Tortur

 

 

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Kapitel 8: Agua de Altamira


Sie nickte ihm kurz zu, und Snape, der es nicht wagte, einen neuerlichen Versuch zu unternehmen, sich aufzurichten, wurde noch blasser vor Zorn über seine mißliche Lage. Er erinnerte sich kaum an sie, jedenfalls nicht bewußt; sie hatte nichts mit ihm, dem düsteren, mageren, sogar von seinem eigenen Haus gemiedenen Slytherin zu tun gehabt und er nie etwas mit ihr. Professor Slughorn, ihr damaliger Zaubertränkelehrer, mochte sie erwähnt haben, aber da die Häuser Slytherin und Ravenclaw kaum gemeinsame Stunden hatten, hatte sich Snape nicht weiter darum gekümmert. Immerhin war er über Jahre der mit Abstand Schulbester gewesen.

Er blickte abweisend zur Seite, und sein Gesicht war wieder die undurchdringliche Maske, die Dumbledore seit Jahren kannte.
Was wollte sie hier in Hogwarts? Wieso hatte sie der Schulleiter (denn es stand außer Frage, daß sie auf seinen Wunsch hin gekommen war) herbeordert?

"Möchten Sie nun probieren?" In den klaren Augen der Schottin blitzte es herausfordernd. Je nach Lichteinfall veränderten sie ihre Farbe von Blau nach Grau oder Goldgrün. Snape mußte sich gewaltsam von dem faszinierenden Schauspiel losreißen. Seine Konzentration fuhr wahrlich Achterbahn, ein Ausdruck, den er einmal bei seinem Muggelvater gehört hatte und der ihm durchaus passend erschien, wenngleich er ihn niemals laut ausgesprochen hätte.

Er wollte schon barsch antworten, er böte seine Tränke nicht an, als seien sie Kürbissaft oder gar Butterbier mit Himbeeraroma, als es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen fiel.
Wie hatte er nur so dumm sein können?
Catriona MacGillivray war nur aus einem einzigen Grund gekommen: um ihn als Tränkemeister der Schule abzulösen.

Es konnte ja gar nicht anders sein. Gewiß, er würde in absehbarer Zeit nicht unterrichten können (wenn ihn der Dunkle Lord nach den zwei Wochen überhaupt am Leben ließ), und von einem Zaubertränkemeister mit bestenfalls Muggelfähigkeiten hatte man auch noch nicht gehört, dennoch traf ihn der vermeintliche Verrat wie ein Donnerschlag. Hatte Dumbledore nicht wenigstens mit ihm sprechen können, bevor er diese... - ihm fiel kein Wort ein, das despektierlich genug gewesen wäre - Person als seine Nachfolgerin auswählte?

Der Schmerz der Demütigung brannte glühend heiß, aber wie üblich gelang es ihm meisterhaft, nichts von dem, was tief im Inneren an ihm fraß und ihn aufzehrte, an die Oberfläche dringen zu lassen. Nur in seinen nachtschwarzen Augen funkelte ganz kurz etwas wie bittere Enttäuschung und hätte jemandem, der ihn sehr gut kannte, verraten, was er empfand. Aber der einzige, der imstande gewesen wäre, ein wenig hinter die Fassade zu blicken, schaute gerade zur Seite und bemerkte nichts von Snapes aufgewühlten Emotionen.

"Catriona würde dir nichts anbieten, von dessen Wirksamkeit sie nicht überzeugt wäre", versicherte Albus Dumbledore und richtete seine gütigen Augen auf den geschwächten Tränkemeister.
"Du weißt sicherlich, daß sie für die Flamelstiftung in Brasilien forscht."

Daher also der Aufzug. Wahrscheinlich war sie direkt aus dem Regenwald nach Hogwarts gekommen. Wie überflüssig, seine Zeit wie die Muggelbiologen und -apotheker in der Wildnis zu vergeuden, obwohl die Einsamkeit und Abgeschiedenheit sicher etwas für sich hatten.
Snape schüttelte sich insgeheim. Und nein, er hatte nicht gewußt, daß 'Catriona die Große' für die Flamelstiftung arbeitete. Was war daran auch so besonders? Von Heldenverehrung hatte er für den Rest seines jämmerlichen Lebens mehr als genug.

"Nein, wußte ich nicht", entgegnete er lahm, nur um überhaupt etwas gesagt zu haben.
Wann würde Albus endlich mit der Tür ins Haus fallen und den Grund ihrer Anwesenheit bekanntgeben?

"Severus, was haben Sie zu verlieren?" mischte sich die Schottin ungeduldig ein. Sie schritt zielsicher auf sein Bett zu, entkorkte das Fläschchen und streckte es ihm demonstrativ hin.

Er wich instinktiv soweit zurück, wie es in der liegenden Position irgend möglich war und stieß ein verärgertes "Noch immer ziemlich viel, auch wenn es nicht so aussieht" hervor (Seit wann nannten sie sich überhaupt beim Vornamen?!), aber sein ganzes Gebaren strafte seine hitzigen Worte Lügen.
Ganz offensichtlich graute ihm unsagbar vor Nähe, und in MacGillivrays hochmütige Augen trat ein mitfühlender Zug.
Sie machte einen Schritt zurück, befreite ihn damit von der unmittelbaren Bedrohung und ließ sich grazil in einen Sessel sinken, den sie mit einem flinken Zauber aus dem harten Besucherstuhl erschaffen hatte.

"Dies ist Agua de Altamira", erklärte sie bereitwillig und deutete auf den Inhalt der Phiole. "Der Name ist trügerisch; immerhin kann von Wasser keine Rede sein, obwohl das Rezept aus der Amazonasgegend stammt."
Sie zwinkerte Albus Dumbledore und Madam Pomfrey verschwörerisch zu, deren Neugierde zu groß geworden war, als daß sie noch länger so tun konnte, als sei sie mit anderen Dingen beschäftigt.

"Dem Geruch nach ist mindestens Asarum canadense enthalten, und die suchen Sie, wie der Name bereits verrät, in Brasilien vergebens", sagte Snape plötzlich seidig.

MacGillivrays überraschter Gesichtsausdruck war Balsam für seine verletzte Seele. Ihre mittelmäßige Feld-Wald- und Wiesenbrauerei schüttelte er doch aus dem linken Ärmel. Mit Kanadischer Haselwurz zu aromatisieren, traute er einem einigermaßen begabten Schüler im fünften Jahr zu.

"Sie haben recht", sagte sie anerkennend, "ich habe mir erlaubt, den Trank etwas zu modifizieren. So wirkt und schmeckt er noch besser." (Snape schnalzte verächtlich mit der Zunge.) "Sie haben außerordentlich feine Sinne."

"Ich bin nicht umsonst der Tränkemeister der Schule", gab er launig zurück und nahm in Kauf, daß seine Stimme vor Arroganz troff. "Wenn Sie nicht mehr zu bieten haben..."
Gerade noch rechtzeitig erinnerte er sich, daß die abwertende Geste, die er im Sinn gehabt hatte, mit seinen krampfgeschwächten Muskeln wohl eher zur Karikatur verkommen würde, daher beschränkte er sich darauf, die Bettdecke etwas höher zu ziehen. Vor Kälte konnte er kaum die Finger biegen.

"Professor!" rügte ihn Madam Pomfrey indigniert, aber er beachtete die Heilerin überhaupt nicht.

"Wie Sie wollen", sagte Catriona MacGillivray gleichmütig. Sie erhob sich, verwandelte den Sessel zurück in den Stuhl, aus dem er entstanden war (Snape biß sich vor Neid auf die Lippen, als er sie so mühelos zaubern sah.), steckte den Trank ein und schickte sich an zu gehen.

"Viel Glück bei der Aufgabe, die Voldemort Ihnen erteilt hat", sagte sie über die Schulter.

Severus Snape glaubte, sich verhört zu haben. Sie wußte von dem Dilemma, wo er doch nicht einmal Dumbledore... - Lupin! Er hatte es natürlich sofort Albus Dumbledore berichtet. Es zahlte sich einfach nicht aus, anderen zu vertrauen.
Der Direktor hatte daraufhin diese Schottin nach Hogwarts beordert, um... seine, Snapes, Stelle einzunehmen? Das ergab überhaupt keinen Sinn.

Heftiger Schwindel und ein beunruhigend flaues Gefühl im Magen kündigten an, daß er es längst mit dem Wachsein übertrieben hatte.
Was konnte es schon schaden, ihr Altamirawasser auszuprobieren? schoß es ihm plötzlich durch den Kopf. Ob er sich nun mit leerem Magen übergab, oder das Gebräu hinterherschickte, machte nun wirklich keinen Unterschied.

"Würdes doch probiernwollen", flüsterte er, die Zunge schwer von zerrender Ohnmacht.

Catriona MacGillivray lächelte milde. Es rührte sie, wie er trotz seiner Schwäche versuchte, in gewählten Worten zu sprechen.
Sie händigte die Phiole anstandslos Madam Pomfrey aus, die sie Snape behutsam an die rissigen Lippen führte.

Die Flüssigkeit hinterließ ein Kratzen an Gaumen und Zunge, ähnlich dem des Blauen Eisenhutes, und Snape überlegte für Sekundenbruchteile, ob sie ihn vergiftete, aber dann siegte die Müdigkeit über das Unwohlsein. Der Tränkemeister versank in tiefem Schlaf.

xoxoxox

"Sie haben nicht untertrieben, Direktor." Catriona MacGillivray folgte dem Alten durch die Korridore, ein verschmitztes Lächeln auf ihrem sommersprossigen Gesicht.

Sie war tatsächlich direkt aus Brasilien gekommen und hatte noch keine Zeit gehabt, sich nach der Manier der englischen Zauberer zu kleiden.
Als sie etwas zerzaust in Dumbledores Kamin gelandet war, hatte sie Remus Lupin, der mit im Büro gesessen hatte, kaum wiedererkannt. Von der überwältigenden Mähne waren nur ein paar Löckchen geblieben ("Viel praktischer! Was glauben Sie, wie man am Amazonas mit solchen Haaren auffällt."), sie trug keine Brille ("Selbst erfundener Trank für gute Sicht, hält leider nur ein paar Stunden."), und die extreme, abweisende Arroganz hatte sich in kühle, überzeugte Selbstzufriedenheit gewandelt.

Wenngleich Lupin sie noch immer nicht direkt ansehen mochte, weil ihm ihr forschender, durchdringender Blick nicht geheuer war, so konnte er doch einigermaßen ungezwungen mit ihr reden. Allerdings waren sie sich so fremd, daß keiner von ihnen auch nur daran dachte, zum vertraulicheren Du überzugehen.

Die Tür zu Dumbledores Büro, in dem er gewartet hatte, öffnete sich knarrend, und Lupin erhob sich höflich, als Catriona MacGillivray vor dem Schuldirektor eintrat.
Sie nickte dem Werwolf knapp zu, nahm unaufgefordert vor Dumbledores Schreibtisch Platz und schlug ein Bein über das andere.

"Bevor ich es vergesse, Remus", wandte sie sich an den Jüngeren, "ich habe Ihnen etwas Wolfsbann mitgebracht. Ich dachte, Sie würden ihn vielleicht nützlich finden."

Lupin errötete vor Verlegenheit über diese Untertreibung. Er hatte zwar nicht gewollt, daß Dumbledore ihr von seinem "Problem" erzählte, aber nun, da sich das Wissen in direkten Nutzen für ihn umsetzte, schmolz sein Unmut wie Eis in der Sonne.

"Vielen Dank", sagte er leise. "Haben Sie Professor Snape überzeugt?"

MacGillivray nickte ernsthaft. "Wir werden noch viel Spaß miteinander haben", sagte sie so aufrichtig, daß Lupin unwillkürlich lachen mußte. Severus Snape und Spaß, das waren Worte, die man beim besten Willen nicht in einem Satz verwendete.
'Und warum nicht?' schalt sich Lupin sofort schuldbewußt. 'Wenn du erlebt hättest, was er durchgemacht hat, würdest du vermutlich nicht einmal mehr in zusammenhängenden Sätzen sprechen. Hör auf, ihn zu verspotten.'

"Wirklich", bekräftigte die Schottin, als habe sie Lupins inneren Monolog mitgehört, "er wird schaffen, was man von ihm erwartet. Und ich schätze Herausforderungen sehr. Nur kalt ist es hier", fügte sie verdrossen hinzu. Im Nu hatte sie ihre Expeditionskleidung in eine weite, schwarze Hose verwandelt, über der sie einen gleichfarbigen Wollpullover und eine wallende dunkelgrüne Robe trug, die ausgezeichnet mit ihrem roten Haar harmonierte.

Dennoch fand Lupin sie nicht anziehend; sie wirkte zu überlegen, zu streng, und daran änderte auch die teure Brille nichts, die plötzlich wieder ihr Gesicht zierte. Ganz im Gegenteil.

Das Regengrau hatte die Dämmerung vor der Zeit eingeläutet, und jetzt war es so finster, daß man draußen die Hand nicht mehr vor Augen erkennen konnte.
Mit einem Schlenker seines Zauberstabes entfachte Dumbledore ein Feuer im Kamin. Sie alle waren müde von den Ereignissen des Tages.

"Ein Hauself wird Sie zu Ihrem Quartier begeleiten und steht zur Verfügung, wenn Sie Wünsche haben", wandte er sich an die Schottin, die nachdenklich sein heimeliges Büro betrachtete. "Sie wissen sicherlich noch, wo die Große Halle ist?"

Einen Moment lang überlegte Remus Lupin, ob ihm die Höflichkeit diktierte, ihr vorzuschlagen, sie zum Frühstück abzuholen, aber sie sagte kurz: "Natürlich, Direktor. Wir sehen uns morgen früh." Und fort war sie.

Als sie gegangen war, erhob sich auch Dumbledore.
"Ich begebe mich auf die Krankenstation", informierte er Lupin. "Ach, und vergiß den Wolfsbann nicht", ermahnte er ihn mit einem gutmütigen Zwinkern.

Lupin rollte die Augen. Wie konnte er je vergessen, wann Vollmond war?

***
Für alle, die es interessiert: Asarum canadense (Kanadische Haselwurz) ist auch den Muggeln bekannt und wird ebenso wie in der Zaubererwelt aufgrund ihrer angenehm duftenden und schmeckenden Inhaltsstoffe zum Aromatisieren verwendet.
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