Und es ward Schatten - Kapitel 10

 

 

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Kapitel 10



Erzählt von Severus Snape:

Die Sonne schien bereits hell durch die kleinen Fenster als ich an diesem Tag erwachte.
Im Gegensatz zu den vorigen Malen wußte ich an diesem Morgen sofort, wo ich war und spürte die alles ergreifende Kälte schon ehe ich die Augen aufschlug.
Es war soweit. Heute würde die Beerdigung meiner Familie stattfinden.
Heute nachmittag.

Was sollte ich bis dahin machen? Ich wußte es nicht.
Einerseits erschien mir die Zeit unendlich lang, da ich nur hier sitzen und mir Gedanken machen würde, andererseits aber auch viel zu kurz.

Ich fürchtete mich vor der Beerdigung. Ich fürchtete mich vor dem endgültigen Abschied von Soleya und Judy.

Ich zog mich an und ging hinüber in mein Büro.
Einige Zeit stand ich unschlüssig in der Mitte des Raumes, dann fiel mein Blick auf das Fenster hinter meinem Schreibtisch.

Die Sonne schien strahlend hell. Wie konnte sie? An einem Tag wie diesem? Mit welchem Recht strahlte sie, als wäre die ganze Welt erfüllt von Glück und Zufriedenheit?

Ein Klopfen an der Tür riß mich aus den düsteren Gedanken.

"Ja?", fragte ich und Professor Dumbledore betrat das Zimmer.

"Guten Morgen, Severus!", sagte er freundlich lächelnd.

Ich antwortete nicht. Wie konnte er annehmen, daß dies ein guter Morgen war?

"Ich wollte dich zum Essen holen. Du hast seit gestern mittag nichts mehr gegessen, oder?", fuhr der Direktor fort.

"Ich habe keinen Hunger", antwortete ich kurz, doch er ließ nicht locker.

"Du kannst dich nicht ewig hier unten verkriechen!"

"Das kann ich sehr wohl! Also bitte geh und laß mich allein", sagte ich, dieser Unterhaltung müde.

"Nein, das werde ich nicht. Komm, Severus. Tu mir den Gefallen." Mit diesen Worten öffnete er die Tür, lächelte mich erneut an und machte eine einladende Geste mit seiner Hand. Langsam ging ich zu ihm hinüber und gemeinsam verließen wir mein Büro.

Schweigend liefen wir durch die Flure. Sie waren menschenleer. Wahrscheinlich waren die meisten bereits in der Großen Halle.
Plötzlich wurde mir bewußt, wohin ich gerade auf dem Weg war. Eben dort hin. In die Große Halle.
Nein! Da würde ich auf keinen Fall hingehen. Dorthin, wo hunderte neugierige Schüler und Kollegen auf mich warteten.

Professor Dumbledore mußte mein Zögern bemerkt haben, denn in diesem Moment legte er seine Hand vorsichtig auf meinen Arm und sagte sanft: "Komm, Severus!"

Widerstandslos ließ ich von ihm weiterführen, bis wir schließlich die Tür zur Halle erreichten.
Der Direktor öffnete sie und ging voraus.
Erneut zögerte ich, doch nun war es zu spät, also folgte ich ihm widerstrebend. Ich betrat die Große Halle und für einen Moment schienen alle die Luft anzuhalten, so ruhig wurde es plötzlich. Dann begann erneut das übliche Gemurmel.

Warum nur hatte ich mich dazu überreden lassen, hierher zu kommen. Ich hätte das niemals tun sollen. Ich hätte im Kerker bleiben sollen.

Doch jetzt konnte ich es nicht mehr rückgängig machen, also ging ich zu meinem Platz zwischen Professor McGonagall und Lupin. Die beiden erhoben sich kurz bevor ich sie erreichte.

"Mein herzlichstes Beileid, Severus. Das ist alles so furchtbar!", flüsterte McGonagall heiser.

"Es tut mir furchtbar leid, was passiert ist!", sagte nun auch Lupin. "Wenn ich dir irgendwie helfen kann, ich bin immer für dich da."

Ich nickte nur. Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete ich, daß die anderen Kollegen ebenfalls dabei waren, sich zu erheben und ich setzte mich schnell. Sie schienen es zu verstehen, denn es kam keine weitere Beileidsbekundung.

Meine Sitznachbarn setzten sich ebenfalls, sprachen mich jedoch nicht weiter an, wofür ich ihnen sehr dankbar war. Ich war wirklich nicht in der Stimmung für höfliche Gespräche.

Das Essen erschien, aber ich verspürte tatsächlich nicht den geringsten Hunger. Anstandshalber nahm ich mir zwei Kartoffeln und begann langsam zu essen.

Mein Blick wanderte über die Reihen der Schüler. Keiner sah direkt zu mir hinüber. Dann blieb mein Blick an Hermine Granger hängen. Sie aß nicht, sondern saß nur still da und starrte auf den Tisch vor ihr. Ihre Augen waren gerötet.

Ich wandte mich wieder meinen Kartoffeln zu, die ich in der Zwischenzeit völlig zerstochert hatte.




Erzählt von Harry Potter:

Auch ich starrte, wie alle andere Schüler, zu der Tür, durch die soeben Professor Dumbledore die Große Halle betreten hatte, denn er war nicht allein.
Professor Snape stand hinter ihm. Einen Moment schien es, als wolle er sich umdrehen und weggehen, dann allerdings ging er doch hinüber zum Lehrertisch.

Professor McGonagall und Lupin standen auf und sagten etwas zu ihm. Wahrscheinlich drückten sie ihm ihr Beileid aus.

Dann setzten sie sich. Snape schien sich extrem unwohl zu fühlen.

Wie hatte es Dumbledore es geschafft, ihn zum Kommen zu überreden? Denn daß er nicht freiwillig hierher gekommen war, war offensichtlich.

Snapes Blick überflog uns Schüler und ich sah eilig auf meinen Teller. Als ich wieder zu dem Meister der Zaubertränke hinüberblickte, hatte er begonnen zu essen.

Mir fiel auf, daß er noch bleicher war als gewöhnlich. Außerdem sah er unglaublich müde und ausgelaugt aus.

Nach nur kurzer Zeit erhob Snape sich langsam und verließ die Halle, wobei ihm erneut viele Blicke folgten. Er machte sich nicht die Mühe, die Tür hinter sich zu schließen, sondern ließ sie offen stehen, ein Verhalten, daß ihm unter anderen Umständen sicher einen Tadel von Dumbledore eingebracht hatte.
Doch nicht jetzt. Nicht in der Situation, in der Snape sich momentan befand.




Einige Stunden später:

Ich saß zwischen Hermine und Ron auf der harten Kirchenbank.
Die ganze Schule war verpflichtet worden an diesem Nachmittag an der Trauerfeier zu Ehren Soleya und Judy Snape teilzunehmen und hatte sich nun in der Kirche in Hogsmeade versammelt.
Die Lehrer und Freunde der Familie saßen weiter vorne, die Schüler hinten.

Ganz vorne standen die beiden Särge der Verstorbenen. Beide hellbraun, einer jedoch wesentlich kleiner als der zweite. Um sie herum standen Blumen und Kerzen.

Plötzlich begann die Orgel zu spielen und alle Gespräche verstummten.

Professor Snape betrat nun, als engster Verwandte, die Kirche und schritt durch den Mittelgang nach vorne. Er hielt den Kopf gesenkt und blickte stur gerade aus. In seinen Händen, die er vor sich gefaltet hatte, trug er zwei Rosen von dunkelroter, fast schwarzer Farbe.

Schließlich erreichte er den Altar und verharrte einige Sekunden starr, bevor er sich in der ersten Reihe niederließ.

Nun folgte der Pastor. Auch er ging nach vorne, dann kniete er kurz vor dem Kreuz nieder.

Die Orgel verstummte und er begann mit einer ruhigen und angenehmen Stimme zu sprechen. Er sprach über Soleya und Judy. Über ihr Leben, ihre Hobbies und ihre Träume. Er mußte sie gut gekannt haben, so wie er von ihnen erzählte.
Er sprach über ihre Familie, über ihre Freunde und ihr Zuhause.
Ich hörte, wie Hermine neben mir schluchzte und sah zu ihr hinüber. Tränen liefen ihr über das Gesicht, während sie wie gebannt auf die zwei Särge starrte. Tröstend legte ich einen Arm um sie und begann, sie zu streicheln.

Der Pastor sprach auch von ihrem Tod. Über das Böse, das diese beiden fröhlichen Menschen um ihr Leben betrogen hatte. Er nannte es nicht beim Namen. Das war nicht nötig. Jeder hier wußte, wen er meinte.

Voldemort. Wie viele unschuldige Opfer würde er noch fordern? Wie viele Familien würde er noch zerstören? Meine Gedanken wanderten kurz zu meinen eigenen Eltern, die ebenfalls von diesem Monster getötet wurden.

Schnell wandte ich mich wieder der Rede des Pastors zu.

Er sprach nun von dem Leben, das die Verstorbenen nun führten. Dem Leben nach dem Tod. Er sprach von ewigem Frieden und Geborgenheit. Von Vergebung.

Meine Gedanken schweiften erneut ab. Vergebung. Hieß das, daß auch Voldemort vergeben werden würde? Wie konnte man das, was er tat jemals vergeben?
Ich konnte es bestimmt nicht. Niemals.

Der Pastor war inzwischen am Ende seiner Rede angekommen und die Orgelmusik setzte wieder ein. Der Gottesdienst war vorbei. Einige dunkel gekleidete Männer tauchten auf und gingen zu den Särgen. Dann hoben sie sie auf ihre Schultern und trugen sie langsam nach hinten zur Tür.

Professor Snape folgte ihnen. Er hielt den Blick noch immer auf den Boden gerichtet, so daß sein Gesicht kaum zu sehen war.
Nach ihm folgten einige Menschen, die ich nicht kannte. Wahrscheinlich Freunde und Verwandte, dann die Lehrer und schließlich wir Schüler.

Als wir das Kirchengebäude verlassen hatten, wollten ich und Ron aus dem Zug ausscheren, wie es die meisten anderen Teilnehmer des Gottesdienstes und fast alle Schüler getan hatten, doch Hermine hielt mich am Ärmel zurück.

"Kommt ihr mit? Bitte! Ich möchte nicht alleine gehen!", flehte sie leise und so folgten wir drei gemeinsam dem Trauerzug.

Schließlich erreichten wir die zwei Grabstellen, an denen die Särge von Soleya und Judy bereits niedergelegt wurden. Snape stand direkt vor den Gräbern, die anderen Trauergäste hatten sich in einem Halbkreis aufgestellt.

Der Pastor sprach ein kurzes Gebet für die Verstorbenen, dann wurden die Särge vorsichtig abgesenkt. Der Pastor verschwand und für einige Minuten geschah nichts.

Professor Snape stand da und starrte auf die Gräber. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sich seine Gefühle in keinster Weise ansehen lassen, doch nun schien er seine mühsam aufrecht erhaltene Fassung zu verlieren.

Professor Snape weinte. Stille Tränen liefen ihm über die bleichen Wangen.
Ich war seltsam ergriffen von diesem Anblick. Snape, der sich nie irgendwelche Schwächen oder Emotionen anmerken ließ, weinte hier. In der Öffentlichkeit.

Auf einmal fiel mir ein, warum wir hier waren: Wir beerdigten die Familie des Professors. Die Menschen, die er über alles geliebt hatte. Sie waren tot.

In dieser Situation interessierte es ihn nicht, was die anderen Leute von ihm hielten oder was sie sahen. Wahrscheinlich verschwendete er nicht einen Gedanken daran. Er hatte im Moment wirklich andere Sorgen.

Plötzlich schämte ich mich, daß ich den Meister der Zaubertränke in dieser Situation beobachtete. Wie konnte ich mich darüber wundern, daß er weinte? Jeder hätte das getan.

In diesem Moment schien Snape sich aus seinen Gedanken, in denen er versunken war, zu reißen. Er streichelte mit seinen Fingern sanft über die Blütenblätter der Rosen, die er noch immer in den Händen hielt, dann streckte er seine Arme leicht nach vorne, streckte die Hände und ließ die Blumen vorsichtig hinunter auf die beiden Särge schweben.

Anschließend nahm er eine Handvoll Erde, die in einer Schale bereitstand und streute je eine halbe in jedes Grab. Dann trat er einige Schritte zurück, um den anderen Trauergästen die Gelegenheit zu geben Abschied zu nehmen.

"Kommt ihr mit?", fragte Hermine erneut leise.

"Ich glaube nicht, daß das so gut wäre, wenn ausgerechnet ich jetzt zu Professor Snape gehe, um ihm mein Beileid auszudrücken", erwiderte ich und Ron schloß sich mir an.

Hermine nickte, dann ging sie zögernd hinüber zu den Gräbern, während wir beide in einiger Entfernung auf sie warteten und dabei zusahen, wie sie vor den Grabstellen verharrte, dann Erde hinein streute und anschließend, wie die anderen Kollegen, Verwandten und Freunde Snapes zu dem Professor ging und ihm ihr Beileid aussprach.

Er hatte sich inzwischen offenbar etwas beruhigt und beantwortete die Beileidsbekundungen mit einem angedeuteten Nicken.
Doch seine Fassung war nur äußerlich. Seine stark zitternden Hände verrieten seine aufgewühlten Emotionen.

Plötzlich überkam mich ein starkes Gefühl des Mitleides für diesen Mann.
Er hatte soeben alles verloren. Doch anstatt, daß er sich nun zurückziehen und um alleine um seine Familie trauern konnte, mußte er sich geduldig die Beileidsbekundungen anhören.

Der Friedhof leerte sich nun allmählich und auch Hermine kehrte zu uns zurück. Ihre Augen waren rot und noch immer weinte sie. Ron und ich nahmen sie in unsere Mitte und machten uns langsam auf den Weg zurück nach Hogwarts.

Als ich noch einen letzten Blick zurück auf die Grabstellen von Soleya und Judy warf, sah ich, daß nun auch die anderen Trauernden gegangen waren.
Nur Professor Snape stand noch am Grab seiner Familie.




Erzählt von Severus Snape:

Endlich war ich allein. Allein mit meiner Familie.
Ich stellte mich vor die beiden Gräber und starrte auf die Särge hinab.

Sie waren wirklich tot.
Nie wieder würde ich sie sehen. Nie wieder hören. Nie wieder spüren. Nie wieder.

Mein Blick wanderte zu dem Sarg meiner Tochter.
Ihr Sarg war so klein. So klein wie eine Truhe für irgendwelche Kleinigkeiten. Doch in dieser Holzkiste befanden sich keine Kleinigkeiten. In dieser Truhe lag meine tote Tochter. Judy.

Wie konnte es so kleine Särge geben? Wie konnte ein Leben, daß gerade erst begonnen hatte, schon zu Ende sein? Wie konnte ein Leben so schnell zu Ende sein, daß es solche Särge gab?
Warum durfte es so etwas geben?

Wie konnte es sein, daß diese beiden Menschen, diese fröhlichen und lebenslustigen Menschen, plötzlich nicht mehr da waren? Sie ihres Lebens beraubt wurden? So etwas durfte es doch nicht geben. Und doch war es passiert. Sie waren tot.

Und nun lagen sie hier vor mir begraben. In einem Grab, daß Soleya und ich vor einigen Monaten gemeinsam ausgesucht und gepachtet hatten. Für mich. Für mich! Aber doch nicht für Soleya. Und Judy!
Ich sollte in diesem Moment dort unten liegen. Ich!
Nicht meine Familie. Nicht sie.

Es war falsch. Falsch, daß sie tot waren. Ich sollte tot sein. Nicht sie.

Sie sollten jetzt hier an meinem Grab stehen und um mich trauern, aber statt dessen stand ich in diesem Augenblick hier an ihrem Grab und konnte es noch immer nicht glauben, daß es wirklich passiert war.
Ich starrte auf die beiden Särge herab, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen.

Das konnte doch nicht alles sein, was von zwei Leben übrig blieb. Zwei Gräber. Wie sollte ich weiterleben? Ohne sie? Es war unmöglich. Sie waren es gewesen, die mein Leben lebenswert gemacht hatten. Soleya und Judy. Meine Familie.

Ich spürte, wie mir Tränen über die Wangen liefen.

Meine Familie. Die erste Familie, die ich in meinem Leben gehabt hatte. Die Einzige.
Sie hatten meinem Leben einen Sinn gegeben. Sie hatten mir ein Glück und eine Zufriedenheit gegeben, die ich so noch niemals zuvor erlebt oder erfahren hatte. Und die ich nie wieder erleben würde.
Sie waren tot. Fort aus meinem Leben. Für immer. Und ich mußte weiterleben. Ohne sie.

Ich warf einen letzten Blick auf die beiden Gräber, dann drehte ich mich langsam um und verließ den Friedhof. Diesen Ort, an dem die Toten ruhen.
Diesen Ort, an dem ich meine Familie, die einzigen Menschen, die ich je geliebt hatte und je lieben würde, zurückließ.
Zurücklassen mußte. Für immer.




Erzählt von Remus Lupin:


Es waren nun schon einige Stunden vergangen, seit mir der Hauself von der Rückkehr Professor Snapes berichtet hatte. Inzwischen war es dunkel geworden und ich beschloß, hinunter in die Kerker zu gehen.

Vielleicht konnte ich meinem Freund irgendwie helfen. Ihm das Gefühl geben, daß er nicht alleine war.

So verließ ich mein Zimmer und schritt durch die düsteren Flure und Treppen hinab, dorthin, wo Snape sein Büro hatte. Die Gänge dort unten waren jetzt in der Nacht ziemlich kalt und ich hoffte, daß die Räume des Meisters für Zaubertränke gut geheizt waren.

Endlich erreichte ich seine Tür. Ich klopfte, doch ich bekam keine Antwort. Da ich jedoch hörte, daß sich jemand in dem Zimmer aufhielt, öffnete ich trotzdem und trat ein.

Erschrocken stellte ich fest, daß es hier um keinen Grad wärmer war, als auf den Fluren. Wie hielt Snape das nur aus? Und warum machte er kein Feuer?

Der Professor selbst saß an seinem Schreibtisch und sah mich verwirrt an. Vor ihm standen einige Flaschen. Zum Teil Wein, doch auch Hochprozentigeres. Ein paar von ihnen waren bereits halb oder auch ganz leer.

"Hallo Severus", begrüßte ich ihn vorsichtig. Er antwortete nicht, sondern starrte mich lediglich an. Seine schwarzen Augen waren vollkommen leer und ausdruckslos und ich hoffte inständig, daß dies an dem Alkohol lag.

Da er mich nicht wegschickte, nahm ich an, daß es ihm Recht war, daß ich blieb. Also ging ich hinüber zum Schrank und holte mir ein Glas. Auf dem Weg dorthin zog ich unauffällig meinen Zauberstab aus meiner Tasche und entfachte ein Feuer im Karmin. Dann setzte ich mich Snape gegenüber und schenkte mir etwas von dem Wein ein.

Eine Weile saßen wir schweigend da und tranken, dann fing Snape plötzlich in einer tiefen, tonlosen Stimme, die allerdings für seinen bisherigen Alkoholkonsum erstaunlich klar war, an zu sprechen.

"Sie waren die einzigen Menschen auf dieser verdammten Erde, die ich jemals geliebt habe. Und die mich auch liebten."

Was sollte ich dazu sagen? Ich wußte, daß seine Eltern ihn nie geliebt hatten. Hatte er vielleicht wirklich Recht mit dem, was er sagte? Diese Möglichkeit erschütterte mich.

Er schwieg eine Zeitlang, bevor er fortfuhr: "Sie haben mir vertraut. Wirklich vertraut. Und ich habe ihr Vertrauen gebrochen. Ich habe versagt."

"Severus!", erwiderte ich ernst. "Du hast nicht versagt. Du bist nicht schuld an dem, was passiert ist."

Doch der Meister der Zaubertränke schüttelte nur den Kopf. "Es ist meine Schuld. Ich habe das Todessertreffen an das Ministerium verraten. Dafür mußte meine Familie sterben."

"Niemand konnte damit rechnen, daß Voldemort etwas derartiges tun würde", widersprach ich ihm energisch.

"Wir hätten damit rechen müssen! Ich hätte damit rechnen müssen! Ich hätte daran denken müssen. Aber ich habe es nicht getan", entgegnete er mir.

Wie sollte ich ihn davon überzeugen, daß er sich nicht die Schuld geben durfte?

"Niemand hat das, Severus!", versuchte ich es. "Dumbledore nicht, ich nicht, niemand!"

"Aber es wäre meine Pflicht gewesen, daran zu denken. Es war meine Familie. Meine Frau und Tochter! Sie haben mir vertraut. Mir! Nicht Dumbledore und nicht dir. Mir", antwortete er mit heiserer Stimme.

"Severus! Hör mir zu! Du bist nicht Schuld am Tod von Soleya und Judy. Voldemort hat sie umgebracht. Er ist der Schuldige, niemand anders."

Snape antwortete nicht und ich war mir nicht sicher, ob er mir glaubte.
So saßen wir dort erneut schweigend und tranken Wein, wobei ich nur an meinem Glas nippte, während er eines nach dem anderen in sich hineinschüttete.

Ich spürte, daß er nun allein sein wollte, darum stand ich auf und sagte: "Gute Nacht, Severus."

Snape nickte schwach, dann ging ich zur Tür und verließ das Büro des Meisters der Zaubertränke. Auf dem Weg in meine Räume dachte ich über unser Gespräch nach.

Hatte ich Snape damit geholfen? Er durfte sich einfach nicht die Schuld für das geben, was geschehen war! Aber ich bezweifelte, daß meine Argumente ihn davon überzeugt hatten.
Ich würde noch einmal mit ihm darüber reden müssen. Ein anderes Mal. Wenn er nicht betrunken war.


Kapitel 9

Kapitel 11

 

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