Gefangen

 

 

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Kapitel 12: Das war knapp

 



"Stimmt was nicht mit Severus, Poppy?", fragte Dumbledore besorgt, als er aus dem Kamin im Büro der Medihexe trat, dicht gefolgt von Remus Lupin.

"Es ist schrecklich. Fast als ob er unter dem Cruciatus stände. In seinem geschwächten Zustand kann das tödlich sein. Wir müssen etwas tun, wenn ich nur wüsste was", stammelte eine leicht aufgelöste Madame Pomfrey, während sie die beiden Zauberer zum privaten Krankenzimmer führte.

Draco versuchte noch immer mit all seiner Kraft, den vor Schmerzen wild um sich schlagenden und stöhnenden Snape davor zu bewahren, aus dem Bett zu fallen. Die Lebenswacht, ein uhrähnliches Instrument, das auf dem Nachttisch stand und Herztätigkeit und Atmung des Patienten überwachte, zeigte eine erschreckend hohe und ungleichmäßige Herzfrequenz.

"Ich kann kein Einhornblut mehr riechen", sagte Remus nervös.

Urplötzlich hörten die Bewegungen auf und ein unheimliches Schaudern lief durch die dünne Gestalt des Tränkemeisters. Die Lebenswacht gab einen schrillen Alarmton von sich, als der Zeiger auf die wild aufleuchtenden Worte ganz oben auf der Skala rückte: Herzkammerflimmern.

"Zurück, macht Platz", befahl Dumbledore kurz.

Schnell traten alle vom Bett zurück, um den Direktor an das Bett heranzulassen. Eine Aura der Macht ging von dem alten Zauberer aus, als er beide Hände einige Zentimeter über das Herz des Sterbenden hielt und leise Beschwörungen murmelte. Er wusste, wenn er es nicht innerhalb der nächsten zwei, drei Minuten schaffte, das Flimmern zu stoppen und Severus' Herz dazu zu bringen, wieder gleichmäßig zu schlagen, dann würden sie ihn verlieren. Er konzentrierte sich so hart er konnte. Schließlich erschien ein helles, lila Leuchten zwischen Dumbledores ausgestreckten Fingern und formte eine vor Energie knisternde Kugel, die sich von seinen Händen löste, auf Severus' Brustkorb zu schoss und mit einem Funkenregen in seinem Körper verschwand. Eine zweite lila Kugel formte sich, und eine dritte. Dumbledore begann zu schwitzen, seine Stirn legte sich vor Konzentration in Falten, aber er hörte nicht auf, seine Beschwörungen zu murmeln, und immer mehr Lichtpulse entsprangen seinen Händen. Die Zeit wurde knapp.

"Es schlägt wieder!", rief Madame Pomfrey mit einem Blick auf die Lebenswacht plötzlich aus. Das Gerät zeigte einen schwachen, aber befriedigend regelmäßigen Herzschlag. Dumbledore schickte noch ein paar Energiekugeln in seinen Tränkemeister, dann sank er in einen nahestehenden Stuhl und wischte sich mit seinem Taschentuch über die schweißtriefende Stirn.

"Das war knapp. Wie auch immer, jetzt scheint er stabil zu sein, Merlin sei Dank", verkündete die Medihexe erleichtert, nachdem sie ihren Patienten, der reglos und kreidebleich dalag, durchgecheckt hatte. "Ich werde wohl all diese Verbände wechseln müssen. Sie sind völlig durchgeschwitzt. Und einige der Wunden haben sich wieder geöffnet und angefangen zu bluten." Sie wandte sich zu dem ehemaligen Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste um. "Sind Sie sicher, dass Sie keine Spuren von Einhornblut mehr feststellen können, Mr. Lupin?"

"Ganz sicher. Aber es ist vielleicht besser, wenn Sie noch einige Stunden damit warten, Severus Heiltränke zu verabreichen."

Die Medihexe nickte. Ihr Patient hatte diese schwere Krise überstanden, und bald würde sie ihn mit Zaubertränken behandeln können. Das war mehr als sie zunächst hatte hoffen können. Er würde am Leben bleiben. Jedoch ließ die Episode von vorhin nichts gutes ahnen.

"Direktor, ich fürchte, Severus war der exzessiven Anwendung des Cruciatus-Fluches ausgesetzt. Das ist die einzige Erklärung für seine Reaktion von eben. Die plötzliche Freisetzung von Restmagie, nachdem die unterdrückende Wirkung des Einhornblutes verklungen war." Die Medihexe schluckte. "Er könnte noch immer in St. Mungos enden."

"Ich weiß, Poppy, ich weiß." Dumbledore seufzte schwer. Er sah älter und trauriger aus denn je. "Wir werden es früh genug herausfinden. Wenn er aufwacht." Der alte Zauberer nahm die Hand seines schlafenden, jungen Freundes sachte in die seine. Severus Snape war ein komplizierter Mensch, und es war nicht einfach, ihn näher kennen zu lernen. Aber über die Jahre war es Dumbledore gelungen sein Vertrauen zu erringen, und seine Freundschaft. Obwohl sie häufig Auseinandersetzungen hatten, zumeist über den Jungen-der-überlebte, konnte er Snapes Fähigkeiten und seiner Treue blind vertrauen, wenn es wirklich hart auf hart kam. Der Mann hatte einen brillanten Verstand und, tief im Inneren, einen guten Kern. Der Gedanke, ihn an unheilbaren Irrsinn zu verlieren, drohte fast sein Herz zu brechen.

"Professor", unterbrach eine leicht zitterige Stimme die düsteren Gedanken des Direktors. "Professor Dumbledore, ich muss mit Ihnen sprechen. Es ist wichtig." Seufzend drehte sich der alte Zauberer um. Draco Malfoy blickte ihn an. Der Junge war sehr blass und augenscheinlich noch geschockt, aber da war ein seltsames Glitzern in seinen Augen. Er hatte eine Entscheidung getroffen.

Folgen Sie mir, Mr. Malfoy. Mein Büro, wenn es Ihnen Recht ist."

***



Weihnachten kam immer näher, aber er war nicht in weihnachtlicher Stimmung, trotz des frühen Schnees. Dies würde das erste Weihnachtsfest sein, das er in der Schule verbrachte. Nicht, dass er wirklich musste. Auch wenn sein Vater nun wieder in Askaban einsaß und sich seine Mutter in einem Sanatorium in der Schweiz von einem Nervenzusammenbruch erholte, könnte er die Ferien zu Hause im Herrensitz der Malfoys verbringen. Sie hatten nicht umsonst ganze Heerscharen von Hauselfen. Er könnte sogar seine ‚Freunde', Crabbe und Goyle Junior, einladen. Allerdings hatte er in den letzten Tagen nicht viel Zeit mit ihnen verbracht. Und er hatte auch überhaupt keine Lust nach Hause zu fahren.

Letzten Sonntag hatte der Direktor ihm erlaubt, per Flohverbindung nach Malfoy Manor zu reisen, um seine Mutter nach ihrem angeblichen Zusammenbruch zu besuchen. Sie war eine begnadete Schauspielerin, wenn es darum ging eine Szene zu veranstalten, und er hatte nicht eine Sekunde lang an diesen Zusammenbruch geglaubt. Sie wollte einfach dieser ganzen Todesser-Geschichte und den Schlagzeilen im Tagespropheten entfliehen. Er konnte es ihr nicht verdenken. In ihrem leicht hysterischen Zustand hatte Narzissa ihm sogar eröffnet, dass es sein Vater gewesen war, der seinen Kuchen mit dem Imperio-Trank versetzt hatte. Ohne das Wissen des Dunklen Lords. Es war einfach genug gewesen, da es Lucius selbst war, der die Verantwortung für die illegalen Zaubertrankvorräte inne hatte, die Snape für ihren Meister braute. Er hatte seiner Frau erklärt, dass diese Maßnahme unbedingt notwendig sei, um ihren einzigen Sohn vor dem Zorn des Dunklen Lords zu bewahren, der unabwendbar war, wenn der Junge sich weigerte an dem Komplott gegen seinen Hauslehrer teilzunehmen. Und Lucius kannte seinen Sohn gut genug, um zu wissen, dass er sich weigern würde. Allerdings glaubte Draco kein Wort hiervon. Nach der fehlgeschlagenen Mission im Zaubereiministerium war die einzige Motivation hinter seines Vaters Taten gewesen, seine eigene Haut und seinen Status innerhalb der Todesserhierarchie zu retten. Seinen Sohn als perfekten kleinen Todesser präsentieren zu können, war nur ein Mittel zu diesem Zweck.

Der Plan hatte perfekt funktioniert. Durch die Aufnahme des Trankes hatte sich eine telepathische Verbindung zwischen Vater und Sohn gebildet, und Draco wurde dazu gezwungen, den Inhalt des kleinen Fläschchens zu trinken, das in einem Geheimfach im Paket versteckt war. Er hatte sich in seinen Widersacher, Harry Potter, verwandelt und war in den Verbotenen Wald gelaufen. Zu Recht hatte Lucius auf Snapes Hass auf den Jungen-der-überlebte und sein allseits bekanntes Bestreben, Potter von der Schule fliegen zu lassen, spekuliert. Der Meister der Zaubertränke war ihm gefolgt, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern. Doch hatte sein Vater einen Fehler gemacht. Einen dummen, kleinen Fehler. Er hätte daran denken sollen, Draco hinterher zu obliviaten. Und das war nicht der einzige Fehler. Es war für die Auroren fast zu einfach gewesen der Eule zu folgen, die er Lucius geschickt hatte, und die entflohenen Todesser in ihrem Versteck zu überraschen. Sie konnten in Askaban verrotten. Dieses Mal würde es für den Dunklen Lord nicht so einfach werden, sie wieder zu befreien. Sie hatten jetzt Drachen, um das Gefängnis zu bewachen ... Bei diesem Gedanken spielte ein boshaftes Lächeln um Dracos Lippen. Einst hatte er seinen Vater vergöttert, hatte genauso werden wollen wie er. Jedoch würde er Lucius nie verzeihen, wie er ihn manipuliert hatte. Wie er ihn dazu gezwungen hatte, den Mann zu foltern, der ihm genauso ein Vorbild gewesen war wie Lucius, wenn nicht sogar eine Art Vaterersatz. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, was es bedeutet, ein Todesser zu sein, und jetzt war er gründlich von dem Gedanken geheilt, einfach seinen Vater imitieren zu wollen. Jetzt wusste er, auf wessen Seite er wirklich stand.

Tief in Gedanken versunken hatte er fast überhört, dass jemand seinen Namen gerufen hatte.

"Draco!"

Der blonde Slytherin drehte sich um.

"Was willst du, Granger?", fragte er abweisend. Er war wirklich nicht in Stimmung für eine Unterhaltung mit der lästigen Frau Neunmalklug. Würde es wahrscheinlich nie sein. Was konnte sie überhaupt von ihm wollen? Sie hatten nie zuvor richtig miteinander gesprochen, nur Beleidigungen und Flüche ausgetauscht. Jedoch musste er zugeben, dass die Gryffindor-Schülerin wirklich schneidig aussah, wie sie so durch den Schnee gerannt kam, ihre Wangen von Kälte und Anstrengung gerötet. Leicht außer Atem blieb sie dicht vor ihrem Klassenkameraden stehen.

"Ich habe gesehen, wie du aus dem Krankenflügel gekommen bist. Wie geht es dem Professor?"

"Und warum wäre das von Interesse für dich, Granger?"

"Denkst du etwa, du bist der einzige, der sich Sorgen macht?" Jetzt funkelten ihre Augen vor Zorn. Haselnussbraune Augen voll Intelligenz und Lebhaftigkeit. Sie schien ehrlich besorgt um Professor Snape zu sein. Sie und ihre Katze waren es ja auch gewesen, die ihn gefunden hatten.

"Seine Verletzungen verheilen langsam. Aber er ist noch immer ohne Bewusstsein."

"Es ist doch schon fast eine Woche her! Er müsste längst aufgewacht sein." Draco nickte, dann sah er zu Boden. Hatte sie da eine Träne in seinen Augen blinken sehen?

"Madame Pomfrey sagte, das Koma könnte durch den Cruciatus-Fluch verursacht sein. Er ... er kann das Nervensystem und das Gehirn schädigen. Der Professor wird vielleicht nie wieder der Alte sein."

Das waren schlechte Neuigkeiten. Hermine hatte letzte Weihnachten Nevilles Eltern in der geschlossenen Abteilung von St. Mungos gesehen, als sie Rons Vater besucht hatten. Sich den scharfzüngigen Tränkemeister so vorzustellen, war schlichtweg unmöglich. "Ich verstehe", sagte sie leise, drehte sich um und ging zurück zum Schloss.

Draco blickte seiner Klassenkameradin noch eine Weile nach, ehe er ihr schließlich folgte.

***



"Severus?", fragte McGonagall sachte, um ihren kranken Kollegen nicht zu erschrecken. Er hatte geblinzelt, oder? "Poppy, ich glaube, er wacht auf!" Snape blinzelte noch einmal, dann öffnete er mit sichtlicher Anstrengung die Augen.

"Severus, können Sie mich hören?" Die Medihexe, die sofort zum Krankenbett geeilt war, beugte sich über ihren Patienten, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. "Severus?" Keine Reaktion. Kein Anzeichen des Erkennens. Der Meister der Zaubertränke starrte ausdruckslos an die Zimmerdecke und blinzelte nicht einmal, als Pomfrey wiederholt ihre Hand über seine Augen bewegte.

"Er reagiert nicht", sagte sie traurig und schüttelte den Mann dann sanft an der Schulter. Severus zuckte zurück und presste die Augen wieder fest zusammen. Er fing an zu zittern und seine Atmung und Herzfrequenz beschleunigten sich panisch. Die Medihexe zog schnell ihre Hand zurück.

"Tut mir leid, Severus, ich wollte Sie nicht erschrecken. Sie sind hier sicher, niemand wird Ihnen etwas tun, das verspreche ich ..." Es dauerte eine ganze Weile, und viele sanfte Worte waren vonnöten, bis Snape sich schließlich wieder beruhigte und nur ein leichtes Zittern an den Zwischenfall erinnerte.

"Poppy, gibt es noch Hoffnung für Severus?", fragte McGonagall leise und blickte traurig auf ihren schlafenden Kollegen.

"Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen. Aber das hier sieht nicht gut aus. Nicht einmal seine Pupillen haben reagiert. Auf Berührung reagiert er allerdings, jedoch eher negativ. Kein Wunder nach allem, was der Junge mitgemacht hatte. Und da er weder zu begreifen schien, wo er war, noch wer bei ihm war, glaubte er vielleicht, er sei noch immer in den Klauen seiner Folterer. Das würde jedenfalls den Panikanfall von vorhin erklären." Sie würde seine Verletzungen dann wohl besser behandeln und ihn waschen, wenn er fest schlief, um ihn nicht unnötig zu erschrecken. Obwohl sich sein physischer Zustand Dank der vielen Heiltränke, die sie ihm nun geben konnte, inzwischen sehr verbessert hatte, war er doch noch sehr geschwächt, und jede zusätzliche Belastung für seinen Kreislaufs war nach Möglichkeit zu vermeiden. Glücklicherweise waren gestern die meisten Schüler abgereist, um die Weihnachtsferien zu Hause zu verbringen. Also kein Unterricht mehr für Minerva und keine kranken Schüler mehr für sie. Und weniger Ärger für den Direktor. Sie würden mehr Zeit haben, um Severus Gesellschaft zu leisten. Die Nähe von Menschen, denen er vertraute, würde ihm sicher gut tun, auch wenn es leider nicht besonders offensichtlich war.

***



Spät an Heiligabend saß sie noch immer in der ansonsten verlassenen Bibliothek, als eine Stimme in ihrem Rücken sie aufschreckte.

"Hermine?"

Das Mädchen schaute von dem uralten Wälzer auf, den sie gerade durchsah, überrascht, dass Draco Malfoy sie bei ihrem Vornamen gerufen hatte.

Ich ... ich habe hier etwas für dich. Oder eher für deine Katze, weil sie es war, die Professor Snape damals gefunden hat." Der blonde Slytherin hielt ihr eine kleine Schachtel entgegen. Hermine schaute Draco an, als ob ihm plötzlich ein grün-silbernes Geweih gewachsen wäre. Oder Hasenohren. Als die Vertrauensschülerin keine Anstalten machte, nach der Schachtel zu greifen, legte er sie neben das Buch auf den Tisch. "Liest du immer noch über Einhornblut nach? Hast du etwas gefunden?"

"Nein, noch nicht, aber in einem von diesen hier muss einfach etwas drin sein." Hermine, die endlich ihre Stimme wiedergefunden hatte, zeigte auf einen Haufen Bücher, die auf einem nahestehenden Tisch aufgestapelt waren.

"Du willst alle diese Wälzer lesen? Für Professor Snape?" Dracos Augen weiteten sich vor Staunen. "Dann, ehm ... warum lässt du mich nicht helfen? Ich habe in den Ferien sowieso nicht so viel zu tun, und gemeinsam finden wir vielleicht schneller etwas heraus ..."

Hermine sperrte Mund und Nase auf , so erstaunt war sie. War das wirklich Draco Malfoy, der ihr hier seine Hilfe anbot? Und ein Geschenk für ihre Katze? Oder war sie über ihren Büchern eingeschlafen und hatte gerade den verrücktesten Traum aller Zeiten?

Statt auf eine Antwort zu warten, griff Draco nach einem der alten Wälzer, setzte sich neben sie und begann zu lesen. Als auch sie sich wieder über ihr Buch beugte, sah Draco auf und lächelte, ein seltenes, wirkliches Lächeln.

"Wusstest du, dass du die hübschesten kleinen Zähne hast?"


 

Kapitel 11

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