon.“

Schweigen senkte sich über den Raum. Bis Snape sich schließlich einen Ruck gab und das Schweigen brach. „Ich würde ja sagen, dass es mir leid tut“, sagte er sanft, „... aber das tut es nun mal nicht. Ich bin nämlich sehr, sehr froh, dass du meine Frau geworden bist. Ich wollte immer Kinder... Damit hat mein verpfuschtes Leben letzten Endes vielleicht doch noch einen Sinn gehabt. In unseren Kindern leben wir weiter...“

Hermine war blass geworden, doch die Ursache dafür lag nicht bei seinen letzten Worten, sondern an dem plötzlichen Schmerz, der ihren Körper zu spalten drohte.
„Severus!“ rief sie mit erstickter Stimme.
„Was ist mit dir?“ fragte er und trat besorgt einige Schritte auf sie zu.
„Die Babys“, ächzte Hermine. „Ich fürchte, es ist soweit!“
„Hab‘ keine Angst“, tröstete er sie mit ruhiger Stimme. „Ich bin bei dir.“

***



Snape benachrichtigte den Arzt und schaffte Hermine mit Pollys Hilfe ins Schlafzimmer. Er blieb bei ihr, sprach beruhigend auf sie ein und hielt die ganze Zeit über ihre Hand, auch wenn Hermine seine Finger fast zerquetschte, wenn eine besonders heftige Wehe schmerzhaft durch ihren Körper rollte.

Eine halbe Stunde später waren Arzt und Hebamme eingetroffen, doch ein Blick aus Hermines flehentlichen Augen genügte Snape, um dem Arzt mit fester Stimme zu erklären, nicht einmal zehn Hippogreife könnten ihn jetzt von seiner Frau fernhalten. So kam es, dass vier erschöpfende Stunden später Snape selbst die Nabelschnur seiner Tochter und seines Sohnes durchtrennte und die Babys seiner überwältigten Frau in die Arme legte.

Glücklich und tränenüberströmt, betrachte Hermine die zwei kleinen Wunder in ihren Armen. Dann hob sie ihre Augen zu ihrem Mann empor und ihre Blicke trafen sich. In diesem Moment sah sie zum ersten Mal tief hinab in seine Seele und sie öffnete ihm ihr Herz.
„Ich liebe dich, Severus. Ich liebe dich von ganzem Herzen.“
Er küsste sie zärtlich auf den Mund. Dann lächelte er liebevoll auf sie hinab.
„Ich liebe dich mehr als mein Leben, denn du hast mir heute das großartigste Geschenk gemacht, das eine Frau einem Mann machen kann... Unsterblichkeit....“

***



Severus Snape hatte die Geburt seiner Kinder um 14 Monate und drei Tage überlebt, doch wenn Hermine zurückblickte, dann waren diese 14 Monate zweifellos die glücklichste Zeit in ihrem Leben gewesen und sie dankte Gott, dass sie noch rechtzeitig genug erkannt hatte, was für ein wundervoller Mensch ihr Ehemann doch war. Es war für sie noch nicht zu spät gewesen – sie genossen die gemeinsame Zeit, die ihnen noch blieb und verbrachten jede Minute mit ihren Kindern.
Severus war ein sehr liebevoller Vater, der sich rührend um ihre Tochter Sabrina und ihren Sohn Severin kümmerte. Für Hermine war es daher keine Überraschung, dass das erste Wort der beiden nicht ‚Mama‘ sondern ‚Papa‘ war.

Sein Gesundheitszustand hatte sich in diesen Monaten weitgehend stabilisiert, doch Hermine entging nicht, dass er trotz allem immer schwächer wurde. Als er während der letzten Tage zu schwach war um das Bett zu verlassen, wich Hermine nicht von seiner Seite. Sie litt in dieser Zeit entsetzlich und es kam ihr so vor, als ob ihr Herz täglich in tausend Stücke brechen würde, doch seine unerschütterliche Ruhe gab ihr die Kraft ihm beizustehen.

Nachts lag sie neben ihm im Bett und weinte lautlos vor sich hin, um ihn nicht zu beunruhigen, doch er bemerkte natürlich ihre geröteten Augen.
„Hermine?“
„Ja, Severus. Ich bin hier.“ Sie griff nach seiner Hand.
„Du musst mir etwas versprechen“, flüsterte er eindringlich.
„Alles.“
„Ich will nicht, dass du weinst“, verlangte er mit sanfter Stimme. „Nicht wegen mir. Versprichst du mir das?“
Hermine schluckte krampfhaft, doch dann nickte sie.
„Ich verspreche es“, sagte sie gefasst. „Glaubst du... glaubst du, du wirst vielleicht zurückkommen?“ fragte sie verzagt.
„Als Geist?“
Hermine nickte erneut.
„Nein – ich glaube nicht... dazu sterbe ich viel zu glücklich.“ Er lächelte schwach.

Drei Stunden später hatte Severus Snape für immer die Augen geschlossen.

+++ 20 Jahre später +++

Hermine Snape stand mit ihren Kindern vor dem Grab ihres Mannes. Wie jedes Jahr an seinem Todestag legten sie weiße Rosen neben seinem Grabstein aus schwarzem Marmor ab.

Hermine zwinkerte um die aufsteigenden Tränen zu vertreiben. Ihre Tochter Sabrina beugte sich besorgt zu ihr.
„Nun wein‘ doch, Mama – es würde dir sicher helfen“, schalt sie liebevoll. Sabrina war ihrem Vater beängstigend ähnlich. Bis auf die Nase, die er glücklicherweise nur seinem Sohn vererbt hatte, war sie ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Die langen schwarzen Haare, die dunklen, stechenden Augen und das Geschick für Zaubertränke. Doch sie hatte auch das liebevolle Wesen und den Charme von Severus geerbt, den er erst in seinen letzten Jahren offenbart hatte. Sie unterrichtete bereits in Hogwarts und war ihren Schülern eine strenge, aber auch eine gerechte Lehrerin.

„Das kann ich nicht, Sabrina. Du weißt genau, dass ich es deinem Vater versprochen habe!“
Wehmütig betrachtete Hermine die letzte Ruhestätte ihres Mannes.
„Ich habe gestern in deinen alten Schul-Tagebüchern geblättert, die du uns letztes Jahr gegeben hast“, meldete sich Severin zu Wort. „Nachdem, was du da so geschrieben hast, konnte Dad ganz schön eklig sein... Ich verstehe eigentlich nicht wirklich, wie du ihn heiraten konntest.“

Bei Severin hingegen hatte sich die Magie einen Scherz erlaubt. Er war ein Squib und Hermine war manchmal froh, dass Severus dies nicht mehr hatte miterleben müssen. Allerdings hatte auch Severin mit slytherin-typischem Geschick seinen Weg gefunden – er arbeitete als Verbindungsmann zwischen der Muggelregierung und dem Zaubereiministerium.

Hermine fuhr ihrem Sohn durch das ohnehin verwuschelte braune Haar und gab ihm einen leichten Klaps auf den Hinterkopf. Sie nahm ihm seine Worte nicht übel – Severin stichelte nun mal gerne und machte dabei nicht einmal vor seiner Mutter halt.

„Euer Vater war einzigartig“, erklärte sie mit Nachdruck. „Ihr habt ihn nicht gekannt, sonst würdet ihr es verstehen. Außerdem war er die Liebe meines Lebens – obwohl ich es fast zu spät erkannt hätte“, schloss sie mit weicher Stimme.

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ENDE
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