Amerikanischer Besuch

 

 

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Kapitel 1


"Sev!" Konzentriert strich Severus Snape mit der Feder erneut über das vor ihm auf einer Unterlage aus Büchern liegende Pergament, begutachtete sein Werk kurz mit leicht zusammengekniffenen Augen, um schließlich mit einer vorsichtigen Bewegung die Schattierungen des Gefieders zu verdeutlichen, ohne sich von dem langen, schwarzen Haar beirren zu lassen, das ihm wie üblich in fettigen Strähnen ins Gesicht hing.

"Hey, Sev. Wenn du deine edle Hakennase noch tiefer übers Papier hältst, kannst du auch gleich damit schreiben." Er spürte, wie die Person, die noch immer vergeblich auf eine Begrüßung wartete, sich direkt neben ihm im hohen Gras niederlegte. Spürte die vertraute Wärme des schmalen Körpers seines besten, seines einzigen Freundes an dem seinen. All dies wahrnehmend vollendete Severus mit ruhiger Hand sein Bild, beobachtete voller Hingabe, wie seine eigenen blassen, knöcherigen Finger die schwarze geschwungene Feder über das glatte Papier führten. Er liebte es, gleichsam aus dem Nichts Dinge zu erschaffen, zum Leben zu erwecken.

"Zeig mal her." Ohne um Erlaubnis zu bitten, umfaßten schmale Hände das Pergament und zogen es aus Severus` Sichtfeld. Er ließ es geschehen, folgte mit seinem Blick dem Bild, ließ ihn an den Händen bis zu den freundlichen Augen Sirius Blacks weiter wandern, wo er schließlich verweilte. An diesen grauen Augen, elegant umrahmt von dunklem Haar, die voller Leben funkelten und die Zeichnung gleichsam zu verschlingen schienen.

"Ist es fertig?", fragte Sirius, und fuhr, nach einem Nicken seitens Severus`, mit einem schelmischen Grinsen fort: "Du weißt, daß er weiß ist, oder? Ich meine nur, sind sie nicht eigentlich-..."

"Ja, ich weiß.", antwortete Severus, bevor sein Freund zu Ende sprechen konnte und verzog seine Mundwinkel unwillkürlich zu einem vorsichtigen Lächeln. "Es ist ein weißer Phönix. Und genau das soll es auch sein." Sirius senkte seinen Blick erneut auf das ungewöhnliche Wesen und für eine kurze Weile lagen sie so stumm nebeneinander, auf der überwucherten Wiese Hogwarts`, die von kaum einer Wolke am Himmel überschattet wurde, von dem herab statt dessen die strahlende Frühlingssonne die Rücken der beiden Schüler wärmte.

"Er ist wunderschön.", sagte Sirius schließlich in die Stille hinein, die nur sanft unterlegt wurde von dem fernen Lachen anderer Jugendlicher und dem sachten Geplätscher des Riesenkraken, der seine Tentakeln aus dem Wasser hob, um sie von der Sonne bescheinen zu lassen. Beinahe zärtlich ließ Sirius seine Fingerspitzen über die Konturen des Phönix` gleiten, noch immer den Blick auf das Bild geheftet, als er sich schließlich in einer fließenden, behenden Bewegung aufsetzte und die Beine übereinanderschlug. Er strahlte wie üblich diese so liebgewonnene Schönheit aus, die durch seine Haare, die nun in die grauen, freundlichen Augen fielen, noch weiter betont wurde.

"Also gefällt es dir?", fragte Severus mit leiser Stimme, doch er selbst fühlte, wie sich das wollige Gefühl des Glücks bereits in ihm ausbreitete, wie es seine Augen warm zum Leuchten brachte, die er erwartungsvoll auf den neben sich sitzenden Sirius richtete, und die die Antwort erkannt hatten, lange bevor sie von seinem Freund voller Überzeugung ausgesprochen wurden: "Ja, es gefällt mir, sehr sogar. Wenn es nicht so weibisch klingen würde, würd ich sagen, ich liebe es." Der verschmitzte Ausdruck in seinen Augen war nun nicht mehr zu übersehen. Dieser Ausdruck, den Severus so sehr mochte, brauchte.

"Nein, so etwas solltest du wirklich nicht sagen. Du hast schließlich ein hart erarbeitetes Image zu verlieren.", erwiderte er und hörte selbst, wie er, wie so oft, eine feine Spur von Ironie in seiner Stimme mitschwingen ließ.

"Ja, genau wie du. Darum solltest du dir auch dringenst abgewöhnen, bei jedem Kompliment rot anzulaufen, wie eine von Sprouts kreischenden Tomaten.", ahmte Sirius seinen Tonfall nach und grinste auf Severus herab, der ihm einen freundschaftlichen Stoß mit dem Ellenbogen versetzte. "Es wäre schließlich jammerschade um diese unnachahmlich intelligenten Sprüche über deinekrankhafte Blässe die so offensichtlich deine innere Verdorbenheit widerspiegelt, die ein gewisser Gryffindor mangels Phantasie immer wieder zum Besten gibt." Die beiden Freunde tauschten einen amüsierten Blick, als das Geräusch herannahender Schritte sie aufschreckte.

"Seht da, seht da. Unser Traumpaar. Und ihr redet doch wohl nicht über mich? Ich muß schon sagen, Snape, du bist eine Schande für das Haus Salazars. Mit Black abzuhängen. Obwohl, laßt mich einen Moment nachdenken", James Potter, der im selben Jahrgang war wie die beiden im Gras Sitzenden, warf einen gespielt nachdenklichen Blick auf seine Begleiter, "im Grunde wundert es mich kaum. Wer sonst als dieser kleine dreckige Gryffindor würde sich schon mit einer schleimigen Kellerassel, wie dir, abgeben, Snape?" Peter Pettigrew ließ ein untertäniges Kichern hören und nickte so eifrig, daß sein mühsam in eine zerstrubbelte Form gebrachtes Haar wieder seine gewohnte Ordnung samt Seitenscheitel annahm, während Remus Lupin betreten auf seine zerschlissenen Schuhe blickte. Er schien selten zu lachen. Statt dessen schwieg er.

Severus hatte sich inzwischen, wie Sirius auch, vom Boden erhoben und blickte den Dreien voller Abscheu entgegen. Er spürte, wie der Wind stärker wurde, die zunehmenden Wolken in der Höhe einen Schatten auf sie warfen. Wie klischeehaft: Potter kam und der Himmel verfinsterte sich. Wieso mußten sie gerade jetzt kommen? Warum konnten sie sie nicht einfach in Ruhe lassen? Und natürlich blieb es wie gewöhnlich nicht bei dem Trio; schon sah er im Hintergrund andere Schüler auf sie zeigen, tuscheln, grinsend näherkommen, wie eine unaufhaltsame Flut.

"Wie dumm kann man eigentlich sein, Potter?", erkundigte sich Sirius in diesem Moment und aus seiner Stimme sprachen die selben Gefühle, die auch in Severus soeben alle Glücksgefühle verdrängt und nur die eisige Kälte des Haßes hinterlassen hatten. "Inzwischen solltest doch selbst du endlich bemerkt haben, daß der Sprechende Hut dich nicht in dein geliebtes Slytherin, sondern nach Gryffindor gesteckt hat. Gut, das ist natürlich erst sechs Jahre her, aber eigentlich..."

"Halt`s Maul, Black.", schrie James Potter und seine Wangen nahmen eine häßlich rote Färbung an. "Der Sprechende Hut ist nichts als ein Werkzeug dieses bescheuerten Dumbledores. Er will doch nur verhindern, daß die wahrlich Würdigen im Haus Lord Voldemorts ihrer Bestimmung folgen können." James richtete sich gerade auf und versuchte vergeblich, eine herrschaftliche Haltung einzunehmen. Die haselnußbraunen Augen in seinem schmalen Gesicht glitzerten. "Doch er wird uns nicht aufhalten können. Mich wird er nicht aufhalten können. Aber vor allem wird er den Lord nicht aufhalten können. Niemand kann das. Und ich habe ihm ewige Treue geschworen." Ein ehrfürchtig Raunen ging durch die Menge der Schüler, die mittlerweile hinter James und seinen Freunden Aufstellung bezogen hatten, während dieser nach einer kurzen theatralischen Pause bedächtig seinen schlichten Schulumhang ablegte und ihn Pettigrew reichte, der ihn respektvoll zusammenfaltete. James ließ in einer selbstverliebten Geste seine Finger über den samtenen Stoff seines dunkelgrünen Jacketts gleiten, auf dessen Brust und Ärmeln ein silbernes "R" gestickt war: Die Uniform der "Ritter der Walpurgis".

Sich in den bewundernden Blicken der Mädchen sonnend, fuhr James sich durch die kurzen schwarzen Haare und zerzauste sie auf diese Weise noch mehr, als sie von Natur aus schon waren, während Sirius` Augen zu Severus an seiner Seite wanderten. Doch dieser bemerkte den Blick seines Freundes nur ansatzweise, in diesem Moment, als sie einem Großteil der Schülerschaft gegenüberstanden. Denn Severus war erstarrt, seine vor Haß glühenden Augen fixiert auf das silberne "R" auf der Jacke seines Feindes. Er fühlte, wie sich seine Faust in der Tasche seines Umhangs um seinen Zauberstab verkrampfte, unfähig, sich zu rühren, etwas anderes zu tun, als auf diesen einen Buchstaben zu starren. Auf diesen oberflächlichen, arroganten Jungen, der vermutlich zu naiv war, um jemals zu erkennen, was dieser Buchstabe wirklich bedeutete. Dieser verblendete Jugendliche, der sich im Jubel der ebenso Verblendeten bestätigt fühlte und erneut begann zu sprechen: "Statt dessen schändet er das Haus Lord Voldemorts, in dem er es mit öligen Strebern füllt, die es nicht wert sind, jemals das Zeichen der Ritter zu tragen. Mit Abschaum wie dir, Snape."

Der Haß in Severus gefror, als James mit diesen Worten seinen Zauberstab auf die beiden Außenseiter richtete. Bannte sich seinen Weg hinaus, vereinigte sich mit längst vergessen Geglaubtem. Du willst mein Sohn sein? Du bist Abschaum, sonst nichts. Das silberne "R". Schmerz.

Bevor auch nur eine andere Person reagieren konnte, hatte Severus seinen Zauberstab aus seiner Tasche gezogen und auf James gerichtet. Sirius versuchte mit einem raschen Heben seiner Hand, den Arm seines Freundes festzuhalten, doch ein kalter Fluch geschickt von Severus unterband jede Bewegung seitens Sirius`, ließ ihn erstarren, während James` Zauberstab in die zweite, feingliedrig blasse Hand Severus` flog, während ein roter Blitz aus der Menge auf eben diesen zu raste, doch, kurz bevor er ihn erreichte, von einer unsichtbaren Wand zurückgeworfen wurde. Wie konnten sie denken, daß sie es mit ihm aufnehmen könnten. Glattes, hartes Holz in seiner Hand, mit zuviel Sorgfalt hergestellt, um von einem Menschen wie James Potter getragen zu werden. Noch immer beherrschte ihn die Abscheu. Sie prägte seine Worte, gab ihnen einen eisigen Klang, so leise, fast flüsternd er auch sprach: "Niemals. Hörst du, Potter: Niemals werde ich dieses Zeichen tragen."

Severus spürte, wie Sirius erneut versuchte, einzugreifen und schickte eine weitere lähmende Welle in seine Richtung, ohne den Blick von James zu nehmen, der erstaunt mit aufgerissenen, braunen Augen auf seine nun leere, ausgestreckte Hand sah.

"Sieh mich an, wenn ich mit dir rede.", zischte Severus bedrohlich und eine klaffende Wunde zog sich längs über die Wange von James, der schmerzerfüllt zusammenzuckte und seinen erschrockenen Blick ruckartig zu Severus herüber huschen ließ und ihm endlich seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte.

"Hörst du, James Potter.", er sprach diese Worte noch immer in gedämpfter Lautstärke, aber die eingetretene Stille ließ sie durchdringend klingen und einige Schüler traten vorsichtshalber ein paar Schritte zurück, während Peter ängstlich zusammenfuhr und nun noch um einiges stärker als sonst einer verschreckten, winselnden Ratte ähnelte. Er knetete nervös die Finger und schien nur mühsam der Versuchung, an ihnen zu knabbern oder auf der Stelle zu flüchten, widerstehen zu können. "Niemals." Eine weitere Wunde öffnete sich schlagartig auf der anderen Wange seines Mitschülers, als hätte ihn ein unsichtbarer Peitschenhieb mit enormer Kraft getroffen. Doch Severus war noch nicht fertig, und keiner der zuschauenden Jugendlichen wagte es einzugreifen, nachdem ein Junge von seinem eigenen, zurück gepralltem Fluch getroffen worden war: "Eher sterbe ich." Ein gelber Blitz traf James in die Brust und warf ihn zu Boden. "Und wage es nie wieder, so mit mir zu reden. Hast du das verstanden, Potter?"

"Sev." Sirius bewegte sich erneut auf seinen Freund zu, wischte mit einer knappen Bewegung die lähmende Wirkung des Fluches beiseite. Sanft legte er seine Hand auf die Severus`, die noch immer mit dem Zauberstab auf den am Boden liegenden James wies, und drückte sie herunter. Severus Blick wanderte kurz orientierungslos zur Seite, bis er sich an Sirius` grauen, vertrauten Augen festhielt. "Es ist genug, Sev. Laß ihn, er ist es nicht wert, daß du wegen ihm Ärger bekommst."

"Zu spät, Black." James hatte sich inzwischen mit Hilfe seiner Freunde erhoben und stand ihnen wieder, nun gestützt auf Peter und Remus, gegenüber, sein Gesicht, über das in feinen Linien das Blut hinunter rann, verzerrt. Die grüne Jacke hing in Fetzen von seiner Brust herab, das in Stücke gerissene silberne "R" verfärbte sich allmählich, als eine dunkle Flüssigkeit langsam den schweren Stoff durchsickerte.

"Komm, James, laß uns gehen.", versuchte Remus beschwichtigend auf ihn einzuwirken und ihn fortzuführen. "Wir bringen dich in den Kranken-..."

"Nein.", brüllte James und Remus verstummte, den Kopf senkend, und eine schmale Falte erschien zwischen seinen Augenbrauen. Schweigend und mit bewegungslosen Augen blickte er zu Boden "Ich bin ein Ritter der Walpurgis. Und du,", James wandte sich an Severus, der von Sirius festgehalten und somit am erneuten Nutzen seines Zauberstabes gehindert wurde, "du hast mich mit Schwarzer Magie angegriffen. Dafür wirst du büßen."

"Laß mich los, Sirius.", zischte Severus, während er versuchte sich aus der Gewalt seines Freundes zu befreien. James würde schon noch sehen, wer hier büßen würde. "Ich hab gesagt, du sollst mich loslassen, verdammt." Doch Sirius lockerte seinen Griff nicht; Severus spürte weiterhin die vorsichtig eingesetzte Kraft, mit der der sehr viel stattlicher gebaute Freund sein Handgelenk umklammerte, die Haut gegen den Knochen drückte.

"Sev, bitte. Du bekommst einen Riesenärger.", flüsterte er eindringlich, während James unbeirrt fortfuhr: " Lord Voldemort wird dich bestrafen, Snape. Und er wird die Dunklen Künste besiegen, sie ein für alle mal aus dieser Welt verbannen." Er versuchte, eigenständig zu stehen, schwankte aber und stützte sich schließlich so stark auf den klein gewachsenen und nicht gerade sportlichen Peter, daß dieser keuchte.

"Ja, natürlich. Nachdem er die Muggel, Halbblüter und alle anderen, seiner Meinung nach wertlosen, Lebewesen vernichtet, pardon,", Severus unterbrach sich kurz und richtete seine heiß glühenden Augen auf Remus, der ein plötzliches Zusammenzucken nicht verhindern konnte, "ich meine natürlich in eine bessere Welt umgesiedelt hat. Dann wird er vermutlich die Dunklen Künste, wie du sie nennst, unter Androhung der Todesstrafe verbieten und fortan leben alle Zauberer in Freiheit, Frieden und Reichtum glücklich bis ans Ende ihrer Tage. So sie denn das Massaker Voldemorts überlebt haben." Severus kalte, schneidende Stimme triefte vor Abscheu. Es kümmerte ihn nicht, daß Sirius ihn bittend mit traurig besorgten Augen ansah und versuchte, ihn mit sanfter Gewalt von James Potter loszulösen. Was kümmerten ihn Strafen, die er zu erwarten hatte. Er hatte keine Angst vor diesen schleimigen, scheinheiligen Rittern. Er kannte genug von ihnen. Und von keinem hatte er sich von seiner Meinung abbringen lassen, wie sie ihn auch für seinen Widerstand bestraft hatten. Schwarze, harte Augen. Endlose Tunnel, die niemals zum Licht, stets in die Dunkelheit führten. Crucio.

"Merkst du nicht, was für einen Scheiß du redest, Snape? Wenigstens für intelligent hab ich dich bis jetzt gehalten. Aber wenn du nicht einmal die Propaganda eines alten, tatterigen Schuldirektors durchschaust, kann es selbst damit ja nicht so weit her sein." James Züge wurden nun von der selben Abscheu gezeichnet, die Severus noch immer in sich brennen fühlte und die auch Sirius ins Gesicht geschrieben stand, und die sich ebenfalls in seinem nur kaum gedämpften Tonfall äußerten, als er, ohne den Druck auf Severus`Arm zu verringern, antwortete: "Schade, Potter, daß du offenbar um Meilen zu blöd bist, um die Wahrheit der Aussagen des mächtigsten Zauberers unserer Zeit zu erkennen. Aber was anderes kann man von einem elenden Muttersöhnchen wie dir wohl auch nicht erwarten."

Einen Moment kehrte Stille ein, nur im Hintergrund hörte Severus das eifrige Tuscheln der Mitschüler und in der Ferne eine energische Stimme: "Aus dem Weg. Macht Platz, ich bin Vertrauensschülerin." James war inzwischen offenbar eine passende Erwiderung eingefallen, denn ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. Er richtete sich ein wenig mehr auf und nahm seine rechte Hand von Peters Schulter, um mit ihr in einer geringschätzigen Geste auf Sirius zu weisen, während Severus vergeblich versuchte gegen dessen Stärke anzukommen. Wie konnte es dieser Widerling wagen, derart zu ihnen zu sprechen: "Weißt du, Black, wo du gerade das Thema Eltern ansprichst. Ich glaube mich zu entsinnen, daß deine werten Eltern, genau wie auch Snapes,", er warf dem Angesprochenen einen hinterlistig erfreuten Blick zu, "doch relativ hohe Positionen bei den Rittern der Walpurgis haben." Ja, das hatten sie; Verdammt sollten sie sein. Severus fühlte nichts als reinen Haß, als seine Gedanken für eine Sekunde auf seine Eltern gelenkt wurden. James hingegen schien diese Richtung ihres Gesprächs sehr gut zu gefallen: "Was müssen sie sich für euch schämen. Ihr seit sicher die Schande der gesamten Familie. Vielleicht-..."

"Vielleicht, was, Potter?", unterbrach ihn Sirius und konnte seine Gefühle nun nicht mehr beherrschen, nur zu deutlich schwangen sie in seiner lauten Stimme mit. "Vielleicht hätten sie uns die richtige Denkweise energischer einbleuen sollen, mit Hilfe der Dunklen Künste vielleicht?" James schien für einen Moment aus dem Konzept geraten, sein Blick huschte unsicher von Sirius zu Remus an seiner Seite, dessen braune Augen wiederum beinahe fragend auf Severus lagen, der das Zögern James` mit einem zynischen Lächeln quittierte. Als hätten ihre Eltern nicht eben dies immer wieder versucht. In was für einer irrealen Welt lebte dieser Potter eigentlich? Woher dachte er, waren ihm all die Flüche bekannt, von denen er schon an seinem ersten Tag in Hogwarts mehr beherrscht hatte als einige der Siebtklässler? Schließlich begann Severus mit sarkastisch kühlem Ton zu sprechen: "Aber natürlich bedienen sie sich nicht solcher Methoden, nicht wahr, Potter? Sie sind schließlich Ritter, wie du ausnahmsweise richtig erkannt hast. Überhaupt sagst du erstaunlich viel, das wirklich der Realität entspricht - ein Unfall, vermute ich. Ich bin tatsächlich die Schande meiner Familie - und ich bin stolz darauf. Das Einzige, dessen ich mich schäme, ist, daß sich solche Narren - im Grunde könnte man sie mit dir durchaus vergleichen, obwohl du doch um einiges naiver bist - daß sich solch ein Pack meine Eltern nennt." Du bist nicht mein Sohn. Du bist Abschaum.

"Ja, wir sind wirklich eine Schande.", bestätigte Sirius und ergänzte: "Es ist einfach eine Schande, daß es Personen wie uns gibt, die es wagen, sich eine eigene, eine andere Meinung zu bilden, die die Fähigkeit besitzen, eigenständig zu denken. Diese Frechheit leisten sich ja bedauernswerter Weise nicht viele der Anwesenden, auch wenn sie es in heiterer Gleichschaltung wohl trotzdem von sich behaupten." Ein boshaftes Grinsen zeigte sich auf Sirius` anmutigen Gesicht. James hingegen schien wenig amüsiert. Erzürnt setzte er zu einer Erwiderung an, schloß seinen Mund jedoch unverrichteter Dinge wieder, denn eine andere Stimme übernahm nun die Führung: "Was geht hier vor? Ich bin Vertrauensschülerin, also laßt mich gefälligst durch." Ein schlankes Mädchen mit schulterlangem, dunkelrotem Haar kämpfte sich durch die Menge und erstarrte, als sie es endlich geschafft hatte, zu den Streitenden durchzudringen, für einen Moment, in dem nur ihre grünen, mandelförmigen Augen lebendig glitzerten, als sie die sich gegenüberstehenden Jungen musterte. "Was geht hier vor?", wiederholte sie energisch, als ihr Blick an den Verletzungen James` hängenblieb. "Was ist passiert?", fragte sie, doch es klang eher gezwungen denn wirklich besorgt oder interessiert. James hingegen schien plötzlich außerordentlich interessiert, fuhr sich mit der Hand über die Brust und sah schließlich auf seine Finger herab, an denen sein eigenes Blut klebte, als hätte er erst in diesem Moment bemerkt, daß er verletzt war.

"Snape. Hat mich angegriffen. Mit Dunklen Künsten. Ohne Vorwarnung.", brachte er gequält hervor und versuchte offenbar den Eindruck zu erwecken, er könne sich gerade noch aufrecht halten, während er seine andere Hand beiläufig durch sein dunkles Haar fahren ließ. Wie konnte ein Mensch derart oberflächlich und selbstverliebt sein? Severus registrierte mit Genugtuung, daß Lily Evans in keiner Weise von James beeindruckt wirkte. Ihr Blick huschte für einen Moment zu ihm und Sirius hinüber, an dem er, so hatte Severus den Eindruck, für einen Moment hängen blieb, dann wandte sie sich erneut kühl an James Potter: "Du solltest jetzt zu Madame Pomfrey gehen. Sie wird deine Verletzungen mühelos heilen." Sie schien über diese Aussicht nicht gerade beglückt. "Peter und Remus werden dich sicher hinbringen." Die beiden nickten, Peter eifrig und untertänig, Remus eher bedächtig, beinahe etwas verlegen und wandten sich zum Gehen, jeder einen Arm James` stützend. Doch dieser bewegte sich nicht und wandte sich mit einem Lächeln, das wohl charmant wirken sollte, an das Mädchen: "Meint du nicht. Es wäre besser. Wenn du mich zum Krankenflügel. Begleitest? Für alle Fälle? Schließlich bist du Vertrauensschülerin. Und für das Wohl der Schüler. Verantwortlich." Noch einmal versuchte er seine Haare zu zerstrubbeln, doch Lily schüttelte den Kopf und verzog die Lippen zu einem gezwungen wirkenden Lächeln: "Ich bin sicher, deine Freunde werden diese Aufgabe auch ohne meine Hilfe bestens bewältigen." James öffnete schon den Mund, um etwas zu erwidern, doch Remus hatte sich inzwischen umgewandt und zog James, dessen Hand nun wieder auf der Schulter seines Freundes ruhte, mit sich. Severus dachte schon, die drei würden nun schweigend verschwinden, da drehte sich James noch einmal zu Lily um: "Bis später, Lily. Wir sehn. Uns." Dann endlich verstummte er und das Trio entfernte sich langsam in Richtung Schloß. Das falsche Lächeln auf den Lippen der Vertrauensschülerin verschwand so schnell, wie es gekommen war. Wenigstens eine Mitschülerin, die sich nicht sofort besorgt James anschloß, um sicher zu gehen, daß er heil die Krankenstation erreichte.

"Verschwindet. Na los doch, hier gibt`s nichts mehr zu sehen.", verscheuchte Lily dann auch noch entschlossen die übrigen Schaulustigen, die sich folgsam und nicht länger interessiert abwandten und in kleinen, lachenden und tuschelnden Gruppen davonzogen. Dann wandte sie sich zu Sirius und Severus um, der noch immer mit vor Wut glühenden Augen James nachsah, seinen Blick aber zu Lily hinüber wandern ließ, als diese mit ruhiger Stimme zu sprechen begann: "Ich werde Dumbledore erzählen müssen, was passiert ist."

"Aber James hat Severus provoziert. Er hat zuerst seinen Zauberstab auf ihn gerichtet!", warf Sirius protestierend ein und Severus richtete seinen Blick überrascht auf ihn. Er konnte sich selbst verteidigen - wenn er es für nötig hielt. Und sein Verhalten gegenüber James zählte er nicht zu den Ereignissen, für die er sich entschuldigen mußte, entschuldigen würde. Er hatte keine Angst vor dem Schulleiter. Doch Lily schien Verständnis für Sirius` Versuch zu haben: "Auch das werde ich dem Direktor erzählen.", erwiderte sie und bedachte Sirius mit einem Lächeln. Dann machte auch sie sich auf, ins Schloß zurückzukehren, während Severus amüsiert feststellte, wie Sirius leicht errötete und ihr mit einem zaghaften Grinsen und verträumten grauen Augen hinterher blickte. Trotzdem holte er seinen Freund nach nur einem kurzen Moment der Stille aus den Gedanken an die Vertrauensschülerin Gryffindors und lenkte sie auf sich selbst: "Ich bin durchaus in der Lage, für mich selbst zu sprechen, Sirius." Mit noch immer leicht rötlich gefärbtem Gesicht blickte der Angesprochene zu ihm herüber. Sein Grinsen wich einem schuldbewußt besorgtem Ausdruck. "Das weiß ich doch, Sev.", sagte er leise. "Ich will ja auch gar nicht, daß du dich bei James entschuldigst. Du weißt, wie gerne ich ihm eine ordentlich Abreibung verpassen würde. Aber - ich glaube nicht, daß ausgerechnet ich das zu dir sage - bitte beherrsch dich in Zukunft." Severus entfuhr ein aufgebrachtes Schnauben. Wie sollte er sich beim Anblick dieses aufgeblasenen goldenen Ritters beherrschen? "Ja, ich weiß.", fuhr Sirius fort. "Aber da du dich, wie ich vermute, nicht selbst verteidigst hättest-..."

"Nein, das hätte ich nicht.", unterbrach ihn Severus scharf. "Denn es gab nichts zu verteidigen." Er strich sich die lange, schwarze Strähne aus dem Gesicht, die ihm über die Augen gehangen hatte und sah seinen Freund aus ihnen kampflustig an, doch dieser beschwichtigte: "Ich weiß. Aber das sieht leider nicht jeder so. Und ich will einfach nicht, daß du Ärger kriegst, versteh das doch." Severus seufzte kurz, dann nickte er, was seinem Freund ein erleichtertes Lächeln auf die Lippen zauberte. Doch plötzlich schien es in seinem Gesicht zu erstarren, ohne daß Severus den Grund dafür ausmachen konnte.

"Was ist?", fragte er und wirbelte mit dem Zauberstab herum auf der Suche nach einer möglichen Gefahrenquelle, fand jedoch keine und wandte sich verwirrt zu seinem Freund um. Und dessen Anblick vergrößerte dieses Gefühl weiter. Warum bitte schien dieser ihn so merkwürdig amüsiert zu beobachten? "Was?"

"Es regnet.", erwiderte Sirius und ließ ein schelmisches Lachen hören. "Komm!" Severus sah eine Hand auf seinen Arm zu schnellen, dann fühlte er bereits, wie er von seinem Freund mitgerissen wurde. Beinahe wäre er zu Boden gefallen, so sehr überraschte ihn der Stoß. Konnte Sirius nicht wenigstens einmal bedenken, daß es auch weitaus zierlicher gebaute Menschen als ihn selbst gab? Aber Severus blieb keine Zeit zum Diskutieren. Schon rannte er, halb gezogen, halb aus eigenem Antrieb, neben Sirius her, während sich wie aus dem Nichts ein Schwall aus Wasser über sie ergoß. Doch plötzlich blieb Severus mit einem Ruck stehen und nun war es Sirius, der beinahe von den Beinen gerissen wurde, aber gerade noch rechtzeitig seine Hand von Severus` Arm löste und sich erstaunt zu seinem Freund umwandte. Dicke Tropfen trafen Severus Umhang, als er seine Arme ausbreitete, die Handflächen gen Himmel reckte. Er spürte, wie das Wasser den Stoff durchdrang, der nun schwer von Nässe an seinen Armen hinab, über seinen Schultern lag. Er spürte, wie sich sein Mund zu einem Lächeln verzog, hörte sich selbst lachen, als er begann, sich um sich selbst zu drehen. Fühlte, wie die Tropfen sein Haar schwer werden ließen, sein Gesicht hinunter rannen, an seinen Wimpern hängen blieben. Fühlte die angenehme Kühle, das Leben. Dann ein weiterer Stoß, als Sirius in weiterzog. Und wieder rannten sie, lachend, stolpernd, durch den strömenden Regen.

Rannten neben einander her, bis sie schließlich die alte Eiche erreichten, die sie ihre Eiche nannten, seit sie diesen abseits, am Rande des Verbotenen Waldes liegenden Baum vor beinahe sechs Jahren für sich entdeckt hatten. Erschöpft keuchend ließ sich Severus am Stamm der Eiche zu Boden sinken und spürte, wie Sirius es ihm gleichtat. Der Regen prasselte auf das dichte Blätterwerk über ihnen, während sie nur langsam wieder zu Atem kamen, und erzeugte ein stetes Hintergrundgeräusch. Severus lehnte seinen Kopf an den rissigen, harten Stamm und eine Weile saßen sie schweigend an den Baum gelehnt, die wärmende Schulter des Anderen an der eigenen spürend, bis Severus den Faden der vorangegangenen Unterhaltung noch einmal aufnahm: "Mich bei James entschuldigen. Wie kommst du eigentlich auf solch abstruse Ideen? Du bist doch nicht etwa krank?" Er war sich des spöttischen Tonfalls in seiner Stimme wohl bewußt, darum wunderte es ihn nicht, daß er auf den Lippen des Freundes ein Grinsen entdeckte, als dieser antwortete: "Ja, vermutlich. Ich meine, es geht hier immerhin um Potter, diesen, diesen-..."

"Intelligenzallergiker."

"Vollidioten."

"Schönling. Oh, da hat er ja glatt etwas mit dir gemeinsam. Erschreckend. Autsch" Sirius hatte Severus noch immer grinsend den Ellenbogen in die Rippen gestoßen, doch Severus fuhr bereits fort: "Wie er in dieser beschissenen Uniform herum stolziert."

"Und wie er sich ständig durch die Haare fährt und denkt, so wirkt er cool. Total Affig. Und die Mädchen fallen auch noch darauf herein."

"Nicht alle."

"Ja, stimmt, Lily nicht. Und gerade sie ist es, hinter der er am meisten her ist. Dabei würde dieser Angeber sie nicht mal mit `ner Kneifzange anfassen, wüßte er, daß sie eine Muggelgeborene ist. Aber sie fertigt ihn ab. Zum Glück. Sie ist einfach... Sie ist so..." Sirius stockte und ein roter Hauch legte sich über seine Wangen.

"Ja?", fragte Severus innerlich amüsiert lächelnd.

"Sie ist einfach...", versuchte es sein Freund noch einmal, doch ohne Erfolg: "Ach, nichts." Der Hauch war inzwischen in einen kräftig roten Farbton übergegangen und Severus bemerkte mit einem leisen Lachen, wie Sirius ihn verlegen angrinste. Inzwischen hatte es aufgehört zu regnen, doch ihre Umhänge und Haare waren noch immer von Wasser durchtränkt. Der Wind hingegen hatte merklich aufgefrischt und mit einem leichten Frösteln fühlte Severus, wie eine kühle Brise über ihn hinweg strich, seine Haare aus seinem Gesicht wehte und sich schließlich in der Nässe seiner Kleidung festsetzte.

"Frierst du?", fragte Sirius und sah ihn mit besorgten Augen an.

"Nein."

"Lügner." Sirius streckte seinen Arm aus und griff mit seinen schmalen Händen nach der Rechten Severus`, die bis dahin auf dessen Knien geruht hatte. Severus spürte die Wärme der Finger seines Freundes, als dieser sie vorsichtig über seine eigenen, knöcherigen fahren ließ, die unter den Fingernägeln eine bläuliche Färbung angenommen hatten. "Eiskalt." Sirius Stimme klang so, wie Severus sich die einer besorgten Mutter vorstellte, die soeben die Bestätigung all ihrer Befürchtungen erfahren hatte. Zu diesem Tonfall gesellte sich ein unterdrückt erboster, als Sirius murmelnd fortfuhr: "Man sollte annehmen, daß sie einem in sechs Schuljahren beibringen, wie man seine Klamotten trocken zaubert. Aber nein, statt dessen zeigen sie einem, wie man einen Vogel in einen Kelch verwandelt und was ein Bezoar ist... alles Dinge also, die man im Leben garantiert brauchen wird..."

"Ich werd es überleben, Mum.", erwiderte Severus mit einem schiefen Grinsen und entzog Sirius seine Hand, die er anschließend durch die Falten seines nassen Umhang auf der Suche nach Wärme in die Tasche gleiten ließ. Plötzlich spürte er etwas hartes, hölzernes an seinen kalten Fingern, etwas, das dort definitiv nicht hingehörte.

"Hey, Sirius." Der gespielt verschwörerische Tonfall in seiner Stimme ließ den Angesprochenen aufhorchen und einen fragenden Ausdruck auf seinem Gesicht einkehren. "Sieh mal, was ich hier habe." Langsam, die Spannung in die Länge ziehend, zog er den hölzernen Gegenstand aus der Tasche und hielt ihn seinem Freund hin.

"Potters Zauberstab." Ein begeistertes Grinsen erhellte Sirius` Gesicht. "Du hast ihn behalten."

"Ja, hab ihn ganz vergessen." Auch Severus lächelte. "Was sollen wir mit ihm machen?"

"Laß mich einen Moment nachdenken. So was erfordert eine reifliche Überlegung." Für einige Sekunden herrschte Stille, bevor Sirius schelmisch fortfuhr: "Mir fallen da auf die Schnelle die verschiedensten Sachen ein, die ihren Reiz hätte. Zerbrechen zum Beispiel. Verbrennen. Vergraben. Behalten und zusehen, wie er ihn sucht." Sirius nahm Severus den Stab aus der Hand und begutachtete ihn wie ein seltenes, leicht widerliches, doch mitleiderregendes Insekt. "Was meinst du? Was ist deine Bestimmung? Denn du möchtest doch bestimmt nicht noch länger einem solchen Trottel dienen?", fragte er das Stück Holz und wendete es vor seinen Augen, als suche er nach einer erscheinenden Antwort.

"Läßt du jetzt deine soziale Ader an dem Zauberstab aus?", erkundigte sich Severus amüsiert und strich gedankenverloren über das glatte Material. "Nötig hätte er`s."

"Ja, genau. Darum ja. Und ich weiß jetzt auch, was wir mit ihm tun." Er legte eine bedeutungsschwere Pause ein und sah Severus ernst und entschlossen an. "Wir besorgen ihm ein neues Zuhause. Einen neuen Besitzer."

"Also ich gewähr ihm kein Asyl, so leid es mir tut.", warf Severus ein und schüttelte den Kopf. Die noch immer feuchten, langen Haare klebten kalt an seinem Gesicht.

"Ja, das hab ich schon befürchtet. Es wird schwierig werden - Moment mal. Nein. Ich weiß jemanden. Wir schenken ihn Gwynosphur." Er schenkte Severus einen triumphierenden Blick, der mit einem belustigten Grinsen beobachtete, wie sein Freund sich voller neu gewonnener Energie erhob und die grauen, lächelnden Augen in die Höhe, in die Krone der Eiche richtete. "Gwyno!", rief er das Wesen, das die beiden bei ihrem ersten Besuch dieses Ortes noch für die Stimme des Baumes gehalten und sich mit ihm als dieser unterhalten hatten, bis er ihnen so weit vertraute, daß er ihnen sein wahres Gesicht zeigte. Und offenbar war er auch jetzt wieder Sirius` Ruf gefolgt, denn Severus sah, wie Äste schwankten, bis schließlich das bräunliche, eingefallene Antlitz des Baumgnoms in sein Blickfeld kam, sich mit seiner runden, violetten Nase den Weg durch die raschelnden Blätter bahnend.

"Sirreus! Sevirrus!", rief er und blickte die beiden Schüler mit großen, hellgelben Augen an, aus denen je eine grüne Träne kullerte, wie immer, wenn er sich freute. "Irr warrt schun lung nisch merr hirr."

"Ja, stimmt, tut uns leid, Gwyno.", erwiderte Sirius entschuldigend und hielt den Zauberstab in die Höhe. "Aber dafür haben wir dir was mitgebracht."

"Un Geschunk? Furr misch?", fragte der Gnom und streckte, nach einem bestätigenden "Ja, ein Geschenk. Für dich." seitens Sirius`, zögernd die Hand nach dem Zauberstab aus. Langsam ließ er sie wie eine Spinne an dem Stamm der Eiche hinunter laufen, kam nun sein meterlanger, dürrer Arm in voller Länge zum Vorschein. Zaghaft, als fürchte er, Sirius könne ihn doch noch wegziehen, griff er nach dem Stab und fuhr mit den klauenartigen Nägeln vorsichtig über das Holz. Dann holte er den Arm mitsamt des Zauberstabes wieder zu sich ins dichte Blätterwerk. Severus, der bis dahin still beobachtet hatte, wie vorsichtig Sirius mit dem scheuen Wesen umgegangen war, erhob sie langsam. Die Kälte steckte noch immer in ihm, in seinen Kleidern und er zitterte leichte. Er versuchte, es zu unterdrücken, doch Sirius hatte es bereits gesehen und erneut einen besorgten Mutterblick aufgesetzt.

"Furr misch.", wiederholte Gwynosphur in diesem Moment bedächtig mit seiner heiseren, leisen Stimme. "Isch bekumm sulten Geschunke. Wumit hub isch dus verrdunt?"

"Ist schon okay, Gwyno.", rief Sirius zu dem Gnom herauf. "Hör mal, wir müssen jetzt gehen, aber wir kommen bald wieder, versprochen." Er wandte sich zu Severus um, während der Gnom ihnen ein schüchternes "Dunke!" hinterher rief und ihm nun so viele Tränen über die Wangen liefen, daß Severus fürchtete, er würde womöglich vor Erregung vom Baum fallen. Doch er fiel nicht, winkte nur noch einmal mit seinen braunen Händen, dann war er mit James Potters Zauberstab in der Krone der alten Eiche verschwunden.

"Komm, Sev." Sirius machte eine einladende Geste in Richtung Schule. "Wir sollten wieder ins Schloß zurück, bevor uns eine Erkältung erwischt und uns Madame Pomfrey bis ans Ende unserer Tage in ihren Verließen gefangen hält." Severus wußte sehr wohl, daß Sirius sich vor allem um ihn Sorgen machte, denn er selbst schien von der nassen Kleidung in keiner Weise beeinflußt. Doch er wollte nicht mit ihm streiten und tatsächlich fror er inzwischen fürchterlich, also ging er ohne Widerrede neben seinem Freund in Richtung Eingangstor, hinweg über die feuchten Wiesen, die sich wegen des Regens kurzzeitig geleert hatten, nun aber wieder erfüllt vom Lachen, Reden und Rufen der Schüler waren. Vorbei an der Peitschenden Weide, die, seit sie im ersten ihrer Schuljahre gepflanzt worden war, schon um einiges gewachsen und gefährlicher geworden war.

"Noch jemand, mit dem sich unser geschätzter Mr Potter wohl nicht abgeben würde, wüßte er, wer oder was er wirklich ist.", sagte Severus leise, als sein Blick von der um sich schlagenden Weide zu Remus Lupin wanderte, der am Ufer des Sees saß und las, während James, dessen Verletzungen offensichtlich genauso schnell geheilt worden waren, wie Lily es vermutet hatte, einen vermutlich gestohlenen Schnatz immer wieder einige Zentimeter in die Höhe, von sich weg fliegen ließ, um ihn dann mit einer raschen Handbewegung wieder einzufangen - wenn er nicht gerade zu den Mädchen herüber schielte und sich mal wieder durch die Haare fuhr. Peter Pettigrew hockte direkt neben James im Gras und applaudierte diesem beinahe hysterisch, sobald dieser einen komplizierten Fang gemacht hatte.

"James sollte lieber nicht noch länger mit dem Schnatz spielen, sonst macht sich die Ratte Peter noch in die Hose vor Aufregung." Sirius war offenbar dem Blick Severus` gefolgt, aus seiner Stimme sprach die selbe Abscheu, wie sie Severus bei ihrer vorigen Begegnung mit dem Trio verspürt hatte und nun wieder spürte, doch er ging nicht weiter auf die Bemerkung ein, eine andere Person, bzw. die vom Wind herüber gewehten Satzfetzen hatten seine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt.

"Sirius, sieh mal da drüben. Ich glaub, Ernie versucht zu apparieren." Ein blonder, kräftiger Junge stand nur einige Meter von ihnen entfernt, einen hoch konzentrierten Ausdruck auf dem Gesicht. Doch nichts geschah, und das schien der Gryffindor nicht zu verstehen.

"Warum, verdammt... Ich hab doch alles überprüft... Punkt eins: fertig, Punkt zwei: fertig... Eigentlich dürfte ich schon lange nicht mehr hier sein...Verdammt... und nächste Woche ist Prüfung... ich schaff das nie..." Severus Blick wanderte zu Sirius hinüber, der sichtlich amüsiert beobachtete, wie der Siebtklässler eine Liste auf einem zerknitterten Pergament Schritt für Schritt abhakte und sich trotzdem nicht vom Fleck bewegte. "Meinst du, wir sollen es ihm sagen?", fragte Severus belustigt, obwohl die Kälte ihn noch immer, trotz nun wieder scheinender Sonne, gefangenhielt.

"Ähm.", Sirius schien zu zögern, dann jedoch antwortete er entschlossen: "Nein. Nein, ich denke, wir haben unserer sozialen Ader für heute schon viel zu viel freien Lauf gelassen. Und wir wollen es schließlich nicht übertreiben, nicht wahr?" Sirius grinste fröhlich, als Severus, die Hände noch immer tief in den Taschen vergraben, seinen steifen Hals zu einem Nicken überredete. "Gut, dann sind wir uns ja einig." Das Grinsen wurde noch eine Spur breiter. "Also nun, zurück ins Schloß. Ich will schließlich nicht meinen einzigen Freund durch Erfrieren verlieren, nur weil eben dieser unterernährte Freund erst im Regen herum tanzen muß und dann zu lange in der eisigen Frühlingssonne rum steht."

"Nein, natürlich nicht. Am besten ich gehe ab jetzt nur noch im Wintermantel mit Schal und Mütze und wollenen Socken vor die Tür. Schon klar, Mum.", erwiderte Severus, um dann auf ein anderer Thema umzuschwenken. "In weniger als einem Jahr dürfen wir auch endlich Apparieren lernen. Und wir werden uns hoffentlich klüger anstellen als Ernie." Der angesprochene Gryffindor hatte inzwischen aufgegeben und war lauthals fluchend an ihnen vorbei auf die Eingangshalle zugelaufen.

"Hey, lenk nicht ab, mein Sohn.", empörte sich Sirius. "Aber du hast recht. Und dann ist es nicht mehr lange hin, dann sind wir doch tatsächlich fertig mit der Schule. Hätte nicht gedacht, daß ich das jemals sage, aber ich schätze, sie wird mir fehlen; vor allem, weil ich keine Ahnung hab, was danach kommen soll." Er schwieg einen kurzen Moment und Severus folgte seinen grauen Augen, bis sein Blick an dem Schloß vor ihnen hängenblieb. Dem Schloß, das zu seinem Zuhause geworden war, zu seinem einzig wahren Heim. Das so unerschütterlich inmitten der Wiesen und Berge stand, als könne nichts seinem Sein ein Ende bereiten. Das für Severus ein Ort der Sicherheit und Geborgenheit darstellte. Kam vorstellbar, es zu verlassen. "Was ist mit dir? Was wirst du machen? Mit deinen Noten kannst du dir das doch praktisch aussuchen."

Severus dachte, den Blick noch immer auf Hogwarts gerichtet, nur einen Moment lang nach, bevor er antwortete: "Ich kämpfe gegen Voldemort." Er wußte, daß seine Aussage wie eine feststehende Tatsache klang, und so meinte er es auch.

"Du gehst in die Politik? Trittst in Dumbledores Partei ein?" Severus wandte sein Gesicht seinem Freund zu, sah in seine grauen Augen.

"Nein, ich kämpfe. Und irgendwann, wenn Voldemort vernichtet ist, wer weiß, vielleicht kehre ich dann hierher zurück. Werde Lehrer. Professor für Verteidigung gegen die Dunklen Künste oder Zaubertränke."

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"Du weißt, warum ich dich zu mir gerufen habe, Severus?"

"Ja, Sir.", antwortete der Schüler und blickte kampflustig in die blauen Augen seines Gegenübers, die hinter den halbmondförmigen Brillengläsern funkelten und denen zugleich, beinahe gänzlich versteckt, ein besorgter, müder Ausdruck inne zu wohnen schien. Er würde sich nicht entschuldigen, welche Strafe ihm auch drohte.

"Du bist ein sehr talentierter Zauberer. Du bist intelligent. Und ich weiß, daß es nicht leicht für dich ist, mit einer Familie, deren Denkweise du so gar nicht teilst. Zum Glück, möchte ich anfügen, aber das bleibt besser unter uns." Professor Dumbledore lächelte verschwörerisch, doch seine Augen erreichte dieses Lächeln nicht, sie blieben ernst. "Trotzdem muß ich dich natürlich bestrafen: Wie Professor Sprout mir gestern berichtete, ist die diesjährige Alraunenzucht derart schnell gewachsen, daß sie nun unbedingt einer größeren Menge Erde bedarf. Sie wird also die Alraunen innerhalb der nächsten Woche nach dem Unterricht umtopfen. Und du wirst ihr dabei helfen."

Severus hatte stumm auf das Ausmaß der Strafe gewartet. Im Grunde interessierte sie ihn nicht besonders. Er würde sie verrichten - weder Professor Sprout noch die Alraunen kümmerten ihn nur im geringsten - und einige Nachtschichten zusätzlich mit Lernen verbringen. Es war ihm egal. Und nächstes Mal würde er wieder ganz genau so handeln, wie er es getan hatte. Er bereute es nicht. Warum auch? Potter hatte es verdient. Severus nickte knapp zum Zeichen, daß er verstanden hatte, was der Direktor gesagt hatte und wollte sich schon zum Gehen erheben, als Dumbledore ihn zurückhielt: "Bitte bleib noch einen Moment sitzen, Severus, ich würde gerne noch etwas mit dir besprechen." Severus blickte milde überrascht zu dem Zauberer mit dem langen weißen Haar und Bart hinüber, der ihm hinter seinem Schreibtisch gegenüber saß, auf dem die verschiedensten magischen Instrumente in scheinbar geordnetem Chaos funkelten und glitzerten. Er hatte doch in den letzten Tagen nicht noch etwas anderes angestellt. Was also wollte der Direktor noch von ihm? Die Erklärung folgte einige Augenblicke später, als der Professor mit ruhiger, eindringlicher Stimme fortfuhr: "Weißt du, Severus, ich möchte klarstellen, daß ich dir diese Strafe nicht nur aufdrücke, weil die Schulregeln dies so von mir verlangen. Ich habe da durchaus meine Freiheiten. Ich tue es, weil ich das, was du getan hast, verurteile und ich mir wünsche, daß du einsiehst, daß dein Verhalten falsch war." Severus hatte sich in seinem Stuhl aufgerichtet, die Muskeln angespannt und stieß ein genervtes Schnauben hervor. Er wollte und mußte sich solche Predigten nicht anhören, auch wenn sie vom Schuldirektor kamen. "Bitte laß mich meinen Gedanken zu Ende führen, du kannst danach etwas dazu sagen." Severus spürte, wie sich seine Mundwinkel mißbilligend zusammenkniffen, doch er lehnte sich ergeben zurück und schwieg. Dumbledore nahm es mit einem Lächeln zur Kenntnis und dieses Mal spiegelte es sich auch in seinen blauen Augen wider. "Danke. Nun, wo war ich stehen geblieben? Ach ja, ich sagte, daß ich dein Verhalten alles andere als gutheiße. Du hast einen Mitschüler angegriffen und ihn schwer verletzt. Solch ein Verhalten ist nicht zu rechtfertigen. Egal, worum es in eurem Konflikt ging - und ich denke, ich weiß, worum es ging - Gewalt ist keine Lösung. Und das ist keine Phrase, das ist die Wahrheit."

"Aber er ist ein "Ritter der Walpurgis".", brachte Severus hervor, als würde allein dies alles erklären. Für ihn tat es das. Er bemühte sich, seine Stimme nicht zu laut klingen zu lassen, sie zu dämpfen, trotzdem war er sich bewußt, daß die in seinem Tonfall versteckte Aggression auch von Dumbledore nicht würde überhört werden. "Warum verbieten sie es ihm nicht, in seiner Uniform durch das Schloß zu stolzieren? Sie wissen doch ganz genau, wer und was diese Ritter sind und tun. Gerade sie. Sie sind Mitglied der Partei, die sich am stärksten gegen die Voldemorts stellt."

"James ist ein Mensch, Severus. Ein intelligenter, fühlender und denkender Mensch. Und auch wenn wir eine andere politische Auffassung haben als sie - die meine hat übrigens in dieser Schule keine Rolle zu spielen - so sollten wir die sogenannten Ritter doch als eben dies sehen und sie dementsprechend behandeln.", wandte der Professor sanft und bestimmt ein, doch seine Worte hatten alles andere als eine besänftigende Wirkung auf Severus, brachten ihn nur noch weiter in Rage, blieben ihm unverständlich. Wie konnte ein so weiser Zauberer so denken?

"Und was ist mit Voldemort? Ist auch er ein intelligentes, fühlendes und denkendes Wesen? Ein Mensch?" Bevor der Direktor etwas erwidern konnte, beantwortete Severus selbst seine Fragen: "Nein, das ist er nicht. Er ist ein Monster, das wissen Sie ebenso wie ich. Und Sie - als mächtigster Zauberer unserer Zeit - es wäre Ihre verdammte Pflicht, ihn zu beseitigen, uns von ihm und seinen Anhängern zu befreien!" Seine Stimme klang hart, eisig, doch er meinte genau das, was er gerade sagte und würde seine Meinung nicht ändern, was immer Dumbledore auch erwidern würde. Dieser schien einen Moment zu zögern, wobei Severus nicht erkennen konnte, ob es daran lag, daß ihn seine Worte erschreckt hatten, oder daran, daß er sich vor der Antwort, die er zu geben hatte, fürchtete, sie vielleicht nicht wußte.

"Ja, auch Lord Voldemort ist ein Mensch. Die "Ritter der Walpurgis" wurden in mehr als einer demokratischen Wahl vom Volk gewählt, und somit ist er nicht nur ein Mensch, sondern auch der rechtmäßige Minister für Zauberei. Und ich sollte vielleicht betonen, daß es nicht im Sinne einer Demokratie, nicht in meinem Sinne ist, eine demokratische Regierung auf einem anderen Weg als über die Wahlurne zu stürzen. Die Zeiten, in denen Könige durch Kriege, Attentate und Putsche von ihrer Macht gerissen wurden, sind glücklicherweise Vergangenheit. Und weder ich, noch irgendeine andere Person der Opposition wird diese Zeiten aufleben lassen." Dumbledore hatte bedächtig gesprochen, seine Worte genau geprüft und Severus war sich sicher, daß diese Worte ebenso ehrlich waren, wie er es gegenüber Dumbledore war. Aber er konnte sie nicht verstehen.

"Also sehen Sie, der die Macht hat, etwas zu ändern, tatenlos zu bei allem, was Voldemort verbricht und verbrechen wird, nur weil die Mehrheit der Zauberer zu verblendet ist, um zu erkennen, wen oder was sie tatsächlich gewählt hat?", fragte er und seine Stimme war nun so laut und fassungslos, daß die vergangenen Schuldirektoren in ihren Bildern ihre Köpfe schüttelten angesichts solch einer Respektlosigkeit. Es war ihm egal.

"Wer bist du, Severus, daß du entscheiden kannst, was das beste für die Menschen ist, daß du annimmst, deine Meinung sei mehr wert, als die der Mehrheit. Ich kann dies nicht. Und darum werde ich nichts tun, was gegen die Prinzipien der Demokratie verstößt." Severus schüttelte ungläubig den Kopf, konnte, wollte nicht fassen, was er hörte. Er wollte etwas erwidern, Dumbledore überzeugen, doch ein Blick in dessen Gesicht zeigte ihm nur zu deutlich, daß nichts was er vorzubringen hatte, den Direktor umstimmen würde. Er hatte sich seine Meinung gebildet und hielt daran fest - genau wie Severus selbst.

"Ich denke, ich werde jetzt gehen, Sir.", brachte er in gezwungen höflichem Tonfall hervor und erhob sich von seinem Stuhl. Doch als er bereits die Tür des runden Büros geöffnet hatte und soeben im Begriff war, es zu verlassen, rief ihn der Direktor noch einmal zurück und lenkte Severus` Blick auf ihn: "Severus." Die Besorgnis, die Severus schon zu Beginn ihres Gespräch in den gütigen blauen Augen entdeckt hatte, war nun nicht mehr zu übersehen. "Ich möchte dich bitten, auch weil deine Eltern eine so hohe Position bei den Rittern innehaben - bitte tu so etwas nicht noch einmal. Sonst-..."

"Sonst was?", erkundigte Severus sich hitzig. Was hatten seine Eltern damit zu tun, was er in der Schule tat oder unterließ? Einen Moment schwiegen beide und die Stille legte sich schwer auf den gemütlichen Raum, dann endlich wurde sie von Dumbledore durchbrochen, der leise und wie es schien, traurig fortfuhr: "Sonst, fürchte ich, kann ich dich nicht länger beschützen."

****************************************************

"Sev!" Der Schrei klang seltsam fremd, einsam in der ätherischen Ruhe des Gewächshauses. Verlassen neben den leisen Geräuschen von Tontöpfen, die vorsichtig von Professor Sprout auf einem kleinen, verdreckten Tisch aufeinander gestapelt wurden, während ihr Strafschüler Severus versuchte, wenigsten die größten Klumpen der schwarzen Erde von seinen Fingern zu lösen. Doch noch immer hafteten Reste von ihr dunkel an ihnen, feucht und ein wenig klebrig. Der Schrei ließ Severus aufschrecken, hatte er doch sofort die Stimme erkannt und den Klang, den sie trug: Panik. Was hatte Sirius derart aufgewühlt, was vermochte es überhaupt solch einen Tonfall aus ihm hervorzubringen? Abwesend wischte Severus sich die Hände an seinem schwarzen Umhang ab, den Blick voller Unruhe auf die gläserne Tür gerichtet. Die Laute der aufeinander schabenden Töpfe waren verstummt. Absolute Stille an ihre Stelle getreten. Warum bemächtigte sich mit einem Schlag ein solch kaltes, lähmendes Gefühl seiner, das ihn regungslos verharren ließ? Was war geschehen?

"Sev!" Der Ruf kam näher, konnte nicht mehr weit von dem vertrauten Glashaus entfernt sein, in dem die Schüler in Kräuterkunde unterrichtet wurden und das jetzt langsam im schummrigen Licht der Abenddämmerung zu versinken drohte. Ewig schon schien das Warten zu dauern, schien Severus dort zu stehen, ahnungslos und doch, gerade deshalb, von einer unbestimmten Furcht ergriffen.

"Sev!" Endlich öffnete sich die zerbrechliche Tür, erbebte unter der Wucht des Stoßes, der sie auffliegen ließ, als Sirius in den schwach erhellten Raum rauschte. Doch sein Anblick konnte Severus nicht wie sonst beruhigen, ihm einen Halt bieten. Zu weit aufgerissen waren die Augen seines Freundes, zu deutlich stand ihm das Grauen ins Gesicht geschrieben, verzerrte es seine jugendlichen Züge. In weiten Sätzen kam er auf Severus zu gerannt, flog ihm entgegen, stoppte abrupt und war schon wieder in Bewegung, als er mit unnatürlich hoher und hastiger Stimme weiter sprach: "Sev! Du mußt hier weg! Komm!" Wieder diese Panik, auch hier das Grauen. Severus spürte, wie die Hand seines Freundes ihn packte, ihn mit sich zog, ihn mit vor Erstaunen und Unverständnis offenem Mund hinter Sirius her stolpern ließ, ohne genug Zeit zu haben, die Fragen zu stellen, wegen denen er ihn geöffnet hatte oder auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Während dessen hatte Sirius ihn bis zur Tür geschleift, fielen sie beinahe über die Türschwelle hinaus in die kühle Abendluft. Doch plötzlich blieb Sirius stehen, prallte Severus, der nicht schnell genug reagierte, gegen ihn, hob erst dann ruckartig den Blick, um zu sehen, wo Sirius derart starr hinsah, was ihn halten, bewegungslos hatte werden lassen. Und dann sah auch er sie: Fünf Männer, in dunkelgrünen Uniformen mit einem silbernen "R" auf der Brust, sah, wie sie mit energischen Schritten auf das Gewächshaus, auf ihn zukamen. Noch immer war ihm nicht klar, was das alles zu bedeuten hatte, doch die Furcht, dieses kalte Gefühl, das ihm bis jetzt nur seinen eisigen Hauch ins Gesicht geblasen hatte, nahm nun völlig von seinem Körper, seinem Verstand Besitz. Einige Sekunden verharrten die beiden Freunde so, dann wirbelte Sirius herum. "Los, rein!" Erneut wurde Severus gepackt, wieder hinein gedrängt, gestoßen in das Gewächshaus, in dem er bis eben Alraunen umgetopft hatte, während das Unheil bereits heran nahte, ihn in sein Visier nahm und sorgfältig zielte. Wie ein Donnerschlag dröhnte die zufallende Tür in Severus` Ohren, ließ ihn endlich aus seiner Apathie erwachen.

"Was ist los?", meldete er sich zum ersten Mal an diesem Abend zu Wort und konnte dabei nicht verhindern, daß seine Stimme seine innere Unruhe widerspiegelte. "Was ist los, Sirius? Sag schon!" Er starrte in die grauen Augen seines Freundes, suchte darin vergeblich nach einer Antwort.

"Das würde ich auch gerne wissen.", erklang eine ruhige, weibliche Stimme hinter ihnen und ließ sie herum wirbeln. Professor Sprout blickte den Jugendlichen verwirrt und besorgt entgegen. "Was hat diese Aufregung zu bedeuten?"

"Sie kommen! Sie wollen ihn holen!" Sirius hatte die Kontrolle über seine Stimme inzwischen gänzlich verloren, sie überschlug sich und machte es schwer, ihn zu verstehen. Doch Severus hatte ihn verstanden. Er verstand. Sie kamen ihn holen.

"Wer kommt, um wen zu holen?", piepste die Lehrerin für Kräuterkunde, die offensichtlich noch nicht begriffen hatte, was gerade in ihren Räumen vor sich ging.

"Die Ritter, sie holen Sev!"

"Die Ritter? Wa-...", fragte die Professorin, wurde jedoch unterbrochen von Severus: "Aber... Warum... Das können sie nicht. Was ist mit Dumbledore?" Die eisige Klammer die sich um sein Herz gelegt hatte, ihn lähmte und seine Luftröhre, seine Lunge zuzuschnüren drohte, ließ ihn stocken.

"Doch sie können! Deine Eltern haben sie geschickt! Du mußt verschwinden, Sev!" Doch bevor er auch nur die Chance hatte, Sirius Warnung zu befolgen, auch nur an Flucht zu denken, wurde die gläserne Tür bereits erneut geöffnet und zwei der Ritter betraten den Raum, versperrten mit ihren kräftigen Körpern den Ausgang.

"Severus Snape?", der ältere der beiden, ein klein gewachsener Mann mit schütterem Haar, um dessen Bauch die Uniform spannte, stellte diese Frage mit nüchterner, desinteressierter Stimme in den Raum. Severus gefror. Sein Inneres verkrampfte sich. Der Druck auf seiner Brust machte es ihm unmöglich, zu antworten. Konnten sie ihn nicht einfach übersehen? Er im Erdboden versinke? Sie gehen und ihn hier lassen, hier in seinem Zuhause? Doch die beiden Männer schienen zu wissen, nach wem sie zu suchen hatten, denn beide fixierten nun Severus mit ihren Blicken.

"Severus Snape. Wir sind Mitglieder der "Ritter der Walpurgis" und kommen im Auftrag Ihrer Eltern, um Sie abzuholen. Bitte, kommen Sie sofort mit uns, Ihre Sachen werden bereits gepackt, und leisten Sie keinen Widerstand, sonst sehen wir uns gezwungen, Gewalt anzuwenden." Der ältere Herr schien diese Rede auswendig gelernt zu haben, so unbetont, teilnahmslos hatte er gesprochen.

"Aber meine Herren...", warf Professor Sprout empört ein, während Sirius seinen Blick ruckartig von den beiden Männern löste und ihn hektisch zu Severus herüber wandern ließ.

"Lauf, Sev. Verschwinde.", zischte er panisch, doch Severus` Geist, sein Fühlen und Denken war noch immer erstarrt. Sie kamen ihn holen. "Lauf, verdammt." Sirius stieß Severus mit einem plötzlichen Stoß von der Eingangstür weg und riß ihn von dem Anblick der Männer los, die gekommen waren, ihn zu holen, fort von Hogwarts, von Sirius. Er stolperte vorwärts, fing sich, rannte endlich. Rannte auf die hintere Wand zu, weg von den beiden Männern in ihren grünen Uniformen. Undeutlich nahm er wahr, wie ein weißer Blitz knapp über seinem Kopf an ihm vorbei rauschte, ihm die Haare versenkte, wie Professor Sprout einen spitzen Schrei ausstieß, er gegen den hölzernen Tisch stieß und die Tontöpfe scheppernd zu Boden fielen, wie Sirius erneut rief: "Lauf, Sev!" Wie betäubt zog er seinen Zauberstab aus der Tasche, ließ die gläserne Wand vor sich zusammen fallen und lief durch die auf ihn herab regnenden Scherben ins Freie.

"Guten Abend, Mr Snape." Eine Hand legte sich Severus von hinten auf die Schulter, krallte sich wie eine eiserne Klaue in sie. Weitere Hände griffen nach ihm, entrissen ihm den Zauberstab und zwangen seine Hände auf den Rücken. Schmerz durchzuckte seine Arme, als sie verdreht wurden.

"Sie haben nicht wirklich geglaubt, daß Sie uns entkommen würden, oder, Mr Snape?" Ein fahles, spitzes Gesicht rückte in Severus Blickfeld. Ein eiskaltes Lächeln, umrahmt von hellblondem, langen Haar. Graue Augen. Nicht freundlich, lebendig, wie die seines Freundes, statt dessen kalt, berechnend.

"Führt ihn ab.", befahl der Mann, dessen Kälte in merkwürdigem Gegensatz zu seinem Alter stand. Er konnte nicht viel älter sein als Severus selbst.

"Jawohl, Mr Malfoy." Severus spürte, wie sein Gesicht gen Boden gedrückt, sein Rücken gebeugt wurde, während er vorwärts, über die inzwischen beinahe dunkle Wiese gezwungen, zum Gehen genötigt wurde. Er konnte es nicht fassen, nicht realisieren, was mit ihm geschah. Sein Verstand setzte aus. Sie waren gekommen. Sie holten ihn.

"Sev!" Panisch hob Severus den Kopf. Sirius kam auf ihn zu gerannt, den Zauberstab gezückt.

"Sehr schön, sehr schön. Wenn der so weiter macht, nehmen wir ihn auch gleich noch mit.", lachte einer der Ritter hinter Severus` Rücken und drückte dessen Gesicht wieder stärker nach unten. Er wollte schreien, Sirius warnen, Dumbledore rufen. Doch er brachte keinen Ton heraus, war verstummt. Mit einem letzten Aufbäumen richtete er sich erneut auf, gegen den Druck der schweren Hand in seinem Nacken kämpfend.

"Sev!" Wieder war es Sirius, der schrie. Severus` Blick fiel auf seinen Freund, der nicht mehr zu ihm laufen konnte, festgehalten wurde von Professor Dumbledore, der wie aus dem Nichts aufgetaucht schien und seinem Schüler die Hand in die Schulter krallte, ihn bewegungsunfähig machte. Severus starrte zu den beiden hinüber. Sah in die blauen, traurigen Augen des Direktors, ließ seinen Blick hektisch weiter wandern, bis er an denen Sirius` hängenblieb. Graue Augen, panisch aufgerissen, erfüllt von Angst und Entsetzen. Dann: Dunkelheit.

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"Ihr Name ist Severus Snape. Ist das richtig?"

"Ja, das stimmt. Aber-..."

"Sie sind sechzehn Jahre alt. Ist das richtig?"

"Ja. Aber-..."

"Sie sind das einzige Kind der Ritter Darius und Helena Snape. Ist das richtig?

"Ja, ich fürchte, das sind meine Eltern. Aber-..."

"Sie besuchten bis zu diesem Zeitpunkt Hogwarts, Schule für Hexerei und Zauberei. Ist das richtig?"

"Verdammt, was soll das? Wenn das hier ein Gericht ist, sagen Sie mir gefälligst, wessen Sie mich beschuldigen!"

"Dies ist kein Gericht, Mr Snape.

"Was ist es dann, verflucht?"

"Dies, Mr Snape, ist Ihre neue Schule."

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Dunkelheit - Aber keiner, der ein Licht entzündet.

Schmerzen - Und keiner, der hilft, sie zu ertragen.

Kälte - Doch keiner, der die frierenden Hände wärmend in die seinen nimmt.

Vergessen - Denn keiner, der erinnert.

Einsamkeit - Ohne Hoffnung, jemals zu entkommen.

Das Ende. Jeden Fühlens. Jeden Stolzes. Jeden Seins.

 

 Kapitel 2


 

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