Ich möchte Dich aufessen

 

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Kapitel 7:
Das Tagebuch




Als wir endlich das Haus in der Blackthorne Lane erreicht hatten, versank die Sonne bereits hinter den Hügeln, durch die mich Snape den ganzen Tag gescheucht hatte. Ich konnte mich kaum mehr auf den Beinen halten. Meine Füße schienen nur noch aus rohem Fleisch zu bestehen.

Während Snape im Schlafzimmer verschwand und kurze Zeit später in die Küche lief, setzte ich mich auf einen Hocker, der im Flur stand, und begann, die Schnürsenkel der Wanderschuhe zu lösen. Ich verspürte eine unbeschreibliche Erleichterung, als ich meine Füße aus den Schuhen befreite und die dicken Wollstrümpfe auszog.

Snape kam aus der Küche und trug ein Tablett auf dem eine Teekanne, zwei Tassen und ein Teller mit belegten Broten standen. Humpelnd folgte ich ihm ins Wohnzimmer. Er räumte das Schachspiel vom Tisch vor dem Kamin weg und stellte das Tablett dort ab. Dann nahm er seinen Zauberstab und mit einer schnellen Bewegung hatte er ein Feuer im Kamin gezaubert. Er setzte sich in einen der Sessel und schien zu erwarten, dass im anderen Platz nahm.

Ich setzte mich. In diesem Augenblick spürte ich einen reißenden Schmerz an meinen Fersen. Mir traten Tränen in die Augen. Snape bemerkte es und blickte besorgt zu mir. Ich schob meinen Stolz beiseite und drehte meine Beine so, dass er die Hacken sehen konnte.

"Ihre Wanderschuhe haben gescheuert", sagte ich vorwurfsvoll.

Snapes Gesichtsausdruck wandelte sich von Besorgnis zu etwas, das man als geschockt bezeichnen konnte.

Meine Fersen gaben wirklich kein schönes Bild ab. Die Nylonstrumpfhose, die ich unter den Wollstrümpfen getragen hatte, war durchgescheuert und die Haut hing in Fetzen herunter. Durch mein Setzen waren die angetrockneten Wunden wieder aufgeplatzt und ein kleines Rinnsal von Blut lief nach unten.

"Das ist eben kein gutes Material", versuchte er zu scherzen. "Drachenhaut hält da wesentlich länger." Doch an seinem Tonfall erkannte ich, dass er um Fassung rang. Was auch immer der Zweck dieser Wanderung gewesen sein mochte, er hatte keinesfalls eingeplant, dass sie für mich zu einer solchen Tortur werden sollte.

"Ziehen Sie die Strumpfhose aus", bat er in einem gezwungen ruhigen Tonfall, "Ich hole Ihnen eine Heilsalbe." Damit stand er auf und verschwand in der Küche.

Ich hatte gerade äußerst vorsichtig meine Strümpfe ausgezogen und mich wieder in den Sessel gesetzt, als er mit einem Porzellantiegel, einer dunkeln Glasflasche, einem Tuch und Wundpflaster zurückkam.

Nachdem er Platz genommen hatte, schraubte er die Glasflasche auf und tränkte das Stück Stoff mit einer blauen Flüssigkeit. Dann hielt er mir das Tuch mit den Worten "Säubern Sie die Wunde erstmal." hin.

In mir reifte der Entschluss, die Situation auszunutzen. Snape fühlte sich verantwortlich und ich wollte, dass er noch ein wenig mehr Schuldgefühle bekam.

"Ich komme da nicht dran", meinte ich, drehte mich auf die Seite, hob meine Beine an und legte sie auf seine Knie. Er war verblüfft, begann nun aber kommentarlos die beiden offenen Stellen an meinen Fersen zu desinfizieren.

Ich beobachtete seine Hände, wie sie mit dem Tuch sanft über die Wunden tupften. Ein angenehmes Gefühl breitete sich in mir aus. In diesem Augenblick genoss ich Snapes Gegenwart zum ersten Mal wirklich. Ich stellte mir vor, wie er mit seinen Händen meinen Körper streichelte … Die Schauer, die er über meine Haut schickte, hatten ihre Ursache definitiv nicht in meiner Angst.

Mir fiel plötzlich auf, dass er die Bewegung seiner Hände nicht mit seinen Augen verfolgte. "Sie sehen ja gar nicht hin!"

Ich folgte seinem Blick und stellte fest, dass er meine Beine betrachtete, genauer gesagt, starrte er auf die Stelle, an der meine Oberschenkel unter dem Kleid hervorkamen. Unwillkürlich zuckte ich zurück, doch Snape hielt meine Beine fest.

"Reichen Sie mir bitte die Heilsalbe", meinte er, als er das Tuch beiseite legte. Ich nahm den Porzellantopf vom Tisch und gab ihn ihm. "Es wird gleich ein wenig brennen."

Das war die Untertreibung des Jahrhunderts! Es schmerzte, als wenn er mir kochendes Öl auf die Wunde geschmiert hätte. Nur mit Mühe konnte ich einen Aufschrei unterdrücken, stattdessen liefen mir die Tränen über meine Wangen.

"Schon so mancher Mann ist durch zuviel Mitleid zerstört worden, Miss Smith." Snape versuchte krampfhaft die Distanz zwischen uns wieder aufzubauen, die durch diese ganze Situation verloren gegangen war.

Als er nach dem Wundpflaster griff, erinnerte ich mich das an etwas. "Sie sind wie meine Granny, die macht auch Salbe aufs Pflaster."

"Ich habe nicht den Ehrgeiz Ihre Großmutter zu sein", entgegnete er in seiner üblichen spöttischen Art.

Er hatte mich wieder in die Schranken gewiesen, weshalb ich ziemlich gereizt meinte: "Das Pflaster ist bestimmt nicht groß genug."

"Es ist groß genug", stellte er kühl fest. "Bis morgen früh sind die Blasen abgeheilt." Vorsichtig klebte er auch über meine zweite Ferse ein Pflaster - doch anstatt die Hand wegzunehmen, begann er, sanft über meinen Fuß zu streicheln.

Erschrocken zog ich meine Beine weg. Im Gegensatz zu gestern schien ihn das nicht zu kränken, denn er quittierte meine Reaktion mit einem Lächeln.

"Na, dann schlage ich vor, Sie probieren ein gehäutetes Fersensandwich mit antiseptischen Aufstrich", stichelte Snape, als er mir den Teller mit den belegten Broten reichte.

Ich nahm mir ein Stück und lehnte mich im Sessel zurück. Die frische Luft, die Anstrengung der Wanderung und meine geringe Schlafausbeute der letzten Nacht fingen an, ihren Tribut zu fordern. Bei jedem Bissen, den ich kaute, musste ich darum kämpfen, dass mir nicht die Augen zufielen. Zweimal war ich kurz vorm Einschlafen und schreckte jedes Mal hoch, als mein Kopf nach vorne kippte.

"Trinken Sie doch etwas Kaffee, der macht Sie wach", drang Snapes Stimme an mein Ohr.

"Kaffee!", schnaubte ich verächtlich. "Von dem schwarzen Kaffee konnte ich die ganze letzte Nacht nicht schlafen."

Nun fielen mir die Augen zu und ich schlief ein. Ich phantasierte einen wirren Traum über Tom. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, dennoch wusste ich, dass er es war. Er hatte in den Drei Besen zuviel Butterbier getrunken und war über ein Stuhlbein gestolpert. Nun saß er in einer Bierpfütze am Boden. Die anderen im Pub lachten. Toms Gesicht färbte sich rot und bekam einen wütenden Ausdruck. Mir fiel auf, dass er einen wabbeligen Bauchansatz bekam. "Ganz im Gegensatz zu Snape", stellte mein Unterbewusstsein fest.

Als Snape mich hochheben wollte, um mich ins Bett zu bringen, wachte ich wieder auf. Sanft stellte er mich auf die Beine und schlang einen Arm um meinen Körper.

"Sie sollten sich hinlegen, Miss Smith", sagte er, als er mich in Richtung Wohnzimmertür dirigierte.

"Was?", murmelte ich matt.

"Sie sollten schlafen." Er schob mich sanft weiter.

"Nein, nein, ich möchte nicht ins Bett", widersprach ich lahm, als mein Verstand die Situation erfasste.

"Nein, Sie möchten nicht ins Bett, Sie möchten nur etwas schlafen." Seine Stimme klang zart und weich.

Ich war zu müde, um mich gegen irgendetwas zur Wehr zu setzen, und so hatte Snape keine große Mühe mich ins Schlafzimmer zu bringen.

"Unser Spaziergang an der frischen Luft hat Sie umgehauen", erklärte er leise, wie einem Kind, das er beruhigen wollte. Er schlug die Bettdecke zurück und drückte mich sanft aufs Bett.

"Nein, mich bringen keine zehn Pferde ins Bett", protestierte ich, ohne Snape einen körperlichen Widerstand entgegenzusetzen.

"Ich halte die Pferde draußen im Zaum." Seine Worte umspannten mich wie ein weicher Kokon. "Und Sie halten jetzt einen kleinen Schlaf." Er nahm die Bettdecke und hüllte mich darin ein.

Kurz bevor ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf glitt, bemerkte ich noch, wie er mich von der Schlafzimmertür aus nachdenklich betrachtete. Dann löschte er das Licht.

Als ich aufwachte, drang durch das Schlafzimmerfenster bereits das fahle Licht des nächsten Tages. Snape lag neben mir und schlief; er hatte wohl wieder einen Schlaftrank genommen. Von neuem begann ich, ihn zu betrachten.

Seine Gesichtszüge waren entspannt, wie vor zwei Tagen in der Bucht am Meer. Die langen, dunklen Haare lagen vom Schlaf zerzaust auf dem weißen Kopfkissen. Sie erschienen mir weniger strähnig, als ich es von Snape gewöhnt war. Vorsichtig berührte ich eine Strähne; die Haare waren weich und glatt. - Es war ein angenehmes Gefühl sie zu berühren.

Als mein Blick von seinem Gesicht langsam zu seinem nackten Oberkörper glitt, erinnerte ich mich an den Vergleich, den mein Unterbewusstsein zwischen Snape und Tom gezogen hatte.

"Tom wird in Snapes Alter wohl kaum einen noch so sportlichen Körper haben." Mir schauderte auf einmal bei der Vorstellung, wie mich Tom im Bett unter seinen Fleischbergen begrub. "Nun, dann wird er eben mehr Sport treiben müssen", dachte ich und widmete mich wieder Snapes Anblick.

Nachdenklich betrachtete ich das Todesserzeichen auf seinem linken Unterarm. Je mehr Zeit ich mit Snape verbrachte, umso weniger konnte ich mir sein Verhalten erklären. Er war zynisch und hatte mich fortwährend mit seinen obszönen Bemerkungen verletzt. Andererseits konnte er sanft sein, ja fast zärtlich, und er schien im Ganzen darum bemüht mir meinen Aufenthalt in diesem Haus trotz allem einigermaßen erträglich zu machen.

In diesem Augenblick konnte ich mir durchaus vorstellen, Snape zu mögen.

Vorsichtig rutschte ich an den Rand des Bettes und stellte behutsam die Füße auf den Boden. Ich entfernte die Pflaster von meinen Hacken und stellte erleichtert fest, dass Snapes Heilsalbe gewirkt hatte. Leise stand ich auf und ging ins Bad. Dort zog ich mich aus und nahm eine ausgiebige Dusche. Ich genoss es, das warme Wasser auf meiner Haut zu spüren.

Dann zog ich meinen Pyjama an, der an einem Haken im Bad hing. Das Seidennachthemd ließ ich hängen. Ich hatte dummerweise vergessen, mir frische Sachen aus der Kommode mitzunehmen, und das Kleid, in dem ich geschlafen hatte, wollte ich nicht wieder anziehen. Außerdem fiel mir auf, dass ich keine Hausschuhe dabei hatte, auch darum musste ich mich kümmern.

Um Snape nicht zu stören, beschloss ich, nicht ins Schlafzimmer zurückzukehren, sondern mich ins Wohnzimmer zu setzen und ein Buch zu lesen. Auf dem Weg dorthin kam ich an der Garderobe vorbei. Ich nahm meinen Umhang vom Haken und betrachtete den niedrigen Schrank, der in der Nähe stand.

"Mhmm - vielleicht ein Schuhschrank", dachte ich und öffnete die Tür.

Und wirklich, auf den Einlegeböden standen sauber geputzt eine Reihe von Männerschuhen. Ich wollte schon enttäuscht die Tür schließen, als mir auf dem Schrankboden ein paar schmale rote, mit Perlen bestickte Damenpantoffeln ins Auge fielen. Ich zog sie an; sie waren etwas zu eng, aber besser als nichts.

So ausgerüstet ging ich ins Wohnzimmer und blieb vor einer der Regalwände stehen. Nachdenklich strich ich mit den Fingern über die in Leder gebundenen Buchrücken. Die Titel, die dort standen, eigneten sich nicht unbedingt für eine anspruchslose Morgenlektüre. Und so kurz nach dem Examen wollte ich meine Nase nicht in irgendwelche Bücher über Zaubertränke oder Verwandlungen stecken.

Ich entschied mich mangels Alternativen für ein Kochbuch mit dem Titel ‚Magische Menüs'. Zusätzlich nahm ich auch gleich noch das nächste daneben stehende Buch mit und setzte mich in einen der Sessel vor dem Kamin. Den Umhang schlang ich mir um die Beine und schlug das erste Buch auf.

Die Rezepte, die das Buch enthielt, waren allesamt für eine erfahrene Hexe geschrieben. Ich begriff nicht einmal im Ansatz, wie ich ein ‚Civet de lièvre à la Tzigane' oder ‚Tournedos à la Rossini' zubereiten sollte.

Gelangweilt blätterte ich durch die Seiten, als mein Blick auf das Exlibris fiel: Es war ein reich verziertes, in Frakturschrift geschriebenes ‚S', das an beiden Seiten von Augureys flankiert wurde; darunter stand in einem Bogen ein Name: Theodora Ann Snape.

Ich zog den Umhang hoch und blickte auf die Pantoffeln, die ich trug: Theodora Snape! War Snape verheiratet gewesen? Ich bemerkte, wie wenig ich von ihm wusste. In Gedanken legte ich das Kochbuch zur Seite und schlug das zweite Buch auf, das ich ebenfalls aus dem Regal genommen hatte.

Die Seiten waren in sauberer Handschrift dicht beschrieben. Hatte Snapes Frau ein Tagebuch geführt? Ich wurde neugierig und begann zu lesen:

"… wird vorgeladen vor das Wizengamot, drei Wochen, Montag früh zehn Uhr."

Meine Gedanken rasten. Wenn Snape ein Todesser gewesen war, dann musste er vor Gericht gestanden haben. Vielleicht stand in diesem Tagebuch etwas darüber. Ich blätterte weiter. Auf der nächsten Seite stand:

"… wie konnte sie nur in so kurzer Zeit eine so eitle, anspruchsvolle Frau werden. Sie war doch eine erwachsene Frau."

"Das ist Snapes Tagebuch!", schoss es mir durch den Kopf. Ich überflog die nächsten Seiten, dann las ich wieder konzentrierter:

"Ich hätte es von Anfang an erkennen müssen, was hat mich nur blind gemacht? Oder habe ich ein zweites Ich? Schon mancher wurde wegen so einer Frau gehängt. Wo war bloß mein Urteilsvermögen?"

Ich war vollständig in meine Lektüre vertieft, als mir jemand das Buch aus der Hand nahm.

"Wie weit haben Sie gelesen?" Snapes Stimme glich einem Eisblock.

"Gelesen?" Ich hatte plötzlich wieder Angst vor ihm. "Nichts, gar nichts."

Seine Augen waren dunkel und seine Miene gab nichts von seinen Gefühlen preis.

Ich trat die Flucht nach vorne an: "Sie haben mir nie gesagt, dass Sie verheiratet waren?"

Snape merkte, dass ich ablenken wollte, deshalb fragte er: "Warum weichen Sie mir aus, Miss Smith?"

Meine Antwort bestand aus Schweigen.

"Sie haben natürlich die letzte Eintragung zuerst gelesen." In seiner Stimme schwang so etwas wie Schmerz mit.

Ich schüttelte den Kopf.

Snape schlug das Tagebuch auf und blätterte einige Seiten weiter, dann begann er vorzulesen:

"Ein ganzes Leben in einer Woche genießen. Kann ich sie in einer Woche ganz in mich aufnehmen? Miss Smith hat einen sanften jungen Körper und einen frischen, scharfsinnigen Geist. Wenn ich den sanften jungen Körper dieses Mädchens essen könnte wie Eiscreme, wäre ich auch ganz erfüllt von diesem frischen, scharfsinnigen Geist."

"Tom nimmt zu vieles als selbstverständlich an", dachte ich betrübt. Wie sehr hatte ich mir eine solche Liebeserklärung von Tom gewünscht. Nun bekam ich sie am falschen Ort und noch dazu vom falschen Mann.

Während Snape gelesen hatte, war ich aufgestanden und der Umhang, den ich mir um die Beine gewickelt hatte, rutschte nach unten. Snapes Blick fiel auf die Schuhe, die ich trug.

"Woher haben Sie diese Pantoffeln?" Sein Tonfall war wieder eisig.

"Was ist damit?"

"Ziehen Sie sie aus", verlangte er. "Bitte."

Ich schlüpfte aus den Schuhen und reichte sie ihm. "Aber meine Füße schmerzen."

"Hoffentlich bringen die Schmerzen Sie um", antwortete er und in diesem Augenblick meinte er es wohl auch so.

Als er mir die Pantoffeln abgenommen hatte, verließ er das Wohnzimmer und ging zu einer Tür, die links vom Badezimmer lag und mir bisher noch nicht aufgefallen war.

Ich war ihm bis zur Wohnzimmertür gefolgt und beobachtete, wie er einen Zauberspruch murmelte und das Zimmer öffnete. Die Schuhe warf er achtlos hinein. Dann verschloss er es wieder.

Als er mich in der Wohnzimmertür stehen sah, sagte er: "Sie können in diesem Spiel nicht gewinnen."

"Spiel?"

"Sie kennen die Regeln nicht." Damit ging er in die Küche.

Es war ein also Spiel, seit der Minute, in der er mir den ersten Drohbrief geschrieben hatte - und das beunruhigte mich. Ich folgte ihm in die Küche.

Snape schien meine Befürchtungen zu spüren. "Lassen Sie uns jetzt frühstücken, damit sich das Grauen etwas verzieht." Seine Stimme klang ruhig und beherrscht.

Ich ging zum Schrank und begann, das Frühstücksgeschirr auf den Küchentisch zu stellen. Als ich den Kessel mit dem kochenden Wasser vom Herd genommen hatte, sah ich Snape an.

"Ich schlage vor, wir frühstücken Toast, goldbraun geröstet, Marmelade, Frühstücksspeck, Oolong Tee mit Zitrone und Honig", beantwortete er meine unausgesprochene Frage. "Können Sie Rühreier machen?"

"Ja. Auf Muggelart schon."

"Ihre Fähigkeiten überraschen mich immer wieder, Miss Smith", meinte er mit einem unergründlichen Lächeln und mir war nicht klar, wie er diese letzte Bemerkung gemeint hatte.

Das Frühstück verlief harmonischer, als es der Beginn des Tages hätte vermuten lassen. Snape sprühte zwar nicht gerade vor Witz und Humor; aber zumindest unterließ er es, mich mit zweideutigen Bemerkungen in die Defensive zu drängen.

Nachdem ich meinen Pyjama gegen ein Sommerkleid eingetauscht hatte, ging ich wieder in die Küche, wo ich Snape mit Tassen und Teller klappern hörte. Verblüfft registrierte ich, dass er den Abwasch ohne Zauberei erledigte. Ich nahm ein Geschirrtuch vom Haken und begann, das bereits gespülte Porzellan abzutrocknen.

"Eigenartig, dass Sie das Geschirr nicht mit einem Sauber-Zauber reinigen", startete ich die Unterhaltung.

"Dann müsste ich mir spätestens jeden Monat neues Geschirr kaufen." Er lächelte, als er das sagte.

"Aber …"

"Niemand ist perfekt, Miss Smith. Auch ich nicht." Dieses Eingeständnis von Schwäche machte ihn fast sympathisch.

"Das ist schwer zu glauben", neckte ich ihn.

Er lachte: "Es tut mir Leid, Ihre gute Meinung von mir zu zerstören."

"Sie sind überhaupt nicht eingebildet, wissen Sie das?", antwortete ich frotzelnd.

"Was bringt Sie zu der Vermutung?"

"Nun, weil Sie glauben ich hätte eine gute Meinung von Ihnen."

"Touché!", grinste er. "Aber vielleicht gibt es ja noch Hoffnung."

Es entstand eine Pause. Ich hatte eigentlich vorgehabt, das Gespräch auf seine Ehe zu bringen, doch ich wusste nicht, wie ich das unverfänglich anstellen sollte. Also beschloss ich ihn direkt zu fragen.

"Hat sie lange gedauert? - Ihre Ehe, meine ich", ergänzte ich, als ich seinen irritierten Blick bemerkte.

"Lange genug." Sein Lächeln war verschwunden.

Hogwarts war schon immer der ideale Nährboden für Gerüchte gewesen - und die Existenz einer (Ex-)Mrs Snape wäre auf fruchtbare Erde gefallen. Da ich aber darüber nie eine Klatschgeschichte gehörte hatte, musste es sich ereignet haben, bevor Snape nach Hogwarts gekommen war.

"Wann war das?", fragte ich und blickte ihn an.

"In einer Zeit, die zu einem anderen Leben gehört." Sein Blick verdüsterte sich. "Die meisten Männer erleben Ihre Katastrophen sehr früh, aber weil ich vorsichtig bin, kommen sie erst sehr spät über mich."

"Wird sie vielleicht zurückkommen, oder so was?"

"Nein", sagte er frostig, "das ist höchst unwahrscheinlich."

"Wieso?"

Er schwieg.

"Ist es, weil Sie ein To…" begann ich, doch Snapes Gesichtsausdruck verhinderte, dass ich den Satz beendete.

Es war erstaunlich, dass Snape mir meine Neugier nicht übel nahm und ich sah es als ein günstiges Zeichen dafür an, dass wir den Rest der Zeit, die ich mit ihm verbringen musste, gut miteinander auskommen würden.

"Haben Sie Lust mit mir in die Winkelgasse zu kommen?", fragte er nach dem Mittagessen. Ich nickte. "Dann kommen Sie, Miss Smith."

Er entzündete im Wohnzimmerkamin ein Feuer und reichte mir ein kunstvoll verziertes Holzkästchen, in dem sich Flohpulver befand.

Unsere Reise nach London endete in einem Kamin in Florean Fortescues Eissalon. Ich weiß nicht, ob Snape diesen Ort bewusst gewählt hatte, aber ich war dankbar dafür, denn das Risiko, dort einen Bekannten zu treffen, der Tom von meinem Ausflug mit Snape erzählen konnte, erschien mir geringer als im Tropfenden Kessel.

Einen großen Teil der Zeit bummelten wir einfach nur durch die Straße. Snape wollte noch einige Besorgungen machen und so betraten wir auch den einen oder anderen Laden, den ich bisher noch nie aufgesucht hatte.

Bei Madam Malkins hatte er sich eine neue Robe anfertigen lassen und kam nun zur letzten Anprobe her. Da ich keinen Drang verspürte, ihm dabei zu zusehen, blieb ich im vorderen Teil des Ladens.

Interessiert betrachtete ich die ausgestellten Kleider. Die meisten Stücke meiner eigenen Kleidung waren aus zweiter Hand und als mir der Preis auf dem Etikett eines Umhangs in der Auslage vor mir auffiel, dachte ich ohne die geringste Bitterkeit: "Dafür müsste ich noch einmal mindestens vier Jahre in Snapes Labor verbringen."

"Worüber schmunzeln Sie?" Snape stand hinter mir und blickte ebenfalls in die Vitrine.

"Oh, über ein kleines Mädchen in einem viel zu großen, abgetragenen Umhang … und einen Lehrer, der diese Erscheinung ziemlich abschätzig betrachtet hat."

Er brauchte einen Augenblick, um meine Bemerkung einzuordnen, dann meinte er: "Ich hoffe, ich habe Sie damals nicht allzu sehr gekränkt."

Ich fand, dass es Zeit für die Wahrheit war. "Doch", sagte ich leise.

Er schluckte und schwieg. Was hätte er darauf antworten sollen?

Wir verließen Madam Malkins. Der fragile Frieden, der zwischen uns bestand, hatte durch meine ungeschickte Antwort einen Riss bekommen.

"Ich habe noch etwas in der Nokturngasse zu erledigen", unterbrach Snape meine Gedanken. "Es wäre keine gute Idee, wenn Sie mich dorthin begleiteten."

Ich hatte viele Schauergeschichten über diese dunkle, verwinkelte Straße gehört. Hier gingen die Anhänger der dunklen Künste ihren Geschäften nach. Snape verschwand zwischen den engen Häusern.

Es hätte mich gereizt diesen Ort unter seinem Schutz zu besuchen, allerdings kannte er die Situation dort besser und so fügte ich mich wortlos in seine Entscheidung.

Ich fühlte mich ein wenig verloren, als ich so alleine in der Winkelgasse stand. Meine Gedanken fingen an abzuschweifen. Ob er immer noch ein Todesser war? - Voldemort war wieder erstarkt und scharrte erneut seine Anhänger um sich. Ein guter Zeitpunkt, um zur dunklen Seite zurückzukehren. Gleichwohl Dumbledore vertraute Snape. Wieso eigentlich? - Was wenn Snape sich nicht mehr der dunklen Seite anschließen wollte? Voldemort würde das nicht einfach hinnehmen. Sicherlich nicht.

Als Snape endlich aus dem Halbdunkel der Nokturngasse auftauchte, verspürte ich eine ziemliche Erleichterung. Das Warum wollte ich mir nicht beantworten.

"Lassen Sie uns nach Hause gehen, Miss Smith", meinte er und ich hatte gegen diese Formulierung keine Einwände.

Snape saß an der Harfe. Nachdem er bereits einige Melodien auf dem Instrument gespielt hatte, fing er an zu singen. Sein warmer Bariton und die perlenden Töne der Harfe verwoben sich zu einem Klangteppich, der sich wie eine warme Decke über das Haus legte.

Überrascht lauschte ich dem Gesang: "Non lo dirò col labbro che tanto ardir no ha; Forse con le faville dell'avide pupille …"

Seine Stimme fesselte mich und so beobachtete ich Snape interessiert aus der Küche durch die geöffnete Durchreiche. Die Augen hatte er geschlossen und seine Hände glitten geschickt über die Saiten des kostbaren Instruments. "… per dir come tutt'ardo, lo squardo parlera."

Ich war so in seinen Anblick versunken, dass ich nicht bemerkte, wie er mich ebenfalls beobachtete. "Sie sehen bezaubernd aus, Miss Smith - in diesem Dämmerlicht", sagte er sanft.

"Ich könnte etwas Hilfe in der Küche gebrauchen." Dass er mich ertappt hatte, war mir peinlich.

"Meine Mutter hat mir immer gesagt, ich solle mich aus der Küche raushalten", witzelte er, "weil ich womöglich aus Versehen mit den Kartoffeln gekocht werden könnte."

Er widmete sich wieder seinem Harfenspiel. Die Luft begann erneut zu vibrieren. Leise trug ich die Teller mit dem Abendessen ins Wohnzimmer. Den Tisch hatte ich bereits gedeckt.

Snape hatte wiederum begonnen, mit seiner angenehmen Stimme zu singen: "Einst liebte ich ein junges Weib, gar über alles in der Welt …" Meine Anwesenheit schien er wohl vollkommen verdrängt zu haben, denn als ich die Teller mit einem kaum hörbaren Klappern auf den Esstisch stellte, brach er sein Spiel abrupt ab.

"Sie singen wundervoll. Warum hören Sie auf?", fragte ich. "Bitte singen Sie weiter."

"Ich bin nur ein Amateur, Miss Smith. Nur ein Amateur", antwortete er verlegen.

Mir gefiel dieser unsichere Mensch, der hier zum Vorschein kam, weitaus besser als der sarkastische Zaubertränkeprofessor, den er üblicherweise verkörperte.

"Das Lied habe ich irgendwo schon mal gehört." Ich wollte ihn dazu bewegen, weiterzuspielen. "Ich kann mich nur nicht erinnern wo. Der Text kommt mir auch irgendwie bekannt vor."

"Wollen Sie ihn hören?"

Ich nickte. Snape stellte die Harfe aufrecht und stand auf. Langsam kam er zum Tisch.

"Einst liebte ich ein junges Weib, gar über alles auf der Welt", deklamierte er, "sanft und blühend war ihr Leib, den ein andrer zärtlich hält." - Nun stand er dicht vor mir. "Dies, bei Gott, werd' ich dulden nimmermals, nun ist sie mein für immerdar." - Er hob seine Hände. "Ich legte die Hände um ihren Hals", - Er machte eine schließende Bewegung - "bis dass sie nicht mehr war, bis dass sie nicht mehr war."

Die Geste war eindeutig. Ich spürte einen Stich in der Magengegend.

"Warum wollen Sie nicht, dass ich Sie mag?", fragte ich ihn.

Er schloss kurz die Augen, bevor er antwortete: "Weil Sie mir ständig ins Gesicht starren mit Ihrer verhängnisvollen Jugend."

Ich wandte mich ab und ging zum Fenster, weil ich vermeiden wollte, dass er die Tränen in meinen Augen sah. Denn ich hatte festgestellt, dass er mit vielen seiner Bemerkungen sich selbst mehr quälte und verletzte als mich. Und das war wieder so eine.

"Ich habe weder Leben noch Tod erfunden, Miss Smith." - Es war eine stümperhafte Rechtfertigung.

"Sie können mich Janet nennen, wenn Sie möchten." Ich weiß nicht, was mich dazu brachte, ihm das in diesem Augenblick zu sagen.

"Damit ich mich Ihnen menschlich nähere?" Seine Stimme wurde wieder kalt. "Ich habe keine Zeit für derartige Spielchen. - Außerdem …" Er trat zum Fenster und blickte nach draußen. Sein unbewegtes Gesicht spiegelte sich in der Scheibe. "… es gibt dem allerintimsten Moment zwischen Mann und Frau eine gewisse morbide Pikanterie. - Stellen Sie sich vor, ich ergieße mich mit einem gestöhnten ‚Miss Smith!' in Ihnen und Sie teilen diesen ekstatischen Höhepunkt, indem Sie ein gequältes ‚Oh, Professor!' seufzen."

Anstatt meine Nähe zuzulassen, wies er mich ziemlich rüde in meine Grenzen. Er machte sich nicht einmal die Mühe die Zurückweisung zu kaschieren.

Entsprechend kühl entgegnete ich: "Ich habe Hunger. Was dagegen wenn ich anfange?" Damit setzte ich mich an den Esstisch.

"Frauen haben immer Hunger." Snape wurde beleidigend. "Sie sind gierige Schlünde mit Zähnen."

An meinem Gesichtsausdruck merkte er wohl, dass er übers Ziel hinausgeschossen war.

Schweigend nahm er mir gegenüber am Tisch Platz. Er ergriff die Weinflasche und goss ein, dann sagte er etwas versöhnlicher: "Trinken Sie ein Glas Wein, Miss Smith."

Doch die Situation war nicht mehr zu retten. Das Abendessen verlief ohne eine weitere Unterhaltung.

Die Zeit, die ich an diesem Abend im Badezimmer verbrachte, reduzierte ich auf ein Minimum. Da ich schlecht in der Duschwanne übernachten konnte, blieb mir sowieso nichts anderes übrig, als mich neben Snape ins Bett zu legen. Es war also sinnlos diesen Moment hinauszuzögern. Angesichts meiner Gemütsverfassung hielt ich es auch für nicht angebracht, das Seidennachthemd anzuziehen. Snape würde sich mit dem Baumwollpyjama begnügen müssen.

Die ungewohnte Umgebung und die ständige Achterbahnfahrt meiner Angst hatten meinen gesamten Stoffwechsel durcheinander gebracht - ich litt an Verstopfung. So unauffällig wie möglich hatte ich bereits sämtliche Schränke nach einem Abführmittel durchgesehen, aber außer einer alten Papiertüte mit einem gräulichen Pulver nichts Brauchbares gefunden. Also musste ich wohl oder übel Snape nach einer Medizin fragen.

Vorsichtig öffnete ich die Badtür und blickte ins Schlafzimmer. Er lag bereits im Bett und las in einem wissenschaftlichen Magazin. So schnell wie möglich, ohne dass es einen zu großen Eifer ausdrückte, ging ich um das Bett und setzte mich auf meine Seite. Langsam schob ich die Beine unter die Bettdecke. Sofern Snape meinen Schlafanzug registriert hatte, sagte er nichts.

Jetzt kam der schwierige Teil.

"Sind Sie zufrieden mit Ihrer neuen Hausangestellten, Professor?"

"Ja", meinte er, ohne von der Zeitschrift aufzublicken, "Ja, als ich Ihre langen schönen Beine am Spülbecken sah, da war ich sehr zufrieden."

Neuer Versuch: "Mir dreht sich alles im Kopf."

"Dann seien Sie vorsichtig beim Apparieren, Miss Smith."

Snape war nicht bereit sich auf eine Unterhaltung einzulassen. So blieb mir nur der direkte Weg.

"Haben Sie …" Ich zögerte etwas, "haben Sie irgendetwas im Haus … für das hier?", und deutete auf meinen Bauch.

Er ließ das Heft sinken und blickte mich verständnislos an: "Für was?"

"Für … gegen Verstopfung …", stotterte ich. "Das passiert mir immer, wenn ich anderswo bin, wo ich mich fremd fühle." Seinem Gesichtsausdruck zur Folge hätte ich den letzten Halbsatz wohl besser weglassen sollen. "Ich habe schon nachgesehen, aber ich habe nur ein uraltes Pulver aus Sennesblättern gefunden."

Snape schien genervt, angesichts dieser wenig romantischen Mitteilung.

"Miss Smith", antwortete er mit einem kaum unterdrückten Ärger in der Stimme, "Sie sind hier, weil ich mich vergnügen will in einem ungeheuren erotischen und sexuellen Erlebnis."

Nun wurde ich ebenfalls ärgerlich. Ich hatte mich dazu durchgerungen, ihn um Hilfe zu bitten, und er fertigte mich wieder mit seinen anzüglichen Bemerkungen ab. "Es fiel mir nicht leicht, Ihnen zu sagen, was ich in mir fühle", fauchte ich ihn an.

"Und haben Sie daran gedacht", gab er aufgebracht zurück, "wie ich mich fühle, wenn ich Ihnen eine Darmspülung geben soll?"

Wutschnaubend warf er das Magazin auf den Nachttisch und stand auf. Es fehlte nicht viel und er hätte mit der Tür geknallt, als er das Schlafzimmer verließ. Ich konnte mir ein befriedigtes Grinsen nicht verkneifen.

Als Snape zurückkam, hatte er eine kleine Flasche und einen Löffel in der Hand. Er setzte sich zu mir ans Bett, schraubte den Flaschenverschluss auf und goss eine gelbliche, übel riechende Flüssigkeit auf den Löffel.

"Machen Sie den Mund auf!", befahl er.

"Was? Rizinusöl?" Ich verzog das Gesicht. "Das vertrag ich nicht. Das ist zu scheußlich."

"Es ist nicht scheußlich", entgegnete er. "Öffnen Sie bitte den Mund."

Anstatt seiner Aufforderung zu folgen, presste ich die Lippen fest zusammen.

"Nur über meine Leiche", dachte ich. "Granny kuriert Verstopfungen auch immer mit diesem Zeug."

"Machen Sie jetzt Ihren Mund auf!", kommandierte Snape in einem gefährlichen Flüsterton.

Ich gab meinen Widerstand etwas auf und öffnete die Lippen. Er schob mir den Löffel zwischen die Zähne, wartete bis ich meinen Mund geschlossen hatte und zog dann den Löffel wieder heraus. Das Rizinusöl verbreitete in meinem Mund einen ekelhaften Geschmack. Ich schnitt eine Grimasse.

Snape hatte bemerkt, dass ich die Flüssigkeit nicht hinuntergeschluckt hatte. Er starrte mich eine Weile an, dann dichtete er: "Die scheuen Mädchen, die eitel sind und schnippisch und affektiert, du wirst es nicht glauben, die sind unterm Kleid oft unersättlich und ungeniert."

Verblüfft blicke ich ihn an. In diesem Augenblick schlug er mir mit dem Löffel, den er noch in der Hand hielt, leicht auf den Kopf. Aus einem Reflex heraus schluckte ich.

"Von wegen scheußlich", grummelte er, "von dem Zeug haben wir noch viel mehr!"

Dann stellte er die Flasche und den Löffel auf meinen Nachtschrank und verschwand wieder auf seine Seite des Bettes. Ich rieb mir mit einer übertriebenen Handbewegung die Stelle, auf die Snape mich mit dem Löffel geschlagen hatte. Er ignorierte es und löschte mit dem Wort "Nox!" das Licht. Ich hatte mich noch nicht entschieden, ob ich mich über ihn oder über meine Einfältigkeit ärgern sollte.

Snape schien meinen inneren Kampf zu spüren, denn mit müder Stimme sagte er: "Und jetzt entspannen Sie sich, dann werden Sie müde und können endlich schlafen." Nach einer kurzen Pause fügte er noch hinzu: "Sagen Sie zwanzig Mal: Das Öl vom guten Rizinus ist kein Ersatz für einen Kuss."

Mein Ärger kochte wieder hoch. Ich suchte krampfhaft nach einer Erwiderung.

Doch bevor mir eine passende einfiel, murmelte Snape im Halbschlaf: "Sie dürfen es niemals persönlich nehmen, Miss Smith. Es wäre sonst unverzeihlich."

Ich rutschte ein wenig tiefer unter die Bettdecke und drehte mich auf die Seite.

Die Stunden krochen dahin, denn auch heute Nacht wollte sich der Schlaf bei mir nicht einstellen und so lauschte ich der Atmung des Mannes, der neben mir lag. Durch den Schlafentzug war ich bereits ziemlich entnervt, dann gab Snape auch noch einige laute Schnarcher von sich.

Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, doch irgendwann glitt ich in einen leichten Schlummer.

Ein Schrei riss mich aus meinem Dämmerschlaf. Ich brauchte einen Augenblick, um mich zu orientieren, dann sprang ich aus dem Bett. "Lumos!" flüsterte ich.

Snape warf sich unruhig von einer Seite auf die andere. Er stöhnte und murmelte Sätze, von denen ich nur Bruchteile verstand: "Nicht … Harry finden … töten … flieht … Sie kommen …"

Sein Alptraum wurde immer entsetzlicher bis er schließlich mit einem Satz aus dem Bett flüchtete und mit Angst verzerrtem Gesicht, in der rechten Hand einen imaginären Zauberstab erhoben, vor einem unsichtbaren Feind zurückwich. Als er an die Kommode stieß, wachte er auf.

Das Grauen, das aus seinem Traum gekrochen war, hatte mich ebenfalls erfasst und ich stand zitternd neben dem Bett.

"Was machen Sie da, Miss Smith?" Snapes Worte brachten mich in die Realität zurück.

"Was soll ich denn schon machen?" Ich konnte die Verzweiflung nur schwer aus meiner Stimme verbannen. "Ich weiß überhaupt nicht, wo ich hier bin und was eigentlich hier vor sich geht!"

"Gehen Sie wieder ins Bett, Miss Smith!", befahl er. "Es ist die falsche Zeit, um sich darüber Gedanken zu machen!"

Er legte sich ins Bett, so als ob nichts geschehen wäre. Meine ganze Angst, die sich in den letzten Tagen aufgestaut hatte, drängte hervor. Es war mir auf einmal egal, ob er nun wütend auf mich werden würde, aber ich musste Klarheit haben.

"Eins sollten Sie wissen, Professor!", unterbrach ich mit schneidender Stimme die Stille. "Eines muss ich Ihnen noch sagen. Ich weiß nicht, wie Sie aufgewachsen sind. Mein Vater war Stahlarbeiter in Sheffield, wir waren zwar nur Muggel, aber ich habe mich wenigstens zu benehmen gelernt!"

"Es ist mitten in der Nacht, Miss Smith!", sagte Snape in einem Tonfall, der mir klar machte, dass er keine Diskussionen über Welches-Thema-auch-Immer wünschte.

In die Angst mischte sich Verzweiflung, als ich mich wieder ins Bett legte. Und diese Mischung gab mir den Mut, trotzdem weiter zu reden: "Sie haben mich gezwungen, eine Woche bei Ihnen zu leben. Sie haben mir Angst gemacht! Sie haben mir gedroht, Tom würde von der Schule verwiesen werden und seinen Abschluss verlieren. Aber nachdem ich mich einverstanden erklärt hatte, geschah nichts. Tag für Tag nichts als quälende Ungewissheit!" Die Anspannung ließ meine Stimme brechen.

"Jeder Krüppel kriecht auf seine Weise!" Snape hatte sich zu mir umgedreht und seine Augen funkelten mich wütend an.

"Ich habe auf jeden Fall mein Bestes getan", stellte ich nüchtern fest.

"Wenn eine Frau anfängt zu nörgeln, ist das ein sicheres Zeichen, dass sie sich wie zu Hause fühlt."

"Hören Sie", fauchte ich, "ich bin weder hergekommen, um zu nörgeln, noch um mich zu Hause zu fühlen!"

Ich hatte mich in Rage geredet und beschloss, noch etwas draufzusetzen. "Mein Gott! Es hält mich doch jeder für verrückt, dem ich erzähle, dass Sie mich hierher gebracht haben, um jede Nacht einen Schlaftrank zu schlucken und zu schnarchen!" Das letzte entsprach zwar nicht unbedingt der Wahrheit, aber ich war wütend.

"Ich? Einen Moment mal!" Snape setzte sich im Bett auf.

"Ja? Bitte sehr?", entgegnete ich.

"Schnarchen tue ich nicht!"

"Oh doch, Professor. Sie schnarchen sehr wohl."

"Gleich nach dem Einschlafen?", wollte er wissen.

"Im Handumdrehen!" - Ich kam so richtig in Fahrt.

"Leise?", fragte er.

"Laut! Und wie!"

"Wie laut?"

"Schrecklich laut." Dieser Streit begann mir Spaß zu machen. "Hat Ihnen das noch keiner zuvor gesagt, Professor Snape?"

"Jetzt reicht's! Diese Unterhaltung kommt mir bekannt vor!" Er drehte sich um, löschte das Licht und zog die Bettdecke hoch. "Gute Nacht, Miss Smith!"

So leicht wollte ich ihn nicht entkommen lassen, meine Wut auf ihn wurde nur noch stärker.

"Das zeigt mal wieder, wie sehr man sich in der Beurteilung von Menschen irren kann!", schnaubte ich. "Trotz allem hielt Sie jeder in der Schule für seriös, ein Gentleman."

Ich wartete auf eine Reaktion. Es kam keine. "Gott, ich wünschte ich wäre tot!", zischte ich.

"Es ist mitten in der Nacht!" Snape betonte jedes einzelne Wort. Im Unterricht hätte er spätestens jetzt sämtliche Hauspunkte gestrichen.

"Das ist mir egal!", schnappte ich zurück. "Ich habe Ihnen schon mal gesagt, diese Ungewissheit macht mich wahnsinnig. Mir ist nicht mal klar, was Sie über Tom wissen."

"Ach nein?", meinte er sarkastisch.

"Nein!"

"Gut, dann wollen wir das ein für alle Mal klären." Er machte das Licht an, holte aus dem Nachtschrank Pergament und Feder heraus und warf beides vor mir auf die Bettdecke. "Hier, schreiben Sie es sich auf, Miss Smith, damit Sie es nicht vergessen!"

Mit zitternden Fingern nahm ich die Feder in die Hand und blickte in Snapes zorniges Gesicht.

Seine Stimme war nur noch ein bedrohliches Flüstern: "Tom Mitchell hat zehn Tage vor den schriftlichen Prüfungen die Lösungen der Aufgaben für je 150 Galleonen pro Fach von Malcolm Trent gekauft. Trent hat ihm zuerst die Aufgabenstellung in den Fächern ‚Arithmantik' und ‚Pflege magischer Geschöpfe' verkauft. Zwei Tage später hat Tom sich zusätzlich die Lösungen für die Fächer ‚Verwandlungen' und ‚Kräuterkunde' besorgt."

Meine Wut war verschwunden. "Snape weiß wirklich Bescheid", dachte ich unglücklich, "wie kann er sonst diese Details kennen?"

Laut sagte ich: "Tom hat mir gesagt, er hätte die Lösungen nicht verwendet. Er hat es bestimmt nicht getan, ich schwöre es."

"Was er getan hat oder nicht, ist nicht so wichtig", sagte Snape sanft. "Was wichtig ist, Sie sind jetzt hier."

Ich verspürte einen Kloß im Hals. "Sie haben versprochen nichts zu sagen."

"Ja, das habe ich", bestätigte er.

"Dass Sie ihn nicht verraten …"

"Nein", versicherte er, "ich verrate ihn nicht."

"… wenn ich hierher käme", meine Stimme bebte, "und das tat ich. Da bin ich und ich bin schon drei volle Tage hier."

Ich wünschte, er würde sich endlich das nehmen, weswegen er mich hierher geholt hatte, doch statt eines Annäherungsversuches, schaute er betreten zur Seite. Er machte den Eindruck, als ob er über eine passende Antwort nachdachte, dann löschte er wieder das Licht.

"Bitte, Miss Smith", sagte er leise, "nehmen Sie sich den Rest der Nacht frei und gehen Sie schlafen."

Meine innere Anspannung löste sich, indem ich leise zu weinen begann. "Aber was haben Sie bloß davon, mich so zu behandeln, dass ich Sie einfach hassen muss?"

"Schlafen Sie, Miss Smith", bat er sanft. "Bitte, schlafen Sie."

Ich rollte mich in meiner Bettdecke zusammen und gab mich meinen Tränen hin. Leise flüsterte ich: "Ich hasse Sie … ich hasse Sie …"

Irgendwann schlief ich ein.

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A/N:
Arie des Alessandro aus der Oper: "Tolemeo, Re di Egitto" von G. F. Händel.
"Non lo dirò col labbro che tanto ardir no ha;
Forse con le faville dell'avide pupille per dir come tutt'ardo, lo squardo parlera."
(Ich werde es nicht mit dem Munde sagen, der so viel Mut nicht hat.
Vielleicht wird der Blick mit den Funken der gierigen Pupillen sagen,
dass ich vollkommen entbrannt bin.)


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Kapitel 6

Kapitel 8

 

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