"Ach, komm schon, Severus. Wann war das letzte Mal, dass du ein ordentliches, selbst zubereitetes Essen zu dir genommen hast? Was mich interessieren würde, kannst du überhaupt kochen?"
Seine Wangen glühten rot auf und seine Lippe kräuselte sich. "Nur für den Fall, daß du es vergessen haben solltest, ich bin ein Meister der Zaubertränke. Denkst du nicht, daß es irgendwo innerhalb des Rahmens meiner bescheidenen Fähigkeiten liegen sollte, einen gemischten Salat hinzubekommen?"
"Gemischter Salat? Kein Wunder, daß du nichts auf den Rippen hast. Ich meinte eigentlich eher ein richtig gekochtes Essen: Steak, schön in Butter geschwenkte Kartoffeln, frischgebackene, noch warme Scones..."
"Ich kann sicherlich jeder Zeit einen Hauselfen dazu überreden, das für mich zu übernehmen und zwar wann immer es mir in den Kram paßt."
"Was, wie ich annehme, ziemlich oft sein wird."
"Ich bin ein vielbeschäftigter Mann, Poppy, ich habe keine Zeit für Kinderkram..."
"Ach, zum Beispiel wie hin und wieder mal was anständiges zu essen?"
Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. "Du bist wirklich DIE Person auf der ganzen Erde, die es am Besten schafft, mich zur Weißglut zu bringen und das schließt Potter mit ein."
"Morgen Abend also, um sechs Uhr. Ich denke, den Weg zu meinen Räumen, wirst du wohl finden, oder?"
Er stolzierte aus dem Raum.
***
Snape sah auf die Uhr. Er stand auf und ließ sich sofort wieder in seinen Sessel nieder. Ich werde nicht gehen. Diese verdammte, sich ständig einmischende Hexe... Seine schwarzen Augen verirrten sich zur Uhr. Es ist ja nicht so, als ob ich gehen müßte. Ich muß mich nicht vor ihr rechtfertigen. Ich bin ein ehemaliger Todesser, nur um das mal klarzustellen. Sie sollte eigentlich vor lauter Angst zittern.
Poppy und vor Angst zittern? Snape mußte bei dem Gedanken daran lachen. Das war in etwa so wahrscheinlich, wie wenn Fudge bei der Hexenwoche den Preis für "den am besten gekleideten Gentleman des Jahres" gewinnen würde.
Snape trommelte mit seinen Fingern auf der Armlehne herum. Wäre sie wohl sehr ärgerlich, wenn er nicht kommen würde?
Vielleicht. Möglicherweise. Definitiv.
Eine Krankheit vorzuschützen würde ihm auch nicht aus seinem Dilemma helfen.
Geschlagen stand er auf.
"Dann kann ich jetzt genauso gut zusehen, wie ich es über die Bühne bringe."
Der stattliche Stapel an Hausaufgaben, der - wie vorhergesagt - von Lockhart ignoriert worden war, lag noch immer an seinem ursprünglichen Platz. Der Zaubertranklehrer hatte sich den ganzen Tag lang nicht konzentrieren können. Außer auf das Abendessen mit Pomfrey. Wenn je jemand davon erfahren sollte, dann war er sich nicht sicher, ob er die Schmach überleben würde, dazu gezwungen worden zu sein, mit jemandem zu essen. - Was für eine Schande. War er nicht der Hauslehrer von Slytherin? Severus, du wirst unsinnig.
Dann richtete er sich kerzengerade auf. Sie sollte man nicht denken, daß sie sich auf seine Kosten amüsieren konnte.
Er marschierte in Richtung Tür und griff nach dem Strauß Blumen auf dem kleinen Tisch, der neben der Garderobe stand. Wollen doch mal sehen, ob sie das nicht zum Schweigen bringt.
***
Pomfrey sah zur Uhr.
Noch zwei Minuten und er würde zu spät kommen, was nur drei Dinge bedeuten konnte: er war in seinen Privaträumen und schmollte, er befand sich im Büro des Schulleiters und versuchte Albus gerade davon zu überzeugen, dass sie nicht mehr alle Kessel im Regal hatte, oder er hatte sich ein sicheres Versteck gesucht.
Wenn er intelligent war, dann hatte er die dritte Option gewählt. Dann wiederum, was wenn... er wieder gerufen worden war?
Sie war hin- und hergerissen zwischen ihrem Ärger und der Sorge um ihn, und dann gab es ein kurzes Klopfen an der Tür.
Die Medihexe öffnete und fand sich selbst einem Strauß Wildblumen gegenüber.
"Hier bitte. Ich dachte, du magst sie vielleicht, um sie auf den Tisch zu stellen, oder was weiß ich", sagte Snape.
"Du liebe Zeit. Wie... aufmerksam von dir, Severus." Sie nahm ihm die Blumen ab. "Danke."
"Gern geschehen."
"Nun, dann komm doch rein."
Snape folgte ihr und sah sich um. Abgesehen von den Steinwänden war nahezu alles in dem Zimmer weiß. Aber nicht diese grelle, keimfreie Sorte Weiß, es war irgendwie verblaßt, an manchen Stellen sogar etwas angegraut an wieder anderen schien es dann wiederum ein wenig gelblich zu sein. Die Atmosphäre erinnerte ihn vage an welkende Rosen. Es war behaglich. Über das Sofa war ein hellblauer Überwurf gebreitet, ein paar Bücher lagen auf dem Couchtisch daneben, zusammen mit einem Becher, der mit Teeflecken übersät war.
Er hatte Pomfrey´s Räume noch nie zuvor gesehen und dieser Anblick war ein wenig unerwartet, allerdings auf sehr angenehme Weise. Nachdem er seine Kindheit in einem Haus verbracht hatte, in dem jedes einzelne Staubkorn als größtmögliches Übel betrachtet wurde, schätzte er nun seine Tintenflecke überall, die wackeligen Pergamentstapel und die unordentliche Sammlung seiner Einmachgläser. Zu seiner Erleichterung schien es nun so, als ob die Medihexe ihn wohl kaum wegen ein paar auf dem Tischtuch hinterlassener Krümel zurechtstutzen würde.
"Ich schätze, du hast vermutet, daß meine Möbel einen Plastik-Schonbezug haben", grinste sie.
Er schenkte ihr einen fragenden Blick und sie lachte in sich hinein.
"Über die Jahre habe ich so manche komische Geschichte gehört, die die Schüler, besonders die welche aus Muggelfamilien kommen, so von sich geben. Manchmal können sie sich ja auch gar nicht mit was anderem beschäftigen, als sich halt untereinander zu unterhalten, wenn sie bei mir im Krankenflügel liegen."
"Ich kann es mir nur vorstellen", antwortete er ihr und hob eine seiner Augenbrauen.
Sie führte ihn in ein kleines Eßzimmer, das die Ländereien von Hogwarts überblickte.
"Fühl dich ganz wie zu Hause, Severus. Das Essen ist schon fertig."
"Es riecht direkt lecker."
"Möchtest du vielleicht ein Glas Wein?"
"Ja, bitte."
Sie goß ihm ein Glas Rotwein ein und füllte dann auch ihr Glas.
"Ich bin sofort zurück", informierte sie ihn. Wenige Minuten später erschien sie wieder aus der Küche, zwei große Teller tragend.
"Bitte schön, Professor."
"Das sieht ganz phantastisch aus", gab er zu und blickte auf das saftige Steak, die Pfeffersauce, das gebutterte, mit Rosmarin bestreute Gemüse und die goldbraunen Brötchen vor ihm.
"Ich habe schon immer gerne gekocht. Es hilft mir dabei, mich zu entspannen", erklärte sie und setzte sich.
"Ich vermute mal, daß du dieses Talent vor den Hauselfen geheimhältst, oder? Sie würden vermutlich die Hände ringen, wenn sie wüßten, was du hier oben so treibst."
"Meine Mutter hat immer gesagt: Was würde die Zaubererwelt wohl ohne Hauselfen machen, verhungern?"
"Ich schätze mal", erwiderte er mit einem leichten Lächeln.
"Na los, hau rein, Severus. Wenn meine Mutter dich je getroffen hätte, dann hätte sie nämlich auch gesagt: dieser Junge muß erst mal was auf die Rippen kriegen."
Snape murmelte etwas unverständliches, schnitt sich ein Stück von dem Steak ab und führte es zum Mund. "Oh", entfuhr es ihm. "Oh."
"Schmeckt es dir?"
"Es ist... erinnerungswürdig", bemerkte er kauend. "Großartig, um ganz genau zu sein."
"Na, da bin ich aber froh. Schön übrigens, daß du da bist, Severus."
"Der Himmel weiß, daß ich freiwillig und gerne hier erschienen bin."
Sie hob ihr Glas. "Auf die Freundschaft."
Einen zögerlichen Augenblick später tat er es ihr nach. "Auf... die Freundschaft."
Die Gläser berührten sich mit einem leichten kling und sie tranken.
Eine Weile lang aßen sie schweigend weiter, bis Pomfrey ihn fragte: "Das hier ist doch gar nicht so schlimm, oder?"
"Ich dachte, ich habe deine Kochkünste bereits ausführlich genug gepriesen."
"Das meinte ich auch nicht. Ich sprach davon, mit einem anderen menschlichen Wesen zusammen zu sein, Severus."
"Poppy, ich bin dir wirklich dankbar für deine Bemühungen, aber halten wir doch bitte mein gesellschaftliches Leben hier raus", grummelte er und trank den Rest seines Weines in einem Schluck.
"Du hast kein gesellschaftliches Leben. Du kannst dich schlecht über etwas auslassen, was überhaupt nicht existiert."
"Ein Grund mehr, das Thema zu wechseln."
"Merkst du eigentlich gar nicht, daß wir uns alle große Sorgen um dich machen?"
Er wischte sich den Mund mit der Serviette ab und warf sie neben dem Teller auf den Tisch. "Du verschwendest wertvolle Energie." Ruhiger fügte er dann hinzu: " Und außerdem glaube ich dir nicht. Ich weiß, was ich bin und auch was die anderen von mir denken. Nicht dass es mich im geringsten stören würde."
"Das würde erklären, warum du immer so charmant bist."
"Erinnere mich doch bitte, warum bin ich hier?"
"Genau jetzt, wegen des Schokoladentrüffel-Kuchens. Das heißt, wenn du mit dem Steak fertig bist."
Er seufzte. "Brauchst du Hilfe..."
"Blödsinn. Du bist mein Gast. Und es wird nicht mal eine Sekunde dauern."
Als sie mit dem Kuchen zurückkam, massierte er sich die Schläfen mit seinen Fingerspitzen.
"Ist alles in Ordnung?"
"Ja, danke. Bloß leichte Kopfschmerzen." Er sah auf. "Die Schokolade wird helfen."
"Na, da bin ich mir nicht ganz so sicher, aber hier, bitte schön", kommentierte sie und reichte ihm einen Teller.
Sie goß Tee in die Tassen. "Zucker?"
"Zwei."
Zusammen machten sie sich über das Dessert her und sie erkundigte sich: "Na, wie ist der Kuchen?"
"Ich denke, daß du die Antwort sehr wohl kennst."
"Komm schon, gib mir ein Lob, Severus."
"Ich bezweifele, daß selbst eine Hauselfe es besser hinbekommen hätte."
Sie verschluckte sich an ihrem Tee und lachte: "Es ist wirklich eine Schande, dass so wenig Leute deinen herrlichen Sinn für Humor kennen."
"Bei meiner Arbeit gibt es nicht gerade viel Bedarf dafür."
"Ich denke, dein Unterricht könnte durchaus von ein paar Lachern profitieren."
"Zählt auch konstantes Kichern der Slytherins über die Gryffindors?"
"Ich möchte wirklich wissen, wessen Idee es war, diese zwei Häuser zusammenzustecken", wunderte sich Pomfrey und schüttelte den Kopf.
"Oh, ich denke, das ist zweifelsohne ein Teil von Albus´ Generalstreich."
"Wie bitte?"
"Sein Plan, mich völlig in den Wahnsinn zu treiben, damit er mich nach St. Mungos verfrachten kann, ehe mich der Dunkle Lord umbringt."
Das Lächeln erstarb auf Pomfrey´s Gesicht. "Warum tust du es?"
"Weil es kein anderer machen kann. Albus weiß das. Er wünscht sich zwar, dass dem nicht so wäre, aber..." Er zuckte mit den Schultern. "Ich bin darauf vorbereitet, die nötigen Opfer zu bringen."
"Severus, jedes Mal, wenn sie dich in den Krankenflügel tragen, habe ich Angst, daß..." Ihre Augen begannen zu schimmern und sie sah rasch in eine andere Richtung, wobei sie mit der Hand eine entschuldigende Geste machte. "Mach dir nichts daraus. Dieser ganze Krieg... die Verletzten, die ich nicht mehr retten kann... manchmal ist es halt ein bißchen viel verlangt, einfach so weiterzumachen."
"Das einzige was man tun kann, ist sich nicht zu sehr an jemanden zu ... binden", bemerkte Snape. "Es ist besser für alle Beteiligten."
"Wie wäre es mit einem Weinbrand? Komm, laß uns rüber ins Wohnzimmer gehen."
Er nickte.
