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Kapitel 15: Niemals wirklich so wie Du denkst

 



Hermine hatte einen sehr merkwürdigen Gesichtsausdruck, den Harry auch nur bei sehr wenigen Gelegenheiten überhaupt gesehen hatte - wenn sie gegen Ron beim Zauberschach verlor; wenn sie es nicht schaffte, ihren Besen dazu zu bringen zu tun was sie wollte; wenn sie etwas mehr als einmal durchlesen mußte, um einen Zauberspruch, Rezept oder eine Theorie zu begreifen. Sie schien von dem was sie gehört hatte wie vor den Kopf gestoßen zu sein und gleichzeitig schien sie noch damit zu kämpfen zu begreifen, auf welches Konzept sich diese Rede überhaupt stützte, das Glaubenssystem, das ihre Motivation war.
Harry war schon von der puren Idee schlichtweg geschockt, daß Muggel selbstverständlicher Weise den Zauberern unterlegen waren. Zugegeben, ihnen fehlte das magische Talent und viele von ihnen, bedauerlicher Weise die meisten die er kannte, waren richtiggehende und unverbesserliche Bastarde. Auf der anderen Seite schafften sie es ziemlich gut ohne Magie auszukommen, ihr fehlendes Können durch ein lebhaftes Interesse an den Naturwissenschaften und der Technologie wieder wettmachend in einer Weise, wie es ein Zauberer sich niemals auch nur erhoffen könnte. Sie lebten eigentlich ziemlich bequem - zumindest die, die das nötige Kleingeld dazu hatten. Und wenn er genau darüber nachdachte, dann kannte er mindestens so viele Zauberer die in die Kategorie unverbesserlicher Bastard gehörten, wie Muggel.


Schüler schlenderten gemächlich aus der Großen Halle und hinaus in den hellen Sonnenschein, was nur heißen konnte, das es sich um ein Wochenende handelte, hier in Hogwarts, der Schule für Zauberei und Hexerei. An einem normalen Schultag wäre dem Mittagessen die eiligen Schritte Hunderter von Schülern gefolgt, die in ihre Klassenräume und zu der folgenden Unterrichtsstunde hasteten.
Auf der linken Seite des Raumes, am entfernten Ende des Slytherintisches , saß ein dunkelhaariger Junge und beobachtete die anderen. Eine Gruppe älterer Schüler hatte gerade die große Tür erreicht, und ein Mädchen mit honigfarbenem Haar, die dicht neben ihrem Anführer herging, drehte sich um und winkte der einsamen, kleinen Figur zu.
"Severus, komm schon! Ich verspreche dir, du wirst nicht in der Sonne schmelzen und auch nicht zu einem Häufchen Staub zerfallen."
Sie schenkte ihm ein weites, strahlendes Lächeln, das er halbherzig erwiderte während er den Kopf schüttelte. Er richtete seine Augen wieder auf das Stückchen Pergament vor ihm und als das Mädchen ihm einen letzten nachdenklichen Blick zuwarf, nahm er wieder seine Feder zur Hand und schrieb weiter an seinem Brief.
Ich habe wirklich alle Hände voll zu tun, um Lucius und den anderen mit ihren UTZ´s zu helfen und dann habe ich ja immer noch meinen ganzen Stapel eigener Hausaufgaben, den ich erledigen muß. Professor McGonagall verlangt ständig, fast nach jeder Stunde, einen sechs Zoll langen Aufsatz von uns und Professor Flittwick sagt, ich soll mehr an der Eleganz meiner Zauberstabbewegungen arbeiten.
Er stützte seinen Kopf auf seine linke Hand auf und drehte die Feder in seiner rechten. Als er seinen Blick durch die Halle streifen ließ registrierte er, dass nur noch ein paar weitere Schüler sich dazu entschlossen hatten, ebenfalls drinnen zu bleiben. Vier Jungen am Tisch der Gryffindors weckten sein besonderes Interesse.
Lupin hatte seinen Kopf auf seine vor ihm auf dem Tisch verschränkten Arme gelegt, seine Nase berührte fast die Tischplatte, während der Junge, der neben ihm hockte, James Potter, ihn eindringlich und mit Sorge im Gesicht intensiv musterte. Auf Lupins anderer Seite stand Sirius Black, ihm den Finger im fünf-Sekunden-Rhythmus in die Schulter bohrend und ununterbrochen auf ihn einredend. Noch ein anderer Junge stand dort, halb verborgen hinter Lupin und Black. Er war klein, pummelig und eindeutig kleiner als die anderen drei, vielleicht genauso groß wie Snape. Er hatte aschblondes Haar, wässrige, farblose Augen, die ununterbrochen zwischen Black und Potter hin- und herhuschend, als würde er ein äußerst interessantes Tennisspiel ansehen. Ab und zu kicherte er und nickte heftig mit dem Kopf.


Peter Pettigrew, dachte Harry als er fühlte, wie sein Magen sich verkrampfte und ihm die Magensäure in der Kehle brannte. Der Verräter, der für den Tod seiner Eltern verantwortlich war. Das kleine dreckige Wiesel, das seine besten Freunde verraten hatte um den Schutz und die Gnade Voldemorts zu erlangen und das noch immer verzweifelt versuchte, auf der Seite des Stärkeren zu sein. Harry war sich nicht sicher, ob es an dem lag, was er bereits über den Mann wußte oder ob es allein der Anblick dieses übergewichtigen, charakterlosen Jungen war, der ihm diese Übelkeit verursachte.

Am Tisch hatte Lupin genau die gleiche Position eingenommen, wie sein vergangenes Selbst, seine Arme fest ineinander verschränkt und auf dem Tisch liegend. Nur, daß sein Gesicht in den Falten seines Umhanges verborgen lag, seine Miene vor der kleinen Welt des Grimmauldplatzes verborgen. Tonks streichelte ihm den Rücken. Er bewegte sich nicht und sagte auch kein Wort.


Der junge Snape hatte angefangen, seine Sachen zusammenzupacken, das Pergament sorgfältig zusammenrollend und es vorsichtig unter seiner Robe verstauend. Er beäugte die Gryffindors noch immer vorsichtig, bedacht darauf, nicht ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. James ergriff Sirius am Arm und zog ihn von dem blassen Lupin weg, der noch immer auf den nur zu Hälfte geleerten Teller vor sich starrte. Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen. Seine Fingernägel waren schmutzig und auf seinen Handrücken waren Kratzspuren zu sehen.
Snape wartete, bis Potter und Black verschwunden waren, unvermeidlich von einem aufgeregt hüpfenden Pettigrew gefolgt, ehe er seinen Weg am Gryffindortisch und seinem letzten verbliebenen Schüler vorbei fortsetzte. Er war gerade an dem anderen Jungen vorbei gegangen, bedacht darauf, ihm nicht in die Augen zu sehen, als er unvermittelt stehen blieb, seinen Kopf leicht schräg gelegt und fragte:
"Ist alles in Ordnung mit dir?"
Lupin versetzte ihm einen mißtrauischen Blick, ehe er blaffte:
"Warum sollte dich das etwas angehen?"
Snape öffnete seinen Mund und schloß ihn dann wieder, den anderen anstarrend. Letztendlich schob Lupin seinen Teller zur Seite, schwang seine Beine über die Bank und stürmte aus der Großen Halle.
"Manchmal müssen Menschen halt einfach in Ruhe gelassen werden."
Der Junge drehte sich herum um zu sehen, daß Albus Dumbledore hinter ihm stand, seine blauen Augen zwinkerten ihm zu und ein Lächeln lag auf seinem faltigen Gesicht.
"Ich dachte nur... er sieht aus... er braucht vielleicht Hilfe", stammelte Snape nervös, während er versuchte, dem Blick des Schulleiters auszuweichen.
"Er hat jede Hilfe, die er braucht", erklärte ihm Dumbledore und begann ihn sanft Richtung Tür und nach draußen ins Sonnenlicht zu schieben. "Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Mr. Snape. Du weißt doch, Gryffindors sind immer füreinander da."
"Die Slytherins auch", antwortete der Junge sich verteidigend und mit eines Spur verletzten Stolzes in der Stimme. Dieses Mal wagte er es, dem alten Zauberer direkt in die Augen zu sehen, der ein wenig zusammenzuckte, ehe er seinen üblichen, nachsichtig lächelnden Ausdruck wieder erlangte.
"Ja, davon habe ich gehört." Er nickte leicht. "Warum gehst du dann nicht auf die Suche nach deinen Slytherin-Mitschülern, Kind? Ein wenig Sonne würde dir gut tun, du bist viel zu blaß. Ich möchte ja nicht, daß deine Eltern denken, daß wir uns hier in Hogwarts nicht vernünftig um dich kümmern."
Damit ließ er den Jungen in der Tür stehen und schritt ehrwürdig in Richtung seines Büros davon. Snape starrte ihm voller Verwirrung, aber auch leichtem Ärger nach.
"Ich kann für mich selbst entscheiden, was ich mache, vielen Dank auch", murmelte er vor sich hin, als er sich herum drehte und in Richtung Eulerei lief.

Während des Abendessens, teilte Snape seine Aufmerksamkeit zwischen dem Schulleiter am Lehrertisch und Remus Lupin, der zwischen seinen Gryffindor-Kameraden saß auf, konsequent seine Pellkartoffel und den Hackfleischauflauf ignorierend, so weit, daß es Crabbe´s Neugier weckte.
"Wartest du darauf, dass etwas bestimmtes passiert?" erkundigte er sich mit gedämpfter Stimme bei dem jüngeren Slytherin. "Hast du irgendeinen Streich gespielt und wartest nun darauf, was dabei rauskommt?" Er blickte aufgeregt drein, was für sein Aussehen nicht gerade von Vorteil war. Snape sah hastig vom Gryffindortisch weg, offenbar erschrocken darüber, dass sein Verhalten Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.
"Nein, ich habe nur... über etwas nachgedacht. Es ist wirklich nichts", antwortete er, wobei er versuchte zumindest den Eindruck zu erwecken, als würde ihn sein Essen interessieren.
Crabbe zuckte mit den Schultern und kehrte wieder zu der Diskussion über ihr letztes Quidditchspiel gegen Hufflepuff zurück, die er mit Avery gehabt hatte. Lucius Malfoy sah seinen jüngeren Freund nicht an, als er ihm leise mitteilte:
"Es ist offensichtlich nicht NICHTS. Du hast den ganzen Abend rüber zu den Gryffindors gestarrt. Haben sie dich wieder geärgert? Dich verhext?"
Er wendete sein Gesicht Snape zu. "Du weißt, du mußt es mir nur sagen und ich werde dafür sorgen, daß sie dafür bezahlen werden."
Der jüngere Knabe lächelte ihn dankbar an. Er legte seine Gabel nieder und schob den Teller zur Seite, ehe er sich verschwörerisch zu Lucius herüber beugte.
"Nein, es hat nichts mit mir zu tun. Siehst du den Jungen da drüben? Den neben Potter?"
Lucius sah rasch auf und nickte dann.
"Ich glaube, irgendwas komisches ist mit dem los. Heute nach dem Mittagessen haben sie ihn wegen etwas genervt, besonders Black und er sieht auch wirklich krank aus. Er ist vollkommen bleich und auf seinem Handrücken sind lauter Kratzer."
Lucius schenkte ihm einen kalten Blick.
"Und warum genau interessiert dich das?"
"Weil mir Dumbledore gesagt hat, ich solle mich da raus halten."
Für eine Weile starrten sich die beiden Slytherins nur an, ehe ein Lächeln über Lucius´ hübsches Gesicht huschte.
"Vielleicht bist du da wirklich auf etwas gestoßen, Adlernase. Dumbledore würde alles dafür tun, um seine geliebten Gryffindors zu beschützen. Wer weiß schon, was er da so zu verheimlichen sucht?"
Zusammen mit ihren anderen Hauskumpanen standen sie auf und verließen die Große Halle. Schnell, ehe Narzissa es geschafft hatte, sich einen Weg durch die Menge zu ihnen zu bahnen, flüsterte Lucius: "Schau, die UTZ´s sind im Anflug und ich habe keine Zeit, um dir zu helfen, aber ich würde es klasse finden, wenn ich wüßte, was da vor sich geht. Also, wenn du etwas herausfindest, dann laß es mich wissen, in Ordnung?"
Snape nickte. In diesem Moment hatte Narzissa sie eingeholt, ihren Arm um Lucius´ Taille windend und voller Zuneigung mit ihrer freien Hand durch das Haar des jüngeren struwwelnd.
"Nun, Jungs, bereit für eine weitere Wiederholungssitzung? So langsam habe ich das Gefühl, ich könnte es packen."
"Severus kann sich heute nicht zu uns gesellen, Cissa", teilte ihr Lucius mit und lächelte Snape selbstgefällig an. "Er muß sich noch um ein paar Sachen kümmern."


Harry entspannte sich ein wenig. Ja, das war besser. Das war der Snape, den er kannte, ständig seine übergroße Nase in anderer Leute Angelegenheiten steckend. Und aus welchem Grund? Nicht weil es ihn wirklich interessierte oder er Mitleid hatte. Nur weil Dumbledore ihm gesagt hatte, es nicht zu tun, nur um Ärger zu machen, nur um etwas zu finden, das er gegen die Gryffindors verwenden konnte.
Aber dann wiederum - warum war er dann überhaupt stehen geblieben und hatte Lupin gefragt, ob alles mit ihm in Ordnung war?


Die Ränge um das Quidditchfeld herum waren allesamt leer, abgesehen von ein paar Zuschauern hier und da. Einzelne Spieler aus allen vier Teams schwirrten über den nachmittäglichen Himmel, manche um ihre Besenmanöver zu verfeinern, andere waren eher auf Geschwindigkeit bedacht. Es gab erstaunlich wenig Wettbewerbe untereinander. Jeder schien mit sich selbst im Reinen zu sein.
Snape bewegte sich langsam von den obersten Reihen hinunter, wo Lupin ganz allein saß und James Potter und Sirius Black zusah, wie sie sich mit halsbrecherischer Geschwindigkeit gegenseitig jagten. Der junge Slytherin holte tief Luft, als würde er sich an sich selbst festklammern und kletterte neben seinem Gryffindor-Mitschüler auf die Bank. Er vermied es sorgsam, den anderen direkt anzusehen, sondern tat so als wäre er völlig von den chaotischen Aktivitäten ein paar Meter über ihren Köpfen in Anspruch genommen.
"Seid wann interessierst du dich für Quidditch?" keifte ihn Lupin an. Er begann langsam von dem anderen Jungen wegzurücken, bei jeder Bewegung etwas zusammenzuckend.
"Du scheinst ja ganz genau zu wissen, wofür ich mich interessiere", entgegnete ihm der kleinere Junge langsam und sah den anderen ohne die Spur eines Lächelns an. "Aber wenn du es unbedingt wissen muß - Ich bin nicht hergekommen um arroganten Arschlöchern beim Angeben zuzusehen. Ich habe nach dir gesucht, weil ich dir das hier geben wollte."
Er hielt ein kleines Glas mit einer leicht schimmernden, blauen Flüssigkeit hoch. Lupin machte keinerlei Anstalten es zu nehmen.
"Wofür soll das sein?"
Snape hielt ihm noch immer das Glas hin, seine Hand zitterte nicht ein bißchen und seine Augen waren fest auf den anderen gerichtet.
"Es ist ein Zaubertrank, der dafür sorgt, daß die Kratzer da um einiges schneller verschwinden, als mit dem Zeug, was sie dir auf der Krankenstation verpassen. Mein Vater hat das Rezept ausgearbeitet. Es hilft, glaube mir."
Er wagte es, sein Lächeln etwas zu vertiefen und stellte das Glas auf die Bank zwischen sich und dem Gryffindor.
"Woher weiß ich, daß mich das Zeug nicht in eine Kröte oder sonst was verwandelt?"
Mißtrauisch schaute Lupin das Glas an und begann an den Verkrustungen seiner Hand herum zu pulen.
"Wir haben dir in den letzten zwei Jahren so viele Streiche gespielt, wie kann ich da sicher sein, daß dies nicht so etwas wie ein Racheakt ist?"
Snape zuckte mit den Schultern.
"Das kannst du wohl nicht wirklich. Aber dann, denk mal nach, würde ich es dir so offen geben, wenn das alles hier ein gemeiner Scherz wäre? Das ist nicht die Art eines Slytherin und das weißt du auch. Außerdem", setzte er hinzu, zu Black und Potter aufblickend, die noch immer hoch über ihren Köpfen ihre Kreise drehten, "warst es nicht du, der mich ständig verhext hat, damit ich hinfalle oder etwas fallen lasse. Du hast nie auch nur deine Hand erhoben."
Da war ein undefinierbarer Unterton in seiner Stimme, nicht wirklich eine Drohung, aber sehr nahe an einer Herausforderung, Lupin entschied sich gegen diese Herausforderung. Er nahm lediglich das Glas, verstaute es vorsichtig in seiner abgetragenen Robe und wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinen fliegenden Freunden zu.
"Vielleicht bin ich ja nicht der einzige, dem diese beiden Streiche spielen."
Snape hatte dies sehr ruhig gesagt. Es war nicht einmal eine Frage gewesen. Lupin war augenblicklich auf die Füße gesprungen und schnappte sich den kleineren Jungen beim Kragen. Er brachte das blasse Gesicht mit der viel zu markanten Nase nahe an sein ebenso bleiches Gesicht und flüsterte ihm mit tödlicher Stimme zu:
"Das sind meine Freunde und sie würden für mich durchs Feuer gehen. Vielleicht ist dir das Grundprinzip der Freundschaft nicht vertraut. Alles was du die ganze Zeit machst, ist, Lucius Malfoy und seiner Bande die Stiefel abzulecken. Was willst du tun, wenn sie am Ende des Jahres die Schule verlassen? Ist das der Grund, warum du in der letzten Zeit versucht hast nett zu mir zu sein? Weil die anderen weggehen und du, sobald sie nicht mehr da sind, den anderen Slytherins völlig egal bist? Das kannst du vergessen, denn mit einem wie dir möchte ich nicht befreundet sein."
Snapes Lippen hatten sich auf höchst häßliche Weise verzogen und er versuchte gegen die Tränen zu kämpfen, die in seine Augen traten - entweder, weil es ihn getroffen hatte, oder weil er wütend war. Er stieß den größeren Jungen hart gegen den Brustkorb und dieser stolperte über die Bank. Lupin fiel rittlings und schlug sich den Kopf an der Bank in der nächsten Reihe an. Das Glas in seiner Tasche zerschellte und die Flüssigkeit durchtränkte die eine Seite seines Umhanges. Gerade als Snape dabei war, die Leiter hinunter auf den Boden herabzuklettern, der Blick noch immer von Tränen getrübt, ergriff ihn plötzlich jemand von hinten. Er spürte, wie ihn jemand hoch in die Lüfte trug und hörte die vor Haß verzerrte Stimme von Sirius Black:
"Ich weiß nicht, was du mit ihm gemacht hast, aber ich bin mir sicher, daß du ihm weh tun wolltest. Also, hier hast du es."
Plötzlich löste sich der ihn haltende Griff und er fiel in Richtung der Wiese unter ihm. Offenbar war er nicht zu weit oben in der Luft gewesen, denn das unangenehme Geräusch des Aufpralls von Fleisch auf harter Erde kam recht bald. Er verzog das Gesicht und zog seinen rechten Arm an seinen Körper. Dem unnatürlichen Winkel nach zu urteilen, in dem die Hand nun an seinem Handgelenk hing, war sie gebrochen. Auf der Empore über ihm landete Black gerade bei seinen beiden Freunden. James saß neben Remus, der ihm offenbar gerade die ganze Geschichte erzählte. Der verletzte Slytherin wartete nicht auf den Ausgang, sondern begann so schnell es ihm möglich war, in Richtung Schloß zu humpeln.


Tonks hatte aufgehört, Lupins Rücken zu streicheln und sah ihn nun mit einem befremdeten Ausdruck an. Noch immer rührte er sich nicht und sah auch nicht auf, was auch immer die Leute um ihn herum ihm zuflüsterten, ihm berichtend, dass er nichts schlimmeres getan hatte, als sich kindisch zu benehmen.
Nur, dass es viel mehr als das war, zumindest für Harry. Ein einziges Mal in seinem Leben war Lupin für etwas eingetreten und Harry war stolz auf ihn, daß es für seine Freunde gewesen war. Aber warum mit so viel gehässiger Inbrunst? Mit so viel übermäßiger Aggressivität? Vielleicht war er mal wieder kurz davor sich zu verwandeln, überlegte sich Harry, verzweifelt nach irgendeiner Erklärung suchend. In den vorangegangenen Erinnerungen hatte er nicht den Eindruck gewonnen, daß Lupin den Haß seines Vaters und Paten auf Snape teilte. Er hatte sich dem anderen eher gleichgültig verhalten. Dies hier kam völlig überraschend.
An die Wand gelehnt, zwischen dem sehr stillen Bill Weasley und Mad Eye Moody, richtete sich Snape etwas auf, seine Augen hatte er noch immer geschlossen.


Ein dunkelhaariger Junge ging langsam durch die Eingangshalle, an der Tür zur Großen Halle vorbei und herüber zur Treppe, die hinauf zum Krankenflügel führte. Da war ein leicht schmuddeliger, ehemals weißer Gipsverband an seinem Arm, aber er humpelte nicht mehr. Hinter ihm öffnete sich die Tür zur Großen Halle und Narzissa Black kam heraus, einen stöhnenden Lucius Malfoy hinter sich herziehend.
"Narzissa, bitte gönne mir doch einen freien Abend. Wenn ich auch noch ein einziges Mal mit dir diese Koboldschlachten durchnehmen muß, dann kann ich mir vermutlich die Augen herausreißen. Oder dich umbringen", fügte er nach einer kurzen nachdenklichen Pause hinzu. Snape der am ersten Treppenabsatz inne gehalten hatte, lächelte.
"Hier, da ist unser Großhirn! Severus, dir macht es doch sicherlich nichts aus, Narzissa dabei zuzuhören, wie sie Namen, Daten und Orte runter rattert und sie ab und zu zu korrigieren, wenn sie einen Fehler macht, oder?"
Der Jugendliche grinste hoffnungsvoll und wich elegant einem Hieb aus, der seiner Schulter gewidmet gewesen war. Snape lachte in sich hinein und nickte dann den beiden zu.
"Sicher. Ich muß nur erst diesen dämlichen Gips loswerden. In einer halben Stunde bin ich bei euch."
"Danke, Adlernase, du rettest mir das Leben", bedankte sich Lucius und schnappte sich beide Arme Narzissas, um sie daran zu hindern, ihn zu piesacken. "Übrigens, mit ihr zusammen den Stoff von Professor Binns durchzugehen, ist viel weniger gefährlich als deinen Besen zu reiten. Du schläfst vielleicht ein und fällst vom Stuhl, aber da kannst du dir nicht deine Hand SO brechen. Besonders nicht an drei verschiedenen Stellen."
Der Junge zwang sich zu einem Lächeln und schritt dann weiter in Richtung Krankenflügel. Als er hereinkam war Madam Pomfrey ziemlich beschäftigt damit, einen Jungen in einem der hintersten Betten zu versorgen. Er hatte keine Möglichkeit zu erkennen, um wen es sich handelte.
"Mr. Snape!" rief Madam Pomfrey aus, als sie ihn sah. "Ich hätte dich schon fast vergessen. Komm rasch hier herüber."
Sie ergriff ihn um die Taille und hob seinen schmächtigen Körper auf das am nächsten stehende Bett, seinen ärgerlichen Blick ignorierend. Sie begann mehrere Gläser zusammen zu suchen und sie auf dem Nachtschrank neben ihm aufzubauen. Ein paar Bewegungen mit dem Zauberstab und der Verband war ab, verschrumpelte Haut entblößend, ebenso wie einen häßlichen, dunklen Bluterguß. Die Krankenschwester schmierte ihm zwei verschiedene Salben auf die beschädigte Stelle, flößte dem Jungen eine große Menge glitzernden, blauen Zaubertrankes ein und klopfte ihm dann sanft auf den Rücken.
"Da, bitte schön, junger Mann. So gut wie neu. Ich sollte mich wirklich bei deinem Vater für dieses Rezept bedanken."
Sie realisierte den geschockten Ausdruck auf seinem Gesicht, sobald sie die Worte ausgesprochen hatte und zog ihn in eine kurze, aber fest Umarmung, die dazu führte, dass der verärgerte Ausdruck auf seinem Gesicht sich noch vertiefte.
"Mach dir keine Gedanken, ich werde ihm nicht schreiben. Und ich möchte auch nicht wirklich wissen, was ihn dazu veranlaßt hat, diesen Trank überhaupt zu entwickeln."
Standhaft wich er ihren Blicken aus und tat sein bestes, um sich langsam aus ihrer Reichweite zu manövrieren, so daß sie ihn nicht noch einmal an sich ziehen konnte. Sie lächelte ihn voll Zuneigung an, aber ihre Augen waren voller Sorge.
"Es tut mir leid, daß ich heute nicht mehr Zeit für dich habe, Severus. Ich bin wirklich in Eile. Aber wie wäre es, wenn du am Samstag auf einen Tee und ein paar Kekse hereinschaust? Wir haben uns schon lange nicht mehr miteinander unterhalten und du mußt mich noch über die neusten Entdeckungen in deinem Zaubertrankprojekt auf dem Laufenden halten."
Damit ging sie wieder auf den Jungen in dem anderen Bett zu. Snape hastete aus der Krankenstation, so schnell ihn seine dünnen Beine tragen konnten.
Als er die Eingangshalle erneut durchquerte und auch die Tür zur Großem Halle, trat plötzlich Sirius Black aus dem Schatten und ihm in den Weg. Der Junge aus Slytherin wollte nach seinem Zauberstab greifen, aber er war Rechtshänder und so waren seine Bewegungen wegen der Verletzung langsamer als sonst, dank des Übungsmangels. Black zog nicht seinen Zauberstab, sondern schnappte sich die Hand des anderen, sie fest um das noch immer geschwollenen Gelenk schließend. Snape atmete scharf ein, als ihm ein erneuter Schmerz durch das gerade geheilte Körperglied schoß; er hörte auf sich zu wehren und sah zu Black hinauf.
"Wie ich sehe ist der Gips ab. Armer Schniefelus, jetzt hast du keine Entschuldigung mehr, dich nicht zu duschen."
Snape sah den größeren Jungen wütend an, es nicht wagend, ihm eine patzige Erwiderung zu geben, nicht solange der andere immer noch seinem Hand in seiner Gewalt hatte.
"Weißt du, ich dachte mir wo du doch so eifrig darum bemüht warst herauszufinden, woher die Kratzspuren auf Remus´ Händen kommen, daß du dich heute nacht vielleicht zu uns gesellen möchtest? Wir treffen uns alle, James, Peter und ich, mit unserem Freund Remus, um ein bißchen Spaß zu haben. Willst du mitmachen? Natürlich müßtest du mutig genug sein, um dich nah an die Peitschende Weide heran zu trauen, den Knoten im Stamm mit einem langen Stock zu berühren und dem Weg zu folgen, den du dann zu sehen bekommst. Also denke ich, dass wir dich wohl später heute Abend nicht zu sehen bekommen."
Lässig ließ er das Snapes Handgelenk los und stolzierte, ohne noch einmal über seine Schulter zu blicken, davon. Snape atmete schwer und hielt sich seine Hand, als er sich auf den Weg runter in den Kerker machte.


 

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