Gemeinsam Einsam

 

 

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Kapitel 2: Flucht nach vorne 

 



~*~

Lebtest du jemals?

Ich weiß es nicht!

Warum weißt du es nicht?

Weil ich darauf keine Antwort habe!

Ist das nicht sehr traurig?

Ich spüre keine Traurigkeit mehr!

Warum?

Weil ich bereits gestorben bin!

Ich bedaure dich.

Weil ich tot bin?

Weil du es glaubst.

~*~




Sirius versuchte sich zu erinnern, wann die Diskussion aus dem Ruder gelaufen war. War es, als er den ersten Schlag austeilte, oder als er seine Faust sinken ließ? Er wusste es nicht. Wollte es nicht wissen. Und doch quälte ihn die Gewissheit, dass er verloren hatte. Verloren gegen den Menschen, den er am abgrundtiefsten hasste von allen Menschen, die ihm jemals begegnet waren. Er hatte ihn besiegt, hatte ihn einfach hier zurückgelassen. In der Stille, nur mit sich selbst. Wäre es ihm lieber gewesen, wenn er geblieben wäre? Wäre seine Anwesenheit erträglicher gewesen, als diese undurchdringliche Ruhe? Auch auf diese Fragen hatte er keine Antwort, würde niemals eine erhalten.

Hass, Wut, Verzweiflung. Mächtige Gefühle ließen seinen Körper zittern, ihn erbeben. Er wollte um sich schlagen, alles in Trümmer zerlegen, bis kein Stein mehr auf dem anderen lag. Ihm war es egal, was andere über ihn denken mochten, ihm war es egal, ob sie ihn für verrückt hielten. Wahrscheinlich hatten sie sogar recht. Er war verrückt. Wer wäre es nicht geworden? Die Jahre, verschlossen hinter Gitter, nichts als seinen eigenen Geist als Gesellschaft. Kein Wunder, dass er nun endgültig durchdrehte. Aber er war nicht mehr in Askaban, er war nicht mehr allein, und doch fühlte er sich so. Allein gelassen, hilflos, verbittert. So schwer es ihm auch fiel, diese Gefühle sich einzugestehen. Sie waren in ihm, würden ihren eisernen Griff nicht von ihm lassen. Wie Klauen hatten sie sich um seinen Verstand geschlungen, ließen ihn nicht mehr los.

Severus hatte den Stein ins Rollen gebracht. ‚Er wusste es' hallte es immer und immer wieder durch seinen Geist. War dies die Wahrheit? Tränen sammelten sich in seinen Augen, wollten sich unter allen Umständen ihren Weg an die Außenwelt erkämpfen. Sollte er sie unterdrücken? Sollte er ihnen freien Lauf lassen? Sein Körper übernahm für ihn die Antwort. Während er noch über seine Möglichkeiten nachdachte, flossen die heißen Tränen bereits über seine Wangen. Sie kamen ihm fremdartig, unheimlich vor. Wann hatte er das letzte Mal geweint? Er wusste es nicht mehr. Tränen waren eine Kostbarkeit. Und er dachte er würde diese Rarität nie wieder sehen, jedenfalls nicht an sich.

"Severus", murmelte er leise. Seine Stimme war ruhig und gelassen, trotz der Gefühlsstürme, die in ihm tobten. Er hasst diesen Mann, von ganzem Herzen. Wünschte ihm mehr als allen anderen den Tod. Und doch ... Er war es gewesen, der seine harte Schale durchbrochen hatte. Durch ein paar nichtssagende Worte, die dennoch die ganze Welt zu beherrschen schienen. Es waren nur Worte. Eine einfache Anreihung simpler Buchstaben. Warum hatten sie solche Macht über ihn?

Sirius atmete tief ein, versuchte seine Verwirrung dadurch unschädlich zu machen. Und seltsamer Weise funktionierte es. Er wurde ruhiger, die Schauer die seinen Körper durchzogen, wurden schwächer, verebbten allmählich gänzlich. Langsam erhob er sich.

>Das Duell ist noch nicht entschieden!< Entschlossen wandte er sich der Türe zu, und begab sich auf die Suche nach Severus. Entweder würde er Antworten erhalten, oder er würde den schwarzhaarigen Zaubertränkelehrer töten. Es war ihm egal, ob er wieder nach Askaban zurück musste. Nichts konnte ihn aufhalten. Nichts würde ihn nun stoppen können. Severus war es ihm schuldig. All die Jahre der Verzweiflung. Hatte er kein Recht auf Erlösung?

~*~


Die Gänge erscheinen um einiges dunkler, wenn man sie ausgelaugt, einsam durchwandert. Sie kommen näher, wussten sie das? Nein, woher sollten sie auch, und doch ist es so. Stück für Stück rücken sie näher, erdrücken mich beinahe. Sie verschlingen, sind unersättlich. Sie saugen mir das Leben aus meinem verwunschenen Körper. Doch nie genug, um mich sterben zu lassen. Es ist eine Art Spiel, ein Spiel, bei dem ich von vornherein als Verlierer feststand. Es stört mich nicht einmal mehr. Es ist mein Schicksal.

Die Schüler glaubten immer, ich durchwandere diese Gemäuer um ihnen aufzulauern. Doch die Wahrheit ist simpler, leichter nachvollziehbar. Ich hasse mich, ich hasse mein Leben. Und ich möchte mich vergessen, mich in diesen Mauern verlieren. Hoffend, dass die alten Steine endlich ein Erbarmen haben, und mich sterben lassen. Nicht mehr und nicht minder. So war es, so ist es, so wird es auf ewig sein. Zweifeln sie daran?

Ich höre das stete Summen, die trostlose Symphonie, die mich hier ständig begleitet. Sie weicht nicht eine Sekunde lang von meiner Seite, ist mein ständiger Gefährte. Die Steine sprechen zu mir, nicht in Worte, in Emotionen. Es ist bedrückend, gespenstisch. Und doch möchte ich es nicht missen. Es gehört zu mir.

Ich bin auf der Suche. Auf der Suche nach einem Sinn, nach einem Grund. Für mein Leben? Vielleicht. Ist nicht allein die Suche es wert, weiter zu kämpfen? Auch wenn ich mich weigere es mir und anderen einzugestehen, ich kämpfe. Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr. Es ist mein Kampf, der bis zu meinem Tod gefochten werden muss. Und ich weiß es, doch noch bin ich nicht gebrochen. Noch gibt es einen Teil in mir, der dafür einsteht, weiter zu leben, weiter zu streben. Nach was? Liebe? Erlösung? Frieden? Womöglich alles zusammen. Antworten können so simpel sein, und doch so unverständlich.


~*~


Sirius sah den schwarzen Umhang trotz der Dunkelheit. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund war Sirius einfach nur gegangen, ohne nachzudenken wohin. Seine Füße hatten ihn zu dieser Stelle getragen, sein Verstand hatte sich einfach ausgeklinkt. Und es war die richtige Entscheidung gewesen. Sie hatte ihn direkt zu dem Mann geführt, den er beinahe verzweifelt gesucht hatte. An einem anderen Tag, zu einem anderen Ort, hätte er über diesen Gedanken lachen können. Er war seinem Erzfeind Nummer eins gefolgt, um ihn ... Genau wusste er auch noch nicht, warum er Severus nicht einfach gehen lassen konnte. War es die Tatsache, dass Severus ihre Unterhaltung so abrupt abgebrochen hatte? Ihn mit all seinen Fragen allein gelassen hatte? Oder einfach, weil er wissen wollte, was Severus alles wusste und woher? War es einfache Neugierde? Sirius zerbrach sich nicht weiter den Kopf. Er war immer schon ein impulsiver Mensch gewesen, und er beabsichtigte nun nicht, mit dieser Charaktereigenschaft aufzuhören. Auch wenn sie ihn mehr als einmal in Schwierigkeiten gebracht hatte.

Nur noch wenige Schritte und er hatte den Zaubertränkelehrer eingeholt. Und dann? Er würde es schon noch sehen. Sirius streckte den rechten Arm aus. Griff nach der Schulter des Mannes vor ihm. Nur noch wenige Zentimeter und er würde die Schulter zu fassen bekommen, als er die dumpfe Stimme von Severus vernahm: "Ich dachte wirklich, wir hätten uns alles gesagt!"

Sirius blieb stehen, und ließ überrascht die Hand sinken. Severus ging noch einen Schritt vorwärts und drehte sich dann um. Obwohl es einigermaßen dunkel in den Gängen von Hogwarts war, konnte Sirius die Verunstaltung in Severus' Gesicht in vollem Ausmaß erkennen. Sein Auge war noch um einiges mehr geschwollen als noch vor einigen Minuten. Seine Nase stand immer noch in einem ziemlich unnatürlichen Winkel ab. Seine Oberlippe war überdeutlich geschwollen und an einer Stelle aufgeplatzt. In diesem Moment wusste Sirius, dass er ihm kein weiteres Haar krümmen würde. Nicht, weil er der Meinung war, dass Severus genug Prügel für einen Abend eingesteckt hatte, sondern vielmehr, weil Sirius über seine eigene Brutalität erschrocken war. Wie hatte er sich überhaupt dazu hinreißen lassen können? Wie hatte die Situation überhaupt so ausufern können? Ironischer Weise musste er sich eingestehen, dass er es nicht mehr wusste. Er konnte sich an die Ereignisse vor der Schlägerei nur noch schemenhaft erinnern. Wusste nicht einmal mehr, warum er überhaupt zu Severus gegangen war.

"Willst du mich weiter verprügeln, oder nur dein Werk bestaunen?" Die Gleichgültigkeit in der Stimme des dunkelhaarigen Mannes, ließ Sirius bitter schlucken. "Ich...ich weiß nicht warum ich dir gefolgt bin. Vielleicht wollte ich weiter auf dich einprügeln. Doch das ist nicht mehr von Belang." Betreten ließ Sirius den Kopf sinken und starrte demonstrativ auf den Boden. Ihm war diese Situation mehr als peinlich. Am liebsten wäre er im Erdboden versunken, und nie wieder an die Oberfläche zurückgekehrt. Warum gerade jetzt? Sirius verstand die Welt nicht mehr. Er fühlte sich ertappt. Und er bemerkte wie ihm die Schamesröte ins Gesicht fuhr.

Nach einigen Momenten des Schweigens, erwiderte Severus: "Auf den Gängen zu reden, ist keine sonderlich gute Idee. Ich würde empfehlen wir gehen lieber in die Kerker. Dort wird uns sicherlich keiner stören." War wirklich ein Anflug von Freundlichkeit in Severus' Stimme? Könnte es tatsächlich sein? Sirius schüttelte in Gedanken mit dem Kopf. Er musste sich einfach getäuscht haben. Eher würde die Hölle mit Eis bedeckt sein, als dass Severus Snape zu ihm freundlich sprach.

Er hörte leise Schritte, die sich von seinem Standpunkt entfernten. Als er aufsah, war Severus bereits einige Meter von ihm entfernt. Wider besseren Wissen folgte er dennoch dem Zaubertränkelehrer. Dieser Abend nahm völlig ungeahnte Formen an. Und dies war erst der Beginn einer langen Nacht. Dessen war sich Sirius wie auch Severus sicher.

~*~


Es war das erste Mal, dass Sirius sich in den Privaträumen von Severus aufhielt. Doch er war in keinster Weise überrascht. Er hatte sich die Räume immer in etwa so vorgestellt. Düster, trostlos, keinerlei Persönlichkeit. Es passte zu Severus. Unzählige Bücher waren an den Wänden aufgestapelt worden. Für ungeübte Augen schienen sie in einem wirren Durcheinander, doch Sirius erkannte die Struktur, auch wenn es einige Zeit dauerte. Severus war ein Perfektionist, penibel durch und durch. Er überließ nichts dem Zufall. "Ich hatte mir deine Räume schon so ähnlich vorgestellt." Noch immer ließ Sirius seinen Blick über die Innenausstattung schweifen.

"Wenn du Smalltalk mit mir führen willst, denke ich doch, dass du lieber gehen solltest." Mit eisiger Stimme unterstrich Severus seine Aussage überdeutlich. Und dennoch wies er mit seiner Hand auf einen der Stühle, die vor seinem Schreibtisch standen. Sirius überlegte einen kurzen Moment, und beschloss dann, dass er es doch eher vorzog sich zu setzen. Er war nun so weit gekommen. Er würde nicht aufgeben, und mit eingezogenem Schwanz abziehen. Er würde es durchstehen, komme was wolle.

Sirius setzte sich auf den Stuhl und versuchte sich nicht allzu sehr anmerken zu lassen, wie unangenehm ihm diese Situation war. Es kostete ihn einiges an Anstrengung, und er wusste, dass seine Bemühungen sinnlos waren. Dennoch versuchte er weiterhin einen gelassenen Eindruck zu vermitteln. Severus stellte vor ihm einen Cognacschwenker auf den Tisch, bevor er sich mit einem eigenen Glas in der Hand auf einen Stuhl fallen ließ. "Also?", durchdrang seine dumpfe Stimme die Stille, die sich zwischen den beiden Männern aufgebaut hatte.

Wie schwer konnte es sein einen Anfang zu finden? In diesem Augenblick schien dies für Sirius eine unüberwindbare Barriere zu sein. Immer wieder und wieder formten sich Sätze in seinem Geist, die er dann doch wieder verwarf. Er wusste einfach nicht, mit welcher der vielen Fragen er beginnen sollte. Einfach herausplatzen mit der ersten Frage die ihm einfiel, konnte und wollte er nicht. Er wollte sich nicht noch einmal die Blöße vor dem Mann geben, den er so hasste. Und trotzdem wusste er, dass es nicht möglich war, aus diesem Gespräch mit erhobenen Haupt hervorzugehen. Diese Situation entbehrte nicht einer gewissen bitteren Komik. Er, Sirius Black, jahrelanger Insasse des gefürchteten Zaubergefängnisses, saß verlegen und schüchtern vor dem gefürchtetsten Lehrer in Hogwarts, und schaffte es einfach nicht einen vernünftigen Satz zu formulieren.

Sirius atmete noch einmal tief durch, sammelte all seine übriggebliebene Energie und sprach einfach das Erste aus, was ihm in den Sinn kam. "Warum hast du mir damals vertraut und bist in den Gang unter der Peitschenden Weide gegangen?" Die Worte waren ausgesprochen, und Sirius konnte einfach nicht glauben, was er soeben gesagt hatte. Wie kam er jetzt in diesem Augenblick auf dieses Ereignis? Unverständlich sah er in die dunkelschwarzen Augen seines Gegenübers. Und die Emotionen die sich darin spiegelten trieben ihm ein zynisches Lächeln auf die Lippen. Noch nie zuvor hatte er Severus dermaßen verwirrt gesehen. Doch dieser Zustand hielt nur einige Sekunden an, dann schob sich wieder diese perfektionierte Gleichgültigkeit über die kohlrabenschwarzen Augen. Eine Maske aus Stein, ein totes Gesicht. Und doch entbehrte es nicht einer gewissen Eleganz, einer gewissen Anmut, auch wenn Sirius diese Gedanken niemals laut aussprechen würde.

"Naivität, kindliche Neugierde. Such dir etwas davon aus." Auch wenn Severus im tiefsten Inneren gehofft hatte, damit die Diskussion zu beenden, so sah er im ersten Augenblick nachdem er seine Aussage laut ausgesprochen hatte, dass damit die Unterredung noch lange nicht zu ihrem Ende gekommen war. Severus schloss kurz die Augen um sich zu sammeln. Diese Frage hatte ihn doch sehr überrascht, und er scheute, eine wahrheitsgemäße Antwort darauf zu geben. Und doch ... er würde sie beantworten. Aus ihm unerfindlichen Gründen. "Ich habe dir vertraut, ich wollte dir vertrauen. Auch wenn ich wusste, dass du mich hasst, ich konnte es zu diesem Zeitpunkt nicht." Die Worte verteilten sich gemächlich in der Stille des Raumes. Hingen unheilvoll zwischen ihnen. War es ein Fehler gewesen? Severus merkte, wie sein perfektionierter Panzer aus Abneigung, Hass und Gleichgültigkeit einen zarten Sprung erhielt. Er spürte es mit jeder Faser seines Körpers, und er hatte Angst vor dieser Tatsache. Nervös wartete er auf Sirius' Reaktion.

 

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