Lebensbeichte

 

 

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Autorin: Smilla





Lebensbeichte


Ich fühle, dass es mit mir zu Ende geht. Ich habe ein langes Leben hinter mir, und ich wehre mich nicht gegen den Abschied. Es ist gut so.

Aber ich kann nicht in Frieden gehen, wenn ich nicht jemandem das dunkle Geheimnis meines Lebens anvertraue. Wenigstens diesem Pergament. Ich weiß nicht, wer es lesen wird, aber sie alle werden erschrecken. Denn mich quält eine furchtbare Schuld.

Ihr habt mich gefeiert als einen Helden, der auf der Seite des Guten gekämpft hat. Einen Sieger gegen Voldemort. Was ihr nun lesen werdet, wird eure Welt vielleicht einstürzen lassen.

Meine Schuld. Meine furchtbare Schuld.

Nein, ich habe ihn nicht getötet! Aber ich habe ihn auch nicht gerettet. Dabei hätte ich es gekonnt. Wohl nur ich. Warum tat ich es nicht? Weil ich ihn von Anfang an hasste, und er mich? Ist das Grund genug, jemanden sterben zu lassen? So sterben zu lassen? Ich glaube nicht.

Und wir standen doch auf derselben Seite, trotz aller persönlichen Abneigung, er war doch mein Mitstreiter! Und Dumbledore setzte seine Hoffnung auf uns beide.

Nein, das ist noch nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist das Wissen, dass er mir das Leben gerettet hat. Und ich?

Nein, ich habe es nicht aus Hass getan. Viel schlimmer! Ich habe ihn einfach vergessen. Wir haben uns selbst gefeiert und unsere Freude genossen über Voldemorts Sturz. Wir waren frei!

Frei? Er war nicht frei. Und ich war es seit dem auch nie mehr, auch wenn ich es euch nicht sehen ließ. Nicht mehr frei, seit dem Tag, als mir jener Entflohene alles erzählt hat. Seitdem sehe ich die Bilder vor meinen Augen, und sie brennen Löcher in meine Seele. Und jetzt, da es zu Ende geht, kann ich sie nicht mehr verscheuchen.

Die Bilder...
Wie er dort gesessen hat und gewartet und gehofft und vertraut... Am Anfang noch. Denn das ist es, was sie einem zuerst dort nehmen: die Hoffnung, das Vertrauen, das Glück.

Er hatte ja nie viel von diesen Dingen gehabt. Aber er muss fest mit meiner Hilfe gerechnet haben, nach dem, was man mir erzählt hat. Am Anfang noch...

Bis ihm klar wurde, dass es nicht um lange Dienstwege beim Ministerium ging. Weil niemand je einen Antrag eingereicht hatte. Weil es niemanden interessierte, so wie er nie irgendjemanden interessiert hatte. Außer Dumbledore, mit dem er, mit dem wir alle, die Güte verloren haben.

Der Entflohene hat es mir grausam deutlich geschildert: Wie es ihm klar wurde, dass er hinter diesen Mauern vergessen war. Lebendig begraben. Wie er seinen Widerstand, den er so tapfer aufrecht erhalten hatte, aufgab. Wie die Dementoren Stück für Stück den letzten Rest seines Stolzes, seiner Würde aus ihm heraussaugten. Dieser Würde, die ihm so wichtig gewesen war, obwohl, oder gerade weil, sie so oft verletzt wurde.

Nein, mein Freund, - denn ich denke, dass du diese Zeilen lesen wirst, - nein! Er hatte es nicht verdient! Er war unschuldig! Ich habe noch gut deine Worte in den Ohren, mit denen du mich damals beruhigen wolltest: "Er war so oder so ein grässlicher Kerl." Nein, mein Freund, nein! Wir sind die grässlichen Kerle! Wir sind Monster, denn wir haben ihn sterben lassen. Er hatte keinen einzigen dieser schrecklichen Tage in Askaban verdient! DU bist ein Monster, mein Freund, weil du so grausam denken und reden konntest. Mir schaudert, wenn ich heute denke, du hast das Ernst gemeint und meinst es noch heute! Und ICH bin ein Monster, das kälteste von allen, denn mich trieb nicht Hass, sondern gefühlloses Vergessen.

Ein Jahr lang hat er es ausgehalten, bis er endlich ganz tot sein durfte. Ein Jahr lang habe ich es ausgehalten, kein einziges Mal an ihn zu denken. Aber er hat an mich gedacht! Der Entflohene hat mir auch das erzählt. Oh, hätte er es nie getan! Nun muss ich nicht nur Bilder sehen, auch Schreie hören! Wie er meinen Namen geschrieen hat, immer und immer wieder. In verzweifelter Hoffnung am Anfang. Später in ohnmächtigem Zorn. Dann im Wahnsinn. Einmal in höchster Angst, als sie die Dementoren holten und ihn glauben ließen, sie würden seine Seele nun ganz austrinken. Nur zum Spaß. Es war sein Leben lang ein Spaß gewesen, ihn zu quälen.

Ganz am Schluss, als er schon längst nicht mehr aß und trank, soll er meinen Namen noch geflüstert haben...

Warum verdammt? Warum habe ich sein Schreien, sein Flüstern nicht gehört in meinen Träumen? Nicht ein einziges Mal! Wo ich doch anderes so früh ahnte...

Warum war er mir nicht einen einzigen Gedanken wert? Warum war er nie irgendwem einen Gedanken wert?

Das ganze, lange Leben, das ich danach noch geführt habe, habe ich nicht verdient. Nicht verdient eure Freundschaft, eure Huldigungen, als sei ich ein Heiliger, ein Held, euer Retter.

Wenn es einen Zauber gäbe, der mir all das nimmt und ihm gibt - ich würde es tun. Ich würde ihm das Leben geben, das ihm genommen wurde, viel zu früh. Die Liebe und die Anerkennung, die er nie in seinem ganzen Leben bekam. Alles, was immer nur ich bekommen habe, vor seinen Augen. Alles.

Musstest du auch nach deinem Tod noch mit ansehen, wie sie mich feierten und an dich niemand dachte? Wenn du da draußen irgendwo bist und mich siehst, dann sieh meine brennende Scham! Bald werde ich bei dir sein...

Ich weiß, ich verlange zuviel. Viel zuviel. Fühle dich bitte nicht verhöhnt, dieses eine Mal nicht, wenn ich dich bitte: Verzeih mir!

Verzeih mir, Severus Snape!


Ich muss enden, meine Finger werden zu schwach, um die Feder zu halten...

Harry Potter

 

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