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Kapitel 6: Erwachen 

 



~*~

Einst wolltest du mich töten.

Ja, ich weiß.

War ich so eine Bedrohung für dich?

Damals warst du es.

Hättest du um mich geweint?

Nein, wahrscheinlich nicht.

Und heute?

Ich könnte nicht einmal um mich weinen.

~*~


Sirius sah den Mann vor sich an. Kalte Schauer liefen seinen Rücken hinab. Das Wesen vor ihm war nicht länger ein Mensch, es war ein wildes tollwütiges Tier. Und es würde alles vernichten, das sich ihm in den Weg stellte. Und vorderrangig ihn. Er würde das erste Opfer werden. Wahrscheinlich auch das einzige, doch der Verfall würde weitergehen. Severus hatte sich verloren in einer Welt, in die er nicht gehörte. In einer Welt, in der er nicht leben konnte. Niemals leben wollte.

Sirius wusste, dass seine Worte hart gewesen waren. Er hatte sie gerade aus diesem Grund ausgesprochen. Sie hatten verletzten sollen, er wollte Severus auf den Knien sehen. Heulend, weinend, wie ein kleines Kind. Nur aus diesem Grund, waren die Worte über seine Lippen gekommen. Sie sollten Severus schmerzen, so wie sie ihn schmerzten. Sie peinigten ihn, trieben ihn fast in den Wahnsinn. Jeden Tag aufs Neue. Nachts spuckten sie in seinen Gedanken, ließen ihn nicht schlafen. Selbst wenn eine gewisse Menge Alkohol ihm einen traumlosen Schlaf bescherte, verschwanden sie nicht vollkommen. Und er wollte dieses Kreuz nicht allein tragen. Die Sinnlosigkeit des Seins. Er wollte, dass Severus genauso leidet wie er selbst. Reiner Egoismus.

Doch nun, angesichts der Auswirkungen seiner Worte, sah er seinen Irrtum. Er hatte geglaubt, dass die Stärke, die Kälte die der Mann vor ihm ausstrahlte sein wahres Selbst waren. Er wollte diese Mauer aus Ablehnung, Ignoranz und Abscheu bröckeln sehen. Sie in tausend Trümmer sprengen. Er hatte den verletzlichen Severus gesucht. Das Kind, welches verstört in einer Ecke gekauert ist, und Angst hat. Doch statt diesen Severus hatte er etwas Bestialischeres, Gefährlicheres gefunden. Er hatte den Irrsinn, der sich in jedem Menschen versteckt, geweckt. Dieses Monstrum, welches nur in bestimmten Situationen aus sich herauskommt, und dann solch zerstörerische Kräfte entwickelt, dass selbst Gott sich vor ihm beugen musste.

Noch immer stand diese Severus-Puppe vor ihm und lachte. Ein obszönes, ekelerregendes Lachen. Höhnisch, spöttisch, wahnsinnig. Den Kopf nach hinten geworfen, den Mund zu einem grausamen schwarzen Loch verzerrt. Nichts menschliches war mehr an diesem Wesen. Es war die Urform, das Gesicht eines Tieres, welches in die Ecke gedrängt worden war. Diese Fratze sahen Menschen lediglich kurz vor ihrem Tod. Getötet durch ein altes, absolut böses Wesen. Zerfetzt in tausend Stücke.

Es war das Wesen, welches Severus ermöglichte zu morden. Für Voldemort und auch für Dumbledore. Und zum ersten Mal in Sirius' Leben, verstand er, dass keinerlei Unterschied zwischen den beiden Seiten bestand. Sie benutzten Severus. Jeder auf die gleiche abscheuliche Art und Weise. Sie zwangen ihn zu töten. Sich Tag für Tag selbst zu verraten. In diesem Moment wurde ihm bewusste, wie sehr er sich getäuscht hatte.

Er hatte den gleichen Fehler begangen, wie all die anderen. Wie die Menschen, die nur das in ihm selbst sahen, was sie wollten. Den Mörder. Den Verräter. Genauso hatte er Severus die ganze Zeit über gesehen. Nicht den Menschen, der sich hinter der Fassade versteckte, sondern den kaltblütigen Killer, zu dem ihn die Welt, in der er lebte, gemacht hatte. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Hintergründe zu hinterfragen. Er hatte sich angeschlossen. Nicht Severus war das Monster, sondern er.

Sirius hob den Kopf und sah zum grellen Mond hinauf. Noch immer hallte, das schrille Lachen von Severus durch die Nacht. Verlieh der seltsamen Umgebung ein noch unheimlicheres Flair. Vollkommen strahlte die helle Scheibe zu ihnen hinab. Es schien, als ob sich die Energie von Jahrtausenden nur für diesen einzelnen Moment gesammelt hätten. Beinahe flehend sah Sirius weiter zu dem dunklen Nachthimmel. Als ob die Lösung seiner Probleme in den Sternen stünde. Doch er wusste, dass er dort nichts finden würde.

Plötzlich verstummte das schrille Gelächter, und wurde von einer bedrückenden Stille abgelöst. Ein weiterer kalter Schauer lief Sirius' Rücken hinab. Die Zeit der Konfrontation war gekommen. Ihr bisheriges Geplänkel war nur zum Aufwärmen gewesen. Jetzt und Hier würde sich entscheiden, ob er weiter leben würde. Ob Severus weiter leben würde.

Sirius konnte sich ein ironisches Lächeln nicht verkneifen. Wie oft hatte er sich an diesem Abend schon am Abgrund befunden. Wie oft hatte er gedacht, er hätte die Spitze des Eisberges erreicht, dass es keine Steigerung mehr geben könnte. Und jedes Mal wurden seine Worte, seine Gedanken, Lügen gestraft. Würde es auch diesmal so sein? Würde sich diese ganze Situation hinaufschrauben, bis zu dem endgültigen Ende? Wie eine Spirale aus Angst, Hass und Irrsinn hatte sich dieses Fiasko emporgehoben. Zu einer vollkommen Ansammlung von Lächerlichkeiten.

Der Animagus sah in das Gesicht seines Kontrahenten. Er sah den Wahnsinn in dessen Augen aufblitzen. Doch er sah auch etwas anderes. Verletzlichkeit. Angst. Konnte es die Möglichkeit sein, dass Severus einfach nur Angst hatte? Dass der Mann, vor dem sich Schüler und die meisten Lehrer in Hogwarts gleichermaßen fürchteten, nur verloren war? Wie von selbst beantwortete Sirius die Frage in seinen Gedanken. Die Unterschiede zwischen den beiden Männer hätten nicht größer sein können, und doch glichen sie sich bis ins tiefste Innere ihres Wesens. Es war so simpel und gleichzeitig so komplex, dass es Sirius erschreckte. Licht und Schatten. Gut und Böse. Eins konnte ohne das andere keinen Bestand haben. Gegensätze brauchten einander. Genauso wie Sirius Severus brauchte, und umgekehrt ebenso. Auch wenn die beiden Männer es niemals zugeben würden. Um zu existieren, brauchten sie einander.

Sirius setzte sich in Bewegung, ging auf den dunkelhaarigen Mann vor sich zu. Sirius hatte sein Denkvermögen auf ein Minimum reduziert. Er brauchte nicht weiter über die Situation nachdenken. Sein Körper reagierte auf Severus. Alles weitere würde von Instinkten geleitet werden. Denken wäre nur noch hinderlich gewesen. Er hatte sich vollkommen fallen lassen. Trieb in einer vorevolutionären Masse aus Instinkt und Emotionen. Es war ein durchaus berauschendes Gefühl.

Sirius stand nun dicht vor dem gleichaltrigen Zaubertränkeprofessor. Severus' Geruch wirkte betörend. Wie Moschus erregte es seine Geruchsnerven. Kitzelte seine Energie noch um ein vielfaches nach oben. Sirius blickte erneut in die schwarzen Augen von Severus. Noch immer konnte er den Irrsinn in dessen Zügen erkennen, doch eine viel dominantere Emotion hatte die Oberhand errungen. Verwirrung.

Sirius hob seine rechte Hand und legte sie in den Nacken von Severus. Dessen Ausdruck in den Augen wurde noch um einiges verwirrter, doch er zuckte nicht zurück, sondern sah Sirius nun auch noch mit einer gewissen Neugier an. Dies war das letzte Zeichen für Sirius. Es war wie ein stillschweigendes Einverständnis. Severus hatte sich vollkommen in die Hände des Animagus begeben. Auch noch die letzten hinderlichen Hemmungen fielen von Sirius ab.

Langsam beugte sich Sirius vor und presste seine Lippen auf die seines Gegenübers. Der Kuss hatte nichts Leidenschaftliches. Er war hart, gepeinigt von dem Leid eines ganzen Lebens. All die angestaute Verzweiflung und Wut legte Sirius in diesen einen Kuss. Und im selben Moment brach etwas in ihm. Der Wall, der diese verdrängten Gefühle all die Jahre zurückgehalten hatte, löste sich in Staub auf. Die Welle, die seinen Körper durchflutete, schien unbeschreibliche Ausmaße zu erreichen. Sie erfasste jede Faser seines Körpers, schwemmte alles mit sich. Überragend bauten sich die angesammelten Emotionen aufeinander auf. Türmten sich zu einem irrsinnigen, unnormalen Gebilde auf, das seines Gleichen suchte. Und dann stürzte alles in sich zusammen. Wie ein Kartenhaus im Wind fiel diese Abnormität zusammen, und verschwand in der Tiefe von Sirius' Geist.

Langsam nahm der Animagus wieder seine Umwelt klarer wahr. Irritiert bemerkte er warme Flüssigkeit die seine Wange benetzte. Es fühlte sich unwirklich an, und doch auf erschreckende Weise seltsam vertraut. Unsicher öffnete er seine Augen und sah vor sich das Gesicht von Severus.

Severus' Augen waren geschlossen, doch unablässig bahnten sich heiße Tränen ihren Weg über seine bleiche Haut. Sirius erschien dieser Anblick unnatürlich. Noch nie in seinem Leben hatte er Severus weinen gesehen, und er zweifelt keine Sekunde daran, dass auch kein anderer Mensch ihn jemals Tränen vergießen gesehen hatte. Es kam einem Geschenk gleich, dessen Bedeutung Sirius nur instinktiv wahrnahm.

Severus' Atmung war ruhig, sein Körper begann allmählich zu erschlaffen. Die gesamte Anspannung, die sich all die Jahre aufgebaut hatte, fiel in diesen Augenblicken von ihm ab. Noch immer konnte Sirius die weichen Lippen auf den seinen spüren. Zögerlich, beinahe unschuldig gab sich Severus diesem Kuss hin. Keinerlei Wiederstreben.

Noch immer flossen heiße Tränen sein Gesicht hinab. Tränen, die bereits vor Jahren vergossen hätten werden sollen. Tränen, die niemals zurückgehalten hätten werden sollen. In diesem Augenblick erschien er unendlich zerbrechlich, einfach verletzlich. Doch auch seine einkonditionierte Kälte kam wieder zurück, und minderte diesen Eindruck. Selbst mit Tränen in den Augen, war er immer noch Severus Snape. Zaubertränkelehrer, Spion, Mörder.

Behutsam löste sich Sirius von den Lippen seines Gegenübers. Nun versagten Severus' Beine vollkommen ihren Dienst und er sackte in sich zusammen. Starr war sein Blick auf den Boden gerichtet und noch immer rannen ihm Tränen über das Gesicht.

Sirius ließ sich ebenfalls fallen. Er wusste nicht mehr, warum er das eben getan hatte, doch er wusste es war, auf eine gewisse Art und Weise, richtig gewesen. Severus war dem Wahnsinn noch nie so nahe gewesen wie vor dem Kuss und Sirius schätze, er war diesem Abgrund ebenfalls sehr nahe gekommen. Näher als er sich vorstellen wollte.

Die bedrückende, peinliche Stille machte ihm von Neuem zu schaffen. Er hatte seinen Instinkten vertraut, hatte sich ihnen vollkommen ergeben, und es war das Richtige gewesen. Trotzdem fühlte er sich schuldig. Tief in ihm nagte das schlechte Gewissen, und diese Stille zwischen ihnen machte seine Lage nicht unbedingt besser. War er zu weit gegangen? Was würde Severus nun tun? Würde er ihn nur noch mehr hassen? Oder ihn verachten?

Sirius war sich nicht sicher, vielleicht würde nichts geschehen, auch wenn er selbst diese Möglichkeit mehr als unglaubwürdig erachtet hatte. Severus würde es nicht vergessen, und er würde es auch nicht unvergolten lassen. Nicht Severus Snape. Auch wenn Sirius sein Verhalten keineswegs bereute, so wusste er dennoch, dass er sich zu weit nach vorne gewagte hatte.

Eine bedrückende Traurigkeit legte sich um seinen Verstand. Seit Jahren hatte er sich diesen Zeitpunkt vorgestellt. Gewünscht, dass seine Lippen die von Severus berührten. Er hatte sich die zärtliche Berührung ausgemalt, das Gefühl, welches seinen Körper durchfluten würde. In einsamen Nächten in Askaban waren diese Vorstellungen sein einziger Trost gewesen, seine ganze Wärme. Hass und Liebe, getrennt durch eine hauchdünne Linie. Leicht zu überschreiten, doch schwer zu sehen. Er wusste nicht mehr, war es der Hass der Severus so unnahbar für ihn machte? Oder war es eine andere Emotion?

Doch es war nicht so gewesen, wie er sich es immer vor Augen geführt hatte. Es war nichts zärtliches an diesem Kuss gewesen. Nichts romantisches. Es war der verzweifelte Versuch gewesen, Severus vor dem totalen Wahnsinn zu retten. Ihn von dem Abgrund wegzureißen, an dem er sich gefährlich nahe befand. Ihn von der Schwärze wegzuzerren, die von seinem Herz Besitz ergriffen hatte. Würde Severus dies ebenfalls so sehen? Und selbst wenn, würde er auch die Hoffnung verstehen, die in Sirius' Herz genährt worden war? Würde Severus den Wunsch begreifen, nach mehr? Sirius versank in einen Taumel aus Begehr, Scham und Verachtung. Sich selbst und auch Severus gegenüber.

Sirius versuchte sich Worte zurechtzulegen. Etwas zu sagen. Irgendetwas. Jedes Wort wäre besser gewesen, als diese bedrückende Stille. Er wollte sie brechen, dieses Schweigen endgültig beenden. Wenn Severus ihn doch nur anschreien würde. Oder ihm Vorwürfe machen würde. Alles wäre ihm momentan angenehmer gewesen. Doch er vermochte nicht dieses Schweigen zu brechen. So saß er weiter vor dem Mann, den er soeben geküsst hatte, und wartete auf dessen weitere Reaktion.

Unendlich langsam erhob sich Severus' Kopf. Sirius blickte in die schwarzen Augen des Zaubertränkemeisters. Er versuchte die folgenden unausweichlichen Konsequenzen abzuwägen, die nun folgen würden. Doch er versagte kläglich. Er konnte aus diesen kalten Augen keinerlei Emotion herausfiltern. Severus' Augen waren immer noch gerötet, verliehen ihm ein groteskes Aussehen. Kein Muskel in diesem Gesicht aus Stein bewegte sich. Ein erneuter eisiger Schauer überzog Sirius' Haut.

 

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