Die Bestrafung

 

 

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Autorin: Sasy



Leise schleiche ich die Treppen hinauf um rechtzeitig zu unserem Treffpunkt zu gelangen. Ich will ihn nicht auch noch durch Unpünktlichkeit erzürnen. Der Fehler, den ich begangen habe, ist schlimm genug. Ich weiß, dass er mich dafür bestrafen wird. Bestrafen muss. Ich öffne die Tür zur Plattform und erblicke ihn. Er steht, mir den Rücken zugewandt am niedrigen Geländer. Sein schwarzer Umhang verleiht ihm das Aussehen eines Felsens in der Nacht. Unbeweglich steht er da und lässt mit keiner Geste erkennen, dass er mich bemerkt hat.

Ich schließe die Tür hinter mir und begebe mich in die Mitte der Plattform. Meinen Umhang fest um mich gezogen und mit gesenktem Blick harre ich aus. Plötzlich spüre ich einen Windhauch an meiner rechten Seite und erhasche einen Blick auf seine Schuhe. Er beginnt um mich herum zu gehen und ich weiß, dass er mich dabei ansieht. Ich kann seine Blicke spüren. Eine Träne rinnt über meine Wange und lässt mich zusammenzucken. Ich will nicht weinen, keine Emotionen zeigen. Nicht vor ihm. Ich weiß, ich habe einen Fehler begangen und ich verdanke es nur ihm, dass ich noch am Leben bin.

Auf einen Trick eines Aurors hereinzufallen, die schlimmste Tat, die ein Todesser begehen kann. Ich habe mich in Gefahr gebracht. Und ihn. In große Gefahr. Er wird mich bestrafen, doch ich bin stark. Dem Crutiatus-Fluch ausgesetzt zu sein habe ich unfreiwillig schon mehrmals am eigenen Leib erlebt. Ich habe sie ertragen, ohne einen Schmerzenslaut über meine Lippen kommen zu lassen, ohne mich zu krümmen. Ich bin tapfer, mehr als manch anderer. Doch da waren es immer nur kleine Vergehen. Diesmal wird er nicht so gütig sein.

Seine Schritte stoppen. Er steht direkt hinter mir. Ich kann seinen Atem an meinem Nacken spüren. Er ist kalt. Meine Nackenhaare stellen sich auf. Noch immer spricht er nicht. Ich spüre, wie die Muskeln in meinen Beinen nachgeben und ich sinke auf die Knie. Er hat meine Kraft und Tapferkeit gebrochen. Ohne auch nur einen einzigen Zauberspruch. Bäche von Tränen laufen über mein Gesicht, benetzen meinen Umhang und fallen auf die Steinplatten. Nach einer schier unendlichen Zeit schreitet er um mich herum. Er steht so nah vor mir, dass mein Kopf fast seine Beine berührt. Ich schließe meine Augen und ergebe mich in meine Schuldgefühle, die mir fast körperlich Schmerzen bereiten. Seine kalte Hand, die um mein Kinn fasst und mich wieder auf die Beine zieht, lässt mich erschauern, doch halte ich meine Augen weiter geschlossen. Ich will nicht in seine schwarzen Augen blicken müssen.

Langsam lässt der Druck seiner Finger auf mein Kinn nach. Nun stehe ich direkt vor ihm, mit erhobenem Kopf und ich bin mir sicher, dass ich direkt in seine dunklen Augen sehen würde, wenn ich meine öffne. Krampfhaft halte ich sie geschlossen, während mir weiterhin Tränen über das Gesicht rinnen. Tränen, die jahrelang unterdrückt wurden. Tränen, für die ich mich vor ihm schämte. Tränen, die alles nur noch schlimmer machten, denn sie zeigten ihm, dass ich nicht mehr stark und tapfer war. Todesser weinen nicht. Todesser zeigen keine Emotionen. Ich war eine Schande für die Todesser. Dies vermittelte er mir ohne auch nur ein Wort gesprochen zu haben. Er wird mich bestrafen. Er wird mich härter bestrafen, als ich es bisher je erlebt habe, dessen bin ich mir sicher.

Ich zucke zusammen, als plötzlich seine dunkle Stimme ertönt. "Öffne deine Augen und empfange deine Strafe!" Meine Lider flattern, als ich sie öffne ohne es eigentlich zu wollen. In meinem Kopf hat sich der irrige Gedanke eingenistet, dass ich meiner Bestrafung entgehen könnte, wenn ich sie einfach geschlossen halte. Doch er zwingt mich sie zu öffnen. Vor dem hellen wolkenverhangenen Himmel zeichnen sich die Umrisse seines Kopfes ab. Das lange Haar, das im Wind weht. Die harten Lippen, durch die schon manche den Tod erfahren haben. Die gebogene Nase, die in einer senkrechten Stirnfalte endet. Und die Augen. Schwarz wie die mond- und sternlose Nacht. Ich versinke in diesen Augen und bin nicht in der Lage meinen Blick wieder abzuwenden. Das bodenlose Schwarz hält mich gefangen. Ich nehme nichts um mich herum noch wahr, nur die schwarzglühenden Kohlen vor mir. Weit entfernt merke ich, wie ich den Boden unter meinen Füßen verliere, doch kann ich nicht erklären warum. Ein ungewohntes Gefühl der Leichtigkeit durchflutet mich und eine Hoffnung keimt in mir auf. Er wird mich nicht bestrafen. Er braucht nur zu blinzeln, dann kann ich meinen Blick abwenden und alles wird wie vor meinem Fehler. Er hat mir verziehen. Mir scheint, als würden Stunden vergehen. Ich fühle mich, als wäre alle Last von mir abgefallen.

Plötzlich sehe ich, wie er seine Lider senkt. In Zeitlupe blinzelt er und wendet seinen Blick von mir ab, mit einem uralten Schmerz in seinen Augen, wie es mir scheint. Er entfernt sich schnell von mir. Zu schnell. Er rennt. Er muss rennen. Doch als ich meinen nun nicht länger gefesselten Blick auf seinen Körper richte, sehe ich, dass er ganz ruhig auf der Plattform steht. Unter mir ist kein Boden. Ich falle.

Er hat mich mit dem Tod bestraft.


 

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