Tortur

 

 

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Kapitel 30: Zwischentöne



"Severus, du wirst es kaum glauben", begrüßte ihn MacGillivray überschwenglich, "dein Klassenraum ist unversehrt, keiner deiner Schüler wurde verletzt oder hat einen Nervenzusammenbruch erlitten und ich auch nicht, obwohl dies von untergeordneter Bedeutung ist, ich weiß."

Sie legte schmunzelnd warme Hände auf die knochigen Schultern des Tränkemeisters, der trotz seiner ungesunden Blässe ein unverfrorenes Lächeln aufsetzte.
Daß er so gelöst wirkte, verwunderte Catriona; natürlich wäre es für ihn gewesen, alles bis ins kleinste Detail zu erkunden, bis die befragte Person später nicht mehr wußte, ob man ihr Veritaserum verabreicht hatte oder nicht.

"Wie fühlst du dich?" wechselte sie überraschend das Thema in der Absicht, ihm eine ehrliche Antwort zu entlocken.

Snapes Lächeln gefror. Er fühlte sich zerschlagen und müde, quälend übel und plötzlich hungrig, aber das zuzugeben, erschien ihm völlig unmöglich. Daher beschränkte er sich auf ein vages: "Es geht", dessen wahre Bedeutung sich MacGillivray mit der ihr eigenen Scharfsinnigkeit zusammenreimte.

"Wie viele von den Hohlköpfen sind schließlich auf Lignum quassiae gekommen?" streute Snape beiläufig ein, während er scheinbar beschäftigt in einem abgegriffenen Lederband blätterte.

Die sanfte Massagebewegung Catrionas geschickter Hände erstarb jäh. Sie trat vor ihn und blickte ihm scharf in die unergründlichen schwarzen Augen.

"Ich würde gemerkt haben, wenn du versucht hättest" -

"Hmpf", machte Snape abfällig, als bezweifle er ihre Okklumentikfähigkeiten doch erheblich und hielt ihrem Blick ungeniert stand.
"Nun, wie viele?"

"Etwas weniger als ein Drittel", gab MacGillivray widerwillig bekannt. "Längst nicht alles Leuchten. - Bist du mir etwa gefolgt?"

"Ich hatte lange nicht mehr so gute Unterhaltung", sagte Snape unverschämt, ohne ihre Frage zu beachten. "Für jemanden, der noch nie unterrichtet hat, war das mehr als akzeptabel."

Catriona glaubte, sich verhört zu haben. Der ewig krittelnde, nie zufriedene, bis zur Haarspalterei penible Severus Snape lobte sie?
Eigentlich undenkbar und dennoch…

"Freut mich, daß es dir gefallen hat", spöttelte sie warmherzig. "Die Klasse wird mich hoffentlich in bleibender Erinnerung behalten. - Bist du mir gefolgt, weil du mir nicht vertraust oder aus Neugierde?"

Snape schien einen Moment aufmerksam über die Frage nachzudenken, bevor er ernsthaft versicherte: "Ich war interessiert."

MacGillivray mußte gegen ihren Willen lachen. Zu schade, daß er ihr nicht verriet, wie er es angestellt hatte, ungesehen zu bleiben. Das herauszufinden würde eine weitere Herausforderung werden.

"Komm", sagte sie plötzlich ernst und streckte einladend den rechten Arm aus.

"Wohin?" Snape machte keine Anstalten, sich zu erheben, aber das Buch ruhte still auf seinem Schoß und die ewig frostigen, viel zu dürren Hände hatte er mitleiderregend darüber ineinander verhakt.

"Zu Madam Pomfrey natürlich", rief MacGillivray, als sei dies das Selbstverständlichste der Welt. "Es wird Zeit, daß sie dich wieder einmal zu Gesicht bekommt."

Sofort verhärtete sich der relativ entspannte Gesichtsausdruck des Tränkemeisters. Seine Lippen wurden schmal und die Augen abwesend und unlesbar.

Wenn sie nur im Unrecht gewesen wäre - liebend gern hätte er mit aller ihm zur Verfügung stehender Wortgewandtheit den Vorschlag erst jeglicher Grundlage beraubt, um ihn dann genüßlich in der Luft zu zerreißen, aber zu deutlich spürte er bei jeder Bewegung, daß es mehr als einen Grund gab, von allzu vehementen Ablehnungen Abstand zu nehmen.
So beschränkte er sich auf ein lahmes "Ich kann allein gehen", das MacGillivray erst einen überraschten Blick, dann jedoch ein erleichtertes Grinsen entlockte.

"Ich muß ohnehin bald zur zweiten Stunde", sagte sie leichthin. "Willst du gar nicht wissen, wer heute die letzten Punkte für dein Haus geholt hat?"

Snapes dunkle Brauen hoben sich ein wenig, gerade genug, um Interesse am Rand des Desinteresses zu bekunden und längst nicht ausreichend, um ihr den Triumph einer unerhörten Neuigkeit zu gönnen.
Sie machte eine nachlässige Bewegung, so daß das spärliche Licht in einer der Glasperlenketten reflektiert wurde, die sie um die Handgelenke geschlungen trug und sah ihn scharf an, um ihm zu zeigen, daß sie sein Spiel durchschaut hatte, aber trotzdem gewillt war, ihn an der Information teilhaben zu lassen.

"Gregory Goyle. Hättest du das vermutet?" gab sie mit äußerster Liebenswürdigkeit bekannt und genoß seine unverhohlene Überraschung.
Mit einem Mal schien ihm jedoch ein Licht aufzugehen, und er bemerkte schlau: "Was war denn die Frage?"

"Die sonstige Anwendung von Quassiaholz", sagte MacGillivray arglos, woraufhin Snape abfällig schnaubte.
"Das war das Thema seiner letzten Strafarbeit bei mir - obwohl bemerkenswert ist, daß er sich überhaupt etwas gemerkt hat."

Einen Moment lang sahen sich beide vollkommen ernst an, dann lachte die Schottin, und Snapes strenge Züge erhellte ein freies Lächeln.
Er erhob sich, raffte die Robe und wandte sich zur Tür. "Bis später."

xoxoxox

Als Snape die Krankenstation betrat, blieb er wie vom Donner gerührt stehen. Was, wenn Pomona Sprout noch hier weilte? Er legte keinen Wert darauf, der vorübergehend ertaubten oder doch zumindest schwerhörigen Kräuterkundelehrerin überhaupt zu begegnen, geschweige denn, sie als Nachbarin im Krankenbett wiederzutreffen. Allein bei der Vorstellung überlief ihn ein eisiger Schauder.
Unglücklicherweise verbot ihm pragmatische Einsicht in die Notwendigkeit einen übereilten Rückzug, aber vielleicht konnte er ja - zu spät.

"Oh, Professor", rief Poppy Pomfrey mit übertriebener Geschäftigkeit, "Sie habe ich ja schon ewig nicht mehr gesehen. Setzen Sie sich!"

Ehe er es sich versah, glitt ihr Zauberstab streng über seinen Körper, und ein Seufzen, das immer alarmierter wurde, je mehr Informationen sie erhielt, begleitete jede ihrer Bewegungen.

"Müssen Sie alles so unsäglich dramatisieren?" bemerkte Snape gereizt, dem längst alles zuviel wurde und machte Anstalten, sich dem strengen Auge der Medizin zu entziehen.

"Hiergeblieben!" Madam Pomfrey drohte ihm gutmütig mit dem Zauberstab.
"Sie wären nicht freiwillig gekommen, wenn Sie nicht spürten, daß Sie Hilfe brauchten", sagte sie salomonisch. "Gehe ich recht in der Annahme, daß ich die Kräftigungstränke überspringen kann, da Sie deren Wirkung bereits eigenmächtig ausgereizt haben?"

Snape fügte sich durch ein winziges, unwirsches Kopfrucken in das Unvermeidliche und nahm auf einem Bett Platz, während die Heilerin die vertraute Muggelinfusion vorbereitete.

"Niemand wird Sie sehen", beruhigte sie ihn mit einem Anflug von Ungeduld, als sie seine Augen blitzschnell im Raum umherhuschen sah. "Ich wußte gleich, daß es keine gute Idee war, Sie schon wieder unterrichten zu lassen."

Der Tränkemeister beschränkte sich auf einen vagen Unmutslaut; sie würde es noch früh genug erfahren, wer seine Stunden gegeben hatte.

xoxoxox

Es regnete noch immer ohne Unterlaß, als Catriona MacGillivray ihre zweite Doppelstunde Zaubertränke beendete und verhältnismäßig zufriedene Hufflepuff- und Ravenclawschüler des sechsten Jahres entließ.
Sie lächelte in sich hinein, während sie beschwingten Schrittes die Kerker verließ, um Remus Lupin einen Besuch abzustatten.

Wenn sie nicht irrte, erforderte eine Verwandlung ohne Wolfsbann bei "Ungeübten" mindestens eine dreitägige Rekonvaleszenz, und Lupin hatte grauenvoll ausgesehen in Albus Dumbledores Büro.

Die Tür öffnete sich auf ihr Klopfen selbsttätig, so daß sie den Kopf durch den Spalt streckte und in den Raum fragte: "Darf man eintreten?"

"Sonst hätte ich dir die Tür nicht geöffnet, Catriona."

Zweifellos Lupins Stimme, ernsthaft und dennoch mit einem Hauch von Ironie, die sie sonst überhaupt nicht von ihm kannte.
Der Werwolf saß an einem von Papieren übersäten Sekretär, eine abgegriffene Schwanenfeder in der rechten Hand; die linke war böse geschwollen und ruhte auf einem Abakus.

"Setz dich doch", bat er, als er ihre Zurückhaltung bemerkte. "Ich versuche, mich so schnell wie möglich wieder nützlich zu machen", lächelte er fast entschuldigend und war für einen Moment der Remus Lupin, an den sie sich erinnerte. "Ein bißchen Fluchrückverfolgung, ein wenig Abrechnung für Dion Fletchers Lokal und sonst alles, wobei dem Orden meine Hilfe dienlich sein kann. - Wo ist Severus?"

Catriona zuckte geistesgegenwärtig die Achseln, aber bevor eine Lüge ihre Lippen verlassen konnte, sagte Lupin: "Bemüh dich nicht. Ich weiß, daß du heute unterrichtet hast. - Harry Potter hat's mir erzählt", fügte er rasch hinzu, als sich ihre Augen verdüsterten.

Ihr despektierliches Schnauben erinnerte ihn verdächtig an den Tränkemeister. Ob sie sich bewußt war, daß sogar ihre Art, die Brauen zu wölben, sich in Severus Snape wiederfand?

"Die schnellste Eileule ist eine lahme Ente im Vergleich zu der Geschwindigkeit der Informationsausbreitung in den Mauern von Hogwarts", bemerkte sie säuerlich und schüttelte ungläubig den Kopf.
"Was hat Potter denn erzählt? Nicht daß ich neugierig wäre…"

"Severus sollte ohnehin noch nicht wieder unterrichten", half Lupin in versöhnlichem Ton und erhob sich vom Schreibtisch. Seine Bewegungen waren schwerfällig und ungelenk, als wüßte sein Körper nicht, wie er die menschlichen Glieder bewegen sollte.
"Was deine pädagogischen Fähigkeiten betrifft… Harry war zwar nicht begeistert, aber das ist er von Severus auch nicht."

"Danke sehr!" MacGillivray preßte verärgerte Lippen aufeinander. "Daß ich in einem Vergleich mit Professor Snape ebenso schlecht abschneide, beruhigt mich ungemein."

Lupin lächelte nachsichtig. Als er jedoch sprach, wurde seine Miene schlagartig ernst.
"Schütze ihn, Catriona", sagte er leise. "Einzig bei dir läßt er es zu, und es versuchen ohnehin nur sehr wenige."

MacGillivray überlief ein eisiger Schauer. Sie mußte unwillkürlich zurückgewichen sein, denn Lupin tat etwas Unerwartetes - er folgte ihr, ergriff ihre Hand und hielt sie fest.

"Severus ist wie immer nahezu perfekt verschlossen, aber du… wie du ihn verteidigst, ihm beistehst - das macht man nicht nur aus Gerechtigkeitssinn."

Lupins noch immer leicht blutunterlaufene Augen bohrten sich in ihre, als er mit einem schiefen Grinsen hinzufügte: "Natürlich wirst du gleich alles vehement abstreiten, aber sei's drum. Ich muß nur die Gunst der Stunde nutzen, in der noch meine wölfischen Züge einen Teil meines Wesens bestimmen, um dir zu sagen, daß ich nicht blind bin und so gern auch nicht das Nachsehen habe."

In MacGillivrays aristokratische Züge trat ein Ausdruck überraschten Bedauerns.
"Das tut mir leid", sagte sie aufrichtig, machte sich jedoch aus seinem Griff los. "Ich bin nicht
gekommen, um Professor Snape zu diskutieren", fuhr sie geschäftig fort, "sondern um dir zu danken, daß du dir dies alles auferlegt hast. Das war in der Tat ein großes Opfer."

Nun war es an Lupin, ihren Blick zu meiden.

"Wenn du mir sagst, was dich jetzt am meisten quält, rufe ich dir einen passenden Trank auf."

Er vergrub die Hände in den Taschen seiner schäbigen Robe, lehnte sich ein wenig zurück, als dächte er darüber nach und sagte schließlich: "Die Gelenkschmerzen bringen mich um."

Es schien ihm bereits wieder schwerzufallen, eigene Wünsche kundzutun; errötend nahm er das von Catriona aufgerufene Fläschchen entgegen und leerte es in einem Zug.
So sehr er es auch versuchte, er konnte ihr nicht böse sein.

"Wann kehrst du nach Brasilien zurück?" erkundigte er sich unvermittelt und bereute die Frage im selben Moment, denn Catrionas Lippen wurden seltsam schmal, und ein stumpfer Zug trat in ihre ausdrucksvollen Augen.

"Noch hat mir die Stiftung nicht bedeutet, daß es an der Zeit wäre", sagte sie nachdenklich, "aber meine Tage in Hogwarts sind gezählt, soviel steht fest."
Sie holte tief Atem, setzte die Brille ab und massierte mit zwei Fingern den Nasenrücken.

"Der Orden könnte jemanden wie dich brauchen", bemerkte Lupin bedächtig, verwünschte sich jedoch gleich darauf für seine Offenheit. Dieses Wechselspiel zwischen den Resten seiner wölfischen Natur und seinem eigentlichen, besonnen-ruhigen Selbst sollte wirklich niemand miterleben müssen.
Mit Sicherheit hatte er sie jetzt in eine verfängliche Situation gebracht. Was, wenn sie gar nicht im Traum daran dachte, sich seinem Kampf anzuschließen? Was, wenn es diese Option nie für sie gegeben hatte? Mit welchem Recht nahm er an, der Sieg über Voldemort müßte für sie die gleiche Priorität haben wie für den Orden? Würde sie nun überhaupt noch ablehnen können, oder hatte er ihr mit seiner leichtsinnigen Bemerkung eine moralische Bürde auferlegt, derer sie sich unmöglich erwehren durfte?

"Und was sollte ich deiner Meinung nach hier tun?" MacGillivray spottete nicht; erwartungsvoll ruhten ihre Augen auf seiner abgewetzten Gestalt.

"Wenn ich es recht bedenke, ist deine Hilfe gewiß nicht mehr gänzlich unwillkommen für Severus und" -

"Siehst du, Remus", unterbrach sie ihn scharf, "genau das ist das Problem. Es gibt keine Aufgabe hier für mich. Ich gebe doch die Flamelstiftung nicht auf für… für bestenfalls einen Posten als Lehrerin."

Sie wandte sich um, verließ fluchtartig Lupins Quartier, begab sich schnurstracks in Snapes Labor und entrollte Madam Pomfreys Liste der fehlenden Tränke.
Mit grimmiger Entschlossenheit machte sie sich ans Werk; Arbeit pflegte aufgewühlte Emotionswogen stets am zuverlässigsten zu glätten, und sie befand sich gerade mitten in einer Sturmflut.

Bisher hatte sie jeden Gedanken an die Rückkehr nach Brasilien, in ihr altes Leben stets meisterlich verdrängt, hatte nicht wahrhaben wollen, daß sie sich früher oder später würde entscheiden müssen.
Der Aufenthalt in Hogwarts, vor allem jedoch die Arbeit und das Zusammensein mit Severus Snape waren so vertraut für sie geworden, daß ihr allein die bloße Erwähnung einer Veränderung mißfiel und Überlegungen zu einer Wiederaufnahme ihrer Forschungen ihr bestenfalls lästig erschienen.
Andererseits hatte sie ihre Aufgabe stets mit Stolz und Zufriedenheit erfüllt, sie gefordert und ihren Verstand geschärft, wohingegen die Vorstellung, zu einer Untergrundkämpferin zu werden, deren einzige Daseinsberechtigung in der "wahren Welt" durch eine unselige Tarnung gegeben war, ihr nicht sonderlich behagte.

Ungeduldig versah sie die Wasserdampfdestillationsapparatur, mit deren Hilfe sie ätherische Öle trennte, mit einem Zeitmeßzauber, der sie alarmieren würde, wenn die Fraktion überdestilliert wäre, machte auf dem Absatz kehrt und schlug die Tür mit einem vernehmlichen Knall hinter sich zu.

xoxoxox

Severus Snape beobachtete nun schon seit einer Stunde mit stoischer Gelassenheit, wie Tropfen um Tropfen der Infusionslösung mit unbestechlich gleichmäßiger Beharrlichkeit durch den dünnen Schlauch in seine Vene rann.

Poppy Pomfrey, die fest entschlossen gewesen war, ihn über Nacht auf der Krankenstation zu behalten, hatte er eine vor Höflichkeit klirrende Abfuhr erteilt, so daß sie ihm nur säuerlich versicherte, er solle sich dennoch auf einen längeren Aufenthalt einrichten, da man seinem verhungerten Leib Supplemente mit wohldosierter Vorsicht anzubieten hätte.

Snape, für den Müßiggang sonst jenseits des Vorstellbaren lag, fand eine seltsame Befriedigung in dem exakten Fallen der Tropfen, beruhigend vorhersehbar, unbeeinflußt durch die Wirren der Welt.
Als sich eine warme Hand sacht auf seine legte, durchlief ihn ein unwillkürlicher Schauder. Die Berührung, auf eine undefinierbare Art fremd und doch mit dem Widerhall unsagbarer Vertrautheit, überraschte ihn durch ihre Willkommenheit; sie war unbewußt längst ersehnt worden, denn er umfaßte die Hand, noch bevor er aufsah, um Catrionas biegsame Gestalt in sich aufzunehmen.

"Solltest du nicht meine Arbeit fortführen?" spottete der Tränkemeister leutselig und zwang die Aufmerksamkeit gewaltsam von den Tropfen der Infusion fort.

Sie schüttelte den Kopf. "Übertreib es nicht, Severus", drohte sie weniger amüsiert, als er erwartet hatte.
"Wie fühlst du dich?" erkundigte sie sich ernsthaft und streichelte zärtlich seine knochigen Schultern.

"Wenn du meinst, werde ich morgen selbst unterrichten, soweit ganz gut", entgegnete er schlau und mit gesenkter Stimme.
"Das Ohr der Medizin ist mindestens ebenso scharf wie das Auge", bemerkte er zur Erklärung und lächelte spröde, als MacGillivrays Augen unwillkürlich im Raum umherschweiften.

"Ich würde gern noch meinen begonnenen Trank mit dem fünften Jahr zu Ende bringen", sagte sie langsam, aber ein abwesender Ausdruck verdüsterte ihren goldgrünen Blick, der den Tränkemeister zunehmend beunruhigte.

"Wenn du nur wüßtest, wie gut ich erst zuhören kann", sagte er leichthin und hoffte inständig, sie möge seine Anspielung verstehen.

Catriona umarmte ihn sekundenlang, ließ sich dann jedoch sittsam neben ihm auf dem Bett nieder und begann aufs Neue, seine eisige Hand mit ihrer Wärme zu beleben.
Das Letzte, was sie wollte, war, von Madam Pomfrey in einer möglicherweise verfänglichen Position gesehen zu werden.

"Die Aufgabe, deretwegen ich gekommen bin, ist erfüllt", sagte sie schwer. "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich meinen Aufenthalt hier nicht mehr vor der Stiftung rechtfertigen kann."

Ein Schatten huschte über Snapes blasses Gesicht; er drückte ihre lebendigen Finger fest. "Wir wußten von Beginn an, daß dies nicht von Dauer sein kann", entgegnete er leise, ohne dabei merklich die Lippen zu teilen und fuhr fort, bevor sie sich über seinen vermeintlichen Mangel an Feingefühl empören konnte: "Es gibt noch unzählige Aufgaben, die während meiner Abwesenheit vernachlässigt wurden und deren Erledigung nun keinen Aufschub mehr duldet."

Einem kühlen Hauch gleich glitt sein Finger über ihren Handrücken.
Catriona schluckte mehrmals; lange schon war sie den Tränen nicht mehr so bedrohlich nahe gewesen.
Severus Snape, der sie anfangs mit Freuden verflucht, verwandelt oder verhext hätte (oder alles zugleich), um sich ihrer zu entledigen, eröffnete ihr nun völlig selbstverständlich einen Weg, ihr beider Zusammensein zu verlängern, auch wenn die erkaufte Zeit kurz sein würde.

Sie neigte sich zu ihm und hauchte einen flüchtigen Kuß auf seine Lippen in der Hoffnung, Madam Pomfrey würde nicht ausgerechnet diesen Moment erwählen, um nach ihrem Patienten zu sehen.

Ein schriller Pfiff ließ sie zusammenfahren; markerschüttert sprang sie auf, und auch Snape schien reichlich mitgenommen.

"Was war das?" Der ältliche, gütige Kopf der Heilerin erschien aufgeregt in der Tür.
"Oh, Miß MacGillivray" - sie beobachtete konsterniert, wie der Schottin, die sich recht schnell von dem Schock erholt zu haben schien, vor Lachen Tränen in die Augen schossen und der Tränkemeister halb verständnislos, halb peinlich berührt von einem zum anderen sah - "was ist denn so komisch?"

"Das war ein Warnpfiff der Yanomami", erklärte MacGillivray, als sie wieder sprechen konnte.

"Faszinierend", sagte Madam Pomfrey so trocken, daß man den Staub zu knirschen hören vermeinte, "aber was tut er in meinem Krankenquartier?"

Snape wölbte eine schwarze Braue, die verständlicher sprach, als Worte es gekonnt hätte, und der Geist eines Lächelns umspielte seinen energischen Mund.

"Mir dient er als Alarm für einen Zeitmeßzauber", erklärte die Schottin plötzlich gar nicht mehr amüsiert. "Was konkret bedeutet - eine Destillation erfordert meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Bitte entschuldigen Sie mich."

Sie rauschte gehetzt mit wallenden Roben davon, und Madam Pomfrey sah ihr entrüstet nach, bevor sie sich ihres Patienten entsann und den Zauberstab über seine abgezehrte Gestalt gleiten ließ.
"Für heute genügt es", bemerkte sie schließlich mehr zu sich selbst und schloß die Infusion ab.

"Mußte sie Sie wirklich sogar bei mir aufsuchen? Etwas Ruhe täte Ihnen nicht schlecht, ob Sie's glauben oder nicht", murmelte sie verdrossen und verband den mageren, sehnigen Arm.
Snape versteifte sich, aufs Höchste alarmiert - hatte Pomfrey etwa die Konversation belauscht oder gar gesehen, wie nahe MacGillivray bei ihm gesessen hatte?

Geistesgegenwärtig sagte er jedoch betont gleichmütig: "Miß MacGillivray assistiert mir, und bestimmte Fragen kann man unmöglich aufschieben."
Er erhob sich unsicher; die Infusionen zeigten oft erst am Folgetag ihre erwünschte Wirkung.

"Erscheinen Sie morgen nicht, Professor", drohte die Heilerin alles andere als gutmütig, "dann lasse ich Sie holen, mein Ehrenwort."

Snape rauschte wortlos davon wie schon MacGillivray vor ihm und gab der Zurückbleibenden mehr Rätsel auf, als die kurze Szene zu zweit es jemals gekonnt hätte.



 

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