Und es ward Schatten - Kapitel 9

 

 

Zurück

 

Zurück zur 
Startseite


 

Kapitel 9

 

Erzählt von Harry Potter:

Langsam gingen wir durch die Gänge zur Großen Halle. 
Die Stimmung unter uns Schülern war bedrückt. 
Auch ich konnte noch immer nicht fassen, was passiert war.
Ich hatte mir vorstellen können, daß Professor Snape vielleicht eines Tages von Voldemort umgebracht wurde. Aber seine Familie? An diese Möglichkeit hatte ich nie gedacht.

Warum eigentlich nicht? Schließlich hatte der Dunkle Lord schon viele unschuldige, zum Teil noch sehr junge Menschen getötet.
Und doch traf es uns alle vollkommen unvorbereitet.

Ron und ich gingen mit Hermine in unserer Mitte zu unserem Tisch und setzten uns.
Man sah ihr deutlich an, daß sie in der vergangenen Nacht heftig geweint hatte.

Nachdem auch alle Lehrer Platz genommen hatten, begannen wir mit dem Essen.
Auch sie sahen mitgenommen aus, besonders Professor McGonagall, aber auch Professor Lupin, Dumbledore und einige weitere.

Einige Zeit später traf die Post ein und die Halle war erfüllt von dem Flügelschlagen der Eulen.
Hedwig brachte mir den Tagespropheten, den ich vor zwei Jahren fest abonniert hatte, um beobachten zu können, ob mein Patenonkel Sirius irgendwo gesehen wurde und somit die Gefahr bestand, daß er verhaftet wurde.

Zum Glück war er dann aber vom Ministerium offiziell freigesprochen worden und konnte sich nun wieder völlig gefahrlos in der Öffentlichkeit zeigen.

Den Tagespropheten hatte ich dennoch nicht abbestellt.

Normalerweise las ich die Zeitung erst nach dem Frühstück, doch an diesem Tag blätterte ich sie schon in der Großen Halle durch, um zu sehen, was dort über den Überfall der Todesser geschrieben wurde.

Tatsächlich entdeckte ich nur eine kleine Notiz, daß diese Aktion Voldemorts stattgefunden hatte und dabei die Familie des Lehrers für Zaubertränke in Hogwarts, Professor Severus Snape, getötet wurde. Dann fiel mein Blick auf die Todesanzeigen und blieb an einer in der Mitte des Blattes hängen.
Die Anzeige von Judy und Soleya Snape.
Es war eine der kleineren Todesanzeigen und sie war einfach gehalten, ohne Bilder oder poetische Verse.
Als Trauernder war einzig und allein Severus Snape aufgeführt.
Darüber stand schlicht: Ich werde euch niemals vergessen.

Hermine, die neben mir saß, nahm mir die Zeitung aus der Hand.
Dann starrte sie eine Weile bewegungslos darauf, bis sie schließlich sanft mit der Hand über die Anzeige fuhr.

Tränen liefen ihr über das Gesicht, als sie leise sagte: "Ich werde dich auch nicht vergessen, Judy. Versprochen. Niemals werde ich dich vergessen."

"Darf ich die Zeitung behalten, Harry?", fragte sie mich nach einer Weile des Schweigens.

Ich nickte und sie steckte den Tagespropheten in ihre Tasche. Dann standen wir auf und machten uns gemeinsam mit Ron auf den Weg in unsere Unterrichtsräume.



Erzählt von Severus Snape:


Es dauerte einige Sekunden bis ich begriff wo ich war. Und warum.
Sofort bemächtigte sich eisige Kälte meines Körpers und der Schmerz kehrte zurück.

Ich wollte im Bett bleiben, weiter schlafen. Am besten für immer.
Denn schlafen bedeutete Ruhe. Ruhe vor den Gedanken und den Gefühlen.
Doch es ging nicht. Ich mußte aufstehen und weitermachen.

Unendlich langsam stand ich auf und zog mich an.
Durch das Fenster fiel heller Sonnenschein. Das hieß, ich hatte mindestens bis zum Mittag geschlafen. Wahrscheinlich hatte Madam Pomfrey genau das mit ihrem Trank bewirken wollen.

Ich ging hinüber in mein Büro und erblickte das Pergament und die Tinte, die noch immer auf meinem Schreibtisch standen und darauf warteten, daß ich die Briefe an die Verwandten meiner Frau und unsere Freunde schrieb.

In diesem Moment klopfte es leise an meinem Fenster.
Ich ging hinüber und öffnete und eine braune Eule kam in das Zimmer geflogen. Sie setzte sich auf meinen Tisch und hielt mir auffordernd ihr rechtes Bein entgegen, an dem ein kleiner Brief befestigt war.

Ich nahm ihr die Nachricht ab und begann zu lesen. Sie war von Pastor Munser.
Er richtete mir sein Beileid aus und schrieb, daß er sich um die Organisation der Beerdigung und die Trauerrede persönlich kümmern würde.
Die Beisetzung war für Freitag vorgesehen. Morgen. Ich spürte, wie sich in meinem Hals ein Klos bildete.

Da merkte ich, daß die Eule noch immer vor mir saß und mich fragend anblickte. Einige Sekunden starrte ich sie verwirrt an, dann fiel mir ein, daß ich sie noch nicht bezahlt hatte. So griff ich in eine Schublade, holte ein paar Münzen heraus und packte sie in den kleinen Beutel, den die Eule trug. Sie schuhschuhte leise und flog aus dem Fenster.

Ich lenkte meine Gedanken auf die zu schreibenden Briefe an Verwandte und Freunde, um nicht weiter über die Nachricht des Pastors nachdenken zu müssen.

Ich begann mit den Verwandten.
Ich selbst hatte keine mehr, so blieb nur noch die Familie Soleyas.
Ihr Vater war schon lange Zeit tot, ihre Mutter vor etwa einem Jahr gestorben. Zuvor hatte ich sie zusammen mit meiner Frau einige Male besucht. Sie lebte in Hastings, einer Stadt an der Küste.

Dort lebten auch heute noch die einzigsten Verwandten Soleyas. Einige Cousinen und Cousins, sowie deren Kinder.

Kinder. Meine Gedanken wanderten zu meinem Kind.
Judy.

Schnell konzentrierte ich mich wieder auf die Briefe. Nachdem ich die Nachrichten an ihre Verwandten geschrieben hatte, wandte ich mich unseren Freunden zu.
Da meine Kollegen bereits Bescheid wußten, blieben noch die meiner Frau.
Sie hatte im St. Mungo gearbeitet. Als Kinderärztin.
Obwohl sie die vergangene Zeit auf Grund des Erziehungsurlaubes nicht gearbeitet hatte, hatte sie doch den Kontakt zu ihren Kollegen nicht abgebrochen.

Dann waren da noch einige Bekannte aus Hogsmeade und andere Freunde.
An sie alle schrieb ich einen Brief. Dann nahm ich sie an mich und machte mich auf den Weg in die Eulerei.

Es mußte die Zeit des Nachmittagsunterrichts sein, denn die Gänge waren menschenleer.
Und das war auch gut so. Ich wollte niemanden begegnen, schon gar nicht irgendwelchen Schülern, die mich neugierig anstarren würden.

So folgten mir lediglich die Blicke der Personen in den Bildern, als ich durch die Flure ging.
Doch sie waren mir egal.

Dann erreichte ich die Eulerei und trat ein.
Eulen in allen Farben und Formen blickten mir entgegen, darunter auch unsere Hauseule Minni. Sie war also hierher gekommen, nachdem das Haus leer war.
Ein dämlicher Name für eine Posteule. Soleya hatte sie so genannt, nach einer Comicfigur der Muggel. 

Der Gedanke tat weh und schnell konzentrierte ich mich darauf, meine Briefe an Schuleulen zu verteilen. Sie flogen sofort los und ich ging wieder zurück in mein Büro.

Als ich das Zimmer betrat sah ich, daß dort bereits jemand auf mich wartete.
Es war Professor Dumbledore, der auf einem der Stühle Platz genommen hatte.

"Ah, Severus! Da bist du ja. Ich habe mich schon gefragt, wo du sein könntest", begrüßte er mich freundlich lächelnd.

"Hallo Albus. Ich war in der Eulerei und habe die Briefe abgeschickt", antwortete ich und setzte mich. 

Der Direktor nickte. "Ich dachte, du wolltest vielleicht etwas essen. Du hast seit vorgestern nichts mehr zu dir genommen, habe ich recht?", fragte Dumbledore nun vorsichtig.

"Nein. Und ich habe auch keinen Hunger", sagte ich kurz, aber der Direktor ließ nicht locker.

"Wenn du gleich nach Hogsmeade apparieren willst, brauchst du Kraft. Also ess bitte."

Er deutete auf einen Teller voller Gemüsesuppe, der auf meinem Schreibtisch stand.
Warum hatte ich den nicht schon eher gesehen?

Ich blickte Dumbledore an und sah, daß er darauf bestehen würde. Da ich keine Energie hatte, um mit ihm zu streiten, begann ich die Suppe zu essen.

Einige Zeit herrschte in meinem Büro Stille. Dann fragte ich leicht gereizt: "So. Darf ich nun gehen?"

Dumbledore lächelte. "Natürlich, Severus. Soll ich dich nach Hogsmeade begleiten?"

"Nein, danke Albus. Ich gehe lieber alleine", antwortete ich und er nickte.

Gemeinsam erhoben wir uns, verließen mein Zimmer und gingen schweigend die Treppen hinauf. In der Eingangshalle trennten sich unsere Wege. Während er in sein Büro zurückkehrte, trat ich durch die Tür ins Freie und ging zum Rand des Verbotenen Waldes.

Als ich über die Wiese marschierte, dachte ich an die Frage meines Freundes, mich zu begleiten. Natürlich war das ein freundliches Angebot, doch ich wollte ohne ihn gehen.
Ich wollte alleine sein. Ein letztes Mal alleine mit meiner Familie.

Ich erreichte den Wald, konzentrierte mich und apparierte.
Die Bäume verschwanden und machten einem kleinen weißen Haus Platz. Das Gemeindehaus Hogsmeades. Hier fanden Treffen der Kirche statt. Hier wurden die Verstorbenen aufgebahrt.

Nach einigen Sekunden des Zögerns, klopfte ich vorsichtig an die helle Holztür.
Eine kurze Zeit lang geschah nichts.

War mein Klopfen zu leise gewesen?

Da öffnete sich die Tür plötzlich und eine kleine Frau mit langen blonden Haaren blickte mich fragend an. "Ja, bitte?"

Was wollte sie wissen? Ich beschloß, es mit meinem Namen zu versuchen. "Mein Name ist Professor Snape."

"Oh, ja. Natürlich", antwortete sie. "Kommen Sie doch rein."

Sie machte einen Schritt zur Seite und ich betrat einen langen Flur. An den Wänden hingen fröhliche Bilder. Sonnenbeschienene Landschaften und lachende Gesichter.

Wie passend, dachte ich bitter.

Die kleine Frau führte mich zu einer Tür am Ende des Ganges.

"Lassen Sie sich ruhig Zeit", sagte sie mit einem freundlichen Lächeln und verschwand dann durch eine andere Tür.

Ich starrte auf die Tür, dann öffnete ich sie vorsichtig und betrat den Raum. Er war nicht besonders groß, durch die milchigen Fenster fiel sanftes Licht. Auf den Fensterbänken und dem Boden standen Blumen und Kerzen.
In der Mitte des Zimmers sah ich zwei hellbraune Särge, die auf Tischen abgesetzt worden waren. 
Ich ging zu dem ersten, kleineren hinüber und beugte mich über ihn.
In dem Sarg lag meine Tochter Judy. 

Sie sah so friedlich aus, als würde sie schlafen. Ich strich ihr eine widerspenstige Haarsträhne aus dem zarten Gesicht und fühlte mich an den Morgen ihres Todestages zurück versetzt. Es war genau wie an jenem Tag.

Nein. 
Nichts war, wie es an dem Tag gewesen war.
Dieses Mal zuckte Judys Mund nicht. 
Dieses Mal schlief sie nicht, sie war tot.
Dieses Mal lag sie nicht in ihrem Bett in ihrem Schlafzimmer, sondern in einem Sarg.

Tränen liefen mir über das Gesicht, als ich ihre Decke höher zog und feststeckte, wie ich es früher so oft abends getan hatte.
Aber ich versuchte nicht, die Tränen aufzuhalten. Warum auch?
Ich streichelte meiner Tochter noch einmal zärtlich über die Stirn, dann drehte ich mich um und wandte mich an Soleya, die in dem zweiten Sarg lag.

"Soleya! Es tut mir so leid!", flüsterte ich, während ich ihre kalte Hand in die meine nahm. "Es tut mir so unendlich leid! Warum mußte das geschehen?"

Ich faltete ihre Hände auf ihrem Bauch und ließ mich auf dem Stuhl, der zwischen den beiden Tischen stand nieder.

Warum? Ich wußte warum.
Sie waren umgebracht worden, um mich zu strafen.
Um mich zu strafen, für etwas, das ich getan hatte, um eine Familie vor dem Tod zu bewahren.

Nun war meine Familie tot. Und ich war Schuld.

Ich hätte den Auftrag Dumbledores nicht ausführen dürfen. 
Ich hätte ihn aufgeben müssen, als ich Soleya kennenlernte.
Ich hätte damit rechnen müssen, daß ich mit meinen Aktionen nicht nur mein Leben, sondern auch das meiner Frau und meiner Tochter gefährdete.

Aber ich hatte nicht daran gedacht. Ich hatte diesen Gedanken verdrängt.

Ich war Schuld am Tod der Menschen, die ich über alles liebte. Der Menschen, die mich liebten und die mir vertrauten.

Ich war Schuld daran, daß Judy und Soleya keine Chance mehr hatte, glücklich zu sein und ihre Träume auszuleben. Zu leben.

Langsam stand ich auf und blickte auf die beiden leblosen Körper.

"Verzeiht mir", flüsterte ich. Ich bat um Vergebung für etwas, das nicht vergeben werden konnte. Nicht von meiner Familie und nicht von mir selbst.

Ich streichelte Judy über ihr Gesicht, dann beugte ich mich über Soleya und küsste sie sanft auf die Stirn.

"Ich liebe euch!", sagte ich mit erstickter Stimme.

Dann drehte ich mich zögernd um und ging zur Tür. Dort blickte ich noch einmal zurück auf meine tote Familie, dann öffnete ich die Tür und verließ den Raum.



Erzählt von Remus Lupin:


Ich stand am Fenster im Büro des Direktors und sah über die Wiese hinüber zum Verbotenen Wald. Ich hatte Professor Snape aus dem Schloß gehen sehen und war dann zu Professor Dumbledore gegangen.
Er hatte mir erzählt, daß Snape auf dem Weg nach Hogsmeade war, wo seine Familie aufgebahrt worden war. Dann hatten wir uns noch einige Zeit unterhalten.
Nun dämmerte es bereits und ich merkte deutlich, daß Dumbledore anfing sich Sorgen um den Meister der Zaubertränke zu machen.

Auch ich tat das. Und so starrte ich aus dem Fenster in die Richtung, aus der Snape bei seiner Rückkehr kommen würde. Ich konnte auch in der Dunkelheit noch gut sehen.
Einer der wenigen Vorteile, die die Tatsache, daß ich ein Werwolf war, mit sich brachte.

Plötzlich sah ich, wie am Rande des Waldes eine schwarz gekleidete Person apparierte. Das mußte er sein!

"Albus, ich glaube, er kommt!", sagte ich und der Direktor eilte zu mir hinüber.
Eine Weile starrte er mit gerunzelter Stirn hinaus, dann, als die Person schon fast das Schloß erreicht hatte, hellte sich seine Miene auf und er nickte. "Ja, das ist Severus."

Gemeinsam beobachteten wir, wie er näher kam, schließlich die Eingangstür erreichte und dann aus unserem Sichtfeld verschwand. Ich erschrak, als ich sah, wie gebückt Snape ging.

"Meinst du, ich sollte ihn heute abend noch besuchen, Albus?", fragte ich leise.

Dumbledore schüttelte bedächtig den Kopf. "Nein, ich denke, wir sollten ihn alleine lassen. Er wird heute keine Gesellschaft mehr wollen. Madam Pomfrey wird ihm nachher noch einen Schlaftrank vorbei bringen, aber ansonsten sollten wir uns heute von den Kerkern fernhalten."

"Ja, ich denke, du hast recht", stimmte ich ihm zu. "Ich werde dann jetzt gehen. Gute Nacht, Albus."

"Gute Nacht, Remus", erwiderte Dumbledore und ich verließ sein Büro.
Auf dem Weg in mein Büro dachte ich über unser Gespräch nach.
Wahrscheinlich hatte der Direktor recht, wenn er sagte, daß wir Snape für heute alleine lassen sollten, doch es war schwer für mich, daß ich meinem Freund in dieser schwierigen Situation nicht helfen konnte. Ich fühlte mich so hilflos, wie es schon lange nicht mehr getan hatte.

Schließlich erreichte ich mein Zimmer und trat ein. 
Ich zog mich um und stieg in mein Bett. Eine Weile noch lag ich wach und dachte an den morgigen Tag, an dem die Beerdigung von Judy und Soleya stattfinden würde, dann schlief ich ein.


Kapitel 8

Kapitel 10

 

Zurück