Misstrauen

 

 

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Kapitel 1: Gefunden


Rühme dich nicht mit deiner Kraft. Du weißt nicht was kommt und welche Strafe dich noch erwartet.
(Frei nach Kagemni)

Es war Vollmond und eine klare kalte Herbstnacht. In der Luft roch man bereits den kommenden Schnee und die Laubbäume warfen ihre letzten toten Blätter von den Ästen ab. Der Waldboden war bedeckt mit dem Laub, und wäre es hellichter Tag, würde der Boden in allen Gelb-, Rot- und Brauntönen schimmern, doch es war tiefste Nacht und in der Dunkelheit sah alles grau oder schwarz aus. Einige Tiere des Waldes schliefen sicher versteckt und in Frieden, wieder andere gingen auf die Jagd und schlichen zwischen den alten Bäumen umher.

Ein Wolf war allein auf der Jagd. Auf jeden Fall würde man das Tier im ersten Moment für einen Wolf halten, wenn da nicht der Schwanz eines Skorpions wäre, anstand einer Wolfsrute. Der Skorpionwolf war einer der vielen unheimlichen und phantastischen Gestalten, die in diesem Wald hausten. Mit wachen Augen sah das Tier sich in seinem Gebiet um und schnupperte in der Luft. Es war eine gute Nacht für die Jagd. Der Mond schien hell durch die kahlen Äste und machte es so seiner Beute noch schwerer sich zu verstecken. Mit der sensiblen Schnauze dicht über den Waldboden suchte der Wolf sein Gebiet ab. Jedes Tier hatte hier sein Revier und jedes akzeptierte diese unsichtbaren Grenzen. Das Raubtier streifte die Grenze der Einhörner. Einhörner waren heilige Tiere, niemand rührte sie an.
Der Wolf zuckte zurück. In diesem Gebiet war nichts zu holen. Doch da war etwas, ein Geruch der leichte Beute versprach: Blut. Er folgte der leichten Spur, bis er die Blutstropfen im Laub fand. Er heulte vor Freude kurz auf. Verletzte Beute! Es war eine wahrlich gute Nacht. Dennoch hieß es vorsichtig zu sein, verletzte Beute konnte sich auch noch wehren oder sich verstecken. Doch der Geruch hatte sein eigenes Jägerblut in Hitze gebracht, es sang in seinen Ohren und verlangte nach dem Opfer. Seine Nase führte ihn durch den Wald, immer näher und näher. Die Spuren wurden frischer und intensiver. Er roch sein Opfer, konnte es beinahe hören. Er knurrte, bald ... bald würde er ein Festmal vor sich haben.

Doch da war sie, diese unsichtbare Grenze. Sie war wie eine Mauer und er heulte auf. Mit glühenden Augen stand der Wolf am Waldrand und sah zu dem Schloß hoch. Die Blutspur führte eindeutig darauf zu. Das Schloß war heilig, keiner betrat es freiwillig. Seine Bewohner waren heilig, keiner rührte sie an, so lange sie darin weilten. Der Skorpionwolf ließ sich frustriert auf seine Hinterläufe nieder und heulte noch lauter. Sein Opfer war außerhalb seiner Reichweite. Alles was im Schloß war gehörte dorthin und war unnahbar für die Bewohner des Waldes. Nur wenn sie den Wald betraten gehörten sie den Tieren. Der Wolf heulte ein letztes Mal, betrogen um sein Opfer trottete er zurück in sein Reich.

Hoch oben im Schloß wachte ein alter Mann auf. Er lauschte den Heulen des Wolfes. Selten war das Heulen so nah am Schloß zu hören und wenn, dann bedeutete es nichts Gutes. Mit einer Behändigkeit, die man dem Alten nicht zugetraut hätte, sprang er aus dem Bett und warf sich einen dicken Winterumhang um. Nein, dieses Heulen war nie gut gewesen, er mußte nachsehen, sichergehen, dass alle in Sicherheit waren. Normalerweise war es die Aufgabe des Wildhüters, doch dieser war im Moment nicht da. So blieb es an dem alten Mann hängen. Die spindeldürre Hand griff nach einer Brille mit Halbmondgläsern und schließlich auch nach einem kurzen dünnen Stock. Nur keine Zeit verlieren. Ein letzter Blick aus dem Fenster zeigte, dass der Wolf ohne sein Opfer abgezogen war. Hoffnung schimmerte in den Augen des Mannes.

Eine Hoffnung, die jemand anderer nicht mehr hatte. Die Blutspur führte in die Kerker und ein flüchtiger Beobachter hätte sie nicht einmal bemerkt. Es waren einzelne Tropfen und sie verschwammen fast mit dem rauen Steinuntergrund. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht seine Wunden zu versorgen. Wozu auch? Warum sollte er sich um seinen Körper kümmern? Welchen Zweck sollte er noch haben? Er stolperte die letzten Stufen nach unten. Das ferne Heulen hörte er so tief in den Eingeweiden des Schloßes nicht mehr, nur das stetige Tropfen von Wasser und ein leiser Wind waren hier zu Hause. Am Ende der Treppe stoppte er kurz und sah sich um. Wo war der Raum noch? Warum war er hier? Die schwarzen Augen suchten den Gang ab. Eine Tür, da war eine Tür, so viel wußte er noch, und sie war immer schon schwer zu öffnen gewesen. Mit einer Hand stützte er sich an der Wand ab, mit der anderen hielt auch er einen kleinen Stock, doch nur kurz ruhte er. Da stieß er sich ab und wanderte stolpernd durch den Gang und suchte nach seiner Tür.

Der alte Mann ging durch das große Schloßportal. Sein Atem gefror in der Luft und hinterließ kleine Wolken. In einer anderen Zeit hätte er sich einen Spaß daraus gemacht, kleine Atem-Kringel in die Luft zu blasen, doch jetzt sah er sich gehetzt um. Mit schnellen und sicheren Schritten ging er zum Waldrand und spähte durch die Bäume. Der Wolf war verschwunden. Ratlos drehte er sich einmal im Kreis. Vorsichtshalber öffnete er die Tür zur steinernen Waldhüterhütte, doch alles lag still und verlassen da. Kein Feuer brannte im Kamin und das Bett war unbenutzt. Leise schloß er wieder die Tür und versiegelte sie sorgfältig. Es waren gefährliche Zeiten, man konnte nie wissen.

***



Müde blickte er zu der Tür. Ja das war seine Tür, dahinter würde er Frieden finden. Vielleicht. Schnell waren die Siegel ausgebrannt und das einfache Schloß geknackt. Die Tür knarrte und ächzte als er sie aufschob. Eine schwere Tür, die jeden davon abhalten sollte sich leicht Zutritt zu verschaffen. Er hätte gelächelt über sein Können, über seine Kraft, doch er tat es nicht. Schnell und mit geübtem Blick verschaffte er sich Sicherheit das alles da war, was er benötigte. Die Tür schob er umsichtig wieder zu, niemand sollte ihn so schnell finden und eine offene verbotene Tür zog Neugierige an. Die Regale waren mit schweren Leinen verdeckt und der Kessel, der in der Mitte des Raumes stand, war mit einer dicken Staubschicht überzogen. Das einzige Licht kam durch ein kleines Fenster hoch oben in der Decke, es genügte ihm. Mit einem Ruck zog er an dem Tuch und der Staub wirbelte durch den Raum. Die kalten Augen suchten das Regal ab. Hier und da hob er ein Einmachglas an und beäugte den Inhalt. Perfekt! Ein Zittern überkam ihn, ein Glas entglitt seinen Fingern und zersprang auf dem Boden. Der Inhalt sammelte sich in den Fugen und hinterließ eine bizarre grüne Spur. Wütend starrte er auf seine zitternden Finger, schließlich ballte er sie zu einer Faust und rammte sie in die Wand. Der Schmerz war unbeschreiblich und verfehlte nicht seine Wirkung, das Zittern verschwand. Jedoch nur für kurze Zeit, es war ein Aufschub, den er nutzen mußte. Ohne zu Zögern griff er nach einigen Gläsern und stellte sie auf den kleinen Tisch neben dem Kessel ab. Eine unsichtbare Hand entfachte ein Feuer unter dem Kessel und er begann Zutaten abzuschätzen und abzuwiegen. Tränke waren immer schon eine Kunst gewesen und er war gut darin. Es war seine Kunst. Eine Kunst, die er normalerweise genoss und ganz und gar darin aufging, nicht jedoch in dieser Nacht. Die sonst so sicheren Bewegungen waren fahrig und das Blut, das von seinen Händen tropfte, verunreinigte einige Zutaten. Nach kurzer Zeit brodelte ein grünes Gebräu im Kessel und er würdigte kurze Zeit mit bewegungsloser Mine sein Werk. Jetzt nur noch eins und er war frei.

Der große See, der nahe am Schloß lag, glitzerte wie flüssiges Silber im Mondlicht und die Seekrake lies sich im See treiben. Das Tier bemerkte den alten Mann und winkte ihm mit einem Tentakel zu. Der Mann rief etwas mit blubbernder Stimme über den See. Es klang wie eine Frage. Das Tier antwortete blubbernd und der Mann wirkte bedrückt. Im See war auch niemand. Da bemerkte er die Rauchschwaden, die von Schloß kamen? Feuer? Nein zu wenig Rauch. Er rief einen blubbernden Abschied und rannte auf das Schloß zu.

***



Das Zittern suchte sich seinen Weg zurück in seine Gelenke, in seine Muskeln, er kritzelte die letzten Namen auf ein Stück Pergament. Die Schrift war fahriger geworden. Anfangs kühn und klar, jetzt ähnelte sie mehr den Schreibversuchen eines Kleinkindes. Die Dämpfe betörten ihn. Sangen von Frieden. Sangen von Ruhe. Sangen von einem ruhigen Ort. Seine Kräfte verließen ihn und die Feder entglitt seinen Fingern. Es war Zeit.

Der alte Mann eilte in die Kerker, von dort waren die Rauchschwaden gekommen. Oder eher von einem der Kamine, die von dort an die Oberfläche reichten. Die Farbe des Rauchs gefiel ihm gar nicht, giftgrün. Auch er bemerkte nicht das Blut auf dem Boden, verließ sich stattdessen auf sein Wissen. Schnell fand er die gesuchte Tür, kurz lauschte er. Ja, da brodelte etwas und durch die Türritze am Boden schwebten grüne Schwaden in den Gang. Mit einem Knall öffnete er die Tür und stockte. Sein Gegenüber sah überrascht auf. Er hatte eindeutig nicht mit so frühem Besuch gerechnet. Doch wer war er? Drohend hob er seinen Stab. Die Augen hinter den Brillengläsern verengten sich. Der andere sah furchtbar aus, ein magerer Körper in einer schwarzen zerfetzten Robe, die schwarzen schulterlangen Haare hingen ihm unordentlich ins Gesicht. Das Gesicht! Bei Merlin!
Da ließ er den Stab sinken und seine Stimme klang ungläubig, als er den Namen seines Gegenübers aussprach: „Severus?“


Kapitel 2

 

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