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Kapitel 4: Seltsame Höhen 

 



~*~

Ich sah den Abgrund.

Und du bist davor zurückgeschreckt?

Ich wich zurück, hatte Angst von ihm hinabgezogen zu werden.

Hast du diese Angst noch immer?

Ich fürchte den Abgrund nicht mehr.

Warum weichst du nicht mehr zurück?

Weil er zu mir gehört.

Und das macht dir keine Angst mehr?

Doch, aber die Erkenntnis schützt mich.

~*~




Es gibt Dinge im Leben, die können nicht verhindert werden. So sehr sich die Menschen auch anstrengen, sie können das vom Schicksal Gewollte nicht ungeschehen machen. All ihre Bemühungen verlaufen ins Leere, und doch strengen sie sich mehr und mehr an, diese Tatsache zu ändern. Ein sinnloses Unterfangen. Auch ich versuchte zu vergessen, die Träume, die Gesichter. Ich versuchte sie zu ertränken. Und doch waren sie da. Glotzen mich an. Trieben die Schuldgefühle voran. Ihre anklagenden Augen, starrten mich aus der Dunkelheit an. Sie wussten um meine Schuld. Ich hörte die stummen Schreie, wenn ich die Augen schloss, und öffnete ich sie wieder, waren sie immer noch da. Die Toten, die Lebenden. Und doch alle in einem Merkmal verbunden. Durch mich. Es waren die Gesichter derer, die durch mich den Tod fanden. Es waren die Gesichter derer, die durch mich kein Leben mehr hatten. Es ist schwer, unsagbar schwer mit dieser Schuld zu leben.

Auch als ich Sirius weiter ins Ungewisse folgte, sahen sie mich an. Mit ihren traurigen, toten Augen. Ich versuchte sie zu ignorieren. Und doch gelang es mir nicht. Ich sah jedes einzelne Opfer von mir, erinnerte mich an jede Tat. Vor mir glitt der dunkle Umhang von Sirius weiter in die Schwärze, verschwamm fast vollständig mit der Dunkelheit. Meine Füße trugen mich voran, ohne das Ziel zu kennen. Ich wusste nicht, warum ich ihm überhaupt folgte, warum ich diesem unwiderstehlichen Drang in mir nicht widersprach. Ich sollte! Ich musste! Doch ich konnte nicht. Meine Lippen waren versiegelt, konnte kein Wort der Gegenwehr aussprechen. Als wäre ich unter einen Bann. Wir bogen in unzählige schmale Gänge ein, ich hatte schon vor einiger Zeit die Orientierung verloren. Aber es kümmerte mich nicht. Es war mir egal, solange ich nur diese schemenhafte Gestalt vor mir sah. Sie war wie ein Leuchtfeuer, wie ein Leuchtturm in einer stürmischen Nacht. Instinktiv wusste ich, dass ich verloren wäre, würde ich Sirius aus den Augen verlieren. Verloren in einer Welt, die ich selbst geschaffen hatte, die ich selbst erzeugt und aufrecht erhalten hatte. Welch Ironie des Schicksals.

Wie ein Schatten glitt er weiter und tiefer in die Eingeweide diesen alten Schlosses. Bis zu diesem Zeitpunkt dachte ich, ich kenne jeden Winkel dieser alten Mauern, doch mir wurde schmerzhaft bewusste, dass dies nur ein Trugschluss gewesen war. Im Grunde wusste ich nichts. Kannte nur die Oberfläche, habe mich niemals mit dem Verborgenen beschäftigt. Ich war gefangen in meiner Welt, begrenzt und einsam. Dinge, die so offensichtlich waren, blieben mir bisher verborgen. Diese Erkenntnis schmerzte. Warum habe ich mich niemals mit dem auseinandergesetzt das direkt vor meiner Nase vorhanden war? Hatte ich Angst? Wäre es wirklich so schlimm gewesen, wenn ich mich diesen Dingen gestellt hätte? War es überhaupt aus eigenem Willen? Wie leicht wäre es doch gewesen, diese letzte Frage mit Nein zu beantworten. Wenn ich sagen könnte, nicht ich lenkte mein Schicksal. Kräfte stärker, mächtiger als wir Menschen zogen an Fäden, die unser Leben bestimmten, wie Puppenspieler. Wäre dann nicht alles viel einfacher?

Sirius war nur mehr sehr undeutlich vor mir zu erkennen, fast befürchtete ich, ihn zu verlieren. Auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, kein schmerzlicherer Verlust hätte mir in diesem Moment wiederfahren können. All mein Denken, meine Handlungen an diesem Abend. Nur ausgerichtet auf einen kostbaren, alles verzehrenden Moment. Und der Mann vor mir war der Schlüssel zu diesem Mysterium. In beinahe freudiger Erwartung beschleunigte ich meine Schritte.

~*~


Als die beiden Männer hinaus in die Nacht traten, entblößte sich über ihnen ein sternenklarer Himmel. Nicht eine einzige Wolke versuchte ihren Triumphzug über den Himmel anzutreten. Es schien als hätte sich der Himmel mit den beiden Männern verschworen. Ein unausgesprochener Pakt, geschlossen in der Unendlichkeit. Das Licht des Vollmondes schien kräftig herab und tauchte die Umgebung in ein beinahe überirdisches Ambiente. Gewohnte Formen erschienen vollkommen verwandelt. Als ob sie ein Reich betreten hätten, welches sich jenseits bekannter Möglichkeiten befand. Nichts schien real, und doch war alles wirklich. Die Farben, die Formen in ihrer unwirklich schönen Eleganz. Die Anmut, die diesem Augenblick innewohnte war atemberaubend. Einzigartig. Mysteriös.

Sirius stand in der Mitte des Platzes, hoch über den Dächern von Hogwarts. "Es ist ein seltsamer Platz", hauchte Sirius in die Leere vor sich. "Eigentlich kann er nicht existieren, und doch stehen wir nun hier." Eine kurze Pause, in der Sirius seine Worte wirken lassen wollte. "Spürst du die Magie? Spürst du den Zauber, der sich hier sammelt?" Sirius hatte den Kopf leicht zur Seite geneigt, und betrachtete den Mann hinter sich aus den Augenwinkel. Er sah den zynischen Blick, den Unglauben in den Augen des Zaubertränkelehrer. Er erkannte, dass Severus seine Begeisterung nicht teilte. Noch nicht. Doch er wusste, dass Severus schon noch verstehen würde. Er war ihm bis hierher gefolgt, er würde sich ihm auch noch weiter anschließen. Obwohl er nie wirklich geglaubt hatte, dass Severus ihm so bereitwillig hinterher gehen würde. Ihm ohne Erklärungen, ohne eine weiteres Wort hierher nachkommen würde. Er hatte es gehofft. Ja! Doch er hatte insgeheim nicht damit gerechnet.

"Ja!" Severus' Stimme war gepresst, als ob er sämtliche Kraftreserven mobilisieren musste, um dieses einfache Wort hervorzubringen. Ein zynisches Lächeln umspielte Sirius' Mundwinkel. Dieses Eingeständnis von Severus war alles, was er noch brauchte. Sein Blut begann in seinen Adern zu rauschen, brauste durch seine Venen mit ungeheuer Geschwindigkeit. Ein ungewohntes, befremdliches, jedoch nicht unangenehmes Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus. War es dieser Ort? War es die Anwesenheit des Anderen? War es beides zusammen? Er wusste es nicht, wollte es eigentlich auch nicht wissen. Es spielte keine Rolle. Lediglich die Tatsache, dass er hier war, und Severus. Dies hatte für ihn Bedeutung, nichts anders. Er warf seine Zweifel, seine Bedenken, seine Befürchtungen über Bord, und überließ sich vollkommen den Gegebenheiten.

Er verließ die Mitte und ging bis an den Rand der Plattform. Hier! Jetzt! All seine Bemühungen schienen mit einem Schlag belohnt zu werden. Nichts konnte sein Hochgefühl nun trüben. Es war diese seltsame Eigenart dieses Platzes, die ihn immer wieder magisch anzog. Dieses Gefühl, welches sich in seinem ganzen Körper ausbreitete, wenn er genau an dieser Stelle stand. Sein gesamter Körper schien in Extase. Dieses Gefühl, es entschädigte für längst vergangene Entbehrungen. War die Erfüllung längst vergessener Träume. Es war ein Strudel aus Licht und Dunkelheit. Gut und Böse. Gewissheit und Unwissenheit. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass Severus an seine Seite getreten war. "Spürst du es? Hörst du es?" Doch im selben Moment wusste er, dass Severus diese Fragen mit Nein beantworten würde. Severus' fragender Blick unterstrich diese Aussage nur noch.

Langsam trat er einen Schritt zurück und stellte sich dicht hinter den schwarzhaarigen Mann. "Schließe die Augen", hauchte er leise in dessen Ohr. "Lass dich einfach fallen. Gib dich dem Zauber hin.... Kannst du jetzt die Stimmen hören? Kannst du jetzt den Wind pfeifen hören?" Sirius trat noch dichter an den Zaubertränkelehrer heran. Er schloss ebenfalls die Augen und sog tief die Luft ein. Severus Aroma, dieser unvergleichliche Duft reizte seine Geruchsnerven bis aufs Äußerste. Fremd und doch gleichzeitig bekannt. Obwohl er ihn mit keiner Stelle seines Körpers berührte, konnte er die Wärme des Körpers vor sich spüren. Ein Feuer, welches alles verzehrte, das sich in seinen Weg stellte. Es loderte, es brannte. Auch wenn Severus es selbst nicht wusste. Seine Existenz immer verleugnete. Erneut konnte er die Energie durch seinen Körper fließen spüren. Nicht so intensiv, wie am Rand der Plattform, doch immer noch stark genug, um ihm beinahe die Sinne zu rauben.

Severus ließ sich von der einschmeichelnden Stimme hinter sich umgarnen. Wie ein Netz aus samtweichen Fasern schlang es sich um sein Denken. Ließ keinen Platz für unnötige Gedanken. Auch wenn er im ersten Moment nicht wusste, wie er den Anweisungen von Sirius folgen sollte, auf einmal ging alles wie von selbst. Er fühlte sich leicht, benommen, schwerelos. Ließ seinen Geist einfach frei. Und dann. In diesem Augenblick, wusste er es. Er wusste, wovon der Animagus die ganze Zeit gesprochen hatte. Zuerst war es nur ein leises Wispern. Doch es schwoll mit jeder vergehenden Sekunde mehr und mehr an. Es riss ihn mit sich, versetzte ihn in einen Taumel aus Gefühlen, Emotionen. Zog ihn vollkommen in seinen Bann. Alles schien mit einem Mal völlig einfach zu sein, sogar ohne jeglichen Belang. Nichts schien mehr wichtig zu sein, und doch war alles von einer Intensität, die ihres gleichen suchte. Der Chor aus fremden Stimmen schwoll weiter an, erreichte bedrohliche Höhen. Severus wollte schreien. Diesem Spuk ein für allemal ein Ende setzten. Er wollte keine Marionette sein in einem ihm unbekannten Spiel. Er wollte seine Hände in die Höhe reißen und sie so fest er konnte auf seine Ohren pressen. Diesen Stimmen; dieser Stimme, eine Unterscheidung war kaum noch möglich, damit Einhalt gebieten. Doch er konnte nicht. Etwas; er selbst hinderte ihn daran. Er war zerrissen. Verbannung und Erlösung erschienen auf brutale Art und Weise miteinander zu verschmelzen. Einsamkeit und Glückseligkeit, untrennbar miteinander vereint.

Erschrocken riss er die Augen auf. Sein Atem ging heftig, und sein Herz pochte beängstigend in seiner Brust. Er fühlte sich verletzlich, verwirrt. Gefühle, die noch nie zuvor so intensiv waren, schwammen an die Oberfläche seines Denkens. Panik begann in ihm empor zu steigen. Was war gerade mit ihm geschehen? War dies nur ein perverses Spiel, in dem er die Hauptfigur mimen sollte? Benommen versuchte er einen Schritt zurück zu treten, und prallte gegen Sirius. Mit einer schnellen Drehung wandte er sich um. Sirius Gesicht war so dich an seinem, dass sich ihre Nasen beinahe berührten. Noch immer verwirrt, sah er in die dunklen Augen seines Gegenübers.

 

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