Die Schwarze Rose 2

 

 

Zurück

 

Zurück zur
Startseite


Kapitel 7: Von Okklumentick, Orden und Eiden

 




Es war fast dunkel draußen, als Severus erwachte. Kein Wunder, daß er wieder hungrig war. Es war niemand im Zimmer, aber aus Dumbledores Büro konnte er Stimmen hören. Sollte er rufen? Doch bevor er sich entschließen konnte, öffnete sich die Tür und Madame Pomfrey betrat das Krankenzimmer.

"Ah, Sie sind wach, Severus. Gut. Zeit für Ihre Medikamente. Und eine gründliche Untersuchung." Als die Medihexe die Enttäuschung auf dem Gesicht des jungen Zauberers sah, fügte sie lächelnd hinzu: "Und fürs Abendessen natürlich. Aber erst wenn ich mit Ihnen fertig bin."

Die Heiltränke schmeckten grauenhaft, aber als Experte auf diesem Gebiet wußte Severus nur zu gut, daß je gräßlicher der Geschmack eines Zaubertranks, desto wirkungsvoller war er auch, und desto besser der Effekt. Gehorsam schluckte er, hoffend, daß er endlich diesen lästigen Husten loswerden würde. Als Madame Pomfrey mit der Untersuchung begann, kam auch der Direktor hinzu.

"So, Poppy, wie geht es dem jungen Mann?" Dumbledores Augen blitzten aufmunternd.

"Um einiges besser, würde ich sagen. Das Fieber ist auf 38,5 °C herunter, die Lungen sind fast frei, kaum mehr ein Rasseln. Noch ein paar Tage Bettruhe, und er dürfte so gut wie neu sein", antwortete die Medihexe mit einem mitfühlenden Lächeln. "Jetzt lassen sie mich Ihren Arm sehen, bitte."

Severus zuckte zusammen. Das Dunkle Mal hatte er vollkommen vergessen. Unter dem Ärmel des Krankenhaus-Hemds war sein linker Unterarm noch immer verbunden. Was würde er unter den weißen Hüllen finden? War das Mal wieder zurück?"

"Es ist tatsächlich wieder da, mein Junge", sagte der Direktor, so als ob er seine Gedanken gelesen hätte. "Und das ist an und für sich nicht unbedingt schlecht, wenn du mein Angebot von heute Vormittag bedenkst." Zu wahr. Das Mal mußte intakt und unversehrt sein, wenn er als Spion zum Dunklen Lord zurückkehren wollte. Ein verschandeltes Mal würde schwerwiegenden Verdacht erwecken.

Mit einem Schnippen ihres Zauberstabs entfernte Madame Pomfrey den Verband. Und da war es und grinste ihm höhnisch ins Gesicht, der Schädel und die Schlange, das Kainsmal, das nie verschwinden würde. Niemals. Ein paar dünne, hellrote Narben, die kreuz und quer über das häßliche Mal liefen, waren die letzten Spuren seines verzweifelten Versuchs, es zu entfernen.

"Sie müssen einmal täglich diese Salbe auftragen, dann werden die Narben in Null Komma Nichts vollständig verschwinden", riet die Medihexe. "Wollen Sie, daß ich den Verband wieder anlege, Severus? Obwohl es eigentlich nicht mehr nötig ist."

"Nein", kam die zögerliche Antwort. "Ist wahrscheinlich ohnehin besser, wenn ich mich wieder an den Anblick gewöhne."

"So ist's recht, mein Junge", fiel Dumbledore mit blitzenden Augen ein. "Also wirst du es tun?" Severus nickte. "Dann haben wir eine Menge zu besprechen, denke ich - nach dem Abendessen ..."

***



Die köstliche Hühnerbrühe half, Severus' Stimmung um einiges zu heben. Der Direktor war noch nicht zurückgekehrt, daher griff er nach dem Jahrbuch, das noch immer auf seinem Nachttisch lag. Vielleicht waren noch mehr Bilder seiner Mutter darin? Er blätterte die Seiten durch. Eine ganze Menge Quidditch-Fotos. Und dort war sie, hoch in der Luft auf ihrem Besen, den Quaffel sicher unter ihrem Arm, die roten Locken tanzten im Wind. Eine Jägerin. Jetzt winkte sie ihm zu, dann griff sie den Quaffel mit der rechten Hand und warf ihn mit Leichtigkeit durch den mittleren Ring.

"Ah, du hast noch ein Bild gefunden", bemerkte die freundliche Stimme des Schulleiters. Völlig vertieft in das sich bewegende Bild seiner Mutter hatte Severus das Klopfen an der Tür nicht gehört. "Laß dich nicht stören, mein Junge, wir haben Zeit."

"Sie war so schön - und so glücklich ..."

"Ja, in der Tat, Severus. Und sehr intelligent. Eine der begabtesten Schülerinnen, die ich je in Verwandlung hatte. Und eine großartige Jägerin. Es war ein Schock für uns alle, als wir von ihrer Ermordung hörten."

"Ich sehe ihr nicht besonders ähnlich." Es lag Bedauern in seiner Stimme.

"Nein, nicht wirklich. Abgesehen von deinen Locken", sagte der Direktor und lächelte Severus verschwörerisch zu. Ein verwirrter Ausdruck erschien auf dem Gesicht des jungen Zauberers.

"Locken? Aber - Merlin, wie lange bin ich krank gewesen, Professor?" Es konnten doch unmöglich mehr als ein paar Tage gewesen sein, oder? Der Effekt des Haarstraffungs-Tranks konnte noch nicht nachgelassen haben? Er sollte zehn Tage lang wirken, und er hatte ihn erst am Morgen vor seiner Rückkehr in die Nockturngasse eingenommen. Scelestus Snape hatte seine kaum zu bändigenden Locken immer gehaßt und ihm von frühester Kindheit an diesen Trank verabreicht. Er war so daran gewöhnt, daß seine Haare glatt und fettig waren, daß er sich selbst kaum mehr mit Locken vorstellen konnte. Und was würden der Dunkle Lord und seine Gefolgsleute sagen, wenn er zum nächsten Treffen apparierte und aussah wie eine dunkle Version eines Rauschgoldengels?

"Auf den Tag genau zwei Wochen. Du warst sehr krank, Severus, lagst tagelang im Fieberdelirium. Du wirst dich nicht an viel erinnern, nehme ich an, aber du hast uns so einige schlaflose Nächte bereitet ..."

"Ich - das wußte ich nicht. Ich dachte es waren nur wenige Tage ...", stotterte der junge Zauberer und seine Hände begannen zu zittern.

"Severus, du warst krank und wir haben uns um dich gekümmert, Minerva, Poppy und ich. Das ist vollkommen in Ordnung. Nichts, worum du dir Gedanken machen müßtest", versicherte der Direktor.

"Nein, es ist nur - der Dunkle Lord. Ich hätte ihm schon vor Tagen Bericht erstatten müssen. Er wird außer sich sein vor Zorn."

"Er wird dich für deine Säumnis bestrafen?" Dumbledores Augen wurden dunkel vor Sorge.

"Darauf können Sie Gift nehmen, Direktor. Wahrscheinlich Cruciatus. Das ist sein Lieblings-Fluch." Severus schluckte.

"Severus, hör zu, du mußt nicht zu ihm zurück gehen, wenn du nicht willst. Du könntest das Land verlassen, ein neues Leben in Amerika beginnen ..."

"Sie würden mich gehen lassen?" In der Stimme des jungen Zauberers lag aufrichtiges Erstaunen. "Ich bin doch ein Mörder."

"Ich könnte die Papiere in zwei bis drei Tagen fertig haben", fuhr Dumbledore unbeeindruckt fort. Der Junge hatte ihnen schon jetzt so viele Informationen geliefert, mehr als all die anderen zusammen. Warum sollte er ihn nicht ruhigen Gewissens gehen lassen?

Für einen Augenblick herrschte absoluten Stille.

"Nein, Direktor. Ich werde tun, um was Sie mich gebeten haben", sagte Severus schließlich und zeigte auf das Bild im Jahrbuch. "Für sie."

"Deine Mutter wäre stolz auf dich, Severus - so wie ich es bin." Dumbledore schaute dem jungen Zauberer tief in die Augen. Wieder ein Augenblick der Stille.

"Was weißt du über Okklumantik, Severus?" fragte der Direktor plötzlich.

"Es bezeichnet die magische Verteidigung des Geistes gegen Eindringen von außen. Ich habe davon gelesen."

"Aber du hast es nie selbst ausprobiert?"

"Nein, wenigstens nicht bewußt."

"Dann sollten wir es versuchen", schlug Dumbledore vor. "Es ist eine Fähigkeit, die dir in Zukunft bei deinen Begegnungen mit Voldemort sicher sehr zugute kommen wird." Wieder zuckte Severus unwillkürlich bei der Nennung des gefürchteten Namens zusammen. Dann nickte er.

"Was muß ich tun?"

"Konzentriere dich so fest du kannst und mache deinen Geist frei von allen Gedanken und Emotionen. Auf drei werde ich Legilimens werfen", erklärte Dumbledore. "Fühlst dich inzwischen erholt genug dazu?"

"Ich versuche es." Er schloß für wenige Sekunden die Augen, einen Ausdruck höchster Konzentration auf seinem Gesicht. Bei drei öffnete er seine Augen wieder, und der Direktor warf den Gedanken-Lese-Zauber. Bilder begannen in schneller Folge durch Severus' Gedanken zu rasen. Sylvia Snape in ihrem Nachthemd wie sie ausdruckslos die Wand anstarrte, ein düsteres Zimmer, oder eher ein Kabuff, mit nichts als einem alten Messingbett und einer Holztruhe, ein betrunkener Scelestus Snape, der einen mageren, dunkelhaarigen Jungen mit einer Hand gegen die Wand drückte und ihn mit der anderen fest ins Gesicht schlug. Blut spritzte, als der Junge auf den Boden sank und mit vor Entsetzen geweiteten Augen seine gebrochene Nase hielt. - Nein, er wollte das nicht sehen. Er hatte dieses Kapitel seines Lebens für immer hinter sich gelassen, als vor zwei Wochen das Haus in der Nockturngasse niederbrannte. Konzentriere dich. Leere deine Gedanken, deine Gefühle. Konzentrieren ... Die Flut der Bilder wurde langsamer, entfernter und verschwommen. Eine externe Kraft schien an seinen Gedanken zu zerren, darin herumzustochern, aber er kämpfte dagegen an, und schließlich ließ das Ziehen nach. Jetzt war sein Geist leer und ruhig, eine völlig neue und angenehm friedliche Erfahrung. Als ob er hoch über den Schwierigkeiten und Anstrengungen, den Gefahren und Schmerzen dieser Welt schwebte. Es war herrlich. Er könnte dies für immer tun ...

"Severus?" Dumbledores Stimme riß ihn aus seinem tranceartigen Zustand und brachte ihn zurück in die Realität.

"Direktor?"

"Ich bin beeindruckt. Du bist ein Naturtalent was Okklumantik betrifft, Severus. Mit ein bißchen Übung wirst du diese Fähigkeit bald beherrschen und zu deinem Vorteil einsetzen können. Und zu unserem." Dann huschte ein sorgenvoller Blick über das Gesicht des alten Zauberers. "Du bist erschöpft, Kind. Ich sollte dich noch ein wenig schlafen lassen, sonst wird Poppy mir eine Standpauke darüber halten, dich nicht zu überanstrengen."

Es stimmte. Er war erschöpft. Die Übung schien all seine Kraft aufgebraucht zu haben, und eine bleierne Müdigkeit schlich sich in seinen Körper bis tief in die Knochen. Er ließ sich zurück in die weichen Kissen sinken, schloß seine schweren Augen und schlief fast augenblicklich ein.

***



"Wo wirst du wohnen, Severus? Hast du schon Pläne?" fragte Dumbledore, während er an seinem Kakao nippte. Nach einer weiteren anstrengenden Okklumantik Sitzung nahmen sie zusammen ein spätes Frühstück in Severus' Zimmer ein. Heute jedoch war Severus nicht halb so erschöpft von der Übung wie am Tag zuvor, und er wurde schon deutlich besser. Beim dritten Versuch hatte er es geschafft, den Legilimens-Zauber fast augenblicklich zu blockieren, ihn sogar umzukehren. Bilder aus den Erinnerungen des Direktors waren vor seinem inneren Auge aufgetaucht. Ein fünfjähriger Dumbledore ... Sie beide hatten herzlich über den kleinen Albus gelacht, der versucht hatte, an die Plätzchendose auf dem Küchenschrank heranzukommen. Das kleine Schleckermaul war, nachdem seine ‚Leiter', eine gefährlich schwankende Konstruktion aus Stühlen und Hockern, unter seinen Füßen zusammengebrochen war, auf dem Schrank gestrandet. Aber er hatte die Plätzchen erobert ...

Severus hegte den starken Verdacht, daß Dumbledore ihm diese Erinnerung absichtlich gezeigt hatte. Der Direktor war zweifellos ein Experte sowohl in Legilimentik als auch in Okklumantik, und er würde einem Anfänger wie ihm wohl kaum erlauben, so mir nichts dir nichts wild in seinen Gedanken herumzustöbern. Den alten Zauberer ohne Bart und Brille, aber statt dessen mit schokoladenverschmierten Wangen zu sehen, hatte auf alle Fälle jede noch verbliebene Spannung zwischen ihnen gelöst. Das ausgiebiges Frühstück mit Schinken und Rührei hatte ebenfalls geholfen.

"Nein, noch nicht", antwortete Severus, "da ich mir sicher war, daß sich diese Frage ohnehin nicht stellen wird ..." Er lächelte gequält.

"Manchmal entwickeln sich die Dinge doch anders und besser als erwartet." Blaue Augen blitzten. "Sogar eine Lungenentzündung kann ihre guten Seiten haben." Severus nickte gedankenverloren. Seine Erkrankung hatte ihm Zeit gegeben, seine Gefühle wieder in den Griff zu bekommen und sich über seine neuen Loyalitäten klar zu werden. Sowohl er als auch der Direktor hatten Zeit gehabt, alles gründlich zu durchdenken. Wenn er nicht krank geworden wäre, würde er wahrscheinlich jetzt eine lebenslange Strafe in Askaban absitzen. Blieb die Frage nach seinem zukünftigen Wohnort. Um ehrlich zu sein, war er völlig abgebrannt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Er hatte nichts als die Kleidung, die er getragen hatte, als er aus seinem brennenden Elternhaus geflohen war. Kein Zuhause, kein Geld, kein Job, nicht mal ein Zauberstab. Und das Erbe von Scelestus Snape bestand höchst wahrscheinlich aus nichts als Schulden. Nicht gerade viel für einen Neuanfang.

"Ich denke, ich werde mir zuerst einen Job suchen. Und so lange bei - Freunden wohnen." Nur, daß er keine Freunde hatte, die er um Hilfe fragen würde. Die Slytherins, mit denen er während seiner Schulzeit meist zusammen gewesen war, kamen alle aus alten und unanständig reichen, reinblütigen Zaubererfamilien. Die Malfoys, Lestranges, Averys, um nur ein paar von der Spitze des "Who is Who" der Zaubererwelt zu nennen. Die Snapes waren irgendwo ganz unten. Sie hatten ihn nur deshalb akzeptiert, weil er, was ihm an Geld fehlte, an Intelligenz besaß. Und es war so viel leichter, einfach seine Hausaufgaben abzuschreiben, als die lästigen Aufgaben selbst zu erledigen. Außerdem hatten sie einigen Respekt vor seinem umfassenden Wissen über Zaubersprüche und dunkle Flüche. Nein, er konnte keinen von ihnen um Asyl bitten, obwohl sie inzwischen auch alle Todesser waren. Es wäre zu demütigend. Genauso wenig konnte er Dumbledore fragen. Er stand schon mehr als genug in seiner Schuld, viel mehr als er jemals zurückzahlen konnte. Er würde schon irgendwie klarkommen. Aber er brauchte einen Zauberstab. Ein Zauberer ohne Zauberstab war so nutzlos wie ein Goldener Schnatz ohne Flügel. Oder ein Tränkemeister ohne Kessel.
Er würde sein Labor in der Nockturngasse vermissen, wurde ihm plötzlich bewußt, trotz all der schmerzlichen Erinnerungen. Nachdem er von Hogwarts abgegangen war, hatte er das Labor meist für sich alleine gehabt, während der alte Snape mit seinen Saufkumpanen trank und sein letztes Geld verspielt. Und seit er an seinem achtzehnten Geburtstag das Dunkle Mal angenommen und zum ersten Mal getötet hatte - eine Muggelfrau, die extra für ihn gefangen worden war - hatte der Alte es nicht mehr gewagt, ihn noch einmal anzufassen. Die unzähligen Stunden, die er allein in der Gesellschaft von blitzenden Kesseln und sauberen Glasgeräten verbracht hatte, waren wahrscheinlich die glücklichsten in seinem Leben gewesen ...

"Ein Goldstück für deine Gedanken, Severus", unterbrach Dumbledore mit schalkhaft blitzenden Augen seine stillen Überlegungen.

"Ich glaube kaum, daß sie so viel wert sind ... obwohl ich das Geld brauchen könnte. Ich habe keinen Zauberstab ..."

"Oh ja, natürlich, ein Zauberstab. Ich habe schon begonnen mich zu wundern, ob du das Thema überhaupt ansprechen würdest." Dumbledore schenkte sich eine zweite Tasse dampfenden Kakao ein. "Tatsächlich habe ich bereits darüber nachgedacht. Wie wäre es mit Ebenholz, 12.5 Inches, Drachenherzfaser?" Zu Severus' Überraschung zog der Direktor einen schlanken, dunklen Zauberstab aus einer seiner Taschen. Einen Stab, der identisch war mit dem, den er verloren hatte. Woher wußte der alte Zauberer das?

"Ich dachte mir, es sähe verdächtig aus, wenn du plötzlich einen anderen Zauberstab benutzt. Daher bleiben wir besser bei den alten Maßen. Probier ihn nur aus."

Der Zauberstab war perfekt. Glatt und angenehm kühl in seiner Hand, ideal in Durchmesser und Länge, genau wie sein alter. Der Strom der Magie fühlte sich sogar noch stärker an, als er ihn in einer gleichmäßigen Bewegung durch die Luft schwang und ein Schauer leuchtend grüner und silberner Funken auf sein Bett und den lächelnden Dumbledore niederregnete. Lag wohl an der Drachenherzfaser ...

"Ich sehe, mein Informant hat sich nicht geirrt. Und das Farbenspiel ist ausgesprochen Slytherin ... Er gehört dir, mein Junge."

"Aber ..."

"Kein ‚aber'. Und keine Fragen. Nimm ihn einfach. Und nutze ihn gut." Severus nickte, noch immer total perplex von dem unerwarteten Geschenk. Plötzlich schnappte er nach Luft und griff krampfhaft nach seinem linken Unterarm.

"Was ist, Severus?" Die Stimme des Direktors klang alarmiert.

"Das Mal. Er ruft. Ich muß sofort an seine Seite apparieren", keuchte Severus durch zusammengebissene Zähne, dann entspannte er sich etwas, als der anfängliche Schmerz nachließ. Aber er wußte, er würde bald und mit zunehmender Intensität zurückkehren, wenn er dem Ruf nicht sogleich Folge leistete.

"Severus, ich kann dich noch nicht gehen lassen. Ich vertraue dir, aber die anderen tun dies nicht."

"Welche anderen?" unterbrach Severus rasch. Er konnte nicht viel länger warten.

"Die Mitglieder des Ordens des Phönix. Ich bin ihr Oberhaupt. Du mußt zuerst dem Orden beitreten und den Eid ablegen, bevor ich dich gehen lassen kann."

Ein Eid. Großartig. Genau was er jetzt brauchte. Nicht, daß er nicht Willens war, dem Orden, was auch immer er war, beizutreten. Aber das Ablegen von Eiden war nicht gerade etwas, was man innerhalb weniger Minuten machen konnte. Oft waren langwierige Formeln und Zeremonien damit verknüpft, und die Zeit wurde knapp. Dumbledore konnte ihn unmöglich so lange hier behalten. Die Schmerzen würden unerträglich werden. Und der Dunkle Lord würde ihn mit Sicherheit töten, wenn er ihn länger warten ließ.

"Wir machen es schnell. Nur das wichtigste", sagte Dumbledore, so als ob er seine Gedanken gelesen hätte. "Accio Kelch des Geheimen Ordens!"

Ein kunstvoll geformter Kelch schwebte durch die offene Tür herein und landete auf dem Nachttisch. In den schwarzen Stein waren eine Vielzahl uralter Runen eingraviert, und die Griffe hatten die Form eines Phönix. Er war mit einer schillernden Flüssigkeit gefüllt, deren Farbe von Gold zu scharlachrot changierte.

"Hier, Severus, schreibe deinen Namen - deinen wirklichen Namen - mit der Phönixfeder auf dieses Stück Pergament, gib ein paar Tropfen Blut in die Flüssigkeit, und wirf dann das Pergament in den Kelch." Dumbledore gab Severus Feder und Pergament, die er aus einer weiteren seiner Taschen hervorgeholt hatte, außerdem ein kleines goldenes Messer, das mit dem Kopf eines Feuervogels verziert war. Severus zögerte nur einen Bruchteil einer Sekunde, bevor er ‚Perseus Evans' auf das Pergament schrieb, dann schnitt er sich rasch in den Finger, und ließ ein paar Tropfen Blut in den Kelch fallen. Die Flüssigkeit begann im Kelch herumzuwirbeln, immer schneller, und war nun genauso rot wie sein Blut. In dem Moment, in dem das Stück Pergament von den Wirbeln verschluckt wurde, formten sich goldene Blasen auf der turbulenten Oberfläche. Plötzlich brodelte die Substanz über und brach in Flammen aus.

"Professor!" keuchte Severus. Das konnte doch so nicht richtig sein. Hatte er etwas falsch gemacht? Was, wenn der Kelch ihn ablehnte? Ihn nicht im Orden haben wollte? Aber Dumbledore lächelte nur. Nach wenigen Sekunden beruhigte sich der Kelch wieder, und auf dem Tisch lag eine glänzende Phönixfeder.

"Sie gehört dir", erklärte Dumbledore, "das Wahrzeichen des Ordens des Phönix. Trage sie immer bei dir und verstecke sie gut. Am besten verwandelst du sie in etwas Unauffälliges. Wenn du Kontakt mit mir aufnehmen willst, beschwöre ein Feuer herauf und wirf die Feder in die Flammen. Jetzt machst du dich besser fertig. Ich bin sofort zurück."

Severus stand auf, drängte den Schwindel, den die plötzliche Bewegung verursacht hatte, zurück und begann sich anzuziehen. Seine Kleidung war gereinigt und ausgebessert worden, und seine Todessermaske war noch immer in der Geheimtasche. Er legte die Feder dazu. Jetzt war keine Zeit, sie zu verwandeln. Sein ganzer Arm klopfte vor Schmerz, und es bereitete ihm Schwierigkeiten, Hemd und Hose zuzuknöpfen. Wenn er nur auf der Stelle desapparieren könnte, aber in Hogwarts konnte man nicht apparieren. Es blieb keine Wahl, er mußte bis zum Rand des Verbotenen Waldes laufen. Noch mehr kostbare Zeit, die verloren gehen würde ...

Aber Dumbledore hatte an alles gedacht. Einen Rennbesen in der einen Hand und eine kleine Glasflasche in er anderen kam er zurück ins Zimmer geeilt.

"Hier, mein Sohn, das ist für deine Haare. Und der Besen wird dich schnell und ungesehen an den Rand des Apparierschutzes bringen. Denk daran, Du darfst nicht nach Hogwarts zurück kommen. Kontaktiere mich so bald nach dem Treffen wie möglich, aber nur, wenn du ganz sicher sein kannst, daß niemand unser Gespräch mithören kann. Und noch eine Sache, bevor du losfliegst. Kennst du eingelegte Murtlapblüten?"

"Diese merkwürdigen Auswüchse auf dem Rücken des Murtlap? Sie erhöhen die Widerstandskraft gegen Flüche und Zaubersprüche, aber sie sind sehr selten und teuer."

Mit einer eleganten Bewegung seines Zauberstabs ließ Dumbledore ein kleines Glasgefäß mit einem rosa, blumenartigen Gebilde in einer milchigen Flüssigkeit heranschweben. Er hielt es dem jungen Zauberer hin.

"Hier, Severus, es wird dir hoffentlich bei der vor dir liegenden Aufgabe helfen. Nimm jedes Mal nur ein winziges Stückchen, du willst sicher keine lila Ohrenhaare bekommen, nicht wahr?"

"Ganz gewiß nicht, Professor." Trotz der zunehmenden Schmerzen brachte Severus ein schwaches Lächeln zustande, während er das Glas mit dem wertvollen Inhalt in einer der geräumigen Taschen seines Reiseumhangs versenkte. "Und danke - für alles." Er öffnete das Fenster und stieg auf den Besen.

"Viel Glück, Severus." Echte Sorge spiegelte sich in Dumbledores Augen. "Und paß auf dich auf."

Aber er war schon fort.


 

 

 Kapitel 6

 Kapitel 8



 

Zum Review Forum

 

Zurück