Gefangen

 

 

Zurück

 

Zurück zur
Startseite


 

Kapitel 5: Das Packet

 


Wie jeden Montag Morgen gab es beim Frühstück einigen Tumult, als der Schwarm Eulen in die Große Halle strömte, um die Post abzuliefern. Der freudige Lärm erstarb jedoch abrupt, als ein gigantischer schwarzer Uhu in den Saal geflogen kam. Wie ein lauernder Schatten gegen den düsteren Novemberhimmel, der auf der verzauberten Gewölbedecke abgebildet war, umkreiste er die Halle, um dann mit einem plötzlichen Schrei auf den Lehrertisch herunterzustürzen. Gläser, Gabeln und Löffel fielen zu Boden, als sich die erschreckten Angestellten duckten, um der Attacke des Raubvogels auszuweichen. Aber er griff nicht an. Tief über den Köpfen der Lehrer fliegend und dabei fast ihr Haar mit den Spitzen seiner tiefschwarzen Schwungfedern berührend, ließ er eine rechteckige Schachtel vor dem Direktor fallen, drehte um, und, einen weiteren unheimlichen Schrei ausstoßend, verschwand er graziös durch das geöffnete Fenster. Dumbledore wurde blass unter seinem silbrigen Bart, als er auf das Paket starrte. Auf der Verpackung waren dunkle Flecken, die verdächtig nach Blut aussahen.

"Was ... was in Merlins Namen war das, Albus?", stotterte eine ebenso schockierte Minerva McGonagall.

"Ich weiß es nicht, Minerva. Aber es sieht nicht gut aus", antwortete der Direktor betont ruhig. "Wenn Sie mich fragen, das hier riecht nach Voldemort."

Nachdem der Direktor, das gräuliche Paket unter den Arm geklemmt, mit seiner Stellvertreterin die Halle verlassen hatte, löste sich die tödliche Stille, die der Ankunft des schwarzen Vogels gefolgt war, in nervöses Geflüster auf. Mit Ausnahme von Crabbe und Goyle, die weiter große Mengen von Porridge in ihre Schlünder schaufelten, hatten alle anderen jegliches Interesse am Essen verloren. Der Name von Ihm-Dessen-Name-Nicht-Genannt-Werden-Darf lastete schwer auf den Gedanken der versammelten Schüler und Lehrer. Wenn selbst der Direktor verschreckt aussah und das Blitzen in seinen Augen einem Ausdruck angstvollen Bangens gewichen war, dann musste es sich wirklich um etwas sehr ernstes handeln.

"Harry, das hat bestimmt etwas mit den Schmerzen in deiner Narbe zu tun! Sie hat doch letzte Nacht plötzlich weh getan", sagte Hermine atemlos, als sie den ersten Schock überwunden hatte.

"Ich weiß nicht recht", antwortete Harry nachdenklich. "Ich hatte nicht wirklich eine Vision oder so etwas. Ich war nur aufgewacht, weil meine Narbe höllisch weh getan hat, aber nur für einen kurzen Augenblick, und dann habe ich eine unheimliche Freude gefühlt, die irgendwie gar nicht zu mir gehörte. Ich habe keine Ahnung, was passiert ist."

"Eins scheint jedoch klar, Voldemort muss etwas erlebt haben, das ihn wirklich glücklich gemacht hat. Und was auch immer Voldemort glücklich macht, ist schlecht für uns ...", führte Hermine ihre Überlegungen fort.

"Was das nur gewesen sein kann?", unterbrach Ron ironisch und rollte mit den Augen. Ohne Zweifel hatte es etwas mit der Folterung von Muggeln oder einem neuen Plan, wie er Harry Potter umbringen konnte, zu tun, oder vielleicht mit einer Eingebung darüber, wie er endlich Hogwarts zerstören konnte. Auf alle Fälle etwas in der Art. "Zu dumm, dass Dumbledore die Schachtel nicht hier in der Halle geöffnet hat, so dass wir sehen konnten, was drin ist. Nach den Flecken auf dem Paket zu urteilen, muss es etwas wirklich krasses sein ..."

"Der Direktor hatte sicher gute Gründe dafür, das Paket nicht vor den Augen aller Schüler zu öffnen", belehrte Hermine. "Und vielleicht würdest du es lieber gar nicht wissen wollen", fügte sie erschauernd hinzu.

Am Lehrertisch diskutierten die verbliebenen Lehrkräfte ganz ähnliche Fragen, oder zumindest einige taten dies. Professor Trelawney sprach angeregt auf den neuen Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste, einen jungen und eher langweilig aussehenden Mann, ein, der - neben Snape - der einzige Bewerber um diesen Posten gewesen war. Bisher war sein Unterricht nicht besonders spannend - Gerüchte besagten, dass seine Art zu lehren der von Professor Binns erstaunlich ähnelte - aber wenigstens schien er zu wissen, wovon er sprach. Offensichtlich musste Professor Smith erst noch herausfinden, dass er das wichtigtuerische Gerede der Lehrerin für Wahrsagen besser nicht zu ernst nehmen sollte.

"Aber, liebe Sibyll, das ist wirklich schrecklich. Sind Sie sicher, dass das Erscheinen eines schwarzen Uhus den Niedergang der Schule und das drohende Verhängnis für die gesamte Zaubererwelt verkündet?", fragte er nervös.

"Es gibt keinen Zweifel, lieber Anthony, der Tag des Verderbens ist nah", seufzte Trelawney und klapperte mit ihren übergroßen, aquamarinblauen Augenlidern. "Ich habe es in den Teeblättern gesehen, und diese lügen nie. Aber, ach, es ist das Schicksal aller echten geistigen Nachfahren von Kassandra von Troja, dass niemand auf ihre Vorhersagen des Untergangs hören will. Niemand ausser Ihnen, lieber Anthony."Ein weiterer Seufzer aus den Tiefen ihres Herzens begleitete ihre Worte. "Nimm zum Beispiel diesen Potter-Jungen. Wie oft schon habe ich ihn vor dem schrecklichen Schicksal, das seiner wartet, gewarnt, aber hat er je auch nur einmal zugehört ...?"

"Snape!", rief Harry plötzlich leise aus. "Das hat etwas mit Snape zu tun! Schaut euch die Slytherins an. Die Schlangen sind nicht halb so verängstigt wie der Rest von uns. Und Snape ist nicht zum Frühstück gekommen!"

"Aber Harry, Snape nimmt eh nie mehr als Tee und Toast zum Frühstück, wenn er überhaupt kommt. Er ist einfach kein Morgenmensch", wandte Hermine ein.

"Kein Wunder! Der fettige Idiot verbringt ja die ganze Nacht damit, durch die Gänge zu schleichen und den Schülern nachzuspionieren. Ganz abgesehen davon, dass er auch nicht gerade ein Mittags- oder Abendmensch ist", sagte Ron mit unverhüllter Abneigung. "Wetten, dass er zum Frühstück in seinem Kerker eingelegte Blutegel oder Flubberwurmhirn oder so etwas verzehrt?"

"Flubberwürmer haben kein Gehirn, du Dummkopf", schalt Hermine. "Das solltest du inzwischen wirklich wissen. Jedenfalls ist Snape im Orden, warum sollte er etwas mit dem Paket zu tun haben, wenn wirklich Voldemort dahinter steckt? Wir haben den Mann schon oft genug verdächtigt und am Ende hat sich immer herausgestellt, dass er unschuldig war. Und Dumbledore vertraut ihm."

"Ich würde ja nicht gerade die Worte ‚unschuldig' und ‚Snape' im selben Satz benutzen", grummelte Ron, "aber du hast schon nicht so ganz Unrecht, Hermi."

"Snape hat etwas vor, das sage ich euch", wiederholte Harry seinen Verdacht. "Dumbledore hat auch Quirrell und dem falschen Moody vertraut. Er ist ein vertrauensseliger Mensch. Aber ich mache bestimmt nicht den gleichen Fehler, nicht nach dem, was im Ministerium passiert ist."

"Harry, du kannst doch nicht Snape für Sirius' Tod verantwortlich machen. Er hat getan, was er konnte, um ..."Aber Hermines Worte verhallten ungehört, denn Harry hatte die Große Halle bereits verlassen.

***



"Seien Sie vorsichtig, Albus", warnte McGonagall. "Wenn dies tatsächlich etwas mit Voldemort zu tun hat, könnte es eine Falle sein."

"Deshalb habe ich es in mein Büro gebracht, Minerva. Wir werden das Paket gründlich auf Flüche und Dunkle Magie überprüfen, bevor wir es öffnen." Der Direktor holte mehrere merkwürdig aussehende Gegenstände von einem der vielen hochbeinigen Tischchen, die in seinem Büro standen, und legte sie neben die blutbefleckte Schachtel auf seinen Schreibtisch. Eines der Geräte ähnelte einem Metronom und gab ein regelmäßiges Ticken von sich, ein zweites war ein Oktaeder aus Kristall, der mit einem wirbelnden goldenen Gas gefüllt war, und der dritte Gegenstand sah aus wie ein kleiner Muggel-Brummkreisel. Ein leises Summen ging von dem seltsamen Instrument aus, das wie auf einer unsichtbaren Laufbahn um das Paket kreiste und sich dabei gleichzeitig um seine eigene Achse drehte. McGonagall sah fasziniert zu, während Dumbledore einen seiner unvermeidlichen Zitronendrops in den Mund steckte. Offensichtlich half dieser, denn der alte Mann nahm sogleich wieder etwas Farbe an, während er eingehend seine geliebten und zudem sehr nützlichen Spielzeuge betrachtete.

"Keinerlei Anzeichen von Magie, Minerva", sagte der Direktor schließlich. "So lange der Kristall ungetrübt bleibt, der Schwarzmagie-Ticker regelmäßig tickt und der Fluchscanner gleichmäßig seine Kreise zieht, sollte es ungefährlich sein, das Paket zu öffnen." Er legte seine wertvollen Instrumente zurück und begann dann die Verpackung zu entfernen. Nachdem er dies getan hatte, öffnete Dumbledore vorsichtig den Deckel. Er blinzelte. Erneut verließ alle Farbe sein Gesicht und nur ein leicht grünliche Schimmer blieb zurück. Er schluckte hart, um nicht würgen zu müssen.

"Albus, was ...?" Dann sah auch McGonagall, was in der Schachtel lag. Ihr Magen drehte sich bei dem Anblick um, und sie gab einen erstickten Schrei von sich. In dem Paket lag ein Arm, ein menschlicher Unterarm, bedeckt mit eintrocknendem Blut. In die gespenstisch weiße Haut waren ein Totenkopf und eine Schlange eingebrannt. Voldemorts Dunkles Mal.

"Mein Gott, Albus ...", wisperte sie leise und mit vor Schock geweiteten Augen.

"Minerva, haben Sie Severus an diesem Wochenende gesehen?", fragte der Direktor schließlich mit einer Stimme, die so tot war wie das Blitzen in seinen Augen.

"Nein, aber das ist nicht ungewöhnlich. Er ist nicht gerade besonders gesellig und schätzt die Zurückgezogenheit, wie Sie ja wissen", antwortete die Hexe fast automatisch. Dann wurden ihre Augen noch größer. "Albus, Sie wollen doch nicht andeuten, dass ..."Aber der Direktor war schon zu seinem Kamin hinüber gegangen und warf etwas glitzerndes Pulver in die fröhlich tanzenden Flammen.

"Severus Snape", rief er ins Feuer. Aber nichts passierte. Keine Antwort.

"Sollte er um diese Zeit nicht im Unterricht sein?", fragte Minerva hoffnungsvoll. "Eine Doppelstunde Zaubertränke mit den Sechstklässlern?"

"Ja, das sollte er, Minerva. Jedoch fürchte ich das schlimmste." Dumbledore ging zurück zu seinem Schreibtisch und schloss mit einem zutiefst traurigen Ausdruck in seinen blauen Augen sachte den Deckel über dem, was er für den Arm seines Zaubertränkelehrers hielt.

"Lassen Sie uns in die Kerker gehen", murmelte er dann. Aber es war offensichtlich, dass er nicht erwartete, seinen Angestellten und Freund dort zu finden.

 

Kapitel 4

Kapitel 6

 

Zurück