Reinheit des Blutes

 

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Prolog



Als ich noch klein war, ist mir nie aufgefallen, wie seltsam meine Familie war. Meine Mutter hat sich so liebevoll um mich gekümmert, wie es wohl jede Mutter tut. Vater arbeitete als Geschäftsführer in einem großen Kaufhaus. Von klein auf besuchte ich die diversesten angemessenen Freizeitvergnügungen. Damit war langweiliger Klavierunterricht, Schwimmen und Reiten gemeint. Wir waren reich, auch wenn ich es damals nicht wusste. Daddy hatte immer Zeit für mich, spielte abends mit mir und nannte mich Sweet. Aber eigentlich heiße ich Amalys. Komischer Name oder? Kein Wunder, dass mich schon im Kindergarten jeder ausgelacht hatte.
Mit meiner Ma war das so eine Sache... sie beobachtete mich mit Argusaugen. Fast täglich fragte sie, ob irgendetwas Ungewöhnliches passiert sei. Und immer wenn ich es verneinte, oder von Belanglosem redete, schien sie enttäuscht. Manchmal habe ich mit Absicht irgendetwas Verrücktes gemacht, um ihr wenigstens das erzählen zu können. Mit den Jahren wurden ihre Fragen immer drängender und ihre Enttäuschung nahm zu. Was sollte denn auch Außergewöhnliches passieren?

Als ich neun Jahre alt wurde, schenkten meine Eltern mir ein Fahrrad, Bücher, Spielzeug und einen Holzstab. Vater schien davon nicht sehr begeistert zu sein, denn er schüttelte damals nur entnervt den Kopf. Ma jedoch sah mich so erwartungsvoll an, als müsste nun endlich etwas passieren. Tat es aber nicht.

Danach begann sie, täglich ein paar Stunden mit mir über komischen Büchern zu sitzen. Sie schleifte mich in ihren Kräutergarten und zählte mir jede Pflanze auf. Also tat ich ihr den Gefallen, und lernte sie auswendig. Zumindest schien sie das etwas zu beruhigen, denn sie sah nicht mehr ganz so enttäuscht aus.
Eigentlich hatte ich eine schöne Kindheit... wenn man mal von den komischen Anwandlungen meiner Mutter absah. Ich dachte, alles würde für immer so bleiben. Aber hey, ich kann ja nicht in die Zukunft sehen.
Die Streitereien begannen ein paar Wochen vor meinem elften Geburtstag. Immer häufiger verschwanden sie im Wohnzimmer, schlossen die Tür und schrieen aufeinander ein. Ich lag häufig nachts wach und hörte sie streiten. Worte konnte ich nicht verstehen, aber der Ton machte mir Angst. Das ganze eskalierte genau an meinem Ehrentag. Ma erhielt ein Schreiben, auf altertümlichem Pergament mit Tinte beschrieben.
Erst strahlte sie vor Glück, küsste meine Stirn und schien wirklich fröhlich zu sein. Aber noch während sie las wurde sie immer bedrückter. Und als sie den Brief zur Seite legte, weinte sie. Ich erinnere mich daran, als wäre es erst gestern gewesen. Als ich sie trösten wollte, stieß sie mich weg und sperrte sich in ihr Zimmer ein.
Als Vater von der Arbeit heim kam, saß ich alleine in der Küche. Mein Kuchen war unberührt und die Geschenke waren noch nicht ausgepackt. Er sah den Zettel lange an, nahm mich dann in den Arm und nannte mich sein kleines "Muggelchen". Damals verstand ich das nicht, und heute? Heute bin ich froh, dass ich es damals nicht wusste.
Ma war danach nicht mehr wie früher. Es war ihr ziemlich egal, was ich tat. Sie kümmerte sich um ihren Garten, den ich nicht mehr betreten durfte. Wenn ich eines der Bücher herausholte, das sie stets mit mir gelesen hatte, sah sie mich nur verbittert an. Doch gesagt hat sie nie etwas.
Ich war fünfzehn, als meine Eltern sich scheiden ließen. Musste bei meiner Mutter bleiben und wir zogen nach London um. Dad habe ich seitdem nicht mehr gesehen. Am Anfang hatte er Briefe geschrieben, bis er es nicht mehr durfte. Ich liebte meine Mutter, aber sie ertrug meinen Anblick nicht mehr.
Großmutter sagte immer zu mir, es wäre nicht meine Schuld. Doch ich konnte die Beiden reden hören, und so hörte ich auch, wie meine Mutter mich eine Enttäuschung und Schande nannte.
Eines Tages nahm mich Oma zur Seite und erzählte mir folgendes:
"Kind, wir sind eine uralte, reinblütige Familie. Wir haben niemals unter unserem Stand geheiratet, nie Kinder gezeugt mit minderwertigem Blut. Über Generationen hinweg gaben wir den Ton an in unserer Welt. Die mächtigsten, ältesten Familien waren unsere Freunde. Dein Vater ist ein guter Mann, doch er ist nicht wie wir. Deine Mutter, meine liebe Tochter, verliebte sich in ihn. Obgleich dieses Makels waren sie glücklich und dann wurdest du geboren. Sie hatte gehofft, dass unser Blut nicht zu verwässert würde, doch nun ist alle Hoffnung dahin. Du bist die Tochter deines Vaters und ich liebe dich sehr, mein Kind."
Ich habe nichts verstanden. Für mich klang es einfach nur entsetzlich rassistisch. Doch irgendwie hat es mich auch getröstet.
Nach der Schule wollte ich Literatur studieren, doch wir konnten es uns nicht mehr leisten. Mutter hatte weit über unsere Verhältnisse gelebt, und ohne einen Versorger hatte sie die ganzen Ersparnisse aufgebraucht. Großmutter lud uns zu sich ein. Ich hatte sie nie zuvor besucht und freute mich darauf. Selbst meine Mutter schien begeistert zu sein und freute sich auf ihr Zuhause.
So zogen wir nach Xanthreos Manor um. Und hier sollte mich der Schock meines Lebens treffen.



Kapitel 1

 

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