Mondschein-Sonate

 

 

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Kapitel 1: Grazia / Giusto



Mirela Sirena Doinescu klappte ihr Lehrbuch der Zaubertränke zu. Eine Staubwolke fuhr aus dem dicken Wälzer. Gut, dass Professor Snape nicht hier war: Er hätte auf den ersten Blick erkannt, wie lange sie das Buch nicht mehr benutzt hatte. Vermutlich hätte er Gryffindor dafür gleich ein paar Punkte abgezogen, er nahm ja jede Gelegenheit dazu wahr. Aber sie hatte nun einmal nicht viel übrig für dieses Fach und schon gar nicht für den missmutigen Lehrer. Die beiden waren so gegensätzlich, wie zwei Menschen nur sein konnten: Waren Snapes Augen und Haare vom tiefsten Schwarz und war alles an ihm Dunkelheit, so war Mirela mit ihren hellblonden Haaren und leuchtend blauen Augen eine wahre Lichtgestalt. Wo er verbittert war, war sie jung und unbeschwert. Und so unbeliebt Snape bei seinen Mitmenschen war, so überaus großer Beliebtheit erfreute sich Mirela. Nun, letzteres, muss man fairerweise dazu sagen, wurde ihr in die Wiege gelegt: Denn Mirela Sirena Doinescu war eine Halb-Veela.

Als sie vor sechs Jahren aus Rumänien hierher gekommen war, nach Hogwarts, da war sie nur ein besonders hübsches kleines Mädchen gewesen, das jeder gern mochte. Aber jetzt, mit 17 Jahren, in der 7. Klasse, war sie eine junge Frau geworden, deren bloßer Anblick so ziemlich jedem männlichen Wesen in ihrer Umgebung unweigerlich den Verstand verwirrte. Selbst Albus Dumbledore, dieser alte Mann, musste sich eingestehen, dass er sich jünger fühlte, wenn er sie ansah. Er hatte die außergewöhnliche Schülerin freundlich gebeten, Rücksicht und Nachsicht mit den jungen Männern zu üben, die sich in ihrer Gegenwart wie Idioten benahmen, und niemandem wehzutun. Ihr selbst war das alles nur lästig. Sie konnte nichts für ihre Wirkung auf andere, und auch wenn sie äußerlich schon unübersehbare weibliche Reize aufzuweisen hatte, so war sie im Innern doch noch sehr kindlich und an ganz anderen Dingen interessiert, als am anderen Geschlecht. Ihre Altersgenossinnen waren in dieser Hinsicht schon viel weiter, aber es war wohl gerade dieses ständige Herumscharwenzeln um sie, was ihr Jungs nur als lästiges Übel erscheinen ließ.

Mirela warf einen sehnsüchtigen Blick auf ihren Geigenkasten, doch sie musste los, hinunter in den grässlichen, dunklen Kerker, zum Zaubertrank-Unterricht. Ihre Hausaufgabe hatte sie gerade noch im letzten Moment fertig gemacht, und zum Musizieren war wieder keine Zeit geblieben. Sie hasste Snape dafür, dass sie die nächsten beiden Stunden in einem finsteren Keller zwischen giftigen Dämpfen verbringen würde, statt an diesem wunderschönen Spätsommertag draußen zu sein oder Geige zu spielen.

***



Ein spöttisches Lächeln zuckte um Snapes herabgezogene Mundwinkel, als er auf die Schülerin zuging. Sie hatte eher den Eindruck, als schwebte er auf sie zu, so lautlos glitt er in seinem schwarzen Umhang dahin, wie ein bedrohlicher Schatten. "Nun, also", fragte er mit schneidend leiser Stimme, "wie viele Skorpionstacheln gehören hinein, Miss Doinescu... Mireeela?"
Statt auf seine Frage einzugehen, erwiderte sie genervt: "Zum hunderttausendsten Mal, Professor Snape: Ich heiße Mirellla, nicht Mireeela! Mirelllllllllllllllllllla!" Ihr war bewusst, dass sie gerade äußerst respektlos mit ihrem Lehrer sprach, aber dieser Mann schaffte es immer wieder, sie zum äußersten zu treiben. Nicht nur, dass er ihren Namen grundsätzlich falsch aussprach, auch sonst nahm er jede Gelegenheit wahr, ihr das Leben in seinem Unterricht zur Hölle zu machen. Oh, nicht dass er zu anderen Schülern nett gewesen wäre! Aber sie hatte doch den Eindruck, als hätte er es auf sie ganz besonders abgesehen. Und sie war es nun einmal nicht gewohnt, dass man so mit ihr umsprang! Mirela Sirena Doinescu pflegte wie eine kleine Prinzessin behandelt, und gerade von männlichen Personen verwöhnt und umschmeichelt zu werden. Jeder Junge, jeder Mann tat das, jeder auf seine Weise, manche sehr aufdringlich, andere eher dezent, aber sie taten es! Nur dieser eine hier, Severus Snape, blieb eiskalt angesichts all ihrer Halbveela-Reize. Aber das war ja klar, er war im Grunde kein Mann, genau genommen überhaupt kein Mensch. Sie wollte gar nicht so genau wissen, was er war, irgendein gefühlloses, grausames Monster.

"Mireeeeeeeela", wiederholte Snape mit öliger Stimme und betont langem "e", "Mireela, die Veela. Hätten Eure Lieblichkeit nun die Güte, uns zu sagen, wie viele Skorpionschwänze in den Desertus-Trank gehören?" Das war zuviel. Wütend sprang Mirela auf und stieß dabei, nicht gerade unabsichtlich, ihren Kessel um, so dass die ekelerregende, grünliche, stinkende Flüssigkeit sich über Snapes schwarzen Umhang ergoss. Fassungslose Wut glitzerte in den schwarzen Augen des Zaubertränke-Meisters. "50 Punkte Abzug für Gryffindor!" waren die ersten, leise gezischten Worte, die er nach einer längeren Schrecksekunde herausbrachte. Sie schnitten durch die angespannte Stille im Klassenzimmer. Unendliche Minuten lang stand Professor Snape nur regungslos da und starrte sie hasserfüllt an. Alle hielten den Atem an. Irgendetwas musste noch kommen, das wussten sie. Plötzlich riss Snape sich mit einer ruckartigen Bewegung das verschmutzte Cape vom Leib. Einer der ängstlicheren Schüler quiekte vor Schreck, die anderen starrten nur mit offenen Mündern auf ihren Lehrer. Hatte je ein Mensch in Hogwarts Severus Snape ohne schwarzen Umhang gesehen? Er musste in einen Umhang gewickelt zur Welt gekommen sein! Und nun plötzlich stand er vor ihnen, nur in schwarzer Hose, schwarzen Stiefeln und einem schwarzen Hemd, das mit unzähligen Knöpfen verschlossen war, am Hals auf eine qualvoll wirkende Weise hochgeschlossen. Das Erschreckende daran war, dass er beinahe aussah wie ein Mensch! Im Grunde genommen sogar völlig menschlich - bis auf den teuflischen Ausdruck, der auf sein Gesicht gekrochen war. Ließ man diese Partie aus, so hatte man plötzlich nur noch ein menschliches Wesen vor sich, groß, aber schlank, geradezu dünn, und irgendwie hilflos wirkend ohne seinen schützenden Mantel. Doch ein Blick auf diese wutverzerrte Fratze belehrte einen schnell wieder, wen man vor sich hatte.
Mit einer plötzlichen Bewegung stürzte Snape sich auf Mirela, wie ein Raubtier auf seine Beute, und stülpte ihr seinen eigenen Umhang über! "Sooooo...", verkündete er mit einem grausamen Lächeln und glitzernden Augen, "da ich nicht vorhabe, Ihretwegen den Rest des Tages verdreckt und stinkend herumzulaufen, werden Sie dieses Vergnügen haben. Sie werden diesen Umhang anbehalten, bis Sie heute Abend schlafen gehen! Und glauben Sie mir, ich werde persönlich überwachen, ob Sie es tun. Sollten Sie sich nicht an meine Anweisung halten, so wird es mir ein willkommener Anlass sein, Sie endlich von der Schule verweisen zu lassen, wegen ständigen Ungehorsams." Snape entfernte sich von ihr und ging zu der Tür, die vom Unterrichtsraum in seine Privaträume führte. Es war befremdend, ihn einmal nur ganz normal laufen zu sehen, nicht gleiten. Doch als er nach einer Minute zurückkam, rauschte er wieder herein wie ein Gespenst, eingehüllt in einen frischen, schwarzen Umhang. Mit einem widerlichen kleinen Lächeln blickte er auf Mirela, die immer noch völlig erstarrt da saß, dann wandte er sich an die ganze Klasse: "Da ich kein Unmensch bin, erlaube ich Ihnen, ein Stück von Miss Doinescu abzurücken. Man kann niemandem zumuten, diesen Gestank aus der Nähe zu ertragen."
Leider sprach er die Wahrheit, und mit Augen, in denen die Tränen der Erniedrigung brannten, sah Mirela zu, wie alle ihre Mitschüler so weit wie nur möglich von ihr weg rutschten. Snape würdigte sie keines weiteren Blickes oder Wortes und setzte seinen Unterricht fort, als wäre nichts geschehen. Erst als die Stunde vorbei war und die Schüler aus dem Kerker strömten, hielt er sie am Ärmel fest. "Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag in dieser Aufmachung, Miss Mireeeeela Doinescu. Sie haben ein wenig von ihrer veelahaften Ausstrahlung eingebüßt. Es könnte eine ganz neue Erfahrung sein, wie es ist, von allen gemieden zu werden." Eine ätzende Bitterkeit sprach bei diesen Worten aus seiner Stimme. Gleich darauf wurde dieselbe Stimme weich wie Samt, und die Schülerin wusste, dass er dann am gefährlichsten war. "Ich erlaube Ihnen aber großmütig, sich schon heute Abend um 8 Uhr dieser Kleidung zu entledigen. Ich möchte nämlich meiner Nase diesen Geruch nicht zumuten, während Sie hier im Kerker eine zweistündige Strafarbeit ableisten. Meine Kessel müssten mal wieder auf Hochglanz gebracht werden, und bei aller Magie: Nichts bringt sie so zum Glänzen wie ab und zu ein kräftiges Polieren auf traditionelle Muggelart. Mr Filch hat mir diesen Tipp gegeben, er hält es mit den Pokalen genauso. Also... bis heute Abend um 8."

***



Severus Snape betrat sein Privatzimmer. Poe, der Rabe, saß auf seiner Stange und blickte ihn mit schiefgelegtem Kopf an. "Guck nicht so!", fauchte Snape. Der Rabe funkelte mit seinen schwarzen Knopfaugen und krächzte leise: "Tyrrrrrrrrrrann!"
"Ah, du hast gelauscht", stellte Snape fest, "meine Unterrichtsmethoden gehen dich gar nichts an." Dennoch fing er an, sich zu rechtfertigen: "Sie hat es verdient, Poe! Es war nicht das erste Mal, dass sie versucht, meine Autorität zu untergraben. Sie ist unverschämt und verwöhnt, und in ihrer Eitelkeit glaubt sie, jeder müsste nach ihrer Pfeife tanzen. Es kann ihr wirklich nicht schaden, mal einen Tag lang zu erleben, wie es sich anfühlt, weniger beliebt zu sein."
"Grrrrrrrün", schnarrte der Rabe.
"Wie bitte?", schnappte Snape.
"Grrrrrrün vorrr Neid", gurrte der Rabe genüsslich.
Snape ärgerte sich über sich selbst, weil er unwillkürlich einen Blick in den Spiegel warf, nur um festzustellen, dass sein Gesicht weiß wie immer war. "Unsinn", grummelte er, "das hat mit Neid nichts zu tun. Ich kann darauf verzichten, so umschleimt zu werden wie dieses dumme Geschöpf. Es ist nur... ihre Gegenwart ist sehr anstrengend, weißt du..." Er beließ es bei dieser bruchstückhaften Erklärung und seufzte. Dann streckte er den Arm aus, und sein schwarzgefiederter Gefährte ließ sich darauf nieder. Snape strich ihm mit den Fingerspitzen über die Flügel. Der Rabe schob Snapes Ärmel mit dem Schnabel beiseite und blickte mit schiefgelegtem Kopf traurig auf das Dunkle Mal, das zum Vorschein kam. "Vergiss es, Poe", murmelte Snape leise, "du bist nicht Fawkes, du schwarzes Unglücksviech, genauso wenig wie ich je wie Albus Dumbledore sein werde. Also spar deine Tränen, es hat ja nicht einmal geholfen, als Fawkes da draufgeheult hat."
Der Rabe schlug beleidigt mit den Flügeln, zog sich wieder auf seine Stange zurück und wippte nervös auf seinen dünnen Beinen. "Oh!" stöhnte Snape, "sei doch nicht immer gleich so eingeschnappt, wie... wie... ich! Ich weiß ja, dass du es nur gut gemeint hast. Und Fawkes hat auch sein Bestes getan. Er hat sogar sein Lied für mich gesungen." Snapes Blick wirkte bei dieser Erinnerung entrückt und schwärmerisch. Er liebte Musik, und dieses Lied war etwas ganz Besonderes gewesen. Leise fuhr er fort: "Das Phönixlied, von dem man sagt, er singt es nur für die, die reinen Herzens sind. Er hat es für mich gesungen, Poe! Für mich, einen... einen..."
"Toooooodesserrrrrrrrr!" schnarrte der Rabe.
"Danke für die Erinnerung!" schnappte Snape beleidigt, "wann wirst du je aufhören, jeden einigermaßen schönen Augenblick mit deinen bissigen Bemerkungen zu zerstören?"
"Nevermore!" krächzte der Rabe spöttisch, "Neverrrmorrrrrre!"

***



Mirela war froh, dass Rick und Bobby überhaupt noch mit ihr redeten, auch wenn sie sich beim Gehen stets in einiger Entfernung von ihr und ihrem Gestank hielten. Auf ihre besten Freunde war eben Verlass. Auf Rick, den intelligenten Jungen, der schon seit der ersten Klasse eine gewisse Führungsrolle unter den Gryffindors eingenommen hatte, und Bobby, den unbeholfenen, pummeligen Kerl, bei dem man sich fragte, wie er es mit seinem IQ geschafft hatte, bis in die 7. Klasse versetzt zu werden. Es tat gut, mit ihnen gemeinsam auf den verhassten Lehrer zu schimpfen. "Snape ist gemein!", sagte Bobby in quengeligem Tonfall.
Mirela nickte grimmig.
"Er muss sehr gemein sein", triezte Rick, "wenn sogar du es nach nur sechs Jahren gemerkt hast, Bobby."
Mirela schüttelte den Kopf: "Rick! Lass Bobby in Ruhe und spar deine Wut für Snape auf. Du redest ja fast schon so bissig wie er! Professor McGonagall hatte recht: Manchmal könnte man meinen, an dir wäre ein Slytherin verlorengegangen."
Doch in manchen Dingen verstand Rick keinen Spaß. Er spuckte auf den Boden und schnaubte verächtlich: "Slytherins! Pfui! Sag so was nicht noch einmal, Mirela, ich stamme aus einer ehrbaren Familie..." Gelangweilt ergänzte Mirela: "... die ihren Ursprung wahrscheinlich direkt bei Godric Gryffindor hat, ich weiß." Rick schaute sie böse aus zusammengekniffenen Augen an. Doch er brachte es nicht fertig, sie in irgendeiner Weise zu bedrohen. Auch wenn ihr Reiz auf ihn heute, dank ihres penetranten Geruchs, deutlich gemindert war, so war sie doch immer noch die vergötterte Halbveela, die ihn und Bobby und alle anderen Jungen zu erbitterten Konkurrenten machte. Rick ballte eine Faust, doch seine Wut war nicht mehr gegen das Mädchen gerichtet, sondern einzig und allein auf Severus Snape: "Eines Tages wird diese Slytherin-Schlange für alles bezahlen, was sie dir und uns angetan hat! Ich finde einen Weg, lass mich nur machen. Im Staub soll er kriechen, wie es sich für eine Schlange gehört!" Mirela in ihrem Zorn tat es gut, das zu hören, und sie stimmte begeistert mit ein: "Ja, eines Tages machen wir Snape fertig, so wie er uns immer fertiggemacht hat!"
"Immer feste druff!", freute sich Bobby mit einem dümmlichen Grinsen.
"Verlasst euch drauf!", sagte Rick leise, ernst und kalt.

Kapitel 2

 

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