Gemeinsam Einsam

 

 

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Kapitel 1: Der Zusammenstoss 

 



Immer wieder und wieder hieb die geballte Faust auf ihn ein. Traf seine Wangen, seine Nase. Schlug sein Gesicht beinahe zu Brei. Doch der Angreifer ließ nicht von ihm ab, ergab sich seiner wilden Raserei.

Wieder landete die unerbittliche Faust einen direkten Treffer. Severus schmeckte Blut. Der metallene Geschmack frischen Blutes, seines Blutes. Geschmeidig breitete es sich in seiner Mundhöhle aus. Severus öffnete die zusammengepressten Augen, sah einen weiteren Schlag auf sich zukommen. Trotz höllischer Schmerzen schaffte er es noch rechtzeitig, sich wegzudrehen. Nur Millimeter neben seinem Kopf prallte die Faust gegen die Wand, hinterließ vier kreisrunde blutige Abdrücke.

Der Angreifer zögerte. Severus nutzte diese Gelegenheit und versuchte aufzustehen. Er hörte das schwere Atmen seines Gegenübers. Keuchend. Ein süffisantes Lächeln umspielte Severus Lippen. Severus ignorierte die dadurch verursachten Schmerzen und sah seinem Gegenüber in die dunklen Augen. Er war alt geworden. Vor 20 Jahren hätte er noch stundenlang auf ihn einschlagen können, bevor sich sein Puls auch nur geringfügig erhöhte. Es war nur ein schwacher Trost, doch im Moment war es der Einzige den Severus hatte.

Das Gesicht vor ihm war aschfahl, lediglich dunkelrote Flecken überzogen die eingefallenen Wangen. Der Blick des Angreifers glich einem tollwütigen Tier. Hass, völlige Selbstkontrolle spiegelte sich in diesen schwarzen Augen.

"Willst du also doch noch zum Mörder werden?", brachte Severus schnaubend hervor. Er beobachtete jede noch so kleine Veränderung in der Mimik des Anderen. Zuerst war er sich nicht sicher, ob nicht augenblicklich nach seiner Aussage ein weiterer Angriff erfolgen würde, doch das Gesicht des Dunkelhaarigen wurde klarer. Dieses Tier, das von ihm Besitz genommen hatte, verlor an Einfluss, wurde kontinuierlich schwächer. Severus erkannte seine Chance.

"Willst du deinem Schützling mit blutigen Händen gegenübertreten? Vollende doch dein Werk, das du vor über 20 Jahren begonnen hast. Bring es doch endlich hinter dich. Dann waren die Jahre in Askaban nicht umsonst." Im selben Moment in dem Severus die Worte ausgesprochen hatte, erkannte er, dass er zu weit gegangen war. Das irre Funkeln in Sirius' Augen kam wieder zum Vorschein. Blitzschnell hatte seine rechte Hand Severus Kehle umschlungen und drückte ihn schmerzhaft an die Wand.

Der Griff um seinen Hals wurde immer fester, schnürte ihm die Luft zum Atmen ab. Verzweifelt versuchte er den Griff zu lockern, grub seine Finger tief ins Fleisch des Anderen, doch all seine Bemühungen verliefen ins Leere. Der Griff blieb eisern. Einer Ohnmacht nahe versuchte Severus mit den Zehenspitzen seinen Körper zu stützen. Auch wenn es ein ziemlich sinnloses Unterfangen war, vermittelte es ihm trotz allem ein gewisses Gefühl an Sicherheit.

So unvermittelt Black vorgestoßen war, so abrupt löste er seinen Griff und zog sich ein Stück zurück. Severus sog frische Atemluft ein.

Sirius stand noch immer wenige Schritte von ihm entfernt und sah ihn aus hasserfüllten Augen an. "Ich hätte dich Bastard schon damals töten sollen!"

Ein verächtliches Schnauben entrang sich Severus' Kehle. "Wahrscheinlich wäre es besser gewesen. Vom heutigen Standpunkt betrachtet, hättest du mir einiges an Leid erspart!" Sirius sah in einen Moment lang verwirrt an, bevor er zu seinem bösartigen Ausdruck zurückkehrte.

"Eigentlich sollte es mich nicht wunder, dass du in Selbstmitleid zerfließt. Du warst immer schon ein kleiner Egoist. Was ist? Konntest du dir nicht immer die Rosinen aus dem Kuchen rauspicken? War das Leben etwa nicht ganz so gut zu dir, wie du dir das vorgestellt hast?" Sirius sah den Faustschlag nicht kommen. Severus landete einen direkten Treffer auf seiner Nase. Sirius taumelte leicht und hielt seine Hände vors Gesicht. Blut sickerte durch die Zwischenräume seiner Finger, und landete auf seiner Kleidung und auf dem Boden.

"Du hast gar keine Ahnung, was ich durchmachen musste. Zeitweise habe ich mir gewünscht, ich wäre in Askaban. Oder ich wäre einfach tot. Du glaubst, nur weil du in Askaban nicht durchgedreht hast, weißt du, was Leid ist? Es gibt schlimmeres!" Sirius sah in die braunen Augen seines Erzfeindes, und erkannte, dass er diese Worte in völliger Überzeugung ausgesprochen hatte. Nicht um ihn zu ärgern, nicht um ihn zu demütigen. Und womöglich hatte Severus sogar recht.

"Wieso steigst du dann nicht einfach aus?", brachte Sirius gedämpft hervor.

"Black, sogar von dir hätte ich etwas mehr Intelligenz erwartet. Was glaubst du, soll ich machen. Einfach zu Lord Voldemort gehen und ihm sagen, dass ich keine Lust mehr hätte ein Death Eater zu sein?" Ein höhnisches Lachen folgte auf seine Worte. "Der einzige Weg für eine Flucht ist mein Tod, oder sein vollkommener Untergang. Wie es auch immer kommen mag, selbst dann wird das Blut an meinen Händen kleben. Blut derer, die ich getötet habe! Ich sehe es, Tag für Tag. Und so oft ich mir auch die Hände wasche, es erscheint immer wieder!" Gedankenverloren sah er zu seinen Händen hinab.

Sirius verhielt sich völlig ruhig. Er wagte kaum zu atmen. Noch nie zuvor hatte er eine Art Mitgefühl für Severus empfunden, doch in diesem Augenblick tat er ihm leid. Er war nichts anderes als ein zerstörter Mann. Zerstört von Umständen, die er kaum erahnen konnte. Askaban war für ihn die Hölle gewesen, doch er konnte es ertragen, da er unschuldig war. Wie musste es erst für jemanden sein, dessen Gewissen nicht rein war? Sirius hoffte, diesen Unterschied nie zu erfahren.

"Weißt du, dass ich euch vier beneidet habe?" Noch immer war Severus' Blick gesenkt, als würde er es nicht ertragen in Sirius' Augen zu sehen. "Und ich habe euch für eure bedingungslose Freundschaft gehasst!" Plötzlich sah Severus auf, und blickte ihn die schwarzen Augen vor ihm. "Und ich hasse euch noch heute dafür!" Und tatsächlich spiegelte sich Hass und Verachtung in Severus' Augen wider.

"Aber wir haben einen schmerzhaften Preis dafür bezahlt." Eine kurze Pause trat zwischen den beiden Kontrahenten ein. "James ist tot, Remus ist nur noch ein Schatten seiner selbst, ich habe einen Großteil meines Lebens weggeschlossen verlebt, und Peter ..." Den letzten Namen spie Sirius mit aller Verachtung aus, zu der er fähig war. Er vollendete den Satz nicht. Ließ ihn einfach im Raum stehen, unausgesprochen. "Ich wollte dieses Unglück verhindern. Stattdessen habe ich es erst so weit kommen lassen. Ich bin für den Tod von Lily und James verantwortlich. Ich habe sie dazu gebracht Peter zu wählen, den Verräter, ihren Mörder." Mit jedem Wort versuchte Sirius zu überzeugen. Mehr sich selbst, als seinen Gegenüber.

"Ich war mir nie wirklich sicher, wen du mehr schützen wolltest. Lily oder James?" Severus' Stimme war kalt und berechnend. Er hatte jedes der Worte mit Bedacht gewählt. Unmissverständlich. Und mit perfider Genugtuung sah er, wie Sirius bei den Worten zusammenzuckte. Also hatte er richtig gelegen. All die Jahre.

Sirius' Blick hetzte über das Gesicht des Zaubertränkelehrers. "Ich ... ich ...", begann er seine kläglichen Ausflüchte zurecht zu legen. Dann atmete er tief ein und richtete sich wieder zu voller Größe auf. "Was soll diese dämliche Bemerkung?"

"Black halt mich nicht für dumm. Du weißt genau, worauf ich hinaus will!" Und ob der Animagus wusste was Severus' Worte zu bedeuten hatten. Es stand ihm ins Gesicht geschrieben, leuchtend rot. Die Farbe der Scham zog sich über sein bleiches Gesicht. Ein höhnisches Lächeln umspielte Severus' Lippen, er genoss die Überlegenheit. Er mochte das Gefühl der Dominanz.

"Spinn dir nicht irgendwelchen Unsinn zusammen." Mit einer abwiegelnden Handbewegung versuchte er Severus' Aussage zu zerstreuen. Jedoch nicht sonderlich überzeugend.

"Wer war es? Lily oder James?", stichelte Severus mit seiner penetranten Stimme nach. Mit hassverzerrtem Blick sah Sirius den Zaubertränkelehrer an. Sein Brustkorb hob und senkte sich hektisch. Die Hände erneut zu Fäusten geballt. Jeden Muskel in seinem Körper war angespannt. Gepresst brachte er "Ich bring dich um!" hervor. Doch wider seiner Drohung rührte er sich nicht.

"Deine Reaktion beweist mir nur umso mehr, dass ich mit meiner Vermutung richtig liege!" Der Triumph war nicht aus Severus' Stimme zu leugnen. Er wusste, dass er recht hatte und Sirius wusste, dass er es wusste. Und diese Tatsache brachte ihn fast um den Verstand. Wie konnte dieser kleine hinterhältige Giftmischer nur die Unverfrorenheit besitzen und ihm diese Worte an den Kopf werfen. Er hatte kein Recht dazu, er dürfte es nicht einmal wagen. Und doch hatte er die unumstößliche Wahrheit ausgesprochen. Sein Geheimnis, verborgen in ihm all die Jahre. Lange Zeit hatte er sich selbst einreden können, dass es sich nur um ein Hirngespinst handelte, doch nun, da die Worte laut von jemand anderen ausgesprochen worden waren, konnte er ihren Wahrheitsgehalt nicht länger leugnen.

Desillusioniert sank Sirius auf die Knie. All sein Hass, seine Verbitterung schien mit einem Schlag von ihm gewichen zu sein. Er kam sich wie ein kleines Kind vor. Hilflos. Natürlich hatte Severus recht. Er hatte beide geliebt, Lily wie auch James. Er hätte für beide sein Leben gegeben, hätte sein eigenes ohne Zögern geopfert, hätte er ihre retten können. Wie oft hatte er sich in dunklen Nächten in seinem Gefängnis gewünscht, er wäre tot statt ihnen. Unzählige Male hatte er Möglichkeiten gesucht, die sie retten hätten können. Doch wenn er eine Wahl treffen hätte müssen, er hätte nicht gezögert. Seine Wahl wäre von Anfang an festgelegt gewesen. Und er hasst sich für diese Erkenntnis, für diese Schwäche. Es zog alles an das er glaubte in den Schmutz. All die Jahre, nichts weiter als Lügen und Verleumdung.

Der Zaubertränkelehrer trat dichter an ihn heran und beugte sich hinab. Sein Mund war nun nur wenige Zentimeter von Sirius Ohr entfernt. "Er wusste es!", hauchte er sanft in dessen Ohr.

Mit fragendem Blick sah Sirius dem dunkelhaarigen Mann in die Augen. Noch nie in seinem Leben war er dermaßen verwirrt, hilflos, allein gelassen, wie in diesem Moment. All seine Stärke schien mit einem Wisch verschwunden zu sein. Severus richtete sich wieder zur vollen Größe auf und ging in Richtung Tür.

Seine Hand verweilte einen kurzen Moment auf der Türklinke, als er ein leises "Ich hasse dich" vernahm. Danach verließ er den kleinen Raum und überließ Sirius seinen eigenen Gedanken.

Natürlich hasste Sirius ihn, genauso wie Severus ihn hasste. Sie waren so unterschiedliche Persönlichkeiten, sie konnten sich nicht vertragen. Wie Feuer und Eis einander vernichteten, so bekämpften sie sich auch. Sie stießen einander ab, und doch, mit perfider Sicherheit, trafen sie immer wieder aufeinander. Severus' und Sirius' Schicksal war miteinander verwoben, konnte einfach nicht voneinander getrennt werden. So sehr sie es auch versuchten.

Gedankenverloren strich Severus über sein schmerzendes Kinn. Sirius hatte einige gute Treffer gelandet, und sein Gesicht würde für einige Tage ziemlich blau und geschwollen aussehen. Schulterzuckend ging er seinen Weg in die Kerker weiter. Es war nicht das erste Mal, dass er mit diversen Verletzungen herumlief. Im Grunde gehörten Verletzungen zu seinem Alltag. Wie schnell man sich doch an diese Dinge gewöhnte.



 

 

  Kapitel 2

 

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