Herz aus Eis

 

 

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Kapitel 13: Getrennte Wege


Am Abend des darauffolgenden Tages saß Severus in seinem Büro und versuchte, sich auf einen Stapel Essays über die Wirkung und die Anwendung von Wolfsmilchkraut zu konzentrieren. Stattdessen ertappte er sich immer wieder, wie seine Gedanken abschweiften und er sich in düsterer Brüterei darüber wiederfand, was Patricia und Lupin wohl gerade machten.
Das Wochenende war für Severus verdammt mies gelaufen:
Er hatte die beiden den ganzen Tag lang nicht gesehen, und das beunruhigte ihn zutiefst. Und dann noch diese traurigen Blicke von Dumbledore, die dieser ihm ständig während der Mahlzeiten zugeworfen hatte. 'Wahrscheinlich weiß er ganz genau, was hier vorgeht', dachte Severus voller Zorn. 'Und ich bin mal wieder der Gelackmeierte, Snivellus, der wie immer in die Röhre guckt, von einem seiner alten Erzfeinde ausgetrickst-'
Mitten in seine bitteren Gedankengänge platzte ein Klopfen an der Tür.
Seine Hoffnungen wurden sofort zerschlagen, als Draco Malfoy auf sein "Herein" das Büro betrat.
"Was gibt es noch so spät, Draco?"
Draco setzte sich ungefragt auf den Stuhl vor Severus´ Schreibtisch. "Ich muß mit dir reden, Severus. Es ist wichtig.."
"Nenn mich hier nicht so", fauchte Severus, was Draco nur ein müdes Lächeln entlockte. "Stell dich nicht so an. Niemand weiß, daß du mein Pate bist, nicht mal Crabbe und Goyle oder Pansy."
"Und das soll auch so bleiben. Du erinnerst dich an unsere Abmachung..." Severus musterte seinen Patensohn abschätzend.
Draco erwiderte seinen Blick mit einem überlegen wirkenden Grinsen. "Natürlich, Severus... Aber ich bin hier, um dich zu warnen. Warum also mit Förmlichkeiten aufhalten?"
Severus hob eine Augenbraue. Dracos Ähnlichkeit mit Lucius war besonders in diesem Moment frappierend. Zu gut konnte er sich an den überheblich-belustigten Tonfall in Lucius Malfoys Stimme erinnern, wenn dieser mal wieder glaubte, etwas viel besser zu wissen oder zu können als Severus. Draco gab diesen Ton geradezu perfekt wieder - und Severus fühlte Wut in sich aufsteigen.
"Ich habe zu tun, Draco. Es käme mir sehr gelegen, wenn du meine Zeit nicht mit irgendwelchen Wichtigtuereien verschwenden würdest. Also, komm auf den Punkt", erwiderte er kühl.
"Du kannst dir sicher schon denken, worum es geht , nicht wahr? Ich bekomme durch Dad einiges mit über den Dunklen Lord. Und ich weiß, daß du bei ihm in Ungnade gefallen bist. Dein Tod ist schon beschlossene Sache."
Seine Worte hatten ihr Ziel verfehlt, wie Draco enttäuscht feststellen mußte. Sein Pate sah ihn nur milde interessiert an und zeigte nicht die Spur von Angst. Aber er hatte ja noch mehr zu sagen:
"Aber du hast noch eine Chance, Severus. Der Dunkle Lord hat von Anfang an gewußt, daß du für Dumbledore spionieren würdest. Jemand hat dich verraten. Du mußt ihm nur das Schlammblut bringen, und er wird dich in seinen Kreis wieder aufnehmen. Warum zögerst du noch?"
"Draco, wenn du glaubst, du würdest mir Neuigkeiten bringen, irrst du dich gewaltig. Es war mir klar, daß mich jemand verraten hat. Und du hast genauso gegen mich gearbeitet... aber ich muß sagen, der Versuch war sehr kläglich."
Draco lief puterrot an und verriet sich selbst: "Aber woher weißt du, daß der Artikel in der Hexenwoche...."
Severus mußte grinsen. "Dein Vater wollte Professor Knight-Haversham aus Hogwarts entfernen. Er mußte einen wunden Punkt bei ihr suchen... und den konnte er natürlich nur in ihrem Privatleben finden. Und mich dabei mit ins öffentliche Interesse zu rücken, kam ihm natürlich auch sehr gelegen.... Ich hätte eigentlich schon früher darauf kommen müssen. Aber wie gesagt: Die Idee war erbärmlich. Und es ist genauso erbärmlich, daß du den gleichen Weg einschlägst wie dein Vater. Er wird euch beide letztendlich ins Verderben stürzen."
"Wie kannst du es wagen? Du hast doch den gleichen Weg gewählt, und warst nur viel zu feige, ihn zu Ende zu gehen! Du wirst der Erste sein, der stirbt! Dumbledore und seine Helfer werden dich auch nicht retten können. Du bist erbärmlich, nicht wir! Du wirfst alles hin wegen diesem Schlammblut!" schrie Draco ihn an, doch Severus blieb ganz ruhig und ließ sich nicht anmerken, wie weh es ihm tat, seinen Patensohn diese Worte sagen zu hören und einsehen zu müssen, daß sich ihre Wege hier trennen würden.
"Es reicht, Draco! Es ist deine Entscheidung, was du für richtig hältst und was für falsch. Ich bin nicht dein Vater und kann dir deinen Weg nicht vorschreiben. Genauso wenig kann ich es als dein Hauslehrer. Du solltest dir trotz allem gut überlegen, ob du dein Leben dem Unnennbaren weihen willst. Der Preis ist sehr hoch." Draco schnaufte verächtlich. "Und nun geh schlafen, es ist höchste Zeit. Gute Nacht."
Draco warf ihm einen letzten wütenden Blick zu und stürmte aus Severus´ Büro.
Draußen auf dem Gang blieb er stehen und machte sich bewußt, was gerade geschehen war. Severus hatte keine Angst. Er würde sterben, daran bestand gar kein Zweifel. Sein Tod war beschlossene Sache; Draco hatte seinen Vater und einige andere Todesser heimlich belauscht.
Auch Knight-Haversham würde sterben, aber die Pläne waren kurzfristig geändert worden. Draco war nicht eingeweiht worden, und sie hatten sein Gedächtnis gelöscht, nachdem er mitgeholfen hatte, Knight-Havershams Uhu vom Himmel zu holen. Er würde sich dem Dunklen Lord erst als endgültig würdig erweisen müssen, um als Todesser anerkannt zu werden. Wenn er doch bloß schon älter wäre...
Langsam machte er sich auf den Weg zum Gemeinschaftsraum der Slytherins. Auf halbem Weg traf ihn eine Erkenntnis wie ein Donnerschlag: Sein Pate würde fehlen! Er kannte Severus schon sein ganzes Leben, und obwohl dieser oft eher unnahbar gewesen war, so mußte sich Draco doch eingestehen, daß er Severus sehr mochte. Wie würde das Leben in Slytherin ohne ihn sein?
Mit einem unangenehm dumpfen Gefühl im Bauch setzte Draco seinen Weg fort.

***



Rastlos lief Severus in seinem Büro auf und ab. Seine Gedanken kamen nicht zur Ruhe, ständig sah er sie vor sich: Patricia, zitternd und mit Tränen im Gesicht, Draco an seinem ersten Schultag in Hogwarts... oh, wie stolz war er auf ihn gewesen, fast, als wäre er sein eigener Sohn... Patricia, wie sie lachend neben Severus flog, Patricia, wie sie in seinen Armen lag und ihm tief in die Augen sah, bevor sie ihn küßte, Draco am Tag seiner Geburt, als Lucius ihn voller Stolz Severus in den Arm gelegt hatte ("Möchtest du nicht sein Pate sein, Severus?"), Patricia beim Abschlußball mit Remus Lupin..
"Genug!" Severus schüttelte den Kopf in dem verzweifelten Versuch, all diese Erinnerungen loszuwerden. Doch sie ließen sich nicht vertreiben und attackierten ihn nur noch wilder.
"Bleib bei mir, Severus!"
"Dein Tod ist schon beschlossene Sache.."
"Du wirst auf ihn Acht geben in Hogwarts, Severus..."
"Du verachtest mich, weil ich ein Kind von Muggeln bin..."
Severus wußte plötzlich, was zu tun war. Er mußte sich Dumbledores Denkarium ausleihen, um die Gedanken und Erinnerungen, die ihn heute Abend am meisten quälten, dort hinein verbannen zu können.

***



"Wie gut, daß Sie gekommen sind, Severus. Ich muß dringend mit Ihnen reden",
war Dumbledores Begrüßung gewesen, kaum daß Severus in dessen Büro eingetreten war.
"Setzen Sie sich, bitte."
Severus saß auf dem Stuhl vor Dumbledores riesigen Schreibtisch und versuchte, dem traurig blauen Blick des Mannes, den er am meisten von allen achtete und respektierte, standzuhalten.
"Ich habe Ihnen etwas zu sagen, etwas sehr Wichtiges. Eigentlich ist es nicht meine Aufgabe, Ihnen diese Mitteilung zu machen. Aber manchmal spielen die Dinge halt etwas verrückt.."
"Ich weiß es bereits, Professor Dumbledore", antwortete Severus, verzweifelt bemüht, jegliches Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken.
Dumbledore hob erstaunt die Augenbrauen. "Ach......von wem?"
"Draco Malfoy, Sir. Er hat seinen Vater belauscht, und..."
Gegen seinen Willen mußte Dumbledore lachen.
"Sir?" Severus war nun vollkommen irritiert.
"Entschuldigen Sie, Severus. Sie haben mich missverstanden. Das, was ich Ihnen sagen will, hat nichts mit Lord Voldemort zu tun, sondern mit Ihnen und Professor Knight-Haversham."
"So?" Severus´ Lippen wurden zu einem schmalen Strich. Würde Dumbledore es jetzt sagen? Sagen, daß das Ministerium eine Ausnahme gemacht hat bei Remus Lupin und daß es bald eine Hochzeit auf Hogwarts geben würde?
Dumbledore nickte und lächelte. "Nun Severus, ich bin sehr alt und habe in meinem Leben einiges erlebt. Aber für eines hat es nie gereicht: die Liebe! Ich war nie verheiratet, obwohl es doch die eine oder andere Hexe gegeben hat, an die ich mein Herz hätte verlieren können... jedoch waren mir meine Aufgaben, die Forschung, die Arbeit und letztendlich der Kampf gegen die Dunklen Künste immer wichtiger, als mich wirklich fest zu binden. Manchmal bedauere ich das sehr... heute hätte ich wahrscheinlich schon eine Schar Urenkel.."
Wieder lächelte Dumbledore in sich hinein. Severus begann sich langsam zu fragen, warum Dumbledore ihm das alles erzählte. Wurde er am Ende gar sentimental auf seine alten Tage?
"Ach, verzeihen Sie, Severus... ich schweife ab. Ich wollte damit nur sagen, daß ich vielleicht nicht der Richtige bin, über Liebesdinge zu reden. Aber es muß sein. Die Sache zwischen Ihnen und Patricia.."
"Ist vorbei!" konstatierte Severus knapp und bemühte sich um einen beherrschten Gesichtsausdruck.
"Nun, das denke ich nicht. Ich habe gesehen, wie Sie beide sich in den letzten Monaten gequält haben... Liebe kann man nicht einfach mit 'Finite Incantatem_ beenden, und auch nicht aus Vernunft und Besorgnis, wie Sie es getan haben. Und so sehr ich Ihre Entscheidung verstehen und nachvollziehen kann, bitte ich Sie, das noch einmal zu überdenken."
"Sir, ich habe keine andere Möglichkeit. Und ich bin wirklich in der Lage, damit fertig zu werden. Professor Knight-Haversham ist es auch, sie hat Lupin gleich zur Hilfe genommen."
Seine Stimme klang bitter, und Severus schämte sich dafür.
Dumbledore sah ihm in die Augen und schüttelte den Kopf. "Nun, ich glaube sagen zu können, daß dieses Zusammensein mit Remus Lupin in erster Linie dem Zweck dient, Sie eifersüchtig zu machen."
Severus runzelte die Stirn. "Das heißt, sie und Lupin sind nicht wirklich.....?"
"Ich bin der festen Auffassung, daß Patricia eine der ältesten weiblichen Waffen gegen Sie gerichtet hat: Eifersucht! Und ich muß sagen, es scheint hervorragend zu wirken. Aber das ist nicht der Punkt. Madam Pomfrey war kürzlich hier und hat mir etwas mitgeteilt, Patricias Gesundheitszustand betreffend."
Severus erschrak. Patricia sah in letzter Zeit sehr schlecht aus. Sie hatte kaum gegessen und - war sie nicht im Unterricht in Ohnmacht gefallen?
Er sprang auf. "Sagen Sie mir, was mit ihr ist!!!" schrie er Dumbledore an.
"Es ist nichts ernstes. Und jetzt setzen Sie sich erst mal. Ich denke, es ist besser, Sie sitzen, wenn Sie es erfahren. Severus, Sie werden Vater!"
Es war, als hätte ihn ein Schocker direkt in die Magengrube getroffen, und gleichzeitig schossen die wildesten Gedanken durch seinen Kopf.
"ICH? VATER?" schrie er Dumbledore an. "Das kann unmöglich sein, ich..." Doch in diesem Moment kam ihm die Erkenntnis: Natürlich konnte es sein! Schließlich hatten er und Patricia fast jede Nacht über Wochen.... Er schluckte und merkte, wie das Blut aus seinem Kopf wich, nur um kurz darauf wieder hinaufzuschießen. Sein Gesicht schien zu glühen, und gleichzeitig lief es ihm kalt den Rücken herunter.
"Alles in Ordnung, Severus?"
Er nickte schwach und sah sich in Dumbledores Büro um. Es erschien ihm ganz anders als noch vor ein paar Minuten, so, als wäre er soeben aus einem Traum erwacht... oder in einen Traum gesunken?
"Wie weit, ich meine, wie lange..", fragte er Dumbledore.
"Nun, Madam Pomfrey meint, sie wäre im dritten Monat. Allerdings wollte sie das Kind nicht. Und sie wollte auch nicht, daß Sie es erfahren. Es gibt viele Tränke, um unerwünschte Schwangerschaften abzubrechen..."
Severus nickte. Patricia kannte diese Tränke. Und natürlich würde sie kein Kind von ihm wollen, ausgerechnet von ihm, der ihr so wehgetan hatte.
"Was werden Sie nun tun, Severus?" fragte Dumbledore ruhig.
"Ich muß mit ihr reden, jetzt sofort. Egal, ob Lupin bei ihr ist oder nicht."
Er erhob sich und eilte zur Tür.
"Severus...viel Glück!" sagte Dumbledore leise.
Severus nickte nur und verließ das Büro durch die massive Eichentür.
'Viel Glück? Was meinte er damit?' dachte Severus, während er durch die abendlich stillen Gänge lief. 'Hofft er, daß ich Patricia nicht mit Lupin im Bett erwische? Oder wünscht er mir, daß sie das Kind noch nicht abgetrieben hat?'
Severus´ Verstand weigerte sich noch immer, diese Tatsache zu akzeptieren.
Auch nur der Gedanke daran, jemals ein eigenes Kind zu haben, war Severus während der letzten Jahre nicht einmal im Traum gekommen. Eigentlich mochte er Kinder nicht mal besonders, Draco und einige andere Slytherins vielleicht ausgenommen.
Und Patricia? Sie hatte nie darüber gesprochen, aber er glaubte, daß sie auch nicht darauf aus war, ein Kind zu haben.. Aber warum hatte sie dann nicht verhütet?
Severus barst schier vor Fragen, als er an Patricias Bürotür klopfte.
Doch niemand antwortete.
So ging er zu Patricias Privaträumen. Als auch dort niemand auf sein Klopfen antwortete, verließ ihn die Geduld und er öffnete die Tür mit dem speziellen Paßwort, das sie ihm damals genannt hatte.
Die Räume waren dunkel; das Bett war leer. Seine schlimmste Befürchtung hatte sich nicht bestätigt. Vermutlich war sie bei Lupin und Black. Er würde hier auf sie warten. Er mußte mit ihr sprechen, noch in dieser Nacht.



Kapitel 12

 

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