Kinder der Nacht

 

 

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Kapitel 1: Blut an unseren Händen 

 

"Kommt ihr noch auf ein Gläschen mit zu uns?" Oliver hatte den Arm um seine Frau gelegt und sah Severus und Evan erwartungsvoll an.
"Lieber nicht, Oliver. Ein andermal. Ich bin furchtbar müde." In Wahrheit konnte er es nicht erwarten, in seine Wohnung zu kommen, damit er sich endlich übergeben konnte. Ihm war schlecht, er hatte Kopfschmerzen und er fühlte sich schmutzig und benutzt. Nie, niemals, wie lange er auch für den Dunklen Lord arbeitete - nie würde er sich daran gewöhnen können, zu töten. Schon gar keine Kinder. So wie in dieser Nacht.
"Ach komm schon, Sev! Nur eine Stunde. Ich komme auch mit. Na, was ist?" Evan Rosier wirkte, als käme er gerade von einer Geburtstagsparty anstatt von einem Mordauftrag. "Wir würden uns wirklich freuen, nicht wahr Christine? Hatten schließlich lange keine Gelegenheit mehr, über alte Zeiten zu reden. Nur wir vier Slytherins. Was meint ihr?"
"Also gut ..." Severus Snape riss sich zusammen. Nur nichts anmerken lassen. So sein, wie immer. Vergessen, dass er vor nicht einmal zehn Minuten ein fünfjähriges Kind getötet hatte. Ein kleines Mädchen mit blonden Locken und blauen Augen ...
Die vier Freunde apparierten zusammen zur Wohnung der Lestranges, die in einem Muggelmietshaus in einem Vorort von London lebten.
"Wir müssen darauf achten, dass das nicht zur Gewohnheit wird. Dieser alte Drachen von Nachbarin fängt schon an, misstrauisch zu werden, weil sie uns so selten durch die Tür kommen sieht." Oliver grinste.
"Ach was! Sie denkt wahrscheinlich, dass ihr den lieben langen Tag im Bett verbringt. Wie die Karnickel ..." Evan liebte anzügliche Bemerkungen.
Christine wurde rot. Severus versuchte, über den Scherz zu lachen, doch mehr als ein gequältes Lächeln brachte er nicht zustande. Er hoffte, dass seine düstere Stimmung den anderen nicht zu sehr auffallen würde.
"Setzt euch doch." Oliver wies auf die sandfarbene Couchgarnitur, offensichtlich Muggelware.
Es war schon seltsam, dachte Severus, dass sie die Muggel mehr verachteten als alles andere und es doch nicht wirklich fertig brachten, sich von ihrer Lebensweise zu trennen.
"Wollt ihr etwas trinken?" Das waren die ersten Worte, die Christine an diesem Abend sprach. Sie war während der gesamten "Operation" und auch hinterher auffallend still gewesen.
"Warum machst du uns nicht ein paar von deinen berühmten Cocktails? Muggelblut, oder wie das Zeug auch immer heißt."
"Gute Idee! Was meinst du, Sev?"
"Oh, meint ihr nicht, dass es schon etwas spät ist, um Christine so viel ..."
"Nein Sev, nein! Ganz und gar nicht!"
Für Severus' Geschmack kam ihre Antwort ein wenig zu schnell, doch er verzichtete auf weitere Kommentare. Verdammt, dann würde er das Gesöff eben trinken müssen. Und manchmal wirkte Alkohol ja tatsächlich Wunder.

So verschwand sie in die Küche und ließ die drei Männer allein zurück.
"Na, das war doch was heute, oder?", rief Oliver offensichtlich gut gelaunt. "Die Moonstrucks waren mir schon länger ein Dorn im Auge."
"Dem Dunklen Lord anscheinend auch. Aber dass Moonstruck gegen Nutcreek ausgesagt hat, hat das Fass dann endgültig zum Überlaufen gebracht!"
Nutcreek war einer jener Todesser gewesen, die während einer großangelegten Fahndungsaktion des Ministeriums von Auroren gefasst und verurteilt worden waren.
"Und seine Frau: eine Muggel!" Er rümpfte die Nase. "Es war eine richtige Genugtuung, sie um Gnade winseln zu sehen."
"Evan, warte! Denk doch an den armen Sev! Er hatte heute Abend ja gar keinen Spaß! Nur ein Kind ..."
"Deswegen ist er wohl auch so still. Enttäuschung, nicht wahr, Sev?"
"Nicht die Spur!" Severus würgte die Worte hervor. Nur ein Kind. "Jedes Schlammblut, das wir beseitigen, ist ein weiterer Schritt unserem großen Ziel entgegen." Er fühlte sich miserabel, aber er konnte es nicht ändern. Ihr Ziel war eine Zauberwelt ohne Muggel, ohne Schlammblüter, ohne solche abtrünnigen Zauberer wie Dumbledore und seine Leute - nur Reinblüter, so wie er. Mitglieder alter Zaubererfamilien würden das Sagen haben, alles unter dem Schutz des Dunklen Lords. Diesem Ziel hatte er sich verschrieben und nun würde er dafür kämpfen. Es herrschte Krieg, da musste man eben Opfer bringen. Das zumindest versuchte er sich einzureden.
"Gut gesprochen! Und nächstes Mal überlassen wir dir einen von den großen Fischen! Immer abwechselnd, wie wir es besprochen haben!"
Es stimmte. In dieser Beziehung waren sie immer fair.
"Sag mal, Sev, könntest du uns nicht ein bisschen von dem Zeug anrühren? Du weißt schon ..."
Natürlich wusste er, wovon Evan redete. Der Morpheustrank. Eigentlich ein Schlaf- und Beruhigungsmittel, rief er ein Hochgefühl und manchmal sogar Halluzinationen hervor. Seine Herstellung und Verwendung waren eigentlich seit den 60er Jahren vom Ministerium verboten, doch vor allem in Todesserkreisen war der Trank als Droge weit verbreitet.
"Komm schon, Giftmischer!" Oliver amte Voldemorts Stimme nach, was bei Evan, immer empfindlich, wenn es um ihren Meister ging, ein bedrohliches Stirnrunzeln hervorrief.
Severus seufzte. Widerspruch war sowieso zwecklos. Sie würden ihm so lange auf die Nerven gehen, bis er nachgab. "Okay. Habt ihr einen Kessel?"
"In der Küche. Wir müssten alle Zutaten im Schrank haben. Christine wird sie dir zeigen."

Obwohl Severus schon öfters bei den Lestranges zu Gast gewesen war, brauchte er eine Weile, bis er die richtige Tür fand und schließlich in die Küche gelangte. Im Türrahmen hielt er inne. Christine Lestrange stand über die Spüle gebeugt und würgte. Er dachte an das Gefühl der Übelkeit, das ihn noch immer nicht verlassen hatte. Konnte es sein, dass es Christine ähnlich ging?
Plötzlich schreckte sie, wie von der Tarantel gestochen hoch. Anscheinend hatte sie gespürt, dass sie beobachtet wurde.
"Hey, ich bin's nur ..."
Erleichterung huschte über ihr Gesicht. Ihre Augen waren rot.
'Sie hat geweint', dachte Severus.
"Gott sei Dank! Ich dachte schon es sei ..." Sie ließ den Satz unvollendet.
"Ist dir nicht gut?"
"Nur ein bisschen übel. Ich schätze, ich habe mir irgendwo eine Erkältung eingefangen." Sie lächelte. Ein Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte.
"Christine, du siehst nicht gut aus. Vielleicht solltest du dich besser hinlegen. Ich kann dir einen Schlaftrank machen, wenn du willst." Das würde helfen. Zumindest für ein paar Stunden. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal ohne geschlafen hatte.
"Sev, sei nicht albern! Mir geht es gut. Was willst du eigentlich hier?"
"Der Morpheustrank ..."
Sie nickte, dann wandte sie sich wieder ihren Cocktails zu. "Gleich ..." Ihr Hand zitterte, als sie irgendeine blassrote Flüssigkeit in eines der Gläser goss. Plötzlich strauchelte sie und ließ die Flasche fallen, deren Inhalt sich prompt über den Küchenboden ergoss. "Scheiße! Tut ... tut mir leid." Ihre Stimme bebte. Wie in Trance ging sie in die Knie, um die Scherben aufzusammeln.
"Was macht ihr da drin?" Olivers Stimme drang aus dem Wohnzimmer zu ihnen herüber.
Severus schien es, als würden sich Christines Augen vor Angst weiten. Sie öffnete den Mund um zu sprechen, doch er kam ihr zuvor. "Nichts weiter, Olli. Ich habe nur ein Fläschchen fallen lassen. Es ist alles in Ordnung!"
"Na dann. Sei nur vorsichtig, dass du keine Stinktiergalle auf meine neuen Fliesen fallen lässt!" Schallendes Gelächter aus dem Nebenraum.
"Warum hast du das getan?" Christine sah ihn fragend an. In ihren Augen glitzerten Tränen.
Er gab ihr keine Antwort. Stattdessen zog er seinen Zauberstab aus dem Umhang und murmelte etwas Unverständliches, woraufhin sich Scherben und Flüssigkeit wieder zu ihrer ursprünglichen Form zusammensetzten.
"D ... danke ..."
Severus bemerkte Blutflecken auf den weißen Kacheln. Sie musste sich geschnitten haben. Da sie keine Anstalten machte aufzustehen, ließ er sich neben ihr nieder und nahm behutsam ihre Hand in seine. "Du blutest." Er strich ihr vorsichtig über die Handfläche. "Siehst du." Ein Blutstropfen rann über ihr Handgelenk und tropfte auf den Fußboden. Sie sah ihm direkt in die Augen, als suche sie darin etwas. Doch sie sah nichts - nichts als eine schwarze, endlose Leere.
Er wandte sich ab, um die Wunde mit Hilfe seines Zauberstabs zu schließen. Sein langes schwarzes Haar fiel ihm wie ein Vorhang vors Gesicht. Sie wollte sich eben von ihm losmachen, als er seine Finger plötzlich fester um ihr Handgelenk schloss. Panik mischte sich in ihren Gesichtsausdruck. "Was ..."
"Christine ..." Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. "Ich muss es wissen!"
"Sev, wir haben keine Zeit. Die anderen warten!"
Er ignorierte ihr Bemerkung einfach. "Ich muss es wissen! Fühlst du es auch?"
"Ich weiß nicht, wovon du sprichst !"
"Natürlich weißt du es!"
"Sev ..." Sie klang verzweifelt.
Auf einmal wurde seine Stimme sehr sanft. "Christine, du weißt wovon ich spreche, nicht wahr?" Er konnte spüren, wie sie zu zittern zu begann.
"Ich weiß ... ich weiß, dass es nicht sein darf, aber ich kann es nicht ändern. Ich kenne unser Ziel und ... ich gehorche dem Meister, aber ..." Sie schluchzte, unfähig, weiterzusprechen.
"Du kannst nicht töten," vollendete er den Satz für sie. "Es ist so, nicht wahr?"
"Ja, Sev. Jedes Mal, wenn ich ... Oh Gott !" Sie riss sich von ihm los und schlug die Hände vors Gesicht. Er wollte sie in den Arm nehmen, ihr sagen, dass es ihm genauso ging, doch er wagte es nicht. Stattdessen blieb er auf dem Küchenfußboden hocken und starrte unbeholfen auf die roten Flecken, die sich wie kleine Inseln vom Weiß der Kacheln abhoben.
"Sev! Christy! Wo bleibt ihr denn? Wollt ihr da drin Wurzeln schlagen, oder was?"
Mit einem Satz war Christine auf den Beinen. Sie lief zur Spüle, spritzte sich ein paar Tropfen Wasser ins Gesicht und packte das Tablett mit den Cocktails . Im Vorbeigehen riss sie eine Schranktür auf, bevor sie ohne ein weiteres Wort zur Tür hinaus rauschte.
Severus erhob sich mühsam. Er war also nicht der Einzige. Er wusste nicht, ob ihn das beunruhigen oder erleichtern sollte. Am Besten war es, für den Moment nicht darüber nachzudenken. Auf der Suche nach einem Kessel öffnete er einige Fächer, bis er schließlich das Richtige fand. Er stellte ihn auf den Gasherd, machte Feuer und suchte die notwendigen Zutaten aus dem Schrank zusammen, den Christine im Hinausgehen geöffnet hatte. Für einige kostbare Minuten gab es nur den Trank und ihn, sonst nichts. Er konzentrierte sich auf die richtige Abmessung, die richtige Reihenfolge, den richtigen Zeitpunkt. Das war seine Welt, die Beschäftigung, bei der er alles um sich herum vergessen konnte. Nach weniger als zehn Minuten hatte er das Gebräu sorgfältig in vier Gläser umgefüllt und mit Süßstoff vermischt, um den Geschmack zu verbessern.

Im Wohnzimmer setzte er sich auf den Teppichboden und lehrte sein Glas in einem Zug. Er hoffte, dass die Wirkung nicht allzu lange auf sich warten lassen würde.

 
  Kapitel 2

 

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