Schwarzer Samt

Zurück

 

Zurück zur
Startseite

Kapitel 3


"Severus?"

Es ist zum Verzweifeln. Nicht einmal hier kann man einfach nur seine Ruhe haben. Noch nicht einmal hier oben. Dabei dachte ich, dass es das wert wäre, als ich mich dazu zwang, hier hinaufzukommen. Habe ich den nirgends meine Ruhe?

Es könnte so schön hier oben sein. Das Herbstlicht leuchtet so golden. Der Verbotene Wald hat sich bunt eingefärbt - Tarnung, nichts weiter. Die Bäume leuchten in rot, Gold und braun, vereinzelt sieht man dunkelgrüne Tannen. Die Schüler sind in Hogsmeade, es ist Samstag Nachmittag, später Nachmittag. Heute dürfen sie alle lange ausbleiben, erst um acht Uhr werden sie wieder hierher kommen. Solange herrscht im Schloss komplette Stille, und momentan ist das Geräusch der Wildgänse, die über den Himmel ziehen, das einzige was man hört. Nun ja, abgesehen von Lupin's Schritten. Dabei hätte alles so schön sein können..

~*~

Es war ein wunderschöner Herbsttag gewesen. Harry, Hermine und Ron waren in Hogsmeade gewesen, und gegen meine Gewohnheit bin ich diesmal nicht mitgekommen. Ich hatte noch etwas in der Bibliothek zu tun, und es gibt keine bessere Zeit, um dort zu arbeiten, als ein Hogsmeade-Wochenende. Nicht, dass ich etwas gegen die lärmenden Schüler habe, im Gegenteil, aber Ruhe ist besser zum Nachdenken. Ich war mit meinen Ergebnissen zufrieden. Der nächste Monat konnte kommen, und Hermines Fragen würden mich nicht aus der Bahn werfen. Der unersättliche Geist dieses Mädchens hat mich schon immer beeindruckt. Selbst die Tests, die ich in der sechsten Klasse am Freitag hatte schreiben lassen, waren korrigiert, und warteten nur auf die nächste Stunde. Ich war zufrieden mit mir, und wollte etwas Luft schnappen. Außerdem war das Licht draußen so schön, dass mir der Astronomieturm als geeigneter Aussichtsplatz erschien. Also war ich die Stufen nach oben geklettert, hatte die Tür geöffnet, und war auf der Plattform angekommen.

Die große Plattform war seit Ewigkeiten - das heißt, solange ich schon Hogwarts kannte - von großen Steinfiguren gesäumt, die alle die verschiedenen Wissenschaften der Zaubererwelt darstellten. An eine dieser Statuen, ein Mann mit einem langen Gewand, der ein seltsames Zeichen auf der Stirn trug, lehnt eine schwarze Gestalt. Komplett versunken betrachtet Severus Snape die Umgebung.

Es kam mir nur Recht, dass ich ihm hier begegnete. Seit unserem kleinen Gespräch im Lehrerzimmer war er mir aus dem Weg gegangen - er war nicht mehr zu den Mahlzeiten erschienen, hatte sich auf Lehrerkonferenzen komplett abgekapselt und hatte sogar Albus gemieden. Als wäre die einfachste Möglichkeit, mit allem klar zu kommen einfach, es zu vergessen und zu verschwinden. Es verwunderte mich, dass er diese Art von Flucht wählte. Ich hatte ihn immer für einen Angreifer gehalten.

Schließlich raffe ich mich auf, gehe weiter, und bleibe kurz hinter ihm stehen. Er wendet sich nicht um. Seine Schultern sind schmerzhaft verspannt, zu gerade. Er hält sich immer sehr gerade. Warum eigentlich?

*~*

Was glaubt er eigentlich? Meinst er wirklich, ich hätte ihn nicht bemerkt? Natürlich habe ich ihn bemerkt. Zuerst geahnt, dann gerochen, und zuletzt schon gespürt. Er steht so dicht hinter mir, dass ich seine Körperwärme an meinem Rücken spüre. Viel zu nahe, für meinen Geschmack. Aber nach vorne kann ich nicht, dort ist der Abgrund, und links steht die Statue. Ich sitze in der Falle.

~*~

Für einen winzigen Moment habe ich Angst, dass er sich vom Turm stürzen wollte, und ich ihn dabei gestört habe. Ich meine, möglich wäre es. Ich habe mit Albus geredete, am Abend, nachdem wir das kleine... Gespräch im Lehrerzimmer hatten, und er hat mir erzählt, dass Severus schon auf so ziemlich alle Arten Selbstmord zu begehen versucht hat. Nur vom Turm ist er noch nicht gesprungen.

Er sitzt in der Falle. Ich stehe zu dicht hinter ihm, und ich bemerke sehr wohl, dass ihm das nicht behagt. Schließlich gehe ich einen kleinen Schritt zurück. Niemand hat mir erlaubt, in seine Privatsphäre einzudringen. Trotzdem gehe ich nicht. Noch nicht.

"Nicht erschrecken."

*~*

Nicht erschrecken? Vor was? Würde er sich als Mörder fühlen, wenn ich mich jetzt so 'erschrecken' würde, dass ich vom Turm fiele? Eigentlich keine so üble Idee. Vielleicht..

~*~

Langsam hebe ich meine Hände, und lege sie auf seine Schultern. Obwohl ich ihn gewarnt habe, zuckt er zusammen. Verteufelt, ich tue ihm doch nichts. Schreckhaft wie ein Eichhörnchen, zumindest manchmal. Seltsam, eigentlich. Mir ist nie aufgefallen, dass er jeglicher Berührung ausweicht. Begegnet man ihm auf dem Flur, klebt er fast an der Wand, um jegliche Berührung zu vermeiden. Normalerweise streifen die meisten einen zufällig, oder man bekommt ein Stück der Robe ab, aber an Severus vorbeizugehen ist wie... einem Gespenst zu begegnen.

Unter meinen Handflächen spüre ich die verspannte Muskulatur in seinem Rücken. Sämtliche Muskeln sind angespannt, verzogen. Das muss doch schmerzen... Aber hat er nicht selbst gesagt, dass er sich nicht mehr spürt?

*~*

Wer hat Lupin eigentlich erlaubt, mich anzufassen? Ich war es nicht, das kann ich garantieren. Ich weiß, dass meine Muskeln verspannt sind, das muss er mir nicht sagen. Warum geht er nicht einfach? Er soll gehen. Soll mich einfach in Ruhe lassen. Ganz einfach in Frieden.

Manchmal komme ich mir vor, wie ein kleines Kind. Trotzig, in das kleine Schneckenhaus zurückgezogen, voller Angst vor der nächsten Bestrafung. Es ist lächerlich. Es spottet meiner Intelligenz, und ich schäme mich aufrichtig dafür. Keine falsche Bescheidenheit, ich schäme mich für vieles, das ich in meinem Leben getan habe. Nicht, dass ich ohne Schuld wäre. Man könnte mich steinigen. Der ohne Schuld werfe den ersten Stein. Ich warte.

~*~

Vorsichtig versuche ich meine Hände aufzuwärmen. Ich kann massieren, Sirius ist jedes Mal begeistert von meinen Fähigkeiten. Vielleicht..

Langsam entkrampft sich sein Rücken. Was soll er auch sonst tun? Sich ewig zu verkrampfen würde nichts bringen. Ich merke, dass er sich langsam entspannt. Die Muskulatur wird weich unter meinen Händen, er lässt die Schultern sinken, den Kopf hängen.

*~*

Nichts hasse ich mehr, als wenn jemand einfach so meinen Schutzwall durchbricht. Kaum jemand schafft es, Albus, der natürlich, und Lupin scheint sich in letzter Zeit darauf spezialisiert zu haben. Und jedes Mal schafft er es. Bin ich wirklich schon so weit unten, dass es ein leichtes für ihn ist? Steht es so schlimm mit mir?

"Komm."

~*~

Schließlich nehme ich meine Hände von seinem Rücken, drehe mich um, fasse ihn am Arm und ziehe ihn zu einer der Steinbänke, die den ganzen Turm säumen, und auf denen normalerweise die Schüler während des Unterrichts lungern. Ohne Widerstand folgt er mir, ohne ein Wort des Protests. Wir fallen auf eine Bank, jeder an ein anderes Ende. Er lehnt den Kopf zurück, stellt die Füße auf die Sitzfläche, und zieht die Beine an seinen Körper.

*~*

Ich muss wirklich ein Bild des Jammers abgeben, zumindestens dem Ausdruck in Lupins Gesicht nach. Aber es ist kalt geworden, und ich friere. Vielleicht wärme ich mich so ein wenig auf. "Ich habe mit Albus geredet."

Wundervoll. Jetzt also die Schlechtes-Gewissen-Tour.

"Gib es auf, Lupin. Du redest mir kein schlechtes Gewissen ein."

Lupin zieht eine Augenbraun hoch. Irritiert. Irritiert?

"Hatte ich nicht vor. Warum eigentlich nicht?"

Ich zucke die Schulter.

"Man sagt mir nach, dass ich mein Gewissen in einer kleinen Holztruhe eingesperrt habe, und diese im Verbotenen Wald ausgesetzt habe. Demnach habe ich also keins. Ganz einfach."

Lupin grinst. Er grinst. Zum Mephistopheles! Warum grinst er? Dann wird er wieder ernst.

"Das glaube ich nicht. Niemand hat kein Gewissen."

Ich schnaube.

"Halt mir keine Bergpredigt, Lupin. Ob mit oder ohne Gewissen, was willst du von mir?"

Er schaut mich an. Legt den Kopf schief. Und spricht weiter.

"Warum hast du Albus nichts erzählt?"

~*~

Angriff, Attacke. Nicht die feine Art, nicht wirklich. Gerade hinaus ans Ziel.

"Lupin! Zurückhaltung war noch nie deine Stärke?"

Ich schüttele den Kopf, aber er seufzt nur.

"Weil ihn das nur belastet hätte. Er leidet ja sowieso schon genug, jedes Mal, wenn ich zurückkomme. Jedes Mal, wenn Poppy mich zusammenflicken muss. Er soll sich nicht noch mehr Sorgen machen. Warum machen sich eigentlich alle Sorgen um mich?"

Während den ersten Sätzen ist er meinem Blick noch ausgewichen, aber beim letzten Satz, der letzten Frage, schaut er mir direkt ins Gesicht. Warum machen wir uns Sorgen?

"Wir machen uns Sorgen weil.. ähm.. weil.. weil wir doch merken, dass du vor die Hunde gehst. Mein Gott, das ist doch kein Leben! Du verkriechst dich, erscheinst nicht mehr zum Essen. Du wirst immer dünner, das musst du doch selbst merken. Hast du nie Hunger?"

Er zuckt die Schultern. Schüttelt dann den Kopf.

"Nie"

Ganz leise ist seine Stimme. Nie? Er spürt selbst den Hunger nicht mehr?

"Aber.. irgendwann wirst du verhungern. Ich meine, das geht doch so nicht. Albus leidet. Wenn du es schon nicht für dich tun kannst.. dann tu es wenigstens für Albus. Und vor allem - rede mit ihm. Rede mit uns. Wie sollen wir dir helfen, wenn du nicht mit uns redest?"

Schon als ich den letzten Satz ausspreche merke ich, dass ich einen Fehler gemacht habe. Einen schweren Fehler.

Severus springt auf, läuft einige schnelle Schritte von der Bank und mir weg. "Ich habe niemals um Hilfe gebeten."

Verdammt. Er war so nah. Ich war hinter seinem Schutzwall, und jetzt hab ich verloren. Wie von einer stachelige Dornenhecke umgeben ist er jetzt. Weit weg. Viel zu weit.

*~*

Da haben wir es einmal mehr. Hilfe. Als hätte ich jemals um Hilfe gebeten! Niemals habe ich um Hilfe gebeten. Fast nie. Albus, ein einziges Mal. Dieses eine Mal, mitten in der Nacht, als ich von einer Mission im Dienste Voldemorts zurückgekommen war, und beschlossen hatte, dass es die Letzte gewesen sein sollte. Als ich zu ihm ging, ihm alle Namen genannt hatte, und ihn bat, sie vor Gericht zu bringen. Als ich ging, um mich umzubringen, und er mich zurückhielt. Damals habe ich um Hilfe gebeten. Das einzigste Mal in meinem Leben.

Lupin bleibt auf der Bank sitzen. Mit traurigem Gesicht. Warum sorgen sie sich? Es braucht sie doch nicht zu interessieren. Mein Leben lang haben sie alle weggeschaut. Alle. Als ich noch jung war, und mit ihrer Hilfe vielleicht noch hätte gerettet werden können, haben sie weggeschaut. Warum sollten sie jetzt hinschauen?

~*~

"Severus, das habe ich nicht so gemein. Komm wieder her."

Er rührt sich keinen Millimeter vom Fleck. Bleibt ganz einfach stehen, das Gesicht zur Wand. Er gibt mir keine Antwort.

Schließlich stehe ich auf, gehe zu ihm. Als ich kurz vor ihm bin, dreht er sich um. Auf seinem Gesicht kann ich keinerlei Emotionen erkennen.

"Bleib wo du bist. Du willst verdammte Antworten, und du sollst sie haben. Ich habe dich nicht um Hilfe gebeten. Du hast sie mir gegeben, einmal, zweimal. Ich habe nicht darum gebeten. Warum solltet ihr euch sorgen? Als ich noch jung war, damals, vor vielen Jahren, damals hätten sie sich sorgen können. Als mein Vater mich geschlagen hat, als Malfoy mich in seinen Fängen hatte. Damals war ich wehrlos. Sie konnten mit mir tun, was sie wollten, und sie habe es getan. Damals hat mir niemand geholfen. Warum sollte mir jetzt jemand helfen? Ich habe einmal um Hilfe gebeten, ich wünschte, ich hätte es nicht getan. Aber was getan wurde, wurde getan. Was verloren ist, ist verloren und unwiederbringlich. Ich hätte vielleicht bei Voldemort bleiben sollen. Vielleicht wäre ich dort besser gestorben, als dass ich hier gelebt hätte. Frag Sibyll, vielleicht sagt sie dir ja meine Zukunft voraus. Ich kann sie dir auch ohne Kugel sagen. Eine von beiden Seiten wird mich lynchen, und ich wünschte, sie würden es lieber heute als morgen tun. Aber die Gerechtigkeit ist langsam, Lupin, und vielleicht hat sie mich ja übersehen. Warum solltet ihr mich dann auch nicht übersehen? Ich passe nicht in eure Welt. Gryffindorwelt, das ist sie. Aber es gibt nicht nur Gryffindors, Lupin. Hör auf mich zu retten. Du kannst es nicht. Retten kann ich mich nur selbst."

Damit dreht er sich um, und verschwindet eilig von der Plattform. Ich bleibe auf dem Turm zurück, allein. Er hat verzweifelt geklungen. Verärgert über sich selbst. Er hat viel von sich preisgegeben, hier, heute, auf dem Turm. Seine Verzweiflung, seine Angst, aber auch, dass er innerlich immer noch brennt. Severus war immer ein Gegenmensch. Sag ihm, er soll auf rot setzen, und er wählt schwarz. Rate ihm, dass er stehen bleiben soll, und er springt. Ich dachte, dass dieses Auflehnen tot sei, dass er innerlich erloschen ist. Er ist es nicht. Dieses Auflehnen gegen alles, dieses Auflehnen gegen unsere Hilfe, ist ein Verzweiflungsakt. Aber es ist noch mehr, und ich habe es aus seiner Stimme gehört. Es war Wut darin. Wut auf mich, auf uns, auf diese Welt. Und wo Wut ist, da kann auch Kraft sein. Und Kraft brauchen wir alle, wenn auch niemand sie nötiger hat als Severus.

Die Sonne scheint immer noch auf den Verbotenen Wald, wenn auch nicht mehr lange. Im See sieht man die Riesenkrake planschen, und in wenigen Stunden werden die Schüler zurückkommen. Und vielleicht werden sie dann von einem vor Zorn kochenden Severus empfangen werden, der ihnen Punkte für unerlaubtes Atmen in den Gängen abzöge, wenn er denn könnte. Vielleicht wird ihn seine Wut in den Morgen retten können. Und falls sie es nicht kann, werde ich da sein. Wir sind alle zu spät gekommen, um seine Seele am Zerbrechen zu hindern, das ist mir heute klar geworden. Aber vielleicht werde ich ihm wenigstens helfen können, die Scherben zusammen zu kehren und wieder zusammenzusetzen. Menschen sind zerbrechlich und jeder braucht Hilfe. Egal ob er darum bittet oder nicht. Sirius hat immer gesagt, dass Severus aus Stein wäre. Aber das ist falsch. Er ist aus Glas.


Kapitel 2

 

Review



Zurück