Tortur

 

 

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Vielen Dank an J.K. Rowling für die Erfindung dieser inspirierenden Charaktere.

Kapitel 1: Der Beginn


Hätte jemand Remus Lupin vor einem Jahr prophezeit, daß er einmal helfen würde, Severus Snape aus Azkaban zu befreien, er würde ihn für verrückt erklärt haben.
Und dennoch - hier saß er an Albus Dumbledores Seite in dem schwankenden Boot, das die einzige Verbindung der Gefängnisinsel mit dem Festland darstellte.

Der Schuldirektor hatte ihm eine hastige Eule geschickt, in deren Nachricht es nur hieß, er möge sich am heutigen Tage an der Anlegestelle einfinden.
Lupin, in Ermangelung einer besseren Aufgabe und weil er Dumbledore einiges schuldete, hatte zugestimmt, nur um zu erfahren, daß sie mit Entlassungspapieren für Severus Snape unterwegs waren.

Der Tränkemeister war vor Monaten unter dem Verdacht der Todessertätigkeit vom Ministerium festgenommen worden, und Dumbledore - aus Sorge, den Orden verraten zu müssen - hatte nichts unternehmen können.
Wie er urplötzlich in den Besitz von Entlassungspapieren gekommen war, blieb Lupin ein Rätsel.

Das Boot legte an, und Lupin seufzte erleichtert. Obgleich er nicht zur Seekrankheit neigte, breitete sich ein leichtes Unwohlsein in seinem Magen aus, das sich noch verstärkte, als sich die schweren Türen der Festung hinter ihnen schlossen.

"Papiere!" bellte ein heruntergekommen wirkender Mann in verblichener Aurorenuniform und streckte fordernd die Hand aus.
Albus Dumbledore überreichte sie ihm schweigend und ohne das übliche warme Leuchten in seinen blauen Augen.

"Freilassung für den Gefangenen zwei-sieben-neun-neun", sagte der Auror desinteressiert und ohne aufzublicken.
"Seine Zelle befindet sich im Hochsicherheitstrakt", fuhr er gelangweilt fort. "Folgen Sie dem Hauptgang bis zur ersten Biegung, dort rechts bis zur Kontrolle."

Er gab die Papiere zurück und richtete seine Aufmerksamkeit zurück auf die Zeitung, als geschähe die Entlassung von Gefangenen jeden Tag.

Lupin schritt neben dem Schuldirektor den feuchten Gang entlang ins Innere der Festung.
Niemand sprach ein Wort. In was für einem Zustand mochte sich Severus Snape befinden nach diesen langen Monaten der Haft? Besuche hatte er nie empfangen dürfen, und auch sonst war sein Schicksal im Dunkeln geblieben.

Je tiefer sie ins Herz der Festung vordrangen, desto naßkalter wurde es, und noch ein anderes Gefühl begann, die Oberhand zu gewinnen: Verlorenheit.
Den Hochsicherheitstrakt bewachten die Dementoren. Ihre Präsenz machte sich durch eiskaltes Prickeln in allen Gliedmaßen bemerkbar, und Lupin spürte ein Zerren an seinen mentalen Barrieren.

Sie bogen um die Ecke. Der Wachtposten wirkte überrascht, zwei Fremde so tief in der Festung zu sehen.

"Entlassungspapiere für zwei-sieben-neun-neun?" Er hob die Brauen.
"Sie kommen spät."

Lupin holte scharf Atem, aber Dumbledore hatte bemerkt, daß absichtlich das eine Wort weggelassen worden war.

"Was ist mit Severus Snape?" verlangte er zu wissen.

Der Posten zuckte die Achseln.

"Schlechte Verfassung", sagte er gleichmütig. "Die Dementoren scheinen ihn besonders zu mögen. Er hat lange Widerstand geleistet, das muß man ihm lassen."

Ein anerkennendes Lächeln huschte über sein Gesicht.

"Legen Sie Ihre Zauberstäbe hier ab. Nur zur Sicherheit. Es ist die vorletzte Zelle auf der linken Seite. Ich veranlasse die Türöffnung. Ach ja" - plötzlich spiegelte sich etwas wie Anteilnahme in dem harschen Gesicht des Wachmannes, "viel Glück."

Dumbledore ignorierte ihn, aber Remus Lupin gab durch ein Nicken zu verstehen, daß er darüber dankbar war.
Wenn schon der Posten fand, Snape sei in schlechtem Zustand... Lupin mochte sich nicht ausmalen, was die ständige Tortur der Dementoren ihm angetan haben konnte. Sie ließen ihre Opfer mit nichts zurück als den schrecklichsten Erinnerungen, und davon hatte Severus Snape mehr als genug.

Auch Albus Dumbledores sanftmütiges Gesicht war vor Sorge verkniffen.

Die Tür der vorletzten Zelle war nur angelehnt. Er zögerte nur einen winzigen Moment, bevor er sie ganz aufstieß.

Die Zelle lag fast vollständig im Dunkeln. Das einzige Licht ging von einer rußenden Tranlampe im Gang aus. Es war schneidend kalt, und ein Geruch nach Fäulnis und Moder hing in der feuchten Luft.

Es dauerte eine Weile, bis Lupin im Halbdunkel etwas erkennen konnte. Eine Gestalt lag in der äußersten Ecke auf dem nassen Steinfußboden, denn außer dem Latrineneimer, zu dem es der Gefangene schon längst nicht mehr schaffte, gab es nichts in der Zelle. Keinen Strohsack, nicht einmal einen Lumpen als Decke, um sich wenigstens notdürftig gegen die Kälte zu schützen.

"Severus!"

Mit bemerkenswerter Schnelligkeit für einen Mann seines Alters stürzte Dumbledore zu der reglosen Gestalt und kniete bei ihr nieder.

"Severus, hörst du mich? Ich bin es, Albus Dumbledore."

Er umspannte ein schrecklich schmales Handgelenk und erschrak über die Kälte. Hastig entledigte er sich seines Umhangs, und als er den Gefangenen schützend darin einhüllte, erhaschte Lupin einen Blick auf ein totenbleiches hohlwangiges Gesicht.

Snapes Haar war so schmutzig wie der Rest von ihm; er war so abgemagert, daß sich die papierne Haut über den Knochen spannte.
"Severus", wiederholte Dumbledore und streichelte Snapes Wangen. Er hatte ihn halb in seine Arme gezogen, so daß Snapes Kopf auf Dumbledores Schulter ruhte.

"Severus, komm zu dir. Wir sind hier, um dich nach Hause zu bringen. Du bist frei."

Es erschien Lupin wie eine Ewigkeit, bevor Snape schmerzlich langsam tiefliegende schwarze Augen öffnete.

"Severus", Dumbledore fingerte an seiner Tasche und beförderte Schokolade zu Tage. "Komm, das wird dir guttun."

Aber Snape zuckte so heftig zurück, als habe man ihn verbrannt.

"Ruhig", murmelte Dumbledore. "Ich will dich nicht verletzen."

Auf das kleinste Zeichen hin legte er die Schokolade in Snapes Handfläche, aber das Stück entglitt den eiskalten Fingern und fiel zu Boden.
Lupin hob es auf, gab es Dumbledore zurück.

"Severus, Schokolade hilft dir gegen die Dementoren", versuchte der alte Zauberer zu erklären.

Er tauschte einen sorgenvollen Blick mit Remus Lupin, der bereits unruhig auf und ab ging. Keine Stunde würde er den ständigen Angriffen auf seinen Geist widerstehen; bereits jetzt verspürte er Lücken in den Barrieren, die ihn eigentlich schützen sollten.

"Komm, nur dieses eine Stück."

Diesmal wandte der Tränkemeister elend den Kopf ab, aber Dumbledore zwang die Schokolade mit sanfter Gewalt durch schmale, schneeweiße Lippen.

In Lupin stieg eine böse Vorahnung auf, als er Snapes Lider herabsinken sah.

Fast zeitgleich schüttelte ein Würgen den abgezehrten Körper des Gefangenen, und Snape erbrach die eben geschluckte Schokolade.

Albus Dumbledore hielt ihm den Kopf zur Seite, streichelte seine zuckenden Schultern und schalt sich stumm für seine Dummheit.

"Du wirst ihn tragen müssen, Remus", wandte er sich an den jüngeren Zauberer, dessen Herz sich vor Mitgefühl zusammenzog, als Snape röchelnd Atem holte.

"Natürlich".

Lupin schob einen Arm unter Snapes Kniekehlen, umfaßte mit dem anderen seine Schultern und hob ihn mühelos hoch.
Snapes Gesicht verzerrte sich, als habe er Schmerzen, aber kein Laut kam über seine aufgesprungenen Lippen.
Er hielt die Augen fest geschlossen, und sein Atem ging flach und hastig.

"Gehen wir."
Albus Dumbledore schritt firm voran. Kaum hatten sie den ersten Posten passiert und ihre Zauberstäbe zurückerhalten, versuchte er, eine Trage zu erschaffen, aber Magie wurde in der Festung abgelenkt und blieb wirkungslos. In der Sorge um Snape hatte er daran nicht mehr gedacht.

Lupin schob seine Last höher. Snape schien bewußtlos, aber als sie in die kalte, neblige Seeluft hinaustraten, begann er qualvoll zu husten.

Lupin setzte ihn ab, hielt ihn aufrecht. Der Tränkemeister war so schwach, daß er zu ersticken drohte. Er rang mühsam nach Luft, und gerade als Lupin glaubte, es wäre vorbei, rann Blut an Snapes Kinn entlang und tropfte auf den Boden.

Ein schwaches Würgen, mehr Blut, dann umschloß die Dunkelheit den Verletzen gnädig.

"Wir müssen uns beeilen", sagte Dumbledore und half, den Bewußtlosen in ein Boot zu hieven.
Ein Ruck kündigte das Ablegen an, und als sei diese Bewegung ein Zeichen für ihn, öffnete Snape plötzlich tief verschleierte dunkle Augen.

"Wo bin ich?" gelang es ihm unter Aufbietung seiner gesamten Kraft zu flüstern.

"Unterwegs nach Hause". Remus Lupin, in dessen Schoß er lag, hob eine Hand, um ihm Haare aus den Augen zu streichen, aber Snape zuckte zurück, versuchte, sein Gesicht zu schützen.

Ein winziger Schmerzenslaut entrang sich seiner Kehle, als ihm die Arme kraftlos herabsanken.

Jetzt würden die Dementoren alles mit ihm tun können, alles...
Seine Gedanken begannen sich zu verwirren.

"Severus", Albus Dumbledore beugte sich über ihn, "wir sind auf dem Weg nach Hogwarts. Weder Remus noch ich werden dich verletzen. Verstehst du?" erkundigte er sich eindringlich.

Snape brachte den Geist eines sarkastischen Lächelns zustande.

"Natürlich", hauchte er, "eine weitere Illusion."

Die Augen fielen ihm zu. Was machte es schon für einen Unterschied, ob das, was er sah, real war oder nicht? Unwichtig... fern...

Remus Lupin seufzte abgrundtief.

"Er glaubt uns nicht", sagte er leise.

"Severus hat Schlimmes durchgemacht." Dumbledore streichelte sinnend Snapes eisige Hände.
"Wenn ich ihm nur dies hätte ersparen können."

"Sie haben alles getan, Direktor", sagte Lupin automatisch, dabei pflichtete er ihm im Grunde bei. Das Letzte, was Snape gebraucht hatte, war diese Haft in Azkaban. Er mußte ohnehin schon gegen unendlich viele innere Dämonen kämpfen.
Die Spionagetätigkeit kam erschwerend hinzu. Ein winziger Fehler, ein einziger Augenblick der Unbedachtheit konnten ihn das Leben kosten.

Es erschien Lupin wie eine Ewigkeit, bevor sie das Festland erreichten. Snape kräuselte die Brauen vor Schmerz, als man ihn hochhob, und Lupin bemerkte mit einer Mischung aus Verlegenheit und Besorgnis den dunklen Fleck im Holz an der Stelle, an der er gelegen hatte.
Zwar erwartete er nicht, daß der Verletzte in seinem derzeitigen Zustand die Körperfunktionen kontrollieren konnte, aber das war Blut.
Snape mußte im Gefängnis entsetzlich gequält worden sein. Besser, er verdrängte diese Gedanken zunächst.

Das charakteristische Geräusch, von dem das Apparieren begleitet wurde, führte die Männer vor die Tore von Hogwarts.

Snape hustete rauh in Lupins Armen, während dieser mit seiner Last in den Krankenflügel eilte.

Wenn Poppy Pomfrey entsetzt war über den Zustand des Zaubertränkemeisters, so verbarg sie dieses Entsetzen gut.
Mit äußerster Professionalität bereitete sie ein Bett vor und begann, kaum daß ihn Lupin niedergelegt hatte, mit der Untersuchung.
Je mehr Informationen sie bekam, desto härter wurden ihre sonst herzensguten Züge.

Mit einem raschen Reinigungszauber säuberte sie den Verletzten und kleidete ihn in ein typisches Krankenhemd, bevor sie zu einem Schrank an der Stirnseite des Lazarettes ging und ihm diverse Artikel entnahm, die Lupin nicht kannte.

"Professor Snape ist in einem erbarmungswürdigen Zustand", sagte sie schließlich. "Bis er Zaubertränke zu sich nehmen und auch bei sich behalten kann, muß ich auf Muggeltechniken zurückgreifen. Leider."

Seufzend, aber mit absolut sicherer Hand schob sie dem Kranken eine Kanüle in die mühsam gefundene Vene, entrollte den Schlauch, schloß eine Flasche an und verband den Arm.

Lupin schauderte.

"Gut", nickte die Heilerin zufrieden, "dies wird den Wasser- und Elektrolytverlust ausgleichen. Später kann ich ihn vielleicht sogar ein wenig ernähren."

Sie zog eine Spritze auf, desinfizierte Snapes anderen Arm und gab sie ihm. Er zuckte nicht einmal zusammen, als die Kanüle in seine Haut drang.

"Ich hoffe, die Blutungen hören auf", bemerkte sie und zog eine warme Decke bis über Snapes Hüfte. Er war noch immer eiskalt.

"Es kommt alles in Ordnung, Professor", wandte sie sich an den Patienten, als könne er sie hören. "Ich bin gleich wieder bei Ihnen."

Dumbledore und Lupin folgten der Heilerin in ihr Büro.

"Das war knapp, Albus", sagte sie, kaum daß sie allein waren. "Er hat entzündete Nieren, die Lunge ist verletzt ... ach, und über den Allgemeinzustand müssen wir wohl nicht erst reden. Er wäre gestorben, Albus, wenn nicht morgen, dann übermorgen."

"Ich konnte ihn nicht früher" - Dumbledore brach ab, schüttelte bedrückt den Kopf. "Bitte rufen Sie mich sofort, Poppy, wenn sich etwas ändert."

Er erhob sich schwerfällig und schlurfte hinaus, ein von Schuld gebeugter Mann.

Remus Lupin gönnte sich eine heiße Dusche und eine warme Mahlzeit, bevor er sich lautlos an Severus Snapes Bett niederließ.

Madam Pomfrey hatte die Verletzungen behandelt, so daß er leichter atmete, aber das Bewußtsein hatte er nicht wiedererlangt.

Die Zeit rann dahin wie zähflüssiger Kleister.

Einmal kam Poppy, um die Infusionsflasche zu wechseln; beim nächsten Mal wandte sich Lupin beschämt ab; er wollte nicht sehen, wie sie dem stolzen, jetzt so hilflosen Tränkemeister eine saubere Windel anlegte. Wenigstens diese Entehrung wollte er ihm ersparen. Snape, der vor der kleinsten Berührung zurückschreckte, Snape, verschlossen, vollkommen Herr seiner Gefühle, stets kontrolliert und kalt -

"Komm zurück zu uns", hörte sich Lupin plötzlich sagen, aber die flache Gestalt auf dem Bett blieb still und regungslos.

Später hörte er den Schuldirektor mit Snape sprechen. Dumbledore streichelte unentwegt das wirre schwarze Haar und murmelte leise Worte der Zuversicht.

Wenn sich der Tränkemeister nur erholte.



 

Kapitel 2

   

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