Und es ward Schatten - Kapitel 6

 

 

Zurück

 

Zurück zur 
Startseite


 

Kapitel 6


Für einige Sekunden fühlte ich mich wie versteinert und starrte auf unser Haus.
Im schwarzen Himmel über dem Gebäude schwebte das Dunkle Mal. Ein riesiger Totenkopf, aus dessen Mund eine Schlange hervor kam. Einen Moment schien es mir, als würde der Schädel hämisch grinsen.

Ich löste mich aus der Starre und rannte los. Meine Gedanken überschlugen sich und Panik stieg in mir hoch.

Das konnte nicht sein. Judy! Soleya! Was hatten sie mit ihnen gemacht?

Die Furcht ließ mich schneller laufen, als ich es jemals zuvor getan hatte. Das konnte einfach nicht sein. Es durfte nicht sein.

Endlich erreichte ich die Eingangstür. Sie stand einen Spalt breit offen. Ohne an die Gefahr zu denken, daß sich möglicherweise noch Todesser im Haus befanden, stürmte ich in das Wohnzimmer.
Es war leer.
Ebenso die Küche.

Ich hastete die Treppe zum Obergeschoß hinauf, doch auch die Schlafzimmer und das Bad waren menschenleer. Blieb nur noch die Dachterrasse.

Ich hetzte hinauf und sah mich hektisch um.
Hier war niemand.
Wo waren sie? Wo waren Judy und Soleya?
Waren sie zum Zeitpunkt des Überfalls nicht zu Hause gewesen?
Waren sie entkommen?

Eine winzige Hoffnung. Winzig, aber immerhin Hoffnung.

Plötzlich fiel mein Blick auf die kleine Wiese, die hinter dem Haus zum Wald führte.
Dort lag eine Person leblos am Boden. Wer es war konnte ich auf diese Entfernung nicht erkennen.

Sofort drehte ich mich um und rannte die Treppen hinab, verließ das Haus und lief auf die Person zu. Aber es war nicht nur eine Person. Es waren Soleya und Judy. Erstere hatte meine Tochter in einer Tragetasche vor die Brust gebunden.
Beide regten sich nicht.

"Soleya!", flüsterte ich und fühlte ihren Puls. Nichts. Ebenso bei Judy.

"Nein!", schrie ich und hob die beiden vom Boden auf. Mit meiner leblosen Familie im Arm rannte ich zurück zum Haus.

Dort legte ich sie sanft auf das im Wohnzimmer stehende Sofa. Dann eilte ich zum Kamin, nahm eine Prise eines Pulvers aus der Dose, die auf dem Simms stand, und streute es in das Feuer. "Albus!", rief ich.

Nach einigen Momenten erschien der Kopf des Direktors in den Flammen und sah mich fragend an.

"Judy und Soleya wurden überfallen! Sie- sie sind schwer verletzt. Bitte komm schnell, Albus!"

Ich konnte die Panik nicht aus meiner Stimme verbannen. Dumbledore nickte und er verschwand.

Ich lief wieder hinüber zu den beiden leblosen Personen und nahm Judy aus der Tragetasche.
Mit ihr im Arm kniete ich mich neben Soleya, die ausgestreckt auf der Couch lag und streichelte ihr über die Stirn. 

Sie fühlte sich kalt an.
Warum war sie so kalt? 
Schnell holte ich eine Decke und breitete sie über ihr aus, dann setzte ich mich erneut neben sie.

"Haltet durch. Albus kommt gleich. Er wird euch helfen. Dann wird alles wieder gut. Haltet durch!", flüsterte ich.

Warum dauerte das so lange? Jede Sekunde war doch kostbar!

Auch Judy fühlte sich kalt an. So kalt. Ich drückte meine Tochter an mich, um ihr etwas Wärme zu spenden.

Ich musste sie warm halten. Sie durften nicht auskühlen.

Warum dauerte das so lange? Wann endlich kam Dumbledore? Das konnte doch nicht so lange dauern.

Mir schien es wie eine Ewigkeit, seit ich mit dem Direktor gesprochen hatte. Warum brauchte er so lange?

"Haltet durch! Hört ihr, ihr müßt durchhalten! Gleich kommt Hilfe. Ihr müßt nur noch kurze Zeit durchhalten. Ich weiß, daß ihr es schafft!", redete ich weiter beschwörend auf Judy und Soleya ein.

Endlich hörte ich, wie jemand die Eingangstür öffnete. Einige Sekunden später betraten Professor Dumbledore und Madam Pomfrey den Raum.



Erzählt von Albus Dumbledore:

Ich betrat das Zimmer und erschrak. Nachdem ich mit Snape gesprochen hatte, war ich davon ausgegangen, seine Familie verwundet vorzufinden, aber daß es so schlimm war?

Professor Snape hielt seine Tochter fest an sich gedrückt und kniete an der Seite seiner Frau, die auf dem Sofa lag. Beide schienen bewußtlos.

Ich hörte, wie Madam Pomfrey, die kurz nach mir eintrat, scharf die Luft einzog.
Dann ging sie an mir vorbei, auf Snape zu, der mittlerweile aufgestanden war.
Sie beugte sich über Soleya, tastete nach ihrem Puls und prüfte, ob sie noch atmete.
Als sie sich wieder aufrichtete, hatte ihr Gesicht einen Ausdruck angenommen, der mir sagte, daß für die Frau jede Hilfe zu spät kam.
Sie war tot.

"Geben Sie mir das Kind, Severus!", wandte sich die Heilerin an Snape, der inzwischen kalkweiß geworden war.

Krampfhaft drückte er Judy an sich und starrte Madam Pomfrey an.

"Severus! Laß sie los!", befahl ich scharf, woraufhin mich der Professor verwirrt ansah.

Dann richtete er seinen Blick ruckartig wieder auf die Heilerin und überreichte ihr zögernd das Kind.

"Sie muß warmgehalten werden! Sie ist ganz kalt!", flüsterte er.

Madam Pomfrey warf mir einen besorgten Blick zu. Dann untersuchte sie Judy. Nach kurzer Zeit legte sie die Kleine sanft auf das Sofa. Sie blickte mich an und schüttelte den Kopf.

Also waren sie beide tot. Ich konnte es nicht fassen. Warum hatten sie das getan?

Plötzlich machte Professor Snape einige zügige Schritte auf die Heilerin zu und zischte: "Was tun sie? Helfen sie ihnen! Sie müssen ihnen helfen!"

Madam Pomfrey schüttelte erneut den Kopf.

"Es tut mir leid, Severus. Ich kann nichts mehr für sie tun. Sie sind tot", sagte sie leise und blickte den Meister der Zaubertränke ernst an.

Aber dieser schien ihre Worte zwar gehört, aber nicht aufgenommen zu haben. Er näherte sich weiter der Heilerin.

"Severus", sagte ich so ruhig wie möglich und berührte leicht seinen Arm.

"Faß mich nicht an!" Seine schwarzen Augen blitzten gefährlich. Er war dabei, völlig die Kontrolle über sich selbst zu verlieren.

"Sag ihr, sie soll sich sofort um meine Familie kümmern! Sie brauchen Hilfe! Sag es ihr!" Seine Stimme hatte nun eine Lautstärke erreicht, die ich noch nie bei ihm erlebt hatte.

"Severus!", begann ich erneut. "Sie sind tot! Wir können nichts mehr für sie tun! Verstehst du das?"

Nein, das tat er offensichtlich nicht, denn nun wandte er sich wieder an Madam Pomfrey.

"Sehen Sie denn nicht, daß Judy und Soleya Hilfe brauchen? Helfen Sie ihnen! Es ist Ihre verdammte Pflicht ihnen zu helfen!"

Die Heilerin warf mir einen hilflosen Blick zu, dann versuchte sie, beruhigend auf den Professor einzureden. "Hören Sie, Severus. Ich kann Ihrer Familie nicht mehr helfen. Niemand kann das. Ich weiß, daß das schwer für Sie ist. Wie wäre es, wenn Sie jetzt erstmal einen Moment vor die Tür gehen, um sich zu beruhigen?"

Das hätte sie nicht sagen sollen, denn statt Snape mit diesem Vorschlag zur Besinnung zu bringen, versetzte sie ihn nur in noch größere Rage. "Wie bitte? Ich soll rausgehen, während Sie hier untätig herum stehen und zu sehen, wie meine Frau und mein Kind sterben?"

"Sie sind tot, Severus!", unterbrach ich ihn ernst.

Doch er ignorierte meine Aussage und ging noch einige Schritte auf Madam Pomfrey zu, bis er nur noch wenige Zentimeter von ihr entfernt stand. Er schien meine Anwesenheit völlig vergessen zu haben und konzentrierte sich nun voll auf die Heilerin. Plötzlich zog er seinen Zauberstab aus der Tasche und richtete ihn auf die Brust der Frau, die erschreckt bis an die Wand zurückwich.

"Setzen Sie sich endlich in Bewegung! Helfen Sie meiner Familie! Sofort! Oder soll ich Sie dazu zwingen? Ich werde es tun, das schwöre ich Ihnen! Wenn Sie sich nicht sofort um sie kümmern!", schrie er, nun völlig außer Kontrolle.

Ich musste eingreifen. Sonst würde er der Heilerin zweifelsfrei etwas antun.

Ich schritt auf den Professor zu und packte seinen Arm, der den Zauberstab hielt, doch er blickte mich nur kurz an und stieß mich dann brutal beiseite. Ich hörte einen spitzen Schrei und fiel zu Boden. Dabei stieß ich mit dem Kopf gegen die harte Tischkante und für einen Moment drehte sich das Zimmer vor meinen Augen. Mühsam richtete ich mich auf und starrte Snape an.

Mehr noch als seine Brutalität mir gegenüber hatte mich der Ausdruck in seinen Augen erschreckt.

Es war ein gefährlicher Ausdruck, der verriet, daß sich der Meister der Zaubertränke kurz davor befand durchzudrehen. Ein Ausdruck, nahe dem Wahnsinn.

In diesem Augenblick baute er sich direkt vor der hilflosen Heilerin auf und richtete seinen Zauberstab auf ihren Kopf.

"Severus!", versuchte ich ihn zurück in die Realität zu holen.

Er ignorierte mich erneut.

"Helfen Sie meiner Familie!", brüllte er. "Sonst bringe ich Sie um!"

Madam Pomfrey starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, unfähig etwas zu sagen.

Mir war klar, daß Snape in diesem Zustand, in dem er sich zu diesem Zeitpunkt befand, durchaus dazu fähig war, seine Drohungen wahr zu machen.

Bevor ich noch etwas erwidern konnte, erhob der Professor plötzlich seine linke Hand und drückte Madam Pomfrey mit seinen Fingern den Hals zu.

Sie begann mit den Armen nach ihm zu schlagen, doch er lockerte seinen Griff nicht, sondern presste sie weiter gegen die Wand. Die Heilerin röchelte und blickte entsetzt zu mir hinüber.

Ich wußte, daß ich nicht die nötige Kraft besaß, um Snape zu überwältigen. Er war zwar nicht kräftiger gebaut als ich, jedoch jünger und besser durchtrainiert. Außerdem entwickelten Menschen im Wahnsinn oft übernatürliche Kräfte.

"Helfen Sie ihnen!", schrie Snape erneut.

Ich mußte etwas tun. Und zwar schnell. Ich zog meinen Zauberstab aus der Tasche und richtete ihn auf den Professor. "Laß sie sofort los, Severus!", rief ich scharf, doch er schien es nicht wahrzunehmen.

Einen Moment lang zögerte ich, dann sprach ich einen Zauber und ein weißer Lichtstrahl schoß aus meinem Zauberstab.

Der Fluch traf Snape in den Rücken und er brach bewußtlos zusammen.

 Kapitel 5

  Kapitel 7

 

Zurück