Tortur

 

 

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Kapitel 3: Ein Unglück kommt selten allein


Wieviel Zeit war vergangen zwischen dieser grauenvollen Nacht und - wie spät war es eigentlich?
Severus Snapes Bewußtsein kämpfte sich mühsam in einen luziden Zustand. Bleierne Erschöpfung drohte, ihn sofort wieder mit sich zu reißen.

Poppy Pomfrey saß an seinem Bett. Sie lächelte warm.

"Es wird allmählich Zeit, daß Sie wieder etwas in den Magen bekommen", sagte sie so fröhlich, daß Snape schauderte. Allein der Gedanke an Essen verursachte ihm Brechreiz.

"Anfangs tun es drei oder vier Löffel", informierte ihn die Heilerin und zauberte eine Suppenschüssel herbei.
Sie stopfte ihm Kissen in den Rücken, damit er halb aufrecht saß und führte den Löffel bedrohlich nahe an seine Lippen.
Er verzog angewidert das Gesicht und wandte elend den Kopf zur Wand.

"Ich kann nicht", flüsterte er kaum hörbar.

"Wir versuchen es später wieder", lenkte Madam Pomfrey sofort ein. "Etwas Pfefferminztee vielleicht?"

Unter anderen Umständen hätte sie Snape für diese Frage mit einem seiner berüchtigten und eigentlich für Schüler reservierten Blicke durchbohrt, aber jetzt war ihm zu schwindlig, um mehr als ein winziges Kopfschütteln zustande zu bringen.

Madam Pomfrey seufzte mitleidig. Sie brachte Snape zurück in eine liegende Position und trocknete ihm den kalten Schweiß von der Stirn.

"Ich tausche die Infusion, Severus, nicht erschrecken."

Er nahm kaum wahr, wie sie anstelle der Flasche einen Beutel mit milchigem Inhalt anschloß. Noch immer vermochte er seinen Körper nicht bewußt zu spüren. Da war zwar dumpfe Übelkeit, aber kein Gefühl von Armen und Beinen, obwohl er beides bewegen konnte.

Snape holte fröstelnd Atem. Hatten die Dementoren seinen Geist so verwirrt, daß er kein Körpergefühl mehr bekam?
Die Erinnerung an die Übergriffe der Dementoren verwandelte die Übelkeit in jähen Brechreiz.

Hier gab es eine Lücke in Snapes Erinnerung. Er kam zu sich, weil jemand unendlich zärtlich sein Haar streichelte.
Albus Dumbledore. Der Alte lächelte verständnisvoll.

"Mein armer Junge", sagte er leise. "Poppy hat dir neben einem Zauber auch noch ein Muggelmedikament gegen das Erbrechen zukommen lassen. Ist es jetzt besser?"

Snape nickte fast automatisch. Wenn ihm Dumbledores freimütige Schilderung peinlich sein konnte, mußte es ihm wohl besser gehen.
Sein Blick fiel auf das Wasserglas neben dem Bett, und als verriete ihn der begehrliche Ausdruck seiner Augen, führte es ihm Dumbledore bereitwillig an die Lippen.

"Vorsichtig", ermahnte ihn der Alte fürsorglich, als der Tränkemeister das Glas mit der Gier eines Verdurstenden leerte.

"Poppy bat mich, dir etwas Suppe anzubieten", erwähnte Dumbledore heiter. "Das heißt, wenn dir danach sein sollte."

Snape kräuselte in einem Zeichen puren Ekels die Brauen.

"Mir ist nicht danach", flüsterte er gepreßt. Noch verhinderte Madam Pomfreys Zauber Schlimmeres, obwohl eine unbestimmte Übelkeit bereits wieder in seiner Magengrube zu nagen begann.

"Vielleicht später." Albus Dumbledore strich geschäftig Snapes Bettdecke glatt, ließ sich wieder zu seiner Rechten nieder und versank in Schweigen.

Schließlich hob er den Kopf wieder aus den Handflächen, in die er das Gesicht vergraben hatte und fragte: "An was erinnerst du dich während der Gefangenschaft in Azkaban?"

Für einen Moment spiegelte sich die ganze Bandbreite möglicher Emotionen in Snapes hohlwangigem Antlitz; von Haß und Abscheu über Schmerz, Demütigung, Angst und Verletzlichkeit bis hin zu unverhohlenem Entsetzen, dann legte sich die wohlbekannte Maske der gleichmütigen Kälte über seine abgezehrten Züge.

"Ich möchte dieses Thema nicht erörtern", sagte er so ruhig und kalt, daß Dumbledore erschauerte.
Er hatte Snape schon oft verschlossen erlebt, aber nur einmal so abweisend wie gerade eben.
Damals hatte er ihn in sein Büro beordert, um ihm noch einmal das Versprechen abzunehmen, nach dem Vorfall in der Heulenden Hütte, bei dem er das Opfer eines üblen Streiches geworden war, nichts über Remus Lupins Werwolfnatur zu verraten.

Snape hatte keine Gefühlsregung erkennen lassen an jenem Tag; er war sehr blaß gewesen, hatte jedoch souverän genickt und in derselben kalten Tonlage gesagt: "Natürlich werde ich über den Vorfall schweigen. Guten Tag, Direktor."

'Was hättest du auch sagen sollen, Severus', seufzte Dumbledore tonlos, 'hatte ich dir doch mit einem Schulverweis gedroht. Für dich aber war dies der endgültige Beweis, daß das Haus Gryffindor für alles einen Freibrief hatte.'

Er streckte eine Hand aus in dem erneuten Versuch, den Jüngeren am Arm zu berühren, aber Snape zog sich zurück.

"Entschuldige", sagte Dumbledore sofort. Er schlug das mitgebrachte Buch auf.
"Soll ich dir vorlesen?" bot er an, und die Antwort verblüffte sogar einen Mann seiner Weisheit.

"Mir hat noch niemals jemand vorgelesen", sagte Snape ehrlich. "Warum sollte ich dies wünschen?"

"Weil... ehm... weil es beruhigend und angenehm ist", versuchte der Direktor zu erklären. "Außerdem bist du zu schwach, um selbst zu lesen."
Wie gut, daß ihm dieses unschlagbare Argument noch eingefallen war.
"Hör einfach zu und schließ die Augen, wenn du magst."

Noch ehe Dumbledore die erste Seite beendet hatte, war Severus Snape tief eingeschlafen. Der Alte lächelte in sich hinein, als er das Buch zuklappte und sich umständlich erhob.

"Sanfte Träume", flüsterte er zum Abschied.

xoxoxox

Snape schreckte mitten in der Nacht aus einem gräßlichen Alptraum. Die Bilder standen noch unmittelbar vor seinen Augen, ängstigten ihn, raubten ihm die Orientierung.
Er fror erbärmlich, obwohl er die Decke bereits bis ans Kinn gezogen hatte. Jeder Atemzug sandte stechende Schmerzen durch seine Lungen, und obwohl all dies nur zu real war, schien der Körper, dem Schmerz und Grausamkeit widerfuhr, nicht zu ihm zu gehören.
Zu der Angst, die der Traum geweckt hatte, gesellte sich nun die Sorge, den Verstand zu verlieren.

Remus Lupin, der wie üblich auf einem benachbarten Bett Quartier bezogen hatte, schlief tief, ohne etwas zu bemerken.

Vielleicht würde etwas Wasser sein wild schlagendes Herz beruhigen. Snape rappelte sich soweit auf, daß er das Glas auf dem Nachttisch erreichen konnte, aber eine jähe Welle von Schwindel traf ihn unvorbereitet. Das Glas entglitt seinen zitternden Händen und zerbarst mit lautem Klirren.
Geistesgegenwärtig langte Snape nach Lupins Zauberstab, den dieser neben der Karaffe abgelegt hatte und zischte ein wütendes "Reparo!", aber nichts geschah.

Stattdessen schälte sich Lupin groggy aus den Decken.

Was ist passiert?" fragte er und rieb sich verschlafen die Augen. "Oh!" Er betrachtete die Splitter auf dem Boden für einen Moment. "Du hättest mich doch wecken können", bemerkte er dann und blickte sich suchend nach seinem Zauberstab um.

"Entschuldigung."

Die Stimme klang so seltsam, daß Lupin unwillkürlich zusammenfuhr. Erst jetzt nahm er die ganze Eigenart der Szenerie komplett wahr.

Severus Snape lag halb auf der Seite, Lupins Zauberstab lose in einer knochigen Hand. Er war schneeweiß im Gesicht und zitterte, und in seinen schwarzen Augen stand grenzenlose Furcht.

"Severus, was ist los mit dir?" erkundigte sich zutiefst besorgt, nahm den Zauberstab an sich und beseitigte die Scherben mit einem lässigen Schlenker.

Snape zuckte wie unter Schmerzen zusammen und versuchte, sich soweit in die Gewalt zu bekommen, daß er reden konnte.

"Ich wollte...", begann er heiser, brach ab und holte mühsam Atem.
"Ich kann nicht mehr zaubern", flüsterte er schließlich kaum hörbar. "Als das Glas zerbrach, wollte ich... aber es funktioniert nicht."

Lupin gab sich Mühe, sich das Entsetzen nicht anmerken zu lassen, das ihm langsam unter die Haut kroch.

"Jetzt hör mal", sagte er so ruhig, daß es ihn selbst überraschte, "du bist noch lange nicht wieder gesund, hast Schlimmes durchgemacht. Da ist es kein Wunder, wenn" -

"Sehr aufmerksam", unterbrach ihn Snape scharf, " aber ich verstehe durchaus, was das bedeutet."

Er preßte die Lippen zu einem dünnen Strich aufeinander und schloß die Augen.

Warum hatten sie ihn in Azkaban nicht einfach sterben lassen? Lang hätte es nicht mehr gedauert. Seine Freilassung hatte einzig dazu gedient, das schlechte Gewissen der anderen zu beruhigen.
Ohne Magie war er nutzlos, schlimmer noch als jeder Muggel.

"Ist dir kalt?" hörte er Lupins Stimme von ganz weit her.

Ein Wärmezauber legte sich um seinen frierenden Körper.

"Morgen früh sieht alles ganz anders aus", murmelte Lupin und glaubte sich selbst kein Wort.


 

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