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The Happy Ending

Erzählt von Minerva McGonagall




Was waren das für schreckliche Tage! Ja, Voldemort war besiegt, die Gefahr war endlich ein für allemal gebannt. Viele in unserer Schule feierten den Sieg. Doch welche Opfer hatte er gekostet! So viele Tote und Verletzte, auf beiden Seiten. Und wer nicht körperlich verletzt war, der war es vielleicht an seiner Seele, und manche von ihnen würden es erst nach und nach bemerken. Ich muss aber sagen, dass ich nicht viel Sympathie für jemanden hätte, an dem all das ohne eine einzige Wunde vorbeigegangen ist.

Sicher, nach außen hin wirkte ich wohl, mehr als sonst irgendwer, als ließe mich alles kalt! Albus lag im Koma, und mir oblag es nun, für den Fortbestand unserer Gemeinschaft zu sorgen. Da konnte ich mir keine Sentimentalitäten erlauben. Nicht jeder fand es richtig, dass ich gleich wieder zum Alltag überging und das von allen Schülern und Kollegen auch verlangte. Aber meiner Meinung nach war es der einzige Weg, um uns vor dem Wahnsinn und Verfall zu retten. Was wir jetzt brauchten, war Vernunft, nicht diese Hysterie des Jubels oder des Entsetzens.

Anscheinend habe ich es geschafft, so steif und streng und ungerührt zu wirken, wie ich es wollte. Aber innerlich fühlte ich mich sehr allein und manchmal überfordert. Albus fehlte, der Mann, der immer über mir gestanden hatte und die Geschicke der ganzen Schule lenkte. Und Severus fehlte, der Mann, der, wie ich, eisern durchzugreifen pflegte, wenn das Schicksal von Hogwarts auf dem Spiel stand. In manchen Dingen sind wir sehr gegensätzlich, schon allein dadurch, dass wir konkurrierende Häuser vertreten, und auch unsere Charaktere sind natürlich recht verschieden. Aber wir haben auch manche Gemeinsamkeiten, wie den aufrechten Gang und das Talent, unsere eigenen Gefühle hintan zu stellen. Wenn es drauf ankam, haben wir immer zusammengehalten, und wir hatten stets größten Respekt voreinander.

Ich habe darum auch nie geglaubt, Severus könnte gegen uns gearbeitet haben oder wollte gar Albus an seinem Krankenbett verfluchen. Ich habe selten so einen Unsinn gehört! Das habe ich ihnen auch gesagt, aber auf mich wollte ja niemand hören.

Vielleicht hätte ich öfter an Albus´ Krankenbett sein sollen. Aber sein Anblick war so schwer zu ertragen. Und ich hatte doch soviel zu tun. Es wäre sicher in seinem Sinne gewesen, redete ich mir ein. Vielleicht hätte ich öfter mit hinunter zu Severus gehen sollen. Aber ich hatte doch soviel zu regeln. Und sein Anblick war so schwer zu ertragen. Ich weiß nicht, was schrecklicher mit anzusehen war: das dunkle Loch, in das sie ihn geworfen hatten oder die dunklen, leeren Löcher, die seine Augen waren. Ohne Blick, ohne Hoffnung. Deshalb war ich nur einmal dort unten. Ich konnte ja doch nichts tun, Sie wollten nicht auf mich hören. Und es war so furchtbar. Und ich hatte soviel zu tun...

An einem dieser trostlosen Tage kam eine Hauselfe in mein Büro gerannt, wo ich über Bergen von Papieren saß. Überall im Schloss wuselten die Elfen herum und trommelten aufgeregt alle zusammen, mit der Kunde, dass Albus erwacht sei. Offenbar hatte Madam Pomfrey keine falschen Hoffnungen wecken wollen und hatte dazu gesagt, dies könne auch nur das letzte Aufflackern vor dem Ende sein. Und wie Hauselfen so sind, erzählten sie es so panisch weiter, dass jeder nur noch mit dem Schlimmsten rechnete. Jedenfalls stürzten alle Hals über Kopf in den Krankenflügel, um nicht die letzte Gelegenheit zu verpassen, Albus lebend zu sehen. Auch ich ließ natürlich alles stehen und liegen und eilte zu ihm.

Wir mussten Schlange stehen, um an sein Bett zu gelangen! Einer nach dem anderen trat zu ihm, drückte seine Hände und schluckte schweigend an dem dicken Kloß im Hals herum. Ich hatte nun doch den Eindruck, die Elfen hätten wohl leider nicht übertrieben. Albus Blick war so verschleiert und so unendlich weit weg. Er schien bereits mehr der anderen Welt anzugehören als unserer. Als ich endlich an der Reihe war, hockte ich mich neben sein Bett und sah ihm in sein bleiches, eingefallenes Gesicht. In meinen Augen standen Tränen, was nicht allzu oft vorkommt. Aber dies war eine Situation, in der ich mich ihrer nicht schämte. Ich ging lange nicht fort, ohne Rücksicht auf die ungeduldig Wartenden hinter mir. Ich glaubte, ich hätte ein Anrecht darauf, als seine unfreiwillige Nachfolgerin. Leise fing ich an, mit ihm zu sprechen, obwohl ich nicht im geringsten damit rechnete, er würde mich hören. "Albus, ich wünschte, ich müsste dein Amt nicht übernehmen", flüsterte ich, "ich wünschte, du kämst zurück und ich müsste nicht alles alleine regeln." Da geschah ein Wunder. Ja, ich nenne es noch heute ein Wunder. Albus helle Augen richteten sich auf mich. Ja, sie fixierten mich, sie sahen mich, eindeutig! Und dann begannen sich seine blutleeren Lippen zu bewegen, formten mühsam und kaum hörbar drei Worte: "Meine gute Minerva!"

Ich begann zu zittern, konnte es nicht glauben, konnte nicht reagieren. Aber im Laufe der nächsten Minuten kam immer mehr Leben in ihn. Seine Stimme klang bereits fester und war auch für die Umstehenden hörbar, als er sagte: "Endlich redet wieder jemand mit mir. Es war jemand da und hat ganz lange mit mir geredet, aber wo war er plötzlich geblieben? Es war, als hätte ich mit einem Mal meinen Wegweiser verloren und könnte nicht mehr zu euch zurückfinden. Ich versank in dem weichen Dunkel. Es war still und warm und angenehm. Kein Denken, kein Fühlen, keine Sorgen. Tiefer Friede und ein Hinübergleiten an einen neuen Ort... Doch irgendwann hat mich etwas berührt. Es kam aus der Welt, die ich verlassen hatte, und es riss mich aus meinem Frieden, wie ein grausamer Alptraum. Ich glaubte, einen Schrei zu hören. Einen furchtbaren, gequälten Schrei. Und ich spürte soviel Finsternis und Kälte. Es war ein Hilferuf, ich musste zurück, fort aus der schönen Umarmung, in der ich bleiben wollte. Ich suchte verzweifelt den Ausgang. Zum Glück haben deine Worte mir den Weg gewiesen, Minerva."

Madam Pomfrey war inzwischen an sein Bett getreten, um seinen Puls zu kontrollieren. Bei seinen Worten blickte sie seltsam schuldbewusst. Mit fahrigen Bewegungen schüttelte sie sein Kissen auf, während ich seinen Kopf sanft anhob, und bettete ihn dann etwas höher, so dass er die versammelten Besucher sehen konnte. Lange sah er sich suchend um, lächelte sogar ein wenig, als er so viele vertraute Gesichter wiedersah. Schließlich fragte er: "Und wo ist mein Severus?"

Nun war es an einigen anderen, schuldbewusst den Blick zu senken. Albus sah sie prüfend an, dann mich, fragend. Ich schluckte. "Severus ist unten in den Kerkern", sagte ich. "So?" fragte Albus erstaunt, "hat ihm denn niemand bescheid gesagt? Ich weiß, er würde nicht in seinem Zimmer bleiben, wenn er wüsste, dass ich wach bin." Obgleich es doch nicht meine Schuld war, traten mir Tränen der Scham in die Augen, als ich sagte: "Er kann nicht kommen, Albus. Sie haben ihn eingesperrt, in dem... dem... anderen Kerker, dem alten Verlies." Albus blickte mich ungläubig an. "Warum haben sie das getan?" flüsterte er. "Sie waren sich nicht sicher, wessen Spion er war", erklärte ich, "und sie fürchteten, er könne dir schaden." Albus stöhnte entsetzt auf. "Ich hätte es wissen müssen", murmelte er traurig, "ich hätte ihn schützen müssen. Ich hätte damit rechnen müssen, in diesem Kampf zu fallen. Ich hätte etwas hinterlassen müssen, das seine Unschuld und seine Leistungen bewiesen hätte. Dummes, leichtsinniges Vertrauen, dass mir oder ihm nichts passieren könnte! Etwas von seinem Misstrauen, das ich ihm immer ausreden wollte, wäre gesünder gewesen." Er seufzte. Dann befahl er mit lauter Stimme: "Holt ihn her!"

Wenig später brachten sie Severus herein. Treffender sollte ich sagen: Sie schleppten ihn herein! Im ersten Moment dachte ich: ‚Warum halten sie ihn immer noch fest wie einen Verbrecher?' Doch dann begriff ich, dass sie ihn stützten und schleiften, weil er keine Anstalten machte, sich selbst zu bewegen. Er hing schlaff zwischen ihnen, und sein Blick war so leer, dass ich zweifelte, ob er bei Bewusstsein war. Was war nur mit ihm geschehen? War das der unerschütterliche, starke Severus, den ich kannte? Die Umstehenden wichen ängstlich aus und ließen die zwei Auroren mit Severus durch. Sie brachten ihn zu Albus. "Er ist nicht richtig bei sich", sagten sie entschuldigend, "und er spricht nicht." Albus unendlich trauriger Blick ruhte auf diesem gebrochenen Menschen, seinem Freund. "Severus..." sagte er leise. In diesem Moment kehrte der Glanz in Severus´ schwarze Augen zurück. Er schaute Albus an und machte dann eine abwehrende Bewegung mit den Armen. Erschrocken ließen die Auroren ihn los, und tatsächlich hielt er sich selbst auf den Beinen. Einen Moment lang blieb er stehen, dann sank er neben dem Bett auf die Knie und sein Kopf auf die Bettdecke. Albus legte seine Arme um den schweigenden Mann und sprach leise auf ihn ein: "Mein armer Severus... Mein guter Severus... Mein treuer Severus... Du musst nicht reden. Das hast du lange genug getan, um mich zurückzubringen. Und irgendwann wirst du es wieder können."

Seine Hände ruhten auf Severus´ Rücken, als er seinen Blick auf die anderen Anwesenden richtete. Und dieser Blick war voller Zorn und Enttäuschung. Die große Autorität, die er immer ausgestrahlt hatte, war wieder da und keine Spur von Schwäche und Krankheit mehr zu merken, als er sagte: "Severus muss nicht sprechen, damit ich weiß, was ihm zugestoßen ist. Ich spüre es allzu deutlich an ihm. Und ich weiß jetzt, dass mein Alptraum kein Traum war. Dieser furchtbare Schrei war echt. Wie konntet ihr... Musste denn ich alter Mann aus dem Totenreich zurückkehren, um den Hilferuf zu erhören? Wart ihr denn taub? Schämt euch!" Er hielt inne, und sie duckten sich unter seinen Blicken und Worten. "Ich war müde genug", fuhr er fort, "doch ich darf noch nicht gehen. Ihr seid nicht reif. Ich dachte, es wäre genug, dass das Böse, Voldemort, tot ist. Aber das schlimmste Übel ist noch in euren Herzen: die Lieblosigkeit. Nun gut, ich bleibe. Aber eines Tages werde ich gehen, und dann hoffe ich, dass ihr bis dahin weiser seid." Seufzend wendete er seinen Blick von ihnen ab. Man merkte ihm nun doch wieder deutlich an, wie schwach und müde er noch war. "Geht jetzt!" sagte er leiser, "ich muss mich erholen. Geht alle weg! Nur Severus bleibt bei mir. Und Minerva."

Mein Leben lang werde ich ihm dankbar sein, dass er mich nicht fortgeschickt hat. Er gibt mir keine Mitschuld an dem, was passiert ist, oder er hat mir verziehen.

Severus hat wieder angefangen, zu sprechen. Es hat lange gedauert, aber es ist schließlich geschehen. Sehen Sie ihn sich heute an, und Sie würden sagen: Er ist wieder ganz der alte. Er braut seine genialen Tränke, er unterrichtet, er jagt den Schülern einen gehörigen Schrecken nach dem anderen ein. Und er redet, geistreich und sarkastisch wie eh und je. Ja, er ist wieder ganz der alte, Gott sei Dank! Ich werde nur manchmal den Gedanken nicht los, ob er anders hätte sein können, wenn sie ihn nicht so behandelt hätten. Ob er nicht nach Voldemorts Fall endlich befreit und glücklich hätte sein können, nicht mehr so gehetzt und verbittert. Aber es ist müßig darüber nachzudenken. Es ist nun einmal geschehen. Ich werde es nie wissen. Aber man macht sich halt seine Gedanken. Oft denke ich auch, was wohl aus ihm geworden wäre, wenn Albus damals gestorben wäre. Ich werde das Gefühl nicht los, dass etwas ganz Schreckliches geschehen wäre... Und was wird sein, wenn Albus irgendwann wirklich seine verdiente Ruhe findet? Werden wir bis dahin Menschen geworden sein? Es wird Zeit, uns darum zu kümmern, dass Severus nicht mehr ohne einen einzigen Freund zurückbleibt, wenn Albus einmal geht.



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