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Kapitel 5: Schlafende Bestien 

 



~*~

Hast du jemals geliebt?

Nein, es war mir verboten.

Verboten? Wie kann Liebe verboten werden?

Leichter als du denkst.

Und du hast dich daran gehalten?

Mir blieb nichts anderes übrig.

Warum? Du hättest dich wehren können.

Gegen mich selbst?

~*~


Severus atmete flach, sah immer noch in die dunklen Augen von Sirius. Sein ganzer Körper war verhärtet vor Anstrengung, die Emotionen, frei, ungezwungen, wirbelten immer noch durch seinen Geist. Ließen längst verstorbene Geister vor seinen Augen wiederauferstehen, und sterben. Beschworen längst vergangene Erinnerungen. Er durchlebte all diese grausamen Momente ein weiteres Mal. Er fühlte sich, als ob er in seinem schlimmsten Alptraum gefangen wäre. Immer und immer wieder wurden ihm seine Fehler, seine Ängste, vor Augen geführt. Nicht wie in seinen Träumen, in denen er schweißgebadet aufwachte, bevor sie sich in ihrer vollen Grausamkeit ausbreiten konnten. Wie viele Nächte waren es bereits, in denen er mit einem Schrei auf den Lippen aufgewacht war. In denen er versucht hatte, wieder einzuschlafen, und dennoch Angst hatte, dass die Träume wieder kommen würden. Und aus diesem Grund lieber in der Einsamkeit der Nacht bis zum Morgengrauen vollkommen wach ausgeharrt hatte. 100 Mal? 1000 Mal? Severus wusste es nicht, doch er wusste, dass er beinahe jede Nacht von ihnen heimgesucht wurde. Und er würde es auch jede Nacht seines verdammten Lebens. Es war seine Art Buße zu tun. Diese Angst, diese Verzweiflung zu ertragen. Er hatte seine Hände in Blut getaucht. Und nicht nur einmal. Er hatte getötet. Im Namen Voldemorts, im Namen Dumbledores. Für das Böse wie auch für das Gute. Für einen Zweck, den er nur erahnen konnte. Er hatte niemals die Beweggründe hinterfragt für sein Tun. Er hatte gehandelt. So wie er es immer tat und auch immer wieder tun würde. Er war nur eine Spielfigur in einem überdimensionalen Schach. Zug um Zug. Fiel eine der Figuren, wurde eine andere an deren Stelle platziert. Sinnlos und doch notwendig.

Severus merkte, dass er noch immer Sirius gegenüberstand ohne ein Wort mit ihm gewechselt zu haben. Auch Sirius war indessen still gewesen, als ob er geahnt hätte, dass noch nicht die Zeit zum Reden gekommen war. Tief in seinem Inneren fühlte sich Severus benutzt. Verbraucht von dem Mann vor sich. Er spielte mit ihm, so wie alle anderen es taten. Er fühlte sich einfach reduziert auf eine leblose Hülle, die von einer Seite des Spielbretts zur anderen geschoben wurde. Doch trotz all dieser Überlegungen, kam die gewohnte Gleichgültigkeit wieder in ihm auf. Es war ein vertrautes, ein willkommenes Gefühl. Dieses stumpfe Gefühl, welches jegliche andere Gefühlsregung ausschloss. Es war seine Art zu leben. Es war seine Art um zu überleben.

"Bist du jetzt schon so erbärmlich, dass du dich solch primitiven Ablenkungen hingeben musst? Sogar von dir hätte ich mehr erwartet, als diese billigen Zaubertricks." Severus beobachtete die Veränderung in den dunklen Augen des Anderen. Zuerst Verwirrung, dann Beschämtheit und dann endlich Wut. Wut auf ihn, dass er es wagte, dieses Erlebnis so in den Dreck zu ziehen. Sirius hatte mit ihm etwas geteilt, das wahrscheinlich niemand sonst kannte. Ein Geheimnis, das er von ganzem Herzen beschützt hatte. Und er wagte es, und gab es der Lächerlichkeit frei. Severus erkannte die Enttäuschung, die Verachtung die ihm nun der Animagus wieder entgegenbrachte. Genau so wie er es gewollt hatte. Es war leichter. Leichter für ihn und für Sirius. Dieser ganze Abend war aus dem Ruder gelaufen, hatte ungeahnte Formen angenommen, zu seiner eigenen und wohl auch zu der Bestürzung Sirius'. Wie konnten sie nur annehmen, dass sie ... Was eigentlich? Sich verstehen? Sich akzeptieren? Nach all der Zeit? Tief in seinem Inneren hatte Severus es gehofft, womöglich sogar herbeigesehnt. Doch es durfte nicht sein. Severus war einfach zu tief verstrickt in sein eigenes klägliches Leben, er konnte es sich einfach nicht leisten, ein solch gefährliches Spiel einzugehen. Lieber jetzt ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende, wie die Muggel es nennen würden. Doch diese Redewendung beschrieb diese verwirrende Situation wohl am Besten. Er hatte schon viel zu viel von sich freigegeben. Hatte Dinge zugeben, die er sich selbst nie eingestanden hätte. War es nicht genug Schmach für diesen Abend? Für dieses Leben?

Sirius' Augen blitzten gefährlich und das Tier, das in ihm ausharrte, schien erneut die Kontrolle zu übernehmen. Ein Wesen, so alt und animalisch, so verschlingend, so einfach gestrickt. In dem Moment, als die Hand von Sirius vorschoss und sich erneut um Severus' Hals legte, wusste Severus, dass dies seine letzten Momente waren. Und seltsamerweise war er froh darüber. Er hatte den Tod gesucht, und nun endlich schien er ihn gefunden zu haben. Der Kreis schloss sich. Der Anfang wurde zum Ende, das Ende zum Anfang. Alles nur eine längst überfällige Reaktion.

Sirius' Hand hielt in mit eisernem Griff fest, schnürte ihm, wie bereits zuvor am Abend, die Luft zum Atmen ab. Er wurde weiter an den Abgrund geschoben. Es mussten nur noch wenige Zentimeter sein, und seine Füße würden über dem Abgrund baumeln. Doch statt Angst verspürte er eine gewisse Befriedigung. Er hatte sein Ziel erreicht, auch wenn ihm bis zu diesem Zeitpunkt nicht klar war, dass es überhaupt vorhanden war. Gleich würde Sirius seine Hand von seiner Kehle lösen, und ihn somit in den Abgrund stürzen lassen. Er würde in die Tiefe fallen, und sein gesamtes Leben würde vor seinen Augen wie in Zeitraffer ablaufen. Er würde fallen und fallen, und dann würde ihn die Dunkelheit empfangen. Nach all der Zeit, würde es endlich vollbracht sein. So lange hatte er auf diesen Augenblick gewartet. Die Sekunden vor seinem Tod, die kurze Zeitspanne bevor sein nutzloses Leben endlich sein Ende finden würde. Eine schwere Last fiel von seinen Schulter. Das erste Mal seit langer Zeit fühlte er sich frei, losgelöst. Es war ein angenehmes Gefühl, doch der Preis dafür war immens. Doch er war bereit ihn zu zahlen.

"DU FLEHST MICH AN DICH ZU TÖTEN?" Sirius schrie die Worte Severus ins Gesicht. Sein Verachtung, seine Wut, seine Abneigung hatte sich in diesen Worten manifestiert, trieben unheilvoll in der Stille der Nacht. Severus versuchte ein spöttisches Lächeln auf seinen Lippen erscheinen zu lassen. Es gelang ihm nur zum Teil. Er fühlte, wie mit jedem Atemzug das Leben aus seinem Körper wich, wie er mit jedem Schnappen nach Luft schwächer wurde. Das Leben wurde aus ihm herausgepresst. Mit roher Gewalt und doch nicht ungewollt. Zu feige um es selbst zu erledigen Er selbst konnte es nicht tun, also musste die Schmutzarbeit ein anderer vollbringen. Es war erbärmlich. Er hatte so laut nach dem Tod geschrieen, hatte Nacht für Nacht nach ihm gefleht. Und endlich schien sein Bitten erhört zu werden. Dies war anscheinend der Moment, in dem sich sein Schicksal vollendete. In dem alles auf das ersehnte Ende hinauslief.

"Ja!", presste er zwischen seinen Zähnen hervor. Dieses einzelne Wort hatte ihm seinen letzten Vorrat an Kraft geraubt. Immer mehr verschwommen die Konturen vor seinen Augen, wurden zu eine treibenden Masse aus Formen und Farben. Der Schmerz verlor sich. Sein Körper wurde taub. Es war ein befremdliches Gefühl, und doch seltsam vertraut. Severus konnte sich dem Gefühl der Geborgenheit, der Sicherheit nicht verwehren.

Doch plötzlich wurde sein Geist zurück in seinen Körper gezogen. So sehr Severus sich auch sträubte, eine kalte Hand schloss sich um seinen Geist und riss ihn zurück in die Realität. Grausam, kalt, schrecklich. Er befand sich nicht mehr über dem drohenden Abgrund, sondern lag wieder in der Mitte des Platzes. Unwillkürlich griff Severus sich an den schmerzenden Hals, und versuchte durch massieren eine Linderung herbeizuführen. Es gelang ihm nur zum Teil. Er war der Beweis dafür, dass er auch diesmal sein Ziel verfehlt hatte. Er war nicht tot, er lebte.

"Wenn du sterben willst, mach es doch selbst! Ich bin nicht nur ein Werkzeug, das du für deine Zwecke benutzen kannst. Ich sagte es bereits am heutigen Abend, wegen dir werde ich nicht zum Mörder!" Severus schloss die Augen und schluckte. War es wirklich so, dass er Sirius nur als Werkzeug angesehen hatte? Seine Gedanken brausten durch sein Gehirn, hinterließen nur schmale Spuren, welche von ihrer Existenz zeugten. Ja, es war so einfach. Ja, er benutzte Sirius, ebenso wie Sirius ihn benutzte. War ihr gesamtes Leben nicht eine einzige Farce? Sie hassten sich, und doch waren sie hier auf diesem Platz, an diesem verwunschenen Ort. Sie konnten nicht voneinander lassen, hingen zusammen wie die gegensätzlichen Pole eines Magneten. Verbunden bis in alle Ewigkeit. So sehr sie es auch versuchten, das Schicksal trieb einen Keil in ihre Bemühungen. Sie würden sich niemals trennen können. Und diese Nacht, unter diesem Himmel wurde ihr Band für immer verwoben. Geflochten zu einem Strang, den keine Kraft auf Erden durchtrennen vermochte. War dies nicht auch eine Form der Grausamkeit? Mit dem Menschen verbunden zu sein, den man am meisten hasste und doch gleichzeitig am meisten liebte? Erst jetzt wurde ihm der vollkommene Sachverhalt in seiner gesamten Rohheit bewusst. All die Jahre in denen er sich gefragt hatte, warum er Sirius so sehr hasst. Und in denen er den Animagus doch nicht vergessen konnte. Askaban hatte für Severus eine Art Sicherheit bedeutet. Doch auch dies war ein Trugschluss gewesen. Sirius hatte überlebt, war nicht dem Wahnsinn preisgegeben worden. Und er war geflohen. Er war froh darüber gewesen, und doch hatte er sich gewünscht, dass der Animagus starb. Welch seltsame Ironie!

Langsam richtete Severus sich wieder auf. Er würde nicht noch einmal vor Sirius kriechen, würde ihm nicht seine Schwäche zeigen. Er wollte, dass sich das Blatt wendete. Und er wusste auch schon wie. "James bedrückte die Tatsache, dass du ihm dein Geheimnis verschwiegen hast. Es zerriss ihn beinahe, zu wissen, dass du ihm nicht genügend vertrautest. Warum konntest du es ihm nicht einfach sagen? Hattest du wirklich soviel Angst? Angst vor deinem besten Freund? Angst vor der Ablehnung? Wäre es wirklich so schwer gewesen einfach zu sagen, wie sehr ..." Severus wurde in seinem Satz jäh unterbrochen, als Sirius einen Faustschlag in seinem Gesicht landete. Eine erneute Welle des Schmerzes überrollte ihn und raubte ihm beinahe die Sinne. Er taumelte leicht, fing sich aber relativ schnell wieder. Verwirrt sah er in das Gesicht seines Angreifers. Er hatte erwartet die bekannte Feindseeligkeit darin zu erkennen, die gewohnte Antipathie, den erhofften Zorn. Doch Sirius' Gesicht spiegelte keine dieser Emotionen wider. In seinen dunklen Augen lag lediglich Trauer. Unendliche und tiefe Trauer.

"Was weißt du schon davon? Für dich ist es ja nur ein Spiel. Ein Spiel um die Langeweile zu vertreiben. Du benutzt Leute, manipulierst sie. Du tötest sie! Severus, das Leben ist nicht nur ein Spiel. Es ist mehr als das. Doch du erkennst es nicht. Ich habe es erkannt, und es hat mich beinahe zerstört." Sirius' Stimme war leise, geschwängert voll Bitterkeit und Traurigkeit. "Sieh dich doch mal um. Die Leute fürchten dich. Sie haben Angst vor dir. Und doch empfinden sie Mitleid für dich. Und du hasst es, nicht wahr? Du erträgst diesen Ausdruck nicht, der dir sagt, wer du wirklich bist. Der all deine jahrelang aufgebaute Schale durchbricht und zu dem vordringt, was du in Wahrheit bist. Ein einfacher schwacher Mensch. Nicht mehr und nicht weniger."

Severus sah im tief in die Augen. Er versuchte seine wirren Gedanken unter Kontrolle zu bringen. In den Augen, die ihn so voller Schmerz ansahen, Halt zu finden. Er klammerte sich an eine Tatsache, die gerade durch Sirius' Worte in Schutt und Asche gelegt worden war. Und dann herrschte auf einmal Stille, absolute Ruhe. Weder in seinem Denken, noch in der Umgebung um ihn herum war eine Bewegung zu erkennen. Es war, als ob die Zeit still stehen würde. Unwillkürlich begannen seine Mundwinkel zu zucken, sein Mund verzerrte sich zu einer grotesken Obszönität eines Lachen, und tief aus seiner Kehle drangen Laute die einem Lachen ähnlich waren. Doch sie schienen mehr zu einem Tier zu gehören, als zu einem Menschen.

Sirius lief ein kalter Schauer den Rücken runter. Er war zu weit gegangen.

 

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