Behind the curtain

 

 

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Kapitel 5

 

Während der Zauberkunststunde am nächsten Vormittag fiel es Florence schwer, sich zu konzentrieren. Flitwick hielt einen scheinbar endlosen Vortrag über die weltbewegende Entdeckung, die der berühmte Zauberkoch Alfonsius Schuhwachs während der Zubereitung eines siebengängigen Festmenüs für den Besuch des turkmenischen Zaubereiministers gemacht hatte.

Soweit Florence Flitwick noch folgen konnte, war es ihm gelungen, Eier mit Hilfe eines einfachen Zauberspruchs zu trennen und somit sich selbst und einer ganzer Reihe geplagter Hausfrauen eine ganze Menge Arbeit erspart. In Flitwicks Augen schien es von elementarer Bedeutung zu sein, dass auch sie diesen Spruch erlernten, nicht zuletzt um ihren Müttern bei den diesjährigen Weihnachtsbäckereien effektiv helfen zu können.
Da Florence ohnehin davon überzeugt war, dass ihre Mutter eher die Eier mit der Hand trennen als sie in der Küche werkeln lassen würde, drifteten ihre Gedanken schnell zu anderen, ihrer Meinung nach weitaus wichtigeren Themen.

Wie zum Beispiel Sirius' seltsamen Verhalten am Abend zuvor. Sie hatte ihn noch nie so völlig außer sich gesehen. Natürlich, Sirius war nicht gerade jemand, der viel nachdachte bevor er redete oder handelte, aber seine Drohung, Snape umzubringen hatte sie dann doch erschreckt. Natürlich ließ sich über besagten Slytherin streiten, keine Frage, aber zwischen dem Verstecken von Unterhosen und einem Mord lagen trotzdem Welten.

Plötzlich kam ihr ein Gedanke, der ihr überhaupt nicht gefiel. Konnte es etwa sein, dass Sirius glaubte, sie würde sich ernsthaft für Snape interessieren? Zwar hatte er ihr seit dem gescheiterten Kuss keine erwähnenswerten Avancen mehr gemacht, trotzdem wusste Florence, dass Sirius noch immer in sie verliebt war (oder sich das zumindest einredete). Und nun sah es ganz so aus, als ob er Snape nicht mehr nur als Staatsfeind Nr. 1 sondern auch als Rivalen in Liebesdingen ansah. Sie stöhnte innerlich auf. Männer!

„Miss Potter?“

Oh, Shit!
„Äh... ja?”

“Miss Potter, ich schlage vor, Sie wenden ihre ungeteilte Aufmerksamkeit dem Unterricht zu. Ich habe Sie gerade eben gefragt, wie das Spruchende lauten muss, wenn das Eigelb in die Tasse rechts des Ei's fließen soll.“

„Ähem... Ene-meine-mei-ab-in-die-Tasse-rechts-vom-Ei?“
Die ganze Klasse brach in schallendes Gelächter aus und Florence wurde rot. Offensichtlich war ihr Rateversuch nicht erfolgreich gewesen.

„Leider knapp daneben. Miss Potter, ich bin enttäuscht. Sie scheinen heute nicht ganz bei der Sache zu sein. Um Sie wieder an Ihre Pflichten zu erinnern schlage ich vor, Sie schreiben mir bis morgen ein 60cm langes Essay über den Seperate-Uovus-Zauber.“

Florence senkte den Kopf. „Jawohl, Professor Flitwick.“

***



Den Nachmittag verbrachte sie nicht (wie man es wohl von ihr erwartete) mit dem Schreiben der Strafarbeit sondern mit ziellosem Herumstreifen auf dem Schulgelände. Obwohl sich der November nun schon beinahe dem Ende zuneigte, hatte es noch immer nicht geschneit. Zwar war die Luft eisig, doch die Sonne schien und so wunderte sich auch keiner darüber, als sie nach dem Mittagessen verkündete, dass sie einen kleinen Nachmittagsspaziergang machen würde. Remus hatte sich in seiner besten Sozialarbeiterlaune befunden und sie natürlich begleiten wollen, doch sie hatte ihn davon überzeugen können, dass sie vor allem für einen Moment allein sein wollte. Glücklicherweise hatte sich dieses Gespräch während des Essens ereignet, so dass sowohl Sirius als auch Lily und damit alle möglichen Störfaktoren ausgeschaltet waren.

Als sie dann endlich allein war, eingewickelt in einen dicken Wintermantel und mit ihrem Gryffindorschal um den Hals, wandte sie sich zunächst Richtung See. Sie hatte nicht gelogen, als sie gesagt hatte, dass sie ein wenig Zeit für sich selbst brauchte. Natürlich, die Gesellschaft ihrer Klassenkameraden oder die der Marauders war zwar sehr unterhaltsam, wenn man allerdings Nachdenken musste, erschien sie einem eher als störend.
Leider traf das auch auf den Kraken im See zu, der heute wohl einen besonders lebensfreudigen Tag zu haben schien. Er platschte und planschte was das Zeug hielt und Florence beschloss schon bald, dass die Geräusche, die er dabei machte, ihrer Konzentrationsfähigkeit nicht unbedingt zuträglich waren.
Aus diesem Grund wandte sie sich auch schon nach wenigen Minuten wieder ab und wanderte, wie sie es schon einmal getan hatte, ein Stück an der Schlossmauer entlang.

Im Grunde, dachte sie, hatte Sirius nicht einmal so Unrecht wenn er glaubte, dass sie sich für Snape interessierte. Nur eben nicht so, wie er es sich in seinem kleinen, begriffsstutzigen Männerhirn vorstellte. Wobei man sich bei Sirius fragen musste, ob er sein Gehirn überhaupt zum Denken anstrengte und sich dabei nicht auf andere Körperteile verließ...
Oh ja, er war berechenbar. Berechenbar bis ins letzte Detail. Das war wohl auch der Grund, warum sie ihn nicht als Freund im engeren Sinne des Wortes haben wollte. Er barg einfach keine Überraschungen mehr. Für manchen, wie zum Beispiel Lily, musste diese Einfachheit des Charakters durchaus einen Reiz darstellen, Florence jedoch sah sie als einen Quell endloser Langeweile.

Severus Snape hingegen war das genaue Gegenteil von Sirius. Je mehr man sich mit ihm beschäftigte, desto mysteriöser wurde er, desto mehr Rätsel gab er einem auf. Nicht dass sie gerne mit ihm befreundet gewesen wäre - weder im einen noch im anderen Sinn des Wortes - das tat der Tatsache, dass sie ihn im Moment einfach interessant fand keinen Abbruch. Die anderen mochten über ihn lästern, ihn fürchten, ihm Streiche spielen, was auch immer - sie kümmerte sich nicht darum. Was sie am meisten beschäftigte war die Frage, ob Snape wirklich der ekelhafte Bastard war, für den ihn alle zu halten schienen. Sie wusste nicht mehr, wann sie begonnen hatte, sein Image in Frage zu stellen aber es war wohl bereits damals im Kreuzgang gewesen, als sie ihn hatte auf das Foto starren sehen. Was, welche Ereignisse, welche Einflüsse, welche Menschen hatten einen derartig düsteren, sarkastischen und doch so verletzbaren Charakter aus ihm gemacht? Man musste kein Hellseher sein, um zu erkennen, dass Snape augenscheinlich sehr unglücklich war. Gut, vielleicht brauchte man eine etwas wachere Beobachtungsgabe und einen etwas aufgeschlosseneren Geist als James und Sirius, aber schwierig war es trotzdem nicht.

Soweit sie das beurteilen konnte, war Colin Avery sein einziger wirklicher Freund. Zwar sah man ihn auch häufig mit Evan Rosier, Cedric Wilkes und Julien Lestrange zusammen, als Freunde hätte sie diesen Haufen von Slytherins jedoch nicht bezeichnet. Die Frage war natürlich, ob Snape tatsächlich Wert auf zwischenmenschliche Beziehungen legte. Vielmehr war es wohl so, dass er bemüht war, die anderen so weit wie möglich auf Distanz zu halten.

Das gelang ihm anscheinend auch ganz gut. Wie sie James' Erzählungen entnehmen konnte, hatte sich Snape bereits an dem Tag, an dem er Hogwarts zum ersten Mal betreten hatte mehr Feinde als Freunde gemacht. Seine erste „Amtshandlung“ hatte darin bestanden, dem kleinen Peter Pettigrew noch im Zug ein Ringelschwänzchen und einen Schweinerüssel zu verpassen, des weiteren hatte er Lily als Schlammblut und Remus als Schande für die gesamte Zaubererschaft beschimpft - und das waren nur die Delikte, die die Marauders betrafen. Niemand wusste, wo er diese ganzen Flüche gelernt hatte und es gab auch niemanden, der es gewagt hätte, ihn danach zu fragen. Anscheinend hatte man ihm auch schon mehrmals den Schulverweis angedroht, doch irgendwie war es ihm immer gelungen, sich aus der Affäre zu ziehen

Zwar beschuldigte er die Marauders ständig als Regelbrecher, sie nahm jedoch an, dass er an einem Tag wesentlich mehr Schulregeln brach als James, Sirius, Remus und Peter in einem ganzen Monat. Nur stellte er es eben viel subtiler an, so dass ihm am Ende niemand etwas nachweisen konnte...

Ganz in Gedanken versunken merkte sie gar nicht, wohin ihr Weg sie geführt hatte und ehe sie sich's versah fand sie sich am Kreuzgang wieder. Im Nachhinein war sie sich nicht einmal mehr ganz sicher, ob es reiner Zufall gewesen war oder sie diese Richtung absichtlich eingeschlagen hatte. Wahrscheinlich eher letzteres, wenn auch unbewusst.
So ging sie zum zweiten Mal den alten Pfad entlang, vorbei an dem Wandgemälde mit den beiden Rittern, immer entlang des verwilderten Gartens.
Da überkam sie auf einmal ein seltsames Gefühl. So, als wäre sie nicht allein. Erschrocken sah sie sich nach allen Seiten um. Niemand war zu sehen... Langsam ging sie auf die Stelle zu, an der sich, wie sie bereits wusste, eine Mauernische befand.

„Was machst du denn hier?“
Wie von der Tarantel gestochen drehte sie sich um. Auf dem Mauerstück zwischen den zwei Pfeilern, auf dem sie damals Severus Snape beobachtet hatte saß niemand anderes als Colin Avery.

Florence fühlte sich beinahe erleichtert. Avery war, zumindest in ihren Augen, nicht halb so gefährlich wie Snape. Zumindest schätzte sie ihn nicht so ein. Er war eigentlich ein eher unscheinbarer Typ, nicht groß aber auch nicht klein, nicht besonders dick aber auch nicht besonders schlank mit mittellangen braunen Haaren und einem, wie sie fand, angenehmen Gesicht. Wenn sie darüber nachdachte, hatte sie ihm noch nie besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt, was aber wohl daran lag, dass er in der Gegenwart seines besten Freundes, des dunklen, jedoch überaus charismatischen Severus Snape einfach unterging.

Im Moment schien er allerdings ohne Begleitung zu sein - und leider auch nicht besonders erfreut über ihr plötzliches Auftauchen.

„Ich... äh... ich... bin rein zufällig hier.“

„Du bist nicht zufällig hier. Mindestens einmal bist du bereits hier gewesen und zwar, als du Severus nachspioniert hast. Stimmt doch, oder?“ Seine Stimme war eisig.

„Ich und Snape nachspionieren?“ Florence war entrüstet. „Glaubst du, ich hätte es nötig, einem von euch hinterherzulaufen?“

„Ich nehme an, dein Bruder hat dich geschickt. Ständig auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, uns eins auszuwischen, nicht wahr? Aber dass er nun schon so tief gesunken ist, seine kleine Schwester loszuschicken - das hätte ich nicht einmal von ihm gedacht!“
Sie wollte gerade etwas bissiges erwidern, da fiel ihr plötzlich ein, dass Avery absolut keinen Grund hatte, ihr zu glauben. Wenn sie darüber nachdachte, so war sein Verdacht in Bezug auf James äußerst berechtigt. In diesem Fall zwar eindeutig falsch, aber nicht unberechtigt.

„Avery, hör mir zu. Du hast ja recht, ich war hier. Aber nicht, um irgendwem hinterher zu spionieren. Ich bin einfach spazieren gegangen und dann durch Zufall hier gelandet. Und, na ja, da hab ich eben Snape gesehen. Ich hab mir gedacht, dass er sicher nicht besonders erfreut wäre, mich zu sehen und da hab ich mich eben hinter dem Pfeiler hier versteckt." Sie wies mit der Hand auf eine Säule nur wenige Meter von ihnen entfernt. „Er hat da gesessen, wo du jetzt sitzt. Ich nehme an, ihr kommt öfters hierher?“

„In der Tat. Das hier war bis vor kurzem ein sicherer Ort, wenn man vermeiden wollte, von nervigen, kleinen Gryffindors wie dir gestört zu werden.“

„Tut mir leid...“ Mit einem Mal war Florence ungewöhnlich kleinlaut. Er hatte ja Recht. Sie hatte hier nichts zu suchen.

„Es tut dir leid?“ Avery schien überrascht.

„Ja, ich meine, ich wollte das alles nicht. Auch neulich auf der Krankenstation... das war dumm von mir...“

„Ja, das war es.“ Er sah sie ernst an. „Aber du wusstest es wohl nicht besser.“

„Wie geht es... Snape?“ Irgendwie brachte sie es nicht fertig, mit seinem Vornamen von ihm zu sprechen.

Avery seufzte. „Er ist wieder okay... fürs erste...“

„Heißt das, er hat das öfters? Ich meine, diese komischen Anfälle...“

Der Junge kniff die Lippen fest zusammen und wandte den Blick ab. Florence schätzte, dass er sich nicht ganz sicher war, wie viel er ihr anvertrauen konnte.

„Ich weiß nicht“, begann er schließlich auch, „ob er will, dass es irgendjemand weiß... und schon gar keine Potter!“
Es war keine Beleidigung, einfach nur eine simple Feststellung.

„Kannst du nicht für einen Moment vergessen, wer ich bin - wer mein Bruder ist?“

Auf einmal schien er ganz verlegen zu sein. „Hör mal, es tut mir leid. Es ist nur... so schwer, einen Unterschied zwischen EUCH zu machen...“

„Wenn du mit UNS die Gryffindors als Gesamtheit meinst, dann kann ich dich beruhigen. UNS geht es mit EUCH Slytherins nicht anders.“

„Das Schlimmste mit Severus Krankheit ist wohl“, begann Avery plötzlich ohne jeden Zusammenhang, „dass niemand so genau sagen kann, was er eigentlich hat.“

„Für mich sah es ein bisschen aus wie eine Erkältung“, erwiderte Florence nachdenklich.

Colin nickte, fügt aber schnell hinzu: „Das Problem dabei ist nur, dass es ständig wiederkommt. Und das schon, seit ich ihn kenne, also seit er hier in Hogwarts ist. Ich weiß nicht, wie es vorher war, aber ich denke nicht, dass sich in dieser Beziehung viel verändert hat. Er spricht nicht wirklich viel darüber. Nur einmal erzählte er mir, dass er als kleines Kind sehr krank gewesen wäre und seitdem von Zeit zu Zeit diese Husten- und Fieberanfälle hat.“

„Mehr nicht?“

Avery schüttelte den Kopf. „Weißt du, eigentlich spricht er fast nie über sich.“

„Nicht einmal mit dir?“

„Nein...“ Er wirkte traurig, während er das sagte, so, als täte es ihm weh, darüber zu sprechen.

„Aber... ich dachte immer, du wärst sein bester Freund...“

„Ich weiß nicht, ob ihr Gryffindors...“

„Bitte, fang nicht wieder damit an!“

Verdammt, warum mussten diese Slytherins nur immer so kompliziert sein? Kaum hielt man einen von ihnen für etwas zugänglicher, schon bekam man wieder einen Faustschlag ins Gesicht versetzt.

„Also gut. Ich weiß nicht, ob du das verstehen kannst, aber ich denke, es gibt Dinge, die so weh tun, dass es mehr als einen besten Freund braucht, um den Mut zu finden, sie laut auszusprechen.“

Florence machte ein nachdenkliches Gesicht. Dieser Avery hatte sie überrascht - und zwar gründlich. Er schien ziemlich intelligent zu sein und sich wirklich etwas aus seinem Freund zu machen. Und das, obwohl es sicher nicht einfach war, mit Snape befreundet zu sein. Außerdem war er auch nett zu ihr gewesen, hatte freiwillig mit ihr gesprochen, ohne dass sie ihm einen triftigen Grund gegeben hatte, aus dem er ihr hätte vertrauen sollen.

Inzwischen schien ihm dieser Gedanke jedoch ebenfalls gekommen zu sein, denn er sagte: „Hör mal... ich hätte dir das alles nicht erzählen dürfen. Keine Ahnung, warum ich's trotzdem getan habe. Rückgängig machen kann ich es nun ja nicht mehr, von daher wäre ich dir...äh... dankbar, wenn du das, was in diesem Gespräch gesagt wurde für dich behalten könntest.“

Nach den richtigen Worten suchend zögerte sie für eine Weile, dann lachte sie plötzlich.

„Was gibt's denn da zu lachen?“

„Weißt du, ich bin froh, dass du mir ganz offiziell verboten hast, irgendwas von dieser ganzen Geschichte weiterzuerzählen?“

„Warum das?“

„Weil ich somit gar nicht erst in die Verlegenheit kommen kann, meinem Bruder beibringen zu müssen, dass seine Theorie bezüglich Snapes...ähem... etwas kränklicher Hautfarbe nicht ganz der Wahrheit entspricht. Weißt du, es hätte ihn sicher furchtbar desillusioniert zu erfahren, dass charakterliche Merkmale sich nicht unbedingt auf das Äußere niederschlagen.“

„Seltsam...“

„Wieso?“

„Na weil er das eigentlich schon längst wissen müsste. Oder wie sonst kannst du dir erklären, dass unser verehrter Freund Black sich noch nicht in ein Rindvieh verwandelt hat?“

 

  Kapitel 4

 

 

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