Alcyone - Teil 3

 

 

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Kapitel 2


Dunkelheit. 

Nichts als Dunkelheit. 

Tiefste Dunkelheit.

Alcyone konnte nichts erkennen. Nicht einmal die eigene Hand vor Augen.

Es war unheimlich, beängstigend.

Sie fürchtete sich. Sie hatte Angst.

Wo war sie?

Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen.

"Hallo?", versuchte Alcyone zu schreien, aber es klang mehr wie jämmerliches, ängstliches Flüstern. 

"Alcyone?" 

Die Stimme, die ihren Namen rief, kam ihr bekannt vor. 

"Alcy?" Wieder. 

War es Severus?

"Severus?" Diesmal klang es schon etwas lauter.

"Alcy?". Er war es. 

"Severus?" Diesmal schrie sie wirklich, gestärkt durch sein immer näher kommendes Rufen.

"Alcy?" 

Jetzt war sie sich ganz sicher, daß es seine Stimme war. Sie war noch näher gekommen und gab Alcyone sowohl Kraft, als auch Mut.

"Severus, hier bin ich!", schrie sie voller Hoffnung in die Richtung, aus der sie Severus vermutete. 

"Alcy?" Seine Stimme entfernte sich wieder. Konnte er sie nicht hören?

"Severus?", schrie sie voller Verzweiflung.

"Alcy?" Seine Stimme war kaum noch zu hören.

"Severus?" Alcyone streckte ihre Hände nach vorne in Dunkelheit, sie versuchte vergeblich, ihn zu erreichen.

"Alcy?" Diesmal klang es nur noch wie das Echo eines weit entfernten Rufens. 

"Severus", schluchzte Alcyone und ließ sich auf den Boden fallen. Sie hob ihre Hände und hielt sie vor ihr Gesicht. 

Sie glaubte zu fühlen, wie die Dunkelheit sie auf grausame Art und Weise verschlang...



Alcyone schreckte im Bett hoch. Ihr Herz raste und sie konnte seine Schläge deutlich hören. 

Während sie vor Schreck schnell ein- und ausatmete, so als hätte sie einen 2000 Meter Lauf hinter sich, preßte sie ihre Hände auf ihr Herz. 

"Es war nur ein Traum", sagte sie leise vor sich hin.

Ein Traum. Natürlich war es nur ein Traum gewesen, aber Alcyone träumte ihn schon mittlerweile fast jede Nacht. Und immer nach dem gleichen Schema. 

Jedes Mal hört sie Severus nach ihr rufen, zuerst nicht wissend, daß er es ist. Seine Stimme kommt immer näher, nur um sich dann wieder von ihr zu entfernen, bis sie ganz verschwindet. 

Langsam beruhigten sich Alcyones Herzschlag und Atem wieder. Mit der linken Hand griff sie zur Seite und knipste die kleine Nachtischlampe an. Das sanfte, warme Licht warf Schatten in den Raum, die im Augenblick noch bedrohlich wirkten, da Alcyone den Schock des Traumes noch nicht ganz verarbeitet hatte. 

Alcyone fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und stellte erschreckt fest, daß ihre Haare naß an ihrem Gesicht klebten. Aber das war nicht das einzige. Sie spürte jetzt auch, daß ihr T-Shirt völlig durchnäßt war. Sie hatte geschwitzt. Wieder einmal. 

Der Traum, so unwirklich er auch sein mochte, wirkte sich sehr auf ihre Psyche aus. Es würde Stunden dauern, bis sie sich wieder völlig im Griff hatte. Sie wußte auch, daß sie jetzt nicht mehr schlafen konnte. Ein Blick auf ihre Armbanduhr (so ein Muggel-Teil von einer Schweizer Firma namens Swatch) verriet ihr, daß es gerade mal halb vier Uhr Morgens war. 

Sie griff zu der Mineralwasserflasche, die neben ihr auf dem Nachttisch stand und trank einen kräftigen Schluck. Das half zwar nicht, um die Gefühle des Alptraumes, die sie noch immer fühlte, zu vertreiben, aber es half, den schalen Geschmack aus ihrem Rachen zu bekommen. 

Sie schraubte den Deckel wieder drauf und stellte die Flasche zurück auf ihren Platz. 

Dabei fiel ihr Blick auf das eingerahmte Foto, das ebenfalls auf ihrem Nachttisch stand. Sie nahm es in die Hand und fuhr mit ihren Fingern sanft über das Bild. Darauf war Severus zu erkennen, in seiner üblichen schwarzen Kluft, auf einem Stuhl sitzend, seine Augen geschlossen, als würde er schlafen. Das tat er auch. Es war ein magisches Foto. Meistens aber lächelte und winkte er ihr zu, wenn sie das Foto anschaute. 

Wie sehr sie ihn in Augenblicken wie diesen vermißte. Was hätte sie jetzt nicht alles dafür gegeben, wenn er jetzt bei ihr wäre und sie einfach in den Arm nähme. 

Ihr Blick war fest auf das Foto gerichtet. Es war ihr einziges Foto von Severus, das ihn als erwachsenen Mann zeigte. Zwar hatte sie alle Fotos aus ihrer Zeit in Hogwarts aufgehoben (es waren drei Stück), aber dies war ihr liebstes. Das lag zum einen Teil daran, daß es eben ihn so zeigte, wie er momentan aussah. Hauptsächlich liebte sie dieses Bild jedoch deswegen, weil es Severus Abschiedsgeschenk war. Er hatte ihr in der Kutsche dieses rechteckige Päckchen gegeben, mit der strikten Anweisung, es erst im Zug zu öffnen. Sie hatte getan, wie ihr geheißen und als dieses eingerahmte Foto zum Vorschein kam, war Alcyone nur noch gerührt gewesen. Sie hatte es fast die ganze Zugfahrt betrachtet, sich jedes einzelne Detail eingeprägt und sich einmal sogar dabei erwischt, wie sie dem Foto-Severus, der ihr zuwinkte, einmal zurück winkte. Zu Hause in ihrer Wohnung hatte sie ihm sofort den Ehrenplatz auf ihrem Nachttisch gegeben, so daß sie Severus jeden Abend vor dem Einschlafen sehen konnte. 

Alcyone strich über den Rahmen des Bildes. Er war schwarz und aus Metall, schlicht in der Ausfertigung gehalten. Keinerlei Verzierungen. Doch genau das paßte zu dem Foto. Es war eine schlichte Fotografie von Severus. Ein weißer Hintergrund, der schlichte, schwarze Rahmen und ein in völlig schwarz gekleideter Severus bildeten einen so überwältigenden Kontrast in ihrer Schlichtheit, daß Alcyone das Foto fast für ein fotografisches Kunst halten konnte. 

Sie fuhr mit ihrem linken Zeigefinger Severus Konturen nach und musterte sein Gesicht genau. Sie kannte es bis ins kleinste Detail. Jede Narbe, jedes Mal. 

Einige Minuten lang saß sie so in ihrem Bett, an die metallenen Stäbe des Gestells gelehnt - dazwischen jedoch noch ihr weiches Kissen - und betrachtet das Bild ihres geliebten Severus, bis sie es schließlich zurück auf seinen Platz stellte.

Ihre Hand wanderte, nachdem sie das Foto in die rechte Position gerückt hatte, zu der Schublade, die sie öffnete. Sie holte ein paar Blätter (es waren nicht mehr als sieben) heraus, allesamt Briefe, die ihr Severus geschrieben hatte. 

Sie las jeden einzelnen mehrmals durch. Die Texte kannte sie inzwischen auswendig. Viel stand auch nie drin. Meistens nur solche belanglosen Sätze, wie "Mir geht es trotz allem gut", oder einfach nur "Viele Grüße aus dem Norden." 

Alcyone wußte, daß Severus kein großer Briefeschreiber war. Ganz im Gegensatz zu ihr. Sie hätte Severus jedesmal mehrere Pergamentblätter schreiben können, aber sie wußte, daß sie sich, wie er, kurzhalten sollte, um ja keinen Verdacht erregen zu können, von wem die Briefe sein könnten. So, ohne Namen des Absenders, war es sehr schwer festzustellen, wer sie geschrieben hatte. 

Trotz der Tatsache, daß Severus nie seinen Namen darauf schrieb, wußte sie, daß die Briefe von ihm waren. Zum einen kamen die Briefe immer mit der gleichen Eule und außer von ihm und Remus bekam sie keine weiteren privaten Briefe. 

Alcyone legte die Briefe wieder fein säuberlich geordnet übereinander und schob sie zurück in die Schublade. 

Ein erneuter Blick auf ihre Armbanduhr zeigte ihr, daß sie genau eine halbe Stunde damit verbracht hatte, Severus Foto zu betrachten und die Briefe zu lesen. 

Sie schaute sich in ihrem Schlafzimmer um. Die Schatten wirkten jetzt nicht mehr so bedrohlich. Am schlimmsten hatte sie vorhin der Schatten ihrer Topfpflanze erschreckt, die direkt unter dem Fenster stand und deren Schatten wie eine übergroßer, kräftiger Mensch aussah. 

Alcyone legte sich wieder hin und zog sich die Decke bis ans Kinn. Das Licht ließ sie brennen. Sie wußte, daß sie, auch wenn sie sich jetzt einigermaßen beruhigt hatte, in der Dunkelheit ihres Schlafzimmers unwohl fühlen würde. 

Alcyone schloß ihre Augen, nicht um zu versuchen zu schlafen, sondern einfach nur, um sich vor ihr geistiges Auge Bilder von sich und Severus in glücklichen, gemeinsamen Zeiten zu holen. Das war auch etwas, was sie immer tat, wenn sie diesen Alptraum hatte.



***




Die Menschen im Zaubereiministerium waren heute besonders guter Laune. Auf dem Weg in ihr Büro begegnete Alcyone nur lächelnden Gesichtern und ausnahmslos jeder grüßte sie freundlich. Einige litten an diesem Morgen auch an Geschmacksverirrung was ihre Kleidung betraf. Eine Hexe trug tatsächlich zu einem roten Kostüm ein rosa Umhang und schien dabei der Blickfang einiger anderen Hexen und Zauberer zu sein. 

Überall dufte es nach frischen Blumen und Pralinen.

Alcyone lief mit einem leichten Kopfschütteln über das merkwürdige Verhalten ihrer magischen Kollegen den Gang entlang, bis sie vor einer Tür, an der ein Schild mit der Inschrift ‚Alcyone Hide, Ausbildungsleiterin für magische Pflanzen und Kräuterkunde' hing, ankam.

Sie öffnete die unabgeschlossene Türe (sie hatte in ihrem Büro nichts, was es zu verbergen galt), schloß die Türe hinter sich wieder und ging zu ihrem Schreibtisch.

Alcyone hatte ihr Büro gemütlich eingerichtet. Neben dem großen Schreibtisch aus Kirschholz, hinter dem direkt das große Fenster war, standen einige prall gefüllte Bücherregale an den Wänden, sowie ein großer Schrank Überall hatte Alcyone grüne Pflanzen verteilt, die unweigerlich darauf hinwiesen, mit was die Besitzerin dieses Büros beruflich zu tun hatte. In einer Ecke stand ein bequemes schwarzes Sofa und darüber hing das Bild eines gemalten Sees im Abendrot.

Alcyone warf ihre Tasche auf das Sofa, öffnete den Schrank, zog ihren schwarzen Mantel aus und hängte ihn hinein. Im Gegenzug holte sie einen der vielen Umhänge - heute wählte sie schwarz - heraus und zog ihn sich über. Dann steuerte sie den Schreibtisch an und lies sich auf den Stuhl fallen. 

Auf Alcyones Schreibtisch befand sich nicht sehr viel. Außer einem Kalender, ein paar Ablagekörben, einem Stapel unbeschriebenen Pergamentblätter, einem Tintenfaß sowie mehreren Federn, gab es nur noch den Korb für die Eingangspost und eine kleine Topfpflanze der nichtmagischen - und somit harmlosen - Art, ein Rippenfarn. 

Ihre Aufmerksamkeit galt als erstes der Post, die, wie jeden Morgen, bereits in ihrem Eingangskorb lag. 

Alcyone nahm den kompletten Poststapel in die Hand und überflog ihn.

Es waren sechs Bewerbungen dabei, die sie ungeöffnet in den dafür vorgesehen Korb schmiß. Außerdem fand sie einen Brief, der auf den ersten Blick wie eine Einladung zu einem Vortrag aussah. Auch ihn ließ sie ungeöffnet in einem Ablagekorb verschwinden.

Der nächste Brief erregte allerdings Aufmerksamkeit bei ihr. Er war vom Zaubereiministerium selber und Alcyone wußte sofort woher. Sie riß den Umschlag auf und faltete das Pergamentblatt auf. Ihr Herz raste, als sie den Inhalt las.



Sehr geehrte Miß Hide,



nach ausgiebiger Prüfung ihrer magischen Fähigkeiten sind wir zu dem Entschluß gekommen, daß sie am nächsten Ersten mit dem Apparationskurs für erwachsene Zauberer teilnehmen können. Bitte finden Sie sich pünktlich um 18.30 Uhr im Raum 104 ein.



Mit freundlichen Grüßen,

James Scott, Leiter Apparationsabteilung



Alcyone faltete überglücklich das Blatt wieder zusammen. Sie hatte sich langsam schon gefragt, wann sie denn endlich diesbezüglich Bescheid bekommen würde. Sie hatte sich unverzüglich nach ihrem Hogwartsbesuch darum gekümmert. Das Ganze verlief allerdings anders, als sie sich das vorgestellt hatte. Viel komplizierter. Es wurde ihr erklärt, daß sie das nicht so einfach machen konnte, als bereits erwachsene, komplett ausgebildete Hexe. Sie mußte sich einem persönlichen Gespräch und einem Test, in dem sie ihre Zauberkünste demonstrieren sollte, unterziehen. Davor war sie am meisten nervös gewesen, weil sie wußte, daß sie nicht herausragend war, was ihre Zauberei anging. Wenn sie da an Sirius, Remus und Severus dachte, die alle drei exzellente Zauberer waren, hatte sie die Befürchtung, daß sie es vergessen könnte. Und als sie dann so lange nichts gehört hatte, war sie fest davon überzeugt gewesen, abgelehnt worden zu sein.

Doch jetzt hielt sie den uneingeschränkten Beweis in den Händen, daß sie es doch konnte; daß sie eine fähige Hexe war und vor allem, daß sie Severus bald jedes Wochenende sehen konnte; daß sie ihn bald wieder in ihre Arme schließen könnte. Das war bei weitem der glücklichste Gedanke, den sie seit langem hatte.

Alcyone steckte den Brief zurück in den Umschlag und lehnte ihn gegen die Topfpflanze, so daß sie ihn den ganzen Tag sehen konnte, wenn ihr danach war, und widmete sich, nachdem sie ihn einige Sekunden lang angeschaut hatte, dem letzten Brief.

Es war ebenfalls ein kleiner Umschlag, der keinen Absender hatte. Alcyone öffnete ihn und als sie das Pergamentblatt entfaltete, flog ein kleines Stück Papier heraus und segelte auf den Boden. Alcyone bückte sich danach und als sie es aufhob, stellte sie fest, daß es sich um eine Fotografie handelte. Die Fotografie eines großen schwarzen, mit dem Schwanz wedelnden Hundes, der beim Fotografieren mit seinen Augen direkt in die Kamera geschaut haben mußte, da sie direkt auf Alcyone gerichtet waren. Diese Augen kamen ihr bekannt vor. Sehr bekannt. Und irgendwie kam ihr auch der Hund sehr bekannt vor. Sie hatte ihn schon einmal gesehen. Bloß wo?

Angestrengt dachte sie ein paar Sekunden nach, bis sie die Erkenntnis mit einem Mal überraschend traf.

"Sirius!" sagte sie leise vor sich hin. 

Sie nahm den Brief, der mit dem Foto gekommen war und las ihn, wie den vorigen, durch. 



Hi Al,

ich dachte, da Du Dich ja heute bestimmt einsam fühlen mußt, würdest Du Dich über ein kleines Geschenk zum Valentinstag freuen.

Blumen oder Pralinen waren mir zu einfallslos, also dachte ich, ich schick Dir ein Foto für Deinen Schreibtisch. Ich wette, da steht bisher noch keines.

Herzliche Grüße von uns Beiden.



Alcyone lächelte. Das war wirklich eine nette Idee von Sirius und sie freute sich wirklich über das Foto. Sie las den Brief nochmals durch. War heute tatsächlich Valentinstag? Ein Blick auf ihren Kalender bejahte ihre Frage. Alcyone hatte daran gar nicht gedacht, weil sie bisher weder etwas zum Valentinstag erhalten, noch geschenkt hatte. Es war für sie immer ein Tag wie jeder andere gewesen. Ihre paar Beziehungen, die sie gehabt hatte, hatten nie bis zum Valentinstag gehalten, egal, wann sie begonnen hatten. 

Herzliche Grüße von uns Beiden stand da am Schluß. Alcyone wußte, daß Sirius damit nicht ihn als Hund meinte. Es sollte heißen, daß ihr Bruder sie auch grüßte. Sie bekam zwar auch regelmäßig Post von Remus, freute sich aber trotzdem über den lieben Gruß, den er ihr auf diesem Weg mitteilte.

Alcyone schob den Brief in eine ihrer Schubladen und stellte das Foto an das Tintenfaß, da der andere Platz, der an der Pflanze, ja schon belegt war. Sie würde sich noch heute ein Rahmen für das Foto besorgen. 

Jetzt, nachdem sie sich der vergnüglichen Post zugewendet hatte, begann Alcyone mit ihrer eigentlich Arbeit. 

Sie nahm den Stapel großer Briefe, den sie vorhin beiseite gelegt hatte und öffnete jeden einzelnen. Es waren, wie sie vermutet hatte, alles Bewerbungen. Diese hieß es jetzt gründlichst durchzuarbeiten, was eine Menge Schreibarbeit mit sich brachte. Nicht gerade Alcyones Lieblingsarbeit. Das würde ein langer Morgen werden.


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