Jenseits von Hogwarts

 

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Disclaimer: Bekannte Personen, Orte, etc. gehören J.K. Rowling. Ich habe sie mir nur ausgeliehen und verdiene an dieser Geschichte auch kein Geld - leider.
Bemerkungen: Dies ist mein erster Versuch, eine Fanfiction zu schreiben. Über Reviews würde ich mich sehr freuen!
Ein riesiges Dankeschön an meine Beta-Leserin Franzi!


Jenseits von Hogwarts


Kapitel 1

Die Probe


Vollkommene Schwärze. Schwärze und Kälte. Moder. Feuchtigkeit.
Als Draco Malfoy die Augen aufschlug, war er einen Moment lang völlig orientierungslos. Es machte keinen Unterschied, ob er die Augen öffnete oder schloss - ihn umgab absolute Finsternis. Wo war er? Seine Hände glitten hastig über rauen Stein - und da erinnerte er sich wieder. Er war beim Dunklen Lord. In seinem Schloss. In seinem Kerker.
Draco stöhnte leise. Er wusste nicht, wie lange er schon hier war. Seit er mit Snape und den anderen Todessern von Hogwarts geflohen war, hatte er den Dunklen Lord überhaupt noch nicht zu Gesicht bekommen. Sie waren in der Nähe des Schlosses appariert und dann sofort zu ihrem Herrn geeilt, doch nur Snape und der Werwolf Greyback hatten mit ihm sprechen dürfen. Die anderen Todesser hatten derweil im düsteren Korridor vor der geschlossenen Tür gewartet, alle - trotz ihrer teils nicht unerheblichen Verletzungen - in Hochstimmung nach der Tötung Dumbledores. Alle - außer Draco, der sich zitternd und mit seinen Nerven völlig am Ende an der Wand hatte zu Boden gleiten lassen, blicklos ins Nichts starrend. Er hatte versagt. Er würde bestraft werden.
Seine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bestätigt, als Snape nach einiger Zeit, die Draco wie eine Ewigkeit vorgekommen war, aus der Tür zu Voldemorts Thronsaal getreten war, Alecto und Amycus beiseite genommen und hastig mit ihnen geflüstert hatte. Sekunden später waren die Geschwister zu Draco geeilt, hatten ihn gepackt und ohne ein Wort der Erklärung in die Kerker geschleppt. Und hier saß er nun seit wer weiß wie vielen Tagen, in einer feuchten, kalten und vollkommen finsteren Zelle, ohne in all der Zeit jemanden gesehen oder gesprochen zu haben. In regelmäßigen Abständen wurden ein Krug Wasser und ein Teller mit wenig appetitlichem Essen durch eine Klappe in der Tür geschoben und ab und an leerte sich der stinkende ‚Toiletten'-Kübel auf mysteriöse Weise. Das war alles.
Draco stöhnte erneut und rollte sich auf die andere Seite. Das schimmelige Stroh unter seinem Körper raschelte dumpf. Nur nicht wach sein. Schlafen. Vergessen.
Ein leises Kreischen zerriss die dumpfe Stille. Ein matter Lichtstrahl huschte über den schmutzigen Boden, erreichte Dracos Körper, sein Gesicht. Überrascht und erschrocken rollte er sich herum, so dass er die Tür in den Blick bekam. Seine Augen hatten sich so sehr an die Dunkelheit gewöhnt, dass er nichts als zwei verschwommene dunkle Flecken vor hellem Hintergrund erkennen konnte. Einer der Flecken setzte sich in Bewegung, langsam, zögernd, näherte sich seinem Lager.
"Draco?"
Er zuckte zusammen und fuhr in die Höhe. Die Stimme hatte so vertraut geklungen. Aber - das war doch nicht möglich!
"Vater?"
Die Tür schloss sich hinter der dunklen Gestalt. Finsternis. Dracos Augen versuchten vergeblich, sie zu durchdringen. "Vater, bist du das?"
Er hörte ein leises, schleifendes Geräusch, das langsam näher kam, jemand tastete sich unsicher an der Wand entlang und auf ihn zu. Ein leichter Stoß traf seine Knie.
"Draco." Eine Hand fuhr über seinen Körper, schloss sich um seinen Arm - eine vertraute Hand. Er war es wirklich. In diesem Moment war es Draco völlig egal, wie sein Vater aus Askaban entkommen, warum er plötzlich mit ihm in den Kerkern des Dunklen Lords gefangen war. Er war einfach nur unendlich froh, ihn wiederzuhaben. Stumm vor Glück und Überraschung spürte Draco, wie der eisige Klumpen in seinem Magen zu schmelzen begann, der ihm in den letzten Tagen die Luft zum Atmen genommen hatte. Er fing an zu schluchzen, leise erst, dann immer heftiger und unkontrollierter. Sein Vater schwieg, nahm ihn jedoch vorsichtig in die Arme und hielt ihn fest, bis er sich wieder etwas beruhigt hatte.
Schließlich zerteilte die leise Stimme Lucius Malfoys die Stille. "So haben wir also beide versagt, du und ich", sagte er bitter, "und der Dunkle Lord wird uns strafen, wie es ihm angemessen dünkt."
Die Kälte kroch erneut in Dracos Herz. Er löste sich aus der Umarmung und wich ein Stück zurück. "Ich... Ich konnte es einfach nicht tun. Ich stand vor Dumbledore und er... Er war so absolut überzeugt davon, dass ich ihn nicht töten würde. Und plötzlich wusste ich, dass er Recht hatte. Ich konnte es einfach nicht." Die Erinnerung würgte ihn in der Kehle und ließ seine Stimme gepresst und unsicher klingen.
"Es war die letzte Chance, das Ansehen unserer Familie beim Dunklen Lord wiederherzustellen."
"Vater, es tut mir so leid, aber -"
"Ich mache dir keinen Vorwurf, Draco. Diesmal nicht. Ich hatte in Askaban ausgiebig Zeit zum Nachdenken und mir ist klar geworden, dass ich einige Fehler begangen habe, was dich betrifft."
Diesmal war Draco sprachlos vor Erstaunen. Sein Vater hatte ihm gegenüber noch nie einen Fehler zugegeben. Askaban musste ihn in der Tat sehr angegriffen haben. Draco schämte sich fast für diese plötzliche Schwäche. Er tastete nach der Hand seines Vaters. Als er dabei dessen Handgelenk streifte, entfuhr Lucius Malfoy ein nur mühsam unterdrückter Aufschrei. Draco zuckte erschrocken zurück. "Vater, was ist? Bist du verletzt?"
"Ich habe einen Teil meiner... Strafe schon erhalten. Es ist schon einige Tage her, dass der Dunkle Lord mich und alle anderen in Askaban inhaftierten Todesser befreien ließ. Er hatte also Zeit, sich mir zu... widmen. Ich zweifle aber nicht daran, dass es nur ein Vorgeschmack dessen war, was er noch für mich bereithält."
Furcht stieg in Draco auf wie ein böser Geist, der sich langsam und kriechend seines Körpers und seiner Seele bemächtigte. Doch es war nicht sein Vater, um den er Angst hatte - er selbst war es. Sein Vater hatte darin versagt, die Prophezeiung über Harry Potter und den Dunklen Lord an sich zu bringen und sie ihrem Herrn zu übergeben. Eine wichtige Aufgabe, zweifellos, aber nicht annähernd so wichtig wie die Tötung Dumbledores, bei der er selbst versagt hatte. Womit würde der Dunkle Lord ihn strafen?
"Was... was wird er mit uns machen?", fragte er sehr leise.
Sein Vater zögerte kurz, dann strich er Draco über den Kopf. "Ich weiß es nicht. Möglich, dass er sich damit zufrieden geben wird, mich zu quälen und dich zum Zusehen zu zwingen. Vielleicht wird er dich auch zwingen, mich zu foltern - oder umgekehrt. Vielleicht wird er auch einen von uns töten - oder uns beide. Aber was immer auch geschieht, was immer er auch von dir verlangen mag - wenn sich für dich eine Möglichkeit bietet, zu überleben, will ich, dass du sie ergreifst. Hast du mich verstanden?"
"Aber - Vater..." Draco war entsetzt. Das konnte er nicht von ihm verlangen!
"Ob du mich verstanden hast, will ich wissen!"
"Ja, Vater, aber -"
"In diesem Fall dulde ich keinerlei Widerspruch. Denk an deine Mutter. Willst du, dass sie uns beide verliert? Nein? Dann tu, was immer der Dunkle Lord dir befehlen wird!"
Draco sagte nichts mehr - sein Vater hatte Recht. Freude und Erleichterung, die er noch vor wenigen Minuten empfunden hatte, waren plötzlich wie weggefegt. Endgültig von seiner Angst überwältigt, fing er wieder an zu weinen. ‚Meine Güte, wie ein Mädchen!', sagte eine verächtliche Stimme in seinem Kopf. Was um alles in der Welt würde sein Vater von ihm denken? Er legte enorm viel Wert auf Härte und Selbstbeherrschung.
Doch sein Vater nahm ihn fest in die Arme und schwieg.

***


Lucius Malfoy erwachte von einem hässlichen Kreischen, als wenn Fingernägel über eine Schiefertafel gezogen würden. Es war nicht laut, aber seine angespannten Sinne reagierten in letzter Zeit heftig auf jedes ungewohnte Geräusch. Ein Lichtstrahl zerschnitt die Schwärze, wurde breiter und blendete ihn. Angestrengt blinzelnd versuchte er, seine Augen an die plötzliche Helligkeit zu gewöhnen. Fahrig schüttelte er den immer noch in seinem Schoß schlafenden Draco, der nur langsam zu sich kam. Im Lichtschein, der durch die geöffnete Tür auf das Gesicht seines Sohnes fiel, sah Lucius, dass Draco ihn anlächelte. Dann, als den Jungen mit einem Schlag die Erkenntnis überfiel, wo sie sich befanden und was ihnen bevorstand, erstarrte das Lächeln auf seinem Gesicht zu einer Grimasse der Angst.
In der Tür erschien eine schwarze Gestalt. Im Gegenlicht konnte Lucius nicht erkennen, wer es war, obwohl er fast alle Todesser kannte - sofern sie nicht erst im letzten Jahr, während seiner Gefangenschaft in Askaban, dem Dunklen Orden beigetreten waren. Lucius hatte viele Jahre das Vertrauen des Dunklen Lords in außergewöhnlichem Maße genossen, sowohl vor, als auch nach dessen Fall vor fünfzehn Jahren. Nun, das war unwiderbringlich vorbei. Nicht nur sein Versagen in der Mysteriumsabteilung diskreditierte ihn für alle Zeiten, zudem war der Dunkle Lord hinter seinen leichtfertigen und eigenmächtigen Umgang mit dem Riddle-Tagebuch gekommen. Er hatte Lucius seinen Zorn darüber in den letzten Tagen ausgiebig fühlen lassen. Lucius hatte seine Chancen im Dunklen Orden verspielt, Einfluss und Macht für immer verloren.
"Der Dunkle Lord will euch sehen." Eine tiefe, melodische Stimme, in der unterschwelliges Bedauern mitschwang. Jim Avery. Mehr als alle anderen Todesser wusste er, was es bedeutete, den Zorn des Dunklen Lords zu spüren zu bekommen.
‚Mehr als alle Todesser, die noch leben', korrigierte sich Lucius in Gedanken.
Lucius erhob sich mühsam. Noch immer schmerzte jede Faser seines Körpers. Und jetzt ging es schon wieder los... Er zog Draco vom Boden hoch und flüsterte ihm hastig zu: "Reiß dich zusammen. Versuch, keine Schwäche zu zeigen! Der Dunkle Lord will dich am Boden kriechen sehen, aber gleichzeitig verachtet er nichts so sehr wie Schwäche."
Avery nahm sie an der Tür in Empfang. Hinter seiner Maske lächelte er Lucius nervös zu. "Tut mir leid", sagte er leise. Lucius zuckte müde und resigniert mit den Schultern. Eine zweite schwarz gekleidete und maskierte Gestalt wartete im Korridor auf sie, und Lucius erkannte voll Abscheu den Werwolf Fenrir Greyback. Greyback grüßte ihn mit einem knappen Nicken und Lucius erwiderte den Gruß ebenso knapp. Die Abneigung war gegenseitig und Lucius wünschte, er hätte verhindern können, dass der Werwolf seinem Sohn so nahe kam.
In zügigem Tempo durcheilten sie die düsteren Gänge, Avery vorne weg, die Malfoys in der Mitte und Greyback als Nachhut. Lucius hatte Mühe, das Tempo zu halten, sein Körper hatte in den letzten Tagen einiges mitmachen müssen. Der Dunkle Lord war nicht gerade sanft mit ihm umgegangen, ebensowenig wie Severus, den ihr Herr mit der Ausführung seiner Rache beauftragt hatte. Jeder Atemzug und jeder Schritt jagte eine neue Welle der Pein durch Lucius' Glieder. Doch er bemühte sich, seine schlechte Verfassung so gut wie möglich zu verbergen. Ihm war der schockierte Blick nicht entgangen, mit dem Draco seine verschmutzten und zerissenen Roben - er trug immer noch die graue Gefängniskleidung Askabans - und, vor allem, sein bleiches und ausgezehrtes Gesicht gemustert hatte.
Nach einigen Minuten erreichten sie eine steinerne Treppe und daran anschließend einen breiten, von grünlich brennenden Fackeln erleuchteten Korridor, der gerade auf eine große und schwere eisenbeschlagene Holztür zuführte. Zwei Lucius unbekannte Todesser standen zu beiden Seiten Wache. Als die vier auf sie zueilten, öffneten die Wächter die Türflügel und einer von ihnen rief laut: "Die Gefangenen Lucius und Draco Malfoy und ihre Bewacher Avery und Greyback, Meister!"
Sie betraten den Saal hinter Avery. Fast wie in einer Kathedrale schimmerte das Mondlicht durch hohe, bunt verglaste Bogenfenster. Die Decke des weiten Raumes, gestützt von schlanken und mit gotischen Ornamenten verzierten Säulen, war im Dämmerlicht nur zu erahnen. Direkt gegenüber der Tür saß der Dunkle Lord auf seinem hochlehnigen hölzernen Thronsessel. Seine roten Augen glommen in dem nur schwach von Kerzen und Fackeln erleuchteten Raum wie feuerbeschienene Rubine. An seiner Seite stand Severus Snape, neben dem Dunklen Lord und den Malfoys der Einzige im Raum, der keine Maske trug. Ein halbes Dutzend Todesser lauerte im Hintergrund auf seinen Einsatz. Lucius glaubte, unter den Kapuzen und Masken auf der einen Seite Crabbe, Goyle und Nott zu erkennen. Sein Magen krampfte sich zusammen vor Unbehagen, als er zwei der anderen Todesser als Bellatrix und Rodolphus Lestrange identifizierte. Bella, da war er sich sicher, würde ihn und sogar ihren Neffen Draco mit Begeisterung foltern, wenn für sie die leiseste Aussicht bestand, dadurch die Gunst des Dunklen Lords zurück zu erringen.
"Nun...", ertönte die vertraut kalte und hohe Stimme des Dunklen Lords. Lucius erschauerte unwillkürlich und seine Nackenhaare stellten sich auf. "...willkommen zu Hause. Wie ihr seht, habe ich ein hübsches Empfangskomitee für euch zusammengestellt. Alle hier erwarten gespannt euren Auftritt. Ich denke, wir sollten sie nicht länger auf die... Folter spannen und den Tanz eröffnen. - Severus!"
Der Angesprochene trat einen Schritt vor und richtete seinen Zauberstab auf Lucius. Für eine Sekunde trafen sich ihre Blicke. Severus' Gesicht war zur undurchdringlichen Maske erstarrt. "Crucio!", sagte er kalt.
Eine unsichtbare Faust traf Lucius in die Brust, schmetterte ihn zu Boden. Der Schmerz breitete sich wie ein rasendes Feuer in ihm aus. Jede andere Wahrnehmung wurde hinweggefegt von den wütenden Flammen, die an allen Fasern seines Körpers rissen. Er schrie, aber der Schmerz hatte so vollkommen von ihm Besitz ergriffen, dass er sein eigenes Schreien nicht einmal wahrnahm.

***


Draco war vor Entsetzen erstarrt. Er blickte auf seinen Vater, dessen Körper wie von Krämpfen geschüttelt wurde und der unaufhörlich schrie, auf Snape, der mit ausdrucksloser Miene seinen Zauberstab auf Lucius gerichtet hielt. Alles, was sein Vater ihm über Selbstberrschung gesagt, alles, was seine Tante Bellatrix ihn über Legilimentik im Angesicht des Dunklen Lords gelehrt hatte, wurde aus seinem Bewusstsein gewischt.
‚Oh, bitte, lass das enden, mach, dass es aufhört!', dachte er verzweifelt und war gleichzeitig davon überzeugt, dass das, was sich da gerade vor seinen Augen abspielte, nicht wahr sein konnte. Es war ein böser Traum, nichts weiter und gleich würde er die Augen öffnen und - "Genug!"
Die emotionslose Stimme des Dunklen Lords befreite Draco aus seiner Erstarrung. Snape ließ den Zauberstab sinken und Lucius sackte wie eine Marionette, deren Fäden man zerschnittenen hatte, auf dem Boden zusammen.
"Vater."
Draco hatte schreien wollen, doch aus seinem Mund kam nur ein fast unhörbares Flüstern. Zögernd machte er zwei Schritte auf die reglos am Boden liegende Gestalt zu. Dann blickte er sich voll Angst nach dem Dunklen Lord und Snape um. Doch keiner von beiden machte Anstalten, ihn zu hindern. Sie sahen ihn nur an, beide mit gleichermaßen ausdruckslosen Gesichtern. Draco wandte sich wieder seinem Vater zu.
"Vater!"
Stöhnend öffnete Lucius die Lider. Er musste blinzeln, der Schmerz hatte ihm Tränen in die Augen getrieben. Doch als Draco sich zu ihm hinab beugte und ihn berühren wollte, schüttelte er kaum merklich den Kopf. Draco zog seine ausgestreckte Hand so hastig zurück, als ob er sich verbrannt hätte.
‚Keine Schwäche zeigen!', schoss es ihm durch den Kopf. Langsam drehte er sich wieder zurück zum Dunklen Lord. Ein zynisches Lächeln umspielte die Lippen ihres Herrn.
"Eine kleine Übung zu Demonstrationszwecken. Hast du den Cruciatus-Fluch schon einmal angewandt? An einem Menschen, meine ich?"
Draco schüttelte stumm den Kopf. Die Angst würgte ihn so heftig, dass er nicht sprechen konnte. Er wusste, was kommen würde.
"Nun", fuhr der Dunkle Lord noch immer lächelnd fort, "ich bin mir sicher, dass dein Vater dir gerne dabei helfen wird, deine magischen Fähigkeiten zu vervollkommnen. - Steh auf, Lucius!"
Lucius erhob sich mühsam.
"Draco!" Der Dunkle Lord sah ihn scharf an, und Draco fühlte seine Eingeweide zu Eis erstarren. "Du bist an der Reihe. Wie in der Schule, nicht wahr, Severus? Der Lehrer macht es vor und die Schüler machen es nach." Ein bösartiges Vergnügen schwang in seiner Stimme.
Draco schluckte und sah seinen Vater an. Der erwiderte seinen Blick ruhig und nickte leicht. Plötzlich fühlte Draco eine Hand auf seiner Schulter - Snape stand neben ihm und drückte ihm seinen Zauberstab in die Hand, der Draco vor Tagen von Amycus abgenommen worden war. "Tu, was der Dunkle Lord dir befohlen hat", sagte er kalt. Und dann, mit einem Blick zu Lucius und so leise und rasch, dass Draco sich nicht sicher war, ob Snape tatsächlich gesprochen hatte: "In euer beidem Interesse." Er fühlte, wie Snapes Hand kurz seine Schulter drückte. War sein Hauslehrer auf ihrer Seite? Doch Draco hatte keine Zeit nachzudenken. "Worauf wartest du?", ertönte die gefährlich sanfte Stimme des Dunklen Lords in seinem Rücken.
Draco straffte die Schultern und hob seinen Zauberstab. Er sah seinen Vater nicht an, sondern fixierte einen Punkt an der Wand knapp über Lucius' Kopf.
"Crucio!"
Wie von einer unsichtbaren Peitsche ins Gesicht getroffen, zuckte sein Vater heftig zurück. Doch mehr geschah nicht.
‚Ich bin nicht entschlossen genug. Ich will ihm nicht wirklich weh tun', dachte Draco verstört. ‚Ich kann das nicht tun.'
Doch schon war Snape wieder neben ihm. "Mit Überzeugung, Malfoy! Na los! Du warst doch sonst immer mein bester Schüler." Snapes Stimme triefte vor Hohn. Aber zwischen den Zähnen zischte er Draco zu: "Er wird ihn töten , wenn du es nicht tust!"
Ihn töten? Seinen Vater töten? Und plötzlich wusste Draco, was er zu tun hatte.
"CRUCIO!", schrie er und seine Stimme war voller Hass. Es war Hass auf den Dunklen Lord, ihn wollte er foltern, ihn wollte er töten! Doch er hatte den Zauberstab auf seinen Vater gerichtet.
Und diesmal gelang es. Der Hass und der Wunsch, einen anderen leiden zu machen, waren so stark in Draco, dass sein Vater von der Wucht des Fluches mehrere Meter zurückgeschleudert wurde und gegen die Wand prallte. Wieder schrie er und wieder wand er sich unter Schmerzen, doch diesmal war es sein eigener Sohn, nicht Snape, der ihn folterte.
"Genug! Hör auf!"
Nur undeutlich nahm Draco wahr, wie seine Hand zur Seite geschlagen, der Zauberstab aus seinen Fingern gerissen und der Fluch unterbrochen wurde. Snape eilte an ihm vorbei zu der zusammengesunkenen Gestalt an der Wand und ließ sich neben ihr auf die Knie sinken.
"Er ist bewusstlos, mein Lord. Aber er lebt noch."
Entsetzt und ungläubig starrte Draco ihn an.
"Du hättest ihn fast getötet!" Diesmal klang Snapes' Stimme erregt und jede Ironie war aus ihr verschwunden.
"Nun, nun, Severus! Was erwartest du beim ersten Versuch? Du bist zu streng mit deinem Schüler. Man muss auch Fehler machen dürfen."
Halb betäubt drehte sich Draco zu ihrem Meister um. Der hatte sich auf seinem Thronsessel leicht vorgebeugt und blickte ihm gerade in die Augen. In seinem Gesicht lag ein lauernder Ausdruck.
"Der Junge hat Talent! Und um Lucius wäre es nicht allzu schade. Er hat einmal zu oft versagt."
"Dennoch, mein Lord, wäre es Verschwendung, ihn so sinnlos... krepieren zu lassen." Der spöttische Tonfall war in Snapes' Stimme zurückgekehrt. "Er könnte für uns auf eine weit nützlichere Weise sterben."
"Ich hoffe, Severus, dass allein deine Sorge um eine möglichst nutzbringende Verwendung von Lucius deine Erregung eben verursacht hat? Sieh mir in die Augen!"
Snape erwiderte den durchbohrenden Blick seines Gebieters gelassen und selbstsicher. Draco fand es erstaunlich, dass irgendjemand dem Blick des Dunklen Lords dermaßen ruhig begegnen konnte. Schließlich nickte ihr Herr und entließ Snape aus dem Bann seiner Augen. Statt dessen fixierte er nun Draco.
"Ich denke, es reicht für heute. Aber wir werden uns bald wiedersehen." Seine funkelnden Augen bannten Draco, senkten sich in seine Seele hinein. Der geistige Kontakt war gleichzeitig furchteinflößend und erregend. Fasziniert starrte Draco das bleiche Gesicht seines Herrn an, die ebenmäßigen Züge, die schmalen roten Augen, den fein geschwungenen, lippenlosen Mund. Er fand es plötzlich schön, dieses marmorkalte Antlitz. Schrecklich und verführerisch. Eine Aura der Macht, der Unangreifbarkeit umgab den Dunklen Lord wie eine knisternde Wolke. Oh ja, er war groß. Wahrhaft groß. Und plötzlich verbeugte Draco sich tief, sank auf die Knie und kroch zum Thron seines Herrn, küsste den Saum seiner Roben.
"Oh, ja, sehr schön." Draco hörte die Befriedigung in der metallisch kalten Stimme. "Wie ich schon sagte, du hast Talent. Und jetzt geh. - Severus, sorg dafür, dass die beiden in ihre Zelle zurückgebracht werden."

***


Snape winkte Avery, der seinen Zauberstab auf den immer noch bewusstlosen Lucius richtete, ihn wortlos in die Höhe schweben ließ und zur Tür dirigierte. Benommen folgte Draco ihnen durch die Gänge des Schlosses. Sein Geist war im dunklen Nebel von Angst und Schock versunken, so dass er erst an der Tür zu ihrem Verlies merkte, dass Snape die ganze Zeit hinter ihm gegangen war. Draco fühlte sich seltsam fremd in seinem eigenen Körper, überhaupt kam er sich momentan eher wie ein unbeteiligter Beobachter vor.
Avery bewegte leicht seinen Zauberstab und die Tür schwang auf. Ebenso wortlos setzte er zwei Fackeln in Brand, dann ließ er Lucius durch den Eingang schweben und zu Boden gleiten. Von Snape energisch vorwärts geschoben, betrat Draco den Kerker. Die Tür schloss sich mit einem leisen Kreischen hinter ihnen. Snape ließ Draco los und beugte sich über Lucius.
"Enervate!"
Lucius schlug übergangslos die Augen auf, als hätte ihm jemand einen elektrischen Schlag versetzt. Zitternd versuchte er, in eine sitzende Position zu gelangen, doch seine Arme schienen zu schwach, den Oberkörper zu stützen und so sank er wieder auf den Boden zurück. Snape packte ihn unter den Achseln, zog ihn zur Wand und lehnte ihn gegen die kühlen Steine. Lucius hatte die Augen erneut geschlossen und schien in die Bewusstlosigkeit zurücksinken zu wollen.
"Oh nein, du bleibst hier!", sagte Snape und schlug ihn leicht mit der flachen Hand ins Gesicht. Draco hatte den Eindruck, dass er es dabei bewusst vermied, die blutigen Schürfwunden zu treffen, die sich sein Vater unter dem Cruciatus auf dem Steinfußboden zugezogen hatte. Wieder öffnete Lucius die Augen. Er sah Snape verwirrt und verständnislos an.
"Ist er... Habe ich ihn schwer verletzt?", fragte Draco beklommen.
"Dein Fluch hat ihn sehr erschöpft. Wie du weißt, kann der Cruciatus-Fluch, wenn er ausreichend stark ist und lange genug aufrechterhalten wird, einen Menschen töten - oder ihm den Verstand rauben."
Draco starrte seinem Lehrer entsetzt ins Gesicht. "Er ist doch nicht etwa - verrückt geworden?"
"Nein, aber sein Geist und seine Seele sind genauso in Mitleidenschaft gezogen worden wie sein Körper. Doch er wird sich wieder erholen - falls der Dunkle Lord ihm Gelegenheit dazu lässt." Snape zog eine kleine Phiole aus seinem Umhang. "Trink das", sagte er leise zu Lucius. Als dieser nicht reagierte, hob Snape das Gefäß an Lucius' Lippen, zwang ihm den Kopf in den Nacken und sorgte dafür, dass er das Gebräu hinunterwürgte.
"Was ist das?", erkundigte Draco sich nervös.
"Ein Stärkungstrank. Er ist allgemein in Gebrauch für Menschen, die nach einem Unfall oder ähnlichem unter Schock stehen oder schwer verletzt wurden. Ich habe ihn allerdings etwas verbessert." Der Zaubertränke-Lehrer blitzte mit einem Mal durch den Todesser durch, und für einen Augenblick fühlte sich Draco zurück nach Hogwarts versetzt. "Der Hauptbestandteil ist Mandragora. Ich habe ihn mit Digitalis purpurea und Türkispulver verstärkt... Wir benutzen den Trank hier häufig, um... Besucher wieder auf die Beine zu bringen, die durch die Folter stark geschwächt wurden." Der Hogwarts-Lehrer Snape verschwand und vor Draco stand wieder der Todesser Snape, die Rechte Hand des Dunklen Lords.
Ein würgendes Geräusch unterbrach ihr Gespräch und ließ sie beide zu Lucius hinunter schauen. Snape ging neben Dracos Vater in die Hocke und blickte ihm prüfend ins Gesicht.
"Weißt du, wer ich bin, Lucius?"
Lucius nickte mühsam. "Severus Snape, Meister der Zaubertränke, Rechte Hand des Dunklen Lords -"
"Das genügt mir, danke schön." Ein schmales Lächeln erschien auf Snapes Lippen.
"Könnte ich... Könnte ich vielleicht was zu trinken bekommen, bitte?"
Der demütig flehende Ton in der Stimme seines Vaters gab Draco einen Stich. Avery, der inzwischen seine Maske abgenommen hatte, trat zu ihnen und setzte Lucius einen Becher an die Lippen. Er trank in gierigen Zügen. "Danke", sagte er schließlich matt.
Avery füllte den Becher abermals und reichte ihn Draco. "Nur Wasser, kein Veritaserum und auch kein Gift", sagte Avery mit einem leichten Lächeln, als er Dracos zweifelnden Blick bemerkte. Der Hauch von Wärme, den er in der Stimme des Todessers zu hören glaubte, löste Dracos Betäubung. Er begann, leise zu weinen und ließ sich neben seinem Vater zu Boden sinken.
Avery drückte ihm wortlos den Becher in die Hand. Erst als das Wasser seine vor Trockenheit klebrige Zunge berührte, merkte Draco, wie durstig er war. Er leerte den Becher und gab ihn Avery zurück, der ihn erneut für ihn füllte.
"Danke." Noch immer liefen ihm stumme Tränen übers Gesicht. Angst und Erschöpfung, Scham und Reue ließen ihn endlich in lautes Schluchzen ausbrechen.
"Vater, es tut mir so leid! Ich hätte das nicht tun dürfen!"
Lucius hob müde die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. Dann sagte er leise und mit zitternder Stimme: "Du hast genau das Richtige getan. Wenn es auch nur irgendeine Chance gab, dass wir beide diesen Ort lebend verlassen könnten, dann hast du sie uns eben geschaffen."
Draco sah ihn perplex an.
Snape nickte bestätigend. "Lucius hat absolut recht. Der Dunkle Lord war zornig auf ihn, weil er bei einer wichtigen Aufgabe versagt hat. Er hatte fest damit gerechnet, dass Lucius ihm zu der Prophezeiung verhelfen würde. Statt dessen hat dein Vater es geschafft, sich mit einem ganzen Trupp von Todessern nach Askaban verfrachten zu lassen, von wo wir sie erst vor drei Tagen befreien konnten - und nur dank der Verwirrung, die Dumbledores Tod ausgelöst hat. Und dank der tatkräftigen Unterstützung durch die Dementoren, natürlich." Snape lächelte dünn.
"Für den Dunklen Lord war das verpatzte Unternehmen im Ministerium eine persönliche Kränkung der schlimmsten Art. Dazu kommt noch, dass er kürzlich entdeckt hat, dass dein Vater ihn vor einigen Jahren aus eigennützigen Gründen hintergangen und dabei unwissentlich ein magisches Objekt zerstört hat, welches für unseren Herrn von höchster Bedeutung war. Entsprechend zornig ist er auf deinen Vater.
Dir, Draco, hat er allerdings eine Aufgabe anvertraut, bei der er von vorneherein wußte, dass sie mit größter Wahrscheinlichkeit deine Kräfte übersteigen würde. Sie war auch weniger ein Test für dich , sondern vielmehr eine Prüfung meiner Loyalität gegenüber dem Dunklen Lord. Als ich Dumbledore tötete, war für unseren Herrn endgültig klar, dass ich auf seiner, auf der Dunklen Seite stehe. Er hat nie damit gerechnet, Draco, dass du Dumbledore töten würdest. Hättest du allerdings meine Hilfe angenommen..."
Draco schluckte unbehaglich.
"Nun, sei's drum. Du bist dennoch näher an die Erfüllung deiner Aufgabe herangekommen, als er erwartet hatte. Dementsprechend ist unser Lord auch nicht wütend auf dich, höchstens insofern, als du der Sohn von Lucius bist, der ihn extrem verärgert hat. Aber mit deinem Verhalten eben hast du den Zorn des Dunklen Lords besänftigt und ich glaube nicht, dass du momentan noch etwas von ihm zu befürchten hast. Das Ganze war auch nicht so sehr als Strafe für dich gedacht, es war mehr eine Probe deines Gehorsams. Gut möglich, dass deine Ergebenheit unseren Lord auch ein bisschen mit Lucius' Versagen ausgesöhnt hat. Denn der, den er wirklich bestrafen wollte, ist dein Vater."
"Ich hoffe", ließ sich Lucius mit rauer Stimme vernehmen, "dass sich sein Zorn allmählich abgekühlt hat."
Draco war verwirrt. Ein ganzes Jahr lang hatte er sich damit abgequält, eine Möglichkeit zu finden, Dumbledore zu ermorden. Der Dunkle Lord hatte ihm wiederholt gedroht, sowohl ihn selbst als auch seine ganze Familie zu töten, wenn er bei dieser Aufgabe versagte. Zwei seiner Mitschüler waren bei seinen stümperhaften, auf den Direktor gezielten Mordversuchen nur knapp mit dem Leben davongekommen. Draco selbst war am Ende des Jahres völlig fertig mit den Nerven und mehrmals versucht gewesen, einfach vom Astronomieturm zu springen oder sich im See zu ertränken. Die ganze Zeit über hatte Snape gedrängt, Draco solle sich von ihm bei der Tötung Dumbledores helfen lassen. Und jetzt sagte er, ihr Meister habe nie ernsthaft erwartet, dass Draco Dumbledore töten würde. War das die Vorstellung des Dunklen Lords von einem gelungenen Spaß? Ihn ein Jahr lang in ständiger Todesangst zu halten und dann kommentarlos zum nächsten Thema überzugehen?
Es klopfte und auf ein lautes "Herein!" Snapes betrat Dolohow die Zelle. Vor ihm schwebte ein Tablett mit einem Krug, Bechern und einem Laib Brot. Mit einem knappen "Descendo!" ließ er es zwischen Lucius und Draco auf den Boden knallen. Dolohow sah Snape erwartungsvoll an. Dann ließ er seine Augen über Dracos erschöpft an der Wand lehnenden Vater gleiten. Etwas Hungriges lag in diesem Blick, das erneut Furcht in Draco aufsteigen ließ.
"Du kannst gehen", sagte Snape kühl. Deutlich erkannte Draco die Enttäuschung in Dolohows Zügen. Doch der Todesser drehte sich um und schloss wortlos die Tür hinter sich.
Snape nickte zufrieden. "Das hier..." - er klopfte auf das hölzerne Tablett - "...ist eindeutig ein gutes Zeichen. - Aber ich muss jetzt gehen. Esst, schlaft und vielleicht sieht morgen schon alles besser aus für euch." Er schenkte Draco ein schmales Lächeln und nickte Lucius kurz zu. "Gute Nacht!"
Und bevor sie etwas erwidern konnten, hatte sich die Kerkertür hinter ihm und Avery geschlossen.




Kapitel 2

 

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