Das Auge des Ares

 

 

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Kapitel 10: Mrs. Figgs Geheimnis



Nach diesen Aussichten fieberte Harry nicht gerade den Osterferien entgegen. Außer der Tatsache, dass er in dieser Zeit keinen Unterricht bei Snape haben würde konnte ihn der Gedanke an die Dursleys nicht unbedingt aufheitern.
Die letzte Schulwoche sollte eigentlich recht ereignislos verlaufen, doch es kam ganz anders.
Am Dienstag vor dem Mittagessen hatten sie wie immer ‚Pflege magischer Geschöpfe‘. Die Gryffindors machten sich gemeinsam auf den Weg zu Hagrids Hütte. Kurz nach ihnen trafen auch die Slytherins ein. Nachdem sie nun die beißenden Fische, die Feuer speienden Kröten, die stechenden Wasserschlangen und den Riesenkraken, dem sie letzte Woche die Tentakel hatten säubern müssen, abgehandelt hatten, waren Harry, Ron und Hermine der Meinung, dass es kaum schlimmer kommen konnte.
Als alle Schüler die kleine Holzhütte erreicht hatten zerrte Hagrid eine große Metallkiste aus dem Schatten hervor.
„Oh nein, nicht schon wieder Knallrümpfige Kröter“, stöhnte Ron. Auch Harry verzog das Gesicht. Neville, der Rons Worte gehört hatte wurde mit einem Schlag bleich.
Auch Malfoy verzog das Gesicht und zischte zu Crabbe und Goyle: „Dieser Vollidiot hat uns die längste Zeit unterrichtet, wartet es nur ab. Er wird solche Typen in unserer Welt nicht mehr lange dulden.“ Crabbe und Goyle grinsten, und sahen dabei noch dämlicher aus als üblich. Malfoy sah zu Harry herüber und grinste ebenfalls.
Harry starrte Malfoy ärgerlich an und mußte eine große Portion Selbstkontrolle aufbringen um nicht auf ihn loszugehen.
Glücklicherweise begann Hagrid in diesem Moment mit dem Unterricht. „Ich hab heute etwas ganz Besonderes für euch.“ Einige Schüler stöhnten leise. Sie wollten lieber gar nicht daran denken, was Hagrid wohl als ‚besonders‘ bezeichnen würde.
Hagrid öffnete mit einem Ruck den Deckel der metallenen Kiste und klappte ihn auf. Einige Mädchen traten instinktiv einen Schritt zurück. Hagrid bückte sich und nahm eine Plüschkugel aus der Kiste, die kaum größer war als ein Tennisball. Irgendwie erinnerte Harry das kleine Tier an Pigwidgeon, Rons winzige Eule, nur dass dieses Vieh keine Flügel hatte. Eigentlich hatte es gar nichts, außer ein paar großen, gelben Augen, einem breiten Mund, aus dem hechelnd eine Zunge heraushing und zwei winzige Hörner.
Ron trat neugierig einen Schritt nach vorne und fragte: „Was sind das für Dinger, Hagrid?“
Hagrid lächelte und antwortete: „Das sind Nuzzles.“
„Und was sind Nuzzles?“, fragte ein Mädchen aus Slytherin nur mäßig beeindruckt.
„Es gibt einige Zauberer, die halten diese kleinen Tierchen als Haustiere, sind aber nich ganz einfach zu handhaben, diese Nuzzles“, antwortete Hagrid, und kraulte das kleine Tier zärtlich zwischen den Hörnern. Der Nuzzle begann leise zu schnurren wie eine Katze.
„Was soll denn an dieser Fellkugel schwierig sein, sie hat ja nicht mal Beine um wegzulaufen“, sagte Malfoy herablassend und beäugte den Nuzzle abschätzig.
„Laufen kann er nich, das stimmt schon“, sagte Hagrid, „aber wenn sie erst mal in Fahrt sind hüpfen sie wie ein Gummiball durch die ganze Wohnung. Besonders schwierig is die Fütterung von diesen kleinen Kerlen. Kriegen sie zu viel wachsen sie wie der Teufel. Ich hab schon mal von einem gehört, der hatte ‘nen Durchmesser von mehr als einem Meter. Und wenn man ihnen zu wenig gibt, dann werden sie aggressiv.“
„Wie soll denn ein Fellknäuel aggressiv werden?“, fragte Malfoy wieder und setzte einen noch arroganteren Gesichtsausdruck auf.
„Oh, die können ganz schön wild werden. Wenn man einen Nuzzle nicht genug füttert wachsen ihm lange Zähne und Klauen und er wird sehr angriffslustig. Haben schon einige Leute ins Zaubererkrankenhaus gebracht, die Kerlchen.“
Parvati Patil und ihre Freundin Lavender Brown machten noch einen Schritt rückwärts und starrten den kleinen Nuzzle in Hagrids Hand an, als ob er gleich explodieren würde.
Hagrid schien den erschreckten Blick der Mädchen bemerkt zu haben und fuhr beschwichtigend fort: „Aber macht euch keine Sorgen, wenn man die Nuzzles ganz normal füttert behalten sie ihre Größe und sind nette Spielgefährten. Na los, nehmt euch alle mal einen und spielt ein bißchen mit ihnen, sie wollen beschäftigt werden.“
Zögernd traten die Schüler nacheinander an die große Kiste und holten sich jeder einen Nuzzle heraus. Ron hatte seinen kaum aus der Kiste geholt, als dieser ein spitzes Quieken ausstieß, von Rons Arm herunter hüpfte und mit riesigen Sätzen durch die versammelten Schüler sprang. Ron hechtete ihm hinterher und brauchte einige Minuten um den wild gewordenen Fellball wieder einzufangen.
Als er ihn endlich wieder in seiner Hand hatte blickte er sich um und sah Hagrid, der breit grinsend zwischen den Schülern stand. „Sie müssen sich erst ein bißchen an euch gewöhnen, sind nämlich manchmal scheu.“
„Sag mal Hagrid“, fragte Hermine wenig später, „was fressen diese Tiere denn eigentlich?“
„Och, die fressen eigentlich alles, außer Metall. Es ist also besser, wenn ihr sie die meiste Zeit in ihren Käfigen laßt, damit sie euch nicht die gesamte Einrichtung zu Hause auffressen.“
„Zu Hause?“, fiel Harry ihm verwirrt ins Wort.
„Hatte ich das noch nicht erwähnt?“, fragte Hagrid unsicher, „ich dachte wir machen daraus ein kleines Projekt, und jeder von euch nimmt einen Nuzzle über die Ferien mit nach Hause. Nach den Ferien sehen wir dann, wie sie sich entwickelt haben.“
Einige Schüler starrten Hagrid entgeistert an, ein paar andere murrten lautstark. „Hagrid, ich kann so ein Ding doch nicht mit zu den Dursleys nehmen“, sagte Harry leise, so dass nur Hagrid ihn hören konnte.
„Warum nicht? Vielleicht tut deinem fetten Cousin ein Haustier ganz gut, das ihn auf Trab hält“, antwortete Hagrid und zwinkerte Harry zu.
Harry stöhnte. Ihm drehte sich der Magen um, wenn er daran dachte, was alles passieren konnte, wenn er ein solches, magisches Tier mit in den Ligusterweg brachte.
Im Verlauf der Stunde erzählte Hagrid ihnen noch einiges über die spezielle Fütterung der Nuzzles und was die Schüler in der nächsten Woche zu beachten hatten. Gegen Ende der Stunde verteilte er an alle kleine Metallkäfige, aus denen die kleinen Pelzknäule nicht ausbrechen konnten.
„Bis Freitag könnt ihr sie noch bei mir lassen. Ihr kommt dann einfach nach eurer letzten Stunde vorbei und holt euren Nuzzle ab. Ihr habt bestimmt viel Spaß mit ihnen.“
Bedrückt machte Harry sich mit Ron und Hermine auf den Weg zurück zur Schule. Ihm war gar nicht wohl bei dem Gedanken eine Woche lang dieses kleine Tier vor den Dursleys verstecken zu müssen.
Ron versuchte ihn aufzuheitern: „Es ist doch nur eine Woche, das kriegst du schon hin.“
Harry stöhnte wieder. „Du hast doch letztes Jahr die Dursleys gesehen, wenn die irgend etwas mitkriegen von diesem Vieh, kann ich mich auf was gefaßt machen.“
Auf dem Weg zum Mittagessen versuchten Ron und Hermine Harry noch weiter aufzuheitern, doch mit der Aussicht gleich zu Professor Snape in die Kerker zu müssen gelang es ihnen nur mäßig.
Professor Snape war einer der wenigen Lehrer, der sich durch die anstehenden Ferien überhaupt nicht beeindrucken ließ. Im Gegenteil, er hielt dies für die perfekte Zeit, um seinen Schülern noch mehr Hausaufgaben aufzugeben als üblich.
Wie gewöhnlich machte er seine Runden, während die Schüler konzentriert ihre Tränke brauten. Als er Ron und Harry erreicht hatte, die gerade dabei waren gehackte Molchleber in den Kessel zu geben hielt er inne.
„Mr. Weasley“, sagte Snape mit seiner öligen Stimme, „Sie sollten diese Leber ordentlich in gleich große Teile zerhacken, und nicht pürieren. Davon wird Ihr Trank auch nicht besser. Falls dieses Gebräu überhaupt diese Bezeichnung verdient.“
Rons Gesicht nahm die selbe Farbe an wie seine Haar.
Hermine, die zusammen mit Dean Thomas am Nachbartisch arbeitete warf Ron einen mitleidigen Blick zu. Er hatte es tatsächlich ein bißchen zu gut mit seiner Leber gemeint, wie Hermine auf den ersten Blick bemerkte, denn sie erinnerte irgendwie an einen Brei.
Snape ging langsam weiter und begutachtete die Tränke der anderen Schüler. Bei den Gryffindors hatte er jedes Mal etwas auszusetzen, den Slytherins jedoch gab er hin und wieder gute Tipps und hatte hier und da sogar ein Lob übrig für einen seiner Meinung nach besonders gut gelungenen Trank.
Als er seine Runde fast beendet hatte kam er schließlich zu Neville Longbottom, der heute mit Seamus Finnigan zusammen arbeitete. Seamus war zwar nicht der Schlechteste in ‚Zaubertränke‘ doch er hatte in der Regel kaum eine Chance die Katastrophe abzuwenden, die Neville regelmäßig zusammen braute.
Snape war hinter Neville stehen geblieben und beobachtete, wie er mit zitternden Händen seinen Knollenblätterpilz in dünne Scheiben schnitt.
„Sagen Sie mir bitte, Longbottom, was ist das da in Ihrem Kessel?“, fragte Snape den immer stärker zitternden Neville und deutete auf den Kessel vor ihm. Neville drehte sich zu Snape um und blickte ihn mit angstgeweiteten Augen an.
Er öffnete den Mund um zu antworten, als Snape ihn kalt unterbrach: „Was auch immer Sie antworten, erklären Sie mir nicht, dass es sich bei diesem Gebräu um einen Zaubertrank handelt.“
Neville schloß den Mund wieder und wurde bleich.
„Ich würde normalerweise vorschlagen, dass wir diesen Verwirrungstrank an Ihnen ausprobieren, um seine Wirkung zu testen, doch ich befürchte, selbst wenn dieses Gebräu die gewünschte Wirkung hätte, was ich stark bezweifle, würden wir keine Veränderung an Ihnen bemerken. Die Verwirrung steht Ihnen auch so ins Gesicht geschrieben.“
Neville wurde noch bleicher und starrte seinen Lehrer immer noch an, unfähig sich zu bewegen. Snape war Nevilles angstvoller Gesichtsausdruck nicht entgangen und machte sich mit einem selbstgefälligen Lächeln auf den Weg zu seinem Schreibtisch. Dort angekommen setzte er sich auf seinen Stuhl, lehnte sich genüsslich zurück und fixierte Neville erneut.
„Fünf Punkte Abzug für Gryffindor, Mr. Longbottom, für unangebrachte Kreativität“, sagte er mit öliger Stimme und sein Grinsen wurde noch breiter.
Die Gryffindors waren froh als diese Zaubertrankstunde endlich vorüber war. In solch einer unangenehmen Laune hatten sie Snape schon lange nicht mehr erlebt.

Viel schneller als Harry es gehofft hatte war Samstag. Alle Schüler hatten bereits ihre Koffer gepackt, und Harry saß mit Ron und Hermine gemeinsam im Gemeinschaftsraum in einer gemütlichen Sesselgruppe, ihr Gepäck und die Käfige mit den Nuzzles auf einen Haufen gestapelt. Der Hogwarts-Express würde um 11 Uhr in Hogsmeade abfahren um die Schüler nach Kings Cross zu bringen.
„Sag mal, Hermine“, fragte Ron, „warum sieht dein Koffer denn so vollgestopft aus, wir sind doch in einer Woche wieder hier.“
Hermine blickte Ron verständnislos an: „Na ja, meine Bücher nehmen halt so viel Platz weg.“
„Hast du etwa alle Bücher in den Koffer gequetscht?“, fragte Ron weiter.
„Natürlich, ich habe mir für diese Woche viel vorgenommen. Ich möchte den gesamten Stoff von ‚Verwandlung‘ und ‚Geschichte der Zauberei‘ wiederholen.“
„Oh, Hermine“, stöhnte Harry und konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen, „es sind noch über zwei Monate hin bis zu den Prüfungen, da hast du noch massig Zeit zum Lernen.“
„Du sagst es“, antwortete Hermine ungerührt, „es sind nur noch zwei Monate, und euch würde es auch nicht schaden, wenn ihr ab und an mal in eure Bücher schauen würdet. Die ZAG-Prüfungen sind sehr wichtig. Sie sind eine Vorentscheidung für unser ganzes zukünftiges Leben. Glaubt ihr etwa, dass ihr einen guten Job findet, wenn ihr schlechte Noten in der Schule habt?“
„Ach Hermine, wir werden doch ohnehin Auroren, da kommt es auf die praktischen Fähigkeiten an und nicht auf Schulnoten“, sagte Ron und lehnte sich in seinem Sessel zurück.
„Täusch dich da lieber nicht, das Ministerium nimmt nur die Besten. Es bewerben sich jedes Jahr so viele dort, dass sie sehr streng selektieren“, antwortete Hermine belehrend.
Harry wurde diese Unterhaltung allmählich zu bunt. Schließlich hatten sie noch über 2 Jahre Zeit um sich darüber klar zu werden, was sie mit ihrem späteren Leben anfangen wollten. Er für seinen Teil hatte sich noch überhaupt keine Gedanken darüber gemacht. Das einzige, in dem er wirklich gut war, war Quidditch, aber ob er gut genug war, um für eines der ganz großen Teams zu spielen wußte er nicht.
Ron und Hermine hatten mittlerweile ihre Diskussion über ihre berufliche Zukunft beendet und Ron sagte zu seinen Freunden: „Ich verstehe wirklich nicht, warum die hier alle so einen Aufstand machen. Ich finde es ziemlich übertrieben, für nur eine Woche die gesamte Schule zu räumen.“
„Aber wenn alle Lehrer weg sind, wer soll denn dann auf uns und die Schule aufpassen? Mr. Filch etwa?“, fragte Hermine.
„Um Gottes Willen, da fahre ich ja lieber nach Hause“, stöhnte Ron und verzog das Gesicht. Harry mußte lachen als er Rons vor Entsetzen aufgerissene Augen sah.
Um kurz vor halb elf verabschiedete Harry sich von seinen Freunden und machte sich mit seinem Koffer, Hedwigs Käfig und dem Käfig mit dem Nuzzle, den er mit einem großen Tuch abgedeckt hatte, auf den Weg zu Professor Dumbledores Büro. Die Geheimtür stand offen und Professor Dumbledore erwartete ihn bereits.
„Ah, Harry, da bist du ja. Hier auf dem Tisch liegt der Portschlüssel“, sagte er und deutete auf seinen Schreibtisch.
Harry folgte seinem Fingerzeig und blickte sich verwirrt auf dem Schreibtisch um. Er war überladen mit verschiedenen Papieren, mehrere Federn lagen dazwischen und in einer freien Ecke stand eine fast abgebrannte Kerze.
„Ähm, was ist es denn?“, fragte Harry.
„Oh, natürlich, entschuldige, du konntest ihn nicht gleich erkennen, mein Schreibtisch ist im Moment wirklich unordentlich, aber ich habe noch viel zu erledigen, bevor wir alle nach London aufbrechen. Es ist die Kerze dort drüben“, sagte Dumbledore und zeigte nun deutlich auf den Kerzenstummel.
Harry grinste. Er wußte, dass Zauberer gerne etwas unauffälliges als Portschlüssel verwendeten, damit es den Muggeln nicht auffiel, und diese Kerze war wirklich unauffällig. Niemand würde je auf den Gedanken kommen, dass es sich hierbei um einen Gegenstand handelte, mit dessen Hilfe man innerhalb von Sekunden mehrere hundert oder sogar tausend Kilometer zurücklegen konnte.
„Ich habe hier noch einen Brief, gib ihn bitte deinem Onkel und deiner Tante sobald du bei ihnen angekommen bist“, sagte Professor Dumbledore und reichte Harry einen Brief.
Harry drehte ihn neugierig in den Händen und bemerkte, dass er wie auch die Briefe, die er jedes Jahr zum Schulbeginn erhielt mit dem Siegel von Hogwarts verschlossen war. Harry war etwas enttäuscht als er das Siegel erblickte. Er hatte gehofft, den Brief vielleicht lesen zu können, bevor er ihn Onkel Vernon gab. Schließlich interessierte es ihn, was sein Schuldirektor wohl von seinem Onkel wollte.
Professor Dumbledore schien Harrys Gedanken gelesen zu haben, denn er sagte: „Es steht nichts besonderes drin, er soll deine Verwandten lediglich daran erinnern, dass sie noch nicht das endgültige Sorgerecht bekommen haben, und sie kein Recht haben dich davon abzuhalten am Ende der Woche wieder nach Hogwarts zurück zu kehren.“
„Danke, Sir“, sagte Harry und steckte den Brief in seinen Umhang.
„Die anderen Schüler werden nächsten Samstag etwa zur Abendessenszeit wieder mit dem Hogwarts-Express hier eintreffen“, fuhr Dumbledore fort. „Ich habe jedoch nichts dagegen, wenn du schon im Laufe des Nachmittags zurückkommst, Harry. Der Portschlüssel wird dich wieder in mein Büro bringen.“
Harry nickte. Dann trat er an den Schreibtisch heran, nahm seinen Koffer und Hedwigs Käfig in die linke Hand und klemmte sich den kleinen Käfig mit dem Nuzzle unter den Arm. „Bis nächstes Wochenende, Professor“, sagte er und griff nach der Kerze.
Er fühlte ein unangenehmes Ziehen um seinen Bauchnabel herum, dann begann das Zimmer um ihn herum zu verschwimmen. Er hatte das Gefühl, als ob er von einem unsichtbaren Haken direkt hinter seinem Nabel nach vorne gerissen wurde als er den Boden unter den Füßen verlor. Seine Hand schien an dem Kerzenstummel festgeklebt zu sein, er konnte seinen Griff nicht mehr lockern. Er raste durch wirbelnde Farbspiralen und wütende Böen dahin. Einen Augenblick später schlug er hart auf dem Boden auf.
Für einen Moment war alles um Harry herum noch verschwommen, dann begann das Zimmer langsam Gestalt anzunehmen. Er saß auf dem Wohnzimmerteppich des Ligusterwegs Nr. 4.
Als er sich umblickte erkannte er Onkel Vernon und seinen Cousin Dudley, die beide auf dem Sofa saßen. Onkel Vernon sah Harry ärgerlich an.
„Da bist du ja, Bursche“, blaffte sein Onkel ihn an. „Was ist denn das schon wieder für eine komische Art zu reisen? Na, wenigstens ist dieses Mal unser Wohnzimmer heil geblieben.“
Harry antwortete nicht, er war noch zu benommen von der turbulenten Reise.
„Bring deine Sachen nach oben, und dann mach dass du wieder hier herunter kommst. Es wartet in dieser Woche eine Menge Arbeit auf dich. Glaube ja nicht, dass du uns auf der Tasche liegen kannst. Du wirst arbeiten für dein Essen“, sagte Onkel Vernon barsch und seine kleinen Augen waren zu Schlitzen verengt.
Harry raffte sich auf, griff nach seinem Gepäck und schleppte alles die Treppe hinauf in sein Zimmer. Dort angekommen stellte er Hedwigs Käfig und den immer noch zugedeckten Nuzzle auf den Tisch und holte den beiden Tieren je eine Schale Wasser. „Hier meine Gute“, sagte er zärtlich zu Hedwig, „wenigstens du sollst es gut haben.“ Dann zog er seinen Zaubererumhang aus, zog den Brief für Onkel Vernon aus der Tasche und machte sich wieder auf den Weg nach unten.
Onkel Vernon erwartete ihn bereits in der Küche. Dudley stand wieder neben ihm und grinste Harry breit an. Tante Petunia war nirgendwo zu sehen. Wahrscheinlich war sie einkaufen gegangen. „Na Cousin, konnten sie dich in der Schule nicht mehr ertragen?“, fragte Dudley und sein Grinsen wurde noch breiter.
Harry versuchte die Frage zu ignorieren und reichte seinem Onkel den Brief von Professor Dumbledore.
„Von wem ist der?“, fragte Onkel Vernon mißtrauisch.
„Der ist von meinem Schulleiter, ich soll ihn dir geben, sobald ich hier angekommen bin“, antwortete Harry wahrheitsgemäß.
Onkel Vernon riß den Umschlag auf und überflog die Zeilen. Dann schnaubte er verächtlich. Dudley versuchte seinem Vater über die Schulter zu schielen, doch dieser hatte den Brief bereits zerknüllt.
„Hier ist eine Liste der Arbeiten, die du in der nächsten Woche erledigen wirst“, sagte Onkel Vernon und reichte Harry eine lange Liste. Sie enthielt mindestens zwanzig verschiedene Punkte, angefangen vom Rasen mähen, über Zaun streichen bis hin zum Unkraut rupfen.
Harry stöhnte.
„Hast du etwa geglaubt, du könntest hier auf der faulen Haut liegen? Mach, dass du an die Arbeit kommst, von alleine wird sie nicht erledigt“, blaffte Onkel Vernon ihn an.
Harry seufzte und machte sich auf den Weg in den Garten. Es war ein schöner Frühlingstag und schon recht warm für diese Jahreszeit. Er ging in die Garage und holte den Rasenmäher. All diese Arbeiten hatten nur einen Vorteil: er würde die Dursleys nicht all zu oft zu Gesicht bekommen, denn nicht einmal im Sommer hielten sie sich viel im Garten auf, geschweige denn im Frühling, wenn es doch an manchen Tagen noch empfindlich kalt werden konnte. Vor allem Dudley vermied es so gut er konnte auch nur den kleinsten Sonnenstrahl abzubekommen.
Die nächsten Tage war Harry von früh bis spät damit beschäftigt die Büsche zu beschneiden, den Gartenzaun zu streichen, das Unkraut zu rupfen und die Kübel neu zu bepflanzen. Wenigstens stellte Tante Petunia ihm regelmäßig ein belegtes Brot und ein Glas Wasser auf die Terrasse, so dass Harry genug zu essen und zu trinken hatte. Ansonsten ließen ihn die Dursleys wie er es erwartet hatte in Ruhe. Onkel Vernon war den ganzen Tag im Büro, Tante Petunia kam nur selten aus der Küche heraus, und Dudley hatte seinen fetten Hintern in den Sessel vor dem Fernseher im Wohnzimmer gezwängt und verließ diesen Platz nur zu den Mahlzeiten. Ab und an wandte er seinen Blick von dem Fernsehprogramm ab und warf Harry durch das Wohnzimmerfenster gehässige Blicke zu.
Um genug Futter für den Nuzzle zu beschaffen schlich Harry sich jeden Abend, nachdem die Dursleys im Bett waren, nach unten in die Küche und holte dem kleinen Fellknäuel etwas zu fressen. Obwohl er nie wagte zu viel mitzunehmen schien es dem Nuzzle zu reichen, denn er bekam keine Klauen und langen Zähne. Nachdem Harry sich um den Nuzzle gekümmert hatte, machte er sich an seine Hausaufgaben. Fast alle Lehrer hatten ihnen eine gehörige Portion Arbeit mit in die Ferien gegeben.
Da die Dursleys es vermieden Harrys Zimmer zu betreten, entweder weil es ihnen egal war was Harry dort trieb, oder weil sie Angst hatten sich dort irgend eine ansteckende Krankheit einzufangen, ließ Harry immer öfter seine Zauberbücher auf dem Tisch liegen und machte sich nicht mehr die Mühe, sie unter dem losen Dielenbrett unter seinem Bett zu verstecken.

Es war mittlerweile Freitag, sechs Tage waren vergangen und Harry hatte die Woche fast überstanden. Zu seiner Erleichterung näherte er sich auch dem Ende seiner Arbeit.
Er war gerade dabei ein Beet am Rande der Terrasse mit dunkelblauen Stiefmütterchen zu bepflanzen, als er ein sonderbares Geräusch aus dem Gebüsch am anderen Ende des Gartens hörte.
„Pssst“.
Geräuschlos legte er seine Hacke zur Seite und erhob sich. Leise ging er in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war.
„Pssssst“.
Harry schlich weiter auf die Hecke zu, als er zwei Augen zwischen den Blättern erkannte. Als er noch einen Meter näher herankam konnte er auch das Gesicht dazu erkennen.
„Mrs. Figg“, rief er überrascht.
„Hallo Harry, sei bitte leise“, flüsterte Mrs. Figg, die alte Nachbarin der Dursleys, „ich möchte nicht, dass deine Tante mich hier sieht.“
Harry blickte die alte Frau verwirrt an. „Aber warum verstecken Sie sich in unserer Hecke?“, fragte er.
„Ich wollte mit dir reden“, antwortete sie, und ein leichtes Lächeln umspielte ihren Mund.
„Mit mir?“, fragte Harry überrascht, „aber was wollen Sie denn von mir?“
„Nicht hier, kannst du nachher zu mir herüber kommen, vielleicht können wir zusammen eine Tasse Tee trinken. Es ist wirklich eine Ewigkeit her, dass du das letzte Mal bei mir warst, mein Junge“, flüsterte sie.
„Ich weiß nicht“, sagte Harry zweifelnd, und warf einen vorsichtigen Blick in Richtung Wohnhaus. Er konnte durch das Wohnzimmerfenster sehen, dass Dudley wie immer vor dem Fernseher saß und sich Kartoffelchips in den Mund stopfte, Tante Petunia konnte er nicht entdecken, sie war wohl in der Küche.
„Es ist wirklich sehr wichtig“, sagte Mrs. Figg eindringlich. Harry überlegte einen Moment. Er hatte die Besuche bei Mrs. Figg nicht in all zu guter Erinnerung. Früher hatte sie ihm immer stundenlang von ihren verblichenen Katzen erzählt und Harry damit fast zu Tode gelangweilt.
„In Ordnung“, sagte Harry schließlich, „ich versuche in einer Stunde bei ihnen zu sein, vorausgesetzt Tante Petunia denkt sich nicht irgendwelche Sonderaufgaben für mich aus.“
Mrs. Figg strahlte. „Also, bis dann“, sagte sie und verschwand.
Harry blieb noch einen Moment an der Hecke stehen und grübelte. Was konnte die alte Frau wohl von ihm wollen? Sie hatte nicht den Eindruck gemacht, dass sie Harry nur wieder mit Geschichten über ihre Katzen langweilen wollte.
Eine knappe Stunde später, gerade, als Harry sich auf den Weg zu Mrs. Figg machen wollte, stand plötzlich Dudley vor ihm und starrte ihn an.
„Was willst du?“, fragte Harry unfreundlich.
Dudley grinste breit. „Och, ich wolle mir nur mal ansehen wie schön du arbeitest, Cousin, macht’s Spaß?“
Harry biß sich auf die Lippen und sagte nichts. „Muß wirklich schlimm sein, wenn man auf der eigenen Schule keine Freunde hat“, versuchte Dudley weiter Harry zu reizen.
„Bist du hier raus gekommen um mich zu nerven?“, fragte Harry ärgerlich.
Dudleys Grinsen wurde noch breiter. „Na, habe ich etwa den richtigen Punkt getroffen?“, fragte er und sah auf Harry, der gut zwei Köpfe kleiner war als Dudley, herab.
„Wenn du nicht gleich verschwindest“, zischte Harry ärgerlich, „wirst du dich wundern, was für schöne Tentakel aus deinem Kopf wachsen können.“
Das hatte gewirkt. Dudley riß ängstlich die Augen auf, drehte sich auf dem Absatz um und rannte zurück ins Haus. Harry konnte nur hoffen, dass er nicht direkt zu Tante Petunia rannte, diese fand es nämlich mit Sicherheit nicht spaßig, wenn Harry Dudley bedrohte. Außerdem reagierte sie sehr empfindlich auf jegliche Erwähnung von Zauberei.
Als Dudley verschwunden war legte Harry die Gartengeräte zur Seite und verließ unauffällig den Garten der Dursleys. Er konnte nur hoffen, dass niemand ihn vermissen würde, denn was sollte er dann sagen? Seine Tante würde ihm bestimmt nicht glauben wenn er sagte, dass ihre Nachbarin, Mrs. Figg, ihn zum Tee eingeladen hatte.
Er rannte so schnell er konnte über die ausgestorbene Straße des Ligusterwegs und klingelte kurz darauf am Haus von Mrs. Figg. Unter der Klingel war ein altes, ausgeblichenes Namensschild angebracht, auf dem zu lesen war ‚A. Figg‘. Harry hatte sich noch nie Gedanken darüber gemacht, wie die alte Frau wohl mit Vornamen heißen könnte und schämte sich nun fast dafür.
Harry klingelte noch einmal und Mrs. Figg öffnete die Tür. Sie hatte ihr graues Haar zu einem festen Knoten ins Genick gebunden und trug ein einfaches, schwarzes Kleid. Irgendwie erinnerte sie Harry ein bißchen an Professor McGonagall, nur, dass die Hauslehrerin von Gryffindor meistens ein sehr strenges Gesicht machte, und Mrs. Figg ihn nun freundlich anlächelte.
„Harry, schön dass du da bist, komm doch herein“, sagte sie und Harry betrat den düsteren Flur. Obwohl er nun schon seit Jahren nicht mehr bei Mrs. Figg gewesen war hatte sich kaum etwas verändert. Er folgte ihr in das freundliche Wohnzimmer und erkannte sofort die scheußliche, geblümte Couch und den dunklen, alten Tisch, die schon vor vielen Jahren in diesem Zimmer gestanden hatten.
„Setz dich mein Junge, ich hole uns gleich den Tee“, sagte sie und bedeutete Harry, sich auf das Sofa zu setzen.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte Harry höflich. Er fand es nicht gut die alte Frau die ganze Arbeit alleine machen zu lassen.
„Oh nein, mein Lieber, das schaffe ich schon, mach es dir nur bequem, ich bin gleich wieder da.“
Mit diesen Worten verließ sie das Wohnzimmer und Harry ging zu der geblümten Couch. Er setzte sich und blickte sich neugierig um. Es hatte sich wirklich nicht viel geändert. Auf den Regalen, die an der gegenüberliegenden Wand angebracht waren standen zwischen unzähligen Büchern immer noch die selben alten Fotos von verschiedenen Katzen und selbst die Zimmerpflanzen schienen sich kaum verändert zu haben.
Neugierig stand Harry auf und ging zu den Regalen. Er wollte zu gerne wissen, welche Bücher Mrs. Figg so las. Früher hatte er sich darüber nie Gedanken gemacht, aber aus irgend einem Grund war seine Neugier geweckt.
Das Regal war zum größten Teil bestückt mit kitschigen Muggel-Liebesromanen und Krimis, die Harry nicht sonderlich interessierten. Er wollte sich gerade wieder zu dem scheußlichen Sofa umdrehen, als sein Blick auf einem Buch hängen blieb, das er zu kennen schien. Er ging noch einen Schritt näher und besah sich den Rücken des Buches. Der Titel lautete: ‚Heiltränke der Antike‘ von Griselda Salutari. Harry stutzte. Er wußte genau, dass er dieses Buch schon einmal in der Bibliothek von Hogwarts gesehen hatte. Aber was machte Mrs. Figg mit einem Zauberbuch?
In diesem Moment riß ein Geräusch Harry aus den Gedanken. Er drehte sich ruckartig um und blickte in das lächelnde Gesicht von Mrs. Figg. „Das ist wirklich ein sehr gutes Buch“, sagte sie freundlich, und ihr Lächeln wurde noch breiter.
„Mrs. Figg, wie kommen Sie an dieses Buch?“, fragte Harry vorsichtig.
„Nun“, sagte Mrs. Figg, „ich habe es dort gekauft, wo jeder seine Zauberbücher kauft, in der Winkelgasse.“
„Aber, aber ...“, stotterte Harry verwirrt, „sind Sie etwa eine Hexe?“
„Natürlich, hast du das denn nicht gewußt?“, fragte sie Harry überrascht.
„Nein“, sagte Harry verblüfft. Er starrte Mrs. Figg mit offenem Mund an.
„Ich war eine gute Freundin deiner Eltern“, fuhr sie fort und seufzte leise, „und ich habe ihnen vor vielen Jahren versprochen gut auf dich aufzupassen.“
Harry konnte immer noch nicht fassen, was er eben erfahren hatte. Er hätte nie im Leben gedacht, dass die alte Frau, die er nun schon seit einer Ewigkeit kannte eine Hexe sein könnte.
„Wissen die Dursleys, dass Sie eine Hexe sind?“, fragte er Mrs. Figg neugierig.
„Nein, Gott bewahre, sie haben keine Ahnung, und Albus Dumbledore hat mir ans Herz gelegt, dass sie es auch niemals erfahren dürfen.“
„Sie kennen Professor Dumbledore?“, fragte Harry weiter.
„Aber natürlich, er war es doch, der vorgeschlagen hat mich zu deinem Geheimniswahrer zu machen. Du weißt doch, was das ist?“, fragte ihn Mrs. Figg.
Harry nickte nur stumm. Langsam ging er zurück zu der geblümten Couch und ließ sich matt in die weichen Polster fallen.
Mrs. Figg folgte ihm und setzte sich in einen Sessel, der dem Sofa gegenüber stand. Er war ebenfalls geblümt, jedoch in einem völlig anderen Muster. Sie stellte das Tablett mit der Teekanne und den beiden Tassen auf den Tisch und begann beiden Tee einzuschenken. Dann nahm sie einen großen Schluck und lehnte sich genüßlich in ihrem Sessel zurück.
„Sie sind meine Geheimniswahrerin?“, fragte Harry sie nun und blickte sie erwartungsvoll an. Er hatte schon einmal von Geheimniswahrern gehört. Peter Petticrew war damals der Geheimniswahrer seiner Eltern gewesen, damit Lord Voldemort sie nicht finden konnte, doch er hatte sie schamlos verraten und so hatten seine Eltern durch die Hand des dunklen Lord den Tod gefunden.
„Ja, Albus Dumbledore war vor vielen Jahren, als er dich zu den Dursleys brachte der Meinung, dass es nicht reichen würde dich einfach nur räumlich von der Zaubererwelt fern zu halten. Er wußte von Anfang an, dass Du-Weißt-Schon-Wer eines Tages zurückkehren würde. Wir haben damals lange darüber diskutiert wer diese große Bürde übernehmen sollte, und da ich die Unauffälligste von uns allen war, ist die Wahl auf mich gefallen. Mich hat damals niemand mit den großen Kämpfern in Verbindung gebracht, die sich Du-Weißt-Schon-Wem in den Weg gestellt haben. Sicher ist es dir nicht aufgefallen, aber ich habe dich jahrelang beobachtet. Auf dem Weg zur Schule, oder auch auf dem Nachhauseweg waren entweder ich oder eine meiner Katzen immer anwesend und haben über dich gewacht.“
Harry hatte ihr still zugehört. „Nein, das ist mir nie aufgefallen. Aber wer stand denn noch zur Auswahl?“, fragte er nun.
„Albus selbst fiel natürlich aus“, fuhr Mrs. Figg fort, „Sirius Black war auf dem Weg nach Askaban, oh, der arme Junge, ich habe nie daran gezweifelt, dass er unschuldig ist, und Remus Lupin wäre viel zu auffällig in dieser Gegend gewesen. Stell dir nur mal vor er wäre hier als Werwolf deiner Tante oder deinem Onkel über den Weg gelaufen, nicht auszudenken. Du mußt wissen, dass die Forschung damals noch nicht so weit fortgeschritten war wie heute, noch vor fünf Jahren war es einem Werwolf nicht möglich sich selbst zu kontrollieren wenn er sich verwandelte.“
Harry starrte die alte Frau immer noch an. „Sie kennen Sirius und Remus?“
„Aber natürlich, wir haben viele Jahre zusammen gekämpft“, antwortete sie wie selbstverständlich.
Plötzlich durchfuhr Harry die Erkenntnis wie ein Blitz. „Entschuldigen Sie, Mrs. Figg, aber heißen Sie mit Vornamen vielleicht Arabella?“, fragte er sie.
„Ja, so heiße ich, warum fragst du?“
„Nun, ich habe vor einiger Zeit Professor Dumbledore von einer Arabella Figg sprechen hören, aber ich hätte nicht im Traum daran gedacht, dass er Sie meinen könnte“, antwortete er.
Mrs. Figg lächelte. „Ja, das bin ich.“ Sie machte ein kurze Pause und schien in ihre Erinnerungen zu versinken. Dann richtete sie sich mit einem Ruck wieder auf und sagte energisch: „Ach Gott, jetzt rede ich hier und rede, dabei habe ich dich doch wegen etwas völlig anderem zu mir gebeten.“
Sie stand auf und ging zu dem großen Regal an der gegenüberliegenden Wand. Nach einigem Suchen zog sie ein schmales, längliches Kästchen zwischen den Büchern hervor und reichte es Harry. Harry hatte solche Kästchen schon einmal gesehen, vor fünf Jahren, als er seinen Zauberstab bei Mr. Olivander in der Winkelgasse gekauft hatte. Er nahm das Kästchen aus den Händen von Mrs. Figg und blickte sie fragend an.
„Na los, mach es schon auf“, sagte sie, und lächelte ihn aufmunternd an.
Harry hob den Deckel von dem schmalen Karton und starrte hinein. In dem Kästchen, auf einem roten, verschlissenen Stück Samt lag ein alter, abgegriffener Zauberstab.
„Das ist der Zauberstab deines Vaters, nimm ihn schon, ich bin gespannt, ob er zu dir paßt.“
Harry streckte vorsichtig seine rechte Hand aus und griff nach dem Zauberstab. In dem Moment, als er den Stab berührte, spürte er ein Kribbeln, das durch seinen ganzen Körper zu laufen schien. Er hob langsam den Zauberstab und begann ihn ausladend durch die Luft zu schwingen. Aus der Spitze des Zauberstabes trat ein Nebel aus goldenen und silbernen Funken. Harry hatte so etwas schon einmal gesehen. Als er seinen Zauberstab das erste Mal in der Hand gehabt hatte, waren auch Funken aus seiner Spitze getreten, aber es waren bei weitem nicht so viele gewesen. Auch hatte er damals nicht dieses angenehme Kribbeln gespürt.
„Das habe ich nicht zu träumen gewagt“, rief Mrs. Figg glücklich, „ich habe noch nie eine bessere Harmonie zwischen Zauberer und Zauberstab gesehen als diese hier. Du bist für diesen Zauberstab geboren, mein Junge. Dieser Zauberstab hat wirklich schon unzählige Kämpfe überstanden und ich bin sicher, dass auch du noch viel mit seiner Hilfe vollbringen wirst.“
Harry strahlte. Stolz betrachtete er sich den Zauberstab seines Vaters genauer. Er war äußerlich wirklich schon sehr abgegriffen und zerschlissen, schien aber ansonsten noch in tadellosem Zustand zu sein. Kurz oberhalb des Griffs war ein kleines Symbol in das Holz geritzt. Harry betrachtete es genauer. Es sah aus, wie ein kleiner Dreizack.
„Was bedeutet das hier?“, fragte er die alte Frau, und deutete auf die Gravur.
Mrs. Figg beugte sich zu Harry herüber und besah sich die Stelle genauer, auf die er gedeutet hatte. Ratlos schüttelte sie den Kopf. „Das kann ich dir auch nicht sagen, dieses Symbol ist mir noch gar nicht aufgefallen. Wenn du das nächste Mal in die Winkelgasse kommst, solltest du Mr. Olivander fragen, er hat damals deinem Vater diesen Zauberstab verkauft, er kann es dir bestimmt sagen“, antwortete Mrs. Figg ratlos.
„Wissen Sie, aus was der Zauberstab gemacht ist?“, fragte Harry die alte Frau neugierig.
„Nein, das kann ich dir leider nicht sagen, das Holz scheint von einem Berg-Ahorn zu sein, aber ich habe keine Ahnung, aus was der Kern gemacht ist.“
„Sagen Sie bitte, Mrs. Figg, wie sind Sie an den Zauberstab meines Vaters gekommen?“, fragte Harry nun gespannt.
Mrs. Figg lehnte sich wieder in ihrem Sessel zurück und seufzte leicht. „Ach, es ist schon viele Jahre her.“ Mrs. Figg schloß halb die Augen und schien wieder in der Vergangenheit zu versinken. Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: „Es war nur wenige Stunden, nachdem Du-Weißt-Schon-Wer deine Eltern getötet hatte. Sirius Black und Hagrid hatten das Haus bereits wieder verlassen. Du weißt bestimmt, dass Hagrid dich damals aus dem Haus geholt hat. Er brachte dich damals zu Albus.“
Harry nickte, doch Mrs. Figg schien ihn gar nicht mehr wahrzunehmen. Sie versank noch etwas tiefer in ihrem Sessel als sie weiter sprach: „Ich war in das Haus zurück gekehrt, um etwas zu suchen. Deine Eltern besaßen damals etwas sehr Wertvolles, das auf keinen Fall in falsche Hände geraten durfte. Ich hoffte, dass Du-Weißt-Schon-Wer es nicht gefunden hatte, denn das wäre eine Katastrophe für unsere gesamte Gesellschaft gewesen. Ich wußte zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht, dass er, Dessen-Name-Nicht-Genannt-Werden-Darf, verschwunden war.“
„Haben Sie das ‚Auge des Ares‘ gesucht?“, fragte Harry leise.
Mrs. Figg setzte sich mit einem Ruck auf und starrte Harry an. „Du weißt von dem Amulett?“, fragte sie ihn überrascht.
„Ja“, antwortete Harry langsam, „Sirius hat es mir zu Beginn dieses Schuljahres gegeben.“
Mrs. Figg strahlte. „Dieser alte Gauner, also hat er es die ganze Zeit gehabt. Hast du es an einem sicheren Ort, Harry?“, fragte sie ihn eifrig.
Harry schluckte. Er schämte sich dafür, dass er das Amulett nicht mehr hatte, dass er sich so einfach hatte bestehlen lassen.
„Wo hast du es?“, fragte Mrs. Figg wieder.
„Voldemort hat es“, antwortete Harry mit gesenktem Blick, so leise, dass es fast nur ein Hauchen war.
Mrs. Figg riß vor Schreck die Augen auf, als Harry Voldemorts Namen aussprach. „NEIN“, rief sie, „wie konnte das passieren?“
Harry berichtete ihr in groben Zügen, was am Weihnachtsabend des vergangenen Jahres geschehen war. Mrs. Figg schien mindestens genauso beunruhigt darüber zu sein wie Professor Dumbledore, Remus und Sirius es gewesen waren.
„Dunkle Zeiten brechen für uns an, mein Junge“, sagte Mrs. Figg, als Harry seinen Bericht beendet hatte.
Sie seufzte noch einmal und fuhr dann mit ihrer Erzählung fort: „Ich durchsuchte in dieser Nacht das gesamte Haus, vom Keller bis zum Dachboden, doch ich fand nichts. Lilly hatte mich schon Monate vor diesem Tag gebeten, das Amulett an mich zu nehmen falls ihr und James etwas zustoßen würde, aber scheinbar hatte James schon andere Vorkehrungen getroffen, ohne es Lilly zu sagen, oder vielleicht wollte Lilly sich auch einfach nur doppelt absichern, damit das Amulett nicht in falsche Hände geriet.“
Harry senkte wieder seinen Blick. Seine Eltern hatten sich wirklich große Sorgen um das Amulett gemacht, und er hatte es sich einfach stehlen lassen.
„Ich wollte gerade aufgeben und das Haus wieder verlassen, als ich über etwas stolperte und hinfiel. Als ich mich umdrehte erkannte ich, dass dieser Zauberstab sich zwischen den Dielenbrettern verklemmt hatte. Er ragte nur wenige Zentimeter heraus. Er muß deinem Vater nach dem Kampf mit Du-Weißt-Schon-Wem dort hin gefallen sein. Ich hob ihn auf und nahm ihn mit. Ich war mir sicher, dass du ihn eines Tages tragen wirst.“
Harry blickte wieder auf den Zauberstab und ließ zärtlich eine Hand über das abgegriffene Holz gleiten: der Zauberstab seines Vaters.
„Du weißt sicher, Harry, dass dein Vater ein sehr mächtiger Zauberer war. Viele haben behauptet, es läge nur an dem Amulett, aber wenn du mich fragst, ist auch dieser Zauberstab etwas ganz Besonderes. Halte ihn in Ehren und paß gut darauf auf.“ Mrs. Figg sah Harry wieder erwartungsvoll an.
„Das werde ich“, sagte Harry und steckte den Zauberstab entschlossen in den Ärmel seines Pullovers.
Gemütlich tranken sie ihren Tee zu Ende, dann verabschiedete sich Harry von Mrs. Figg. „Auf Wiedersehen, Mrs. Figg, und vielen Dank.“
„Nichts zu danken, mein Junge, paß gut auf dich auf, wir werden uns sicher bald wieder sehen.“
Harry verließ das Haus der alten Frau und machte sich auf den Weg zurück zu den Dursleys. So unauffällig wie möglich stahl er sich in den Garten um seine Arbeit fortzusetzen. Er konnte nur hoffen, dass keiner der Dursleys seine Abwesenheit bemerkt hatte.
Harry hatte gerade den Rechen in die Hand genommen, als er die schrille Stimme seiner Tante hinter sich hörte. „Komm sofort hier her, du Taugenichts“, kreischte sie.
Harry drehte sich abrupt um und sah seine Tante in der Terrassentür stehen. Harry legte den Rechen zur Seite und ging zu seiner Tante. Als er näher kam sah er, dass Tante Petunia rot angelaufen war und vor Wut fast schäumte. Harry schluckte.
Als Harry seine Tante erreicht hatte packte diese ihn unsanft am Arm und zerrte ihn durch das Wohnzimmer in den Flur. Dort lockerte sie endlich ihren Griff und stieß Harry vor sich her zur Treppe. Dabei keifte sie: „Wo bist du gewesen?“
Harry schwieg.
„Raus mit der Sprache, wo hast du dich herumgetrieben?“
Harry sagte immer noch kein Wort.
„Na gut, du wirst schon sehen, was dir deine Verstocktheit einbringt“, keifte sie weiter. Dann wurde ihre Stimme plötzlich ruhiger, fast drohend: „Und wenn du es wagst mein Duddy-Baby noch einmal zu bedrohen, wirst du dir wünschen nie geboren worden zu sein.“
„Ich habe ihn nicht ....“, versuchte Harry sich zu rechtfertigen.
„Halt den Mund“, kreischte Tante Petunia, ihre Augen schienen Funken zu sprühen, „mach, dass du in dein Zimmer kommst, wart nur ab, bis dein Onkel nach Hause kommt, der wird dir schon Disziplin beibringen.“ Mit diesen Worten versetzte sie Harry einen weiteren Stoß in Richtung Treppe.
Harry drehte sich noch einmal zu ihr um und starrte sie wütend an. Hinter ihr sah er Dudley bis über beide Ohren grinsend in der Tür stehen.
„Los jetzt, hoch mit dir“, keifte Tante Petunia erneut und Harry beeilte sich die Treppe nach oben zu kommen. Er wußte aus Erfahrung, dass es keinen Sinn hatte in diesem Zustand auch nur halbwegs normal mit ihr zu sprechen. Vor allem machte Harry sich ernsthafte Sorgen was passieren würde, wenn sein Onkel nach Hause käme. Er konnte sich lebhaft vorstellen, was Tante Petunia und Dudley ihm alles erzählen würden, was Harry angeblich alles gesagt und getan hätte, und Harry kannte die Wutausbrüche seines Onkels nur zu gut.
Als er endlich die Tür seines Zimmers erreicht hatte, hatte er einen dicken Kloß im Magen. In weniger als einer halben Stunde würde Onkel Vernon nach Hause kommen, und dann ....
Harry öffnete seine Zimmertür. Er keuchte bei dem Anblick, der sich ihm bot. Seine Zauberbücher und die Pergamente mit den Hausaufgaben, die er sorgfältig auf den Tisch gelegt hatte, lagen überall auf dem Fußboden verstreut und Hedwig saß verängstigt auf der Gardinenstange und beäugte ihn mißtrauisch. Das konnte nur Dudley gewesen sein, aus Zorn, dass er gegen Harry den Kürzeren gezogen hatte.
Harry ging näher an das Chaos heran und begann seine Bücher aufzuheben. Einige Seiten hatten durch den Sturz Eselsohren bekommen, sein Zaubertrank-Aufsatz war in der Mitte eingerissen und aus dem ‚Lehrbuch der Zaubersprüche Band 5‘ kamen ihm einige Seiten entgegen geflattert. Harry fluchte leise. Als er zwei weitere Seiten Pergament aufgehoben hatte fiel sein Blick auf den kleinen Metallkäfig, der zwischen den Büchern heraus lugte.
Harry nahm den Käfig und hob ihn hoch. Er war leer. Der Nuzzle war verschwunden. Für einen Moment stockte ihm der Atem. Die Tür des Käfigs mußte sich bei dem Sturz geöffnet haben. Harry räumte schnell die restlichen Bücher auf den Tisch und machte sich auf die Suche nach dem kleinen Pelzknäuel. Wenn er Glück hatte war er noch in seinem Zimmer.
Er suchte zuerst unter dem Bett, danach durchwühlte er seinen Schrank, dann schaute er noch einmal genauer zwischen den unzähligen Seiten Pergament auf seinem Tisch. Nichts. Wo konnte diese verdammte Fellkugel nur stecken?
Harrys Frage wurde durch einen spitzen Schrei seiner Tante beantwortet. Harry gefror das Blut in den Adern. Das durfte einfach nicht sein. Mit einem Satz war er aufgesprungen und rannte so schnell er konnte die Treppe nach unten.
Der Anblick, der sich ihm im Wohnzimmer bot war mehr als skurril. Tante Petunia und Dudley standen gemeinsam auf dem Wohnzimmertisch und starrten wie gebannt auf ein etwa quaffelgroßes Fellknäul, das fiepend vor ihnen auf und ab hüpfte. Als Harry genauer hinsah, entdeckte er, dass der Nuzzle ein riesiges Stück aus der Ecke des Sofas heraus gebissen hatte. Kein Wunder, dass er so gewachsen war und nun Sätze bis fast zur Zimmerdecke machte.
„Was ist das für ein Ding?“, kreischte Tante Petunia panisch, als sie Harry in der Tür erblickte.
„Das ist ein Nuzzle, der tut euch nichts, wirklich“, versuchte Harry seiner Tante zu versichern, doch der Nuzzle war in diesem Moment noch ein Stück näher an den Wohnzimmertisch heran gehüpft und Tante Petunia stieß erneut einen schrillen Schrei aus.
In diesem Moment hörte Harry, wie die Haustür aufgerissen wurde und Onkel Vernon stürmte herein. Unsanft stieß er Harry zur Seite. „Was ist hier .....“, wollte er los donnern, doch der Rest des Satzes blieb ihm im Halse stecken, als er seine verängstigte Frau und seinen Sohn auf dem Wohnzimmertisch erblickte.
Unsanft packte er Harry am Genick und schüttelte ihn heftig. „Was hat das zu bedeuten?“, brüllte er Harry an.
„Der Nuzzle ist ganz ungefährlich, ehrlich“, versuchte Harry die Situation zu retten, doch dies schien Onkel Vernon nicht zu interessieren.
„Fang das Ding ein“, brüllte er und stieß Harry unsanft in das Zimmer. Es dauerte einige Minuten, bis Harry den Nuzzle endlich eingefangen und beruhigt hatte, doch dann kuschelte sich das Fellknäuel zufrieden in Harrys Arme. Es schien froh darüber zu sein endlich wieder eine bekannte Gestalt zu sehen.
Als der Nuzzle zufrieden in Harrys Armen saß bemerkte er, dass alle drei Dursleys ihn haßerfüllt anstarrten. Onkel Vernon machte einen bedrohlichen Schritt auf ihn zu. „Das war das letzte Mal, dass du uns auf der Nase herum getanzt bist, Bursche“, zischte Onkel Vernon gefährlich, „jetzt werde ich dir zeigen, wie man früher Faulenzer wie dich behandelt hätte.“
Mit diesen Worten öffnete er seinen Gürtel und zog ihn aus der Hose. Harry starrte ihn mit aufgerissenen Augen an. Dann, bevor Onkel Vernon wußte wie ihm geschah, war Harry an ihm vorbei geschlüpft und rannte so schnell er konnte die Treppe nach oben.
„Fliehen hilft dir auch nicht“, brüllte Onkel Vernon und polterte hinter Harry die Treppe nach oben. Bevor er Harry jedoch erreicht hatte schlug dieser die Zimmertür hinter sich zu und drehte den Schlüssel im Schloß um. Onkel Vernon donnerte gegen die verschlossene Tür.
„Mach die Tür auf, oder ich breche sie auf“, hörte Harry ihn von draußen brüllen. Im Hintergrund konnte er Dudley schreien und Tante Petunia keifen hören. Bei jedem Schlag gegen die Zimmertür sah Harry, wie sie immer mehr unter dem Gewicht seines Onkels nachgab.
Er mußte so schnell wie möglich hier raus. In Windeseile steckte er den Nuzzle in den kleinen Käfig und feuerte seine Schulsachen in den großen Koffer, der vor seinem Bett stand. Hedwig flog freiwillig in ihren Käfig, sie schien verstanden zu haben, dass es jetzt auf Sekunden ankam. Das Donnern an der Zimmertür wurde immer bedrohlicher. Am Schloß begann der Rahmen der Tür allmählich zu splittern.
Als Harry den Deckel des Koffers geschlossen hatte blickte er auf den Portschlüssel, der immer noch auf dem Tisch stand. Hoffentlich hatte Dumbledore keine Zeitsperre eingebaut, die es Harry erst morgen ermöglichen würde nach Hogwarts zurück zu kehren. Harry schnappte sich die beiden Käfige und seinen Koffer.
In diesem Moment gab die Tür nach, Holzsplitter flogen durch das Zimmer und Onkel Vernon stand in voller Breite vor ihm.
„Das wirst du mir büßen“, donnerte er und starrte Harry haßerfüllt an. Harry griff so schnell er konnte nach der Kerze und ..... er fühlte wie ein Haken ihn nach vorne zog, das Zimmer um ihn herum verschwand und er wurde in einen Wirbel aus Farben hinein gezogen. Kurz darauf plumpste er unsanft auf den Boden.
Als er sich umblickte erkannte er Professor Dumbledores Büro. Es schien verlassen zu sein, nur Fawkes saß auf seiner Stange und beäugte ihn interessiert. Harry atmete erleichtert auf.
Er nahm sein Gepäck und zerrte alles die schmale Wendeltreppe nach unten. Unten angekommen öffnete er die Geheimtür und spähte in den Korridor. Er war verlassen. Mit einem Ruck stieß er die Geheimtür auf und trat in den leeren Flur. Auf dem Weg zum Gryffindor-Turm begegnete er niemandem. Er vermutete, dass die Lehrer sich noch in London befanden, sonst wäre ihm sicherlich irgend jemand über den Weg gelaufen.
Als er das Portrait der fetten Dame erreicht hatte blieb er stehen. Das Bild war leer. Scheinbar hatte die fette Dame die ruhigen Tage genutzt und war ihre alten Freunde besuchen gegangen.
Harry setzte sich auf seinen Koffer und überlegte. Was sollte er jetzt machen? Warten bis die Dame zurückkam? Was, wenn sie erst morgen Abend zurückkam? Er konnte ja schlecht die ganze Nacht auf seinem Koffer verbringen.
Dann kam Harry eine Idee. Wenn er Glück hatte war Hagrid nicht mit den anderen Lehrern nach London gefahren, schließlich hatte er ja nicht nur seine Lehrertätigkeit in Hogwarts, sondern er war auch Wildhüter und mußte sich um die vielen verschiedenen Geschöpfe in und um den Verbotenen Wald kümmern.
Harry ließ seinen Koffer und den Käfig des Nuzzles stehen, nahm Hedwig auf seine Schulter und machte sich auf den Weg zur Hütte des Wildhüters.
Die Flure der Schule waren verlassen. Harry hatte ein flaues Gefühl im Magen wenn er daran dachte, dass er im Moment der einzige Mensch in diesem großen Schloß war, abgesehen von Filch vielleicht. Normalerweise tummelten sich Hunderte Schüler in Hogwarts und auf dem umliegenden Gelände, doch heute ließen sich nicht einmal die unzähligen Geister der Schule blicken.
Als Harry das große Portal erreicht hatte war die Sonne bereits untergegangen und es begann dunkel zu werden. Er rannte über die große Wiese zu Hagrids Hütte. Die Fenster waren dunkel und Hagrid war nirgendwo zu sehen. Was sollte er nur machen, falls Hagrid nicht da war?
Harry atmete tief durch und klopfte. Keine Antwort. Er klopfte noch einmal etwas energischer. Nichts. Nicht einmal Fang bellte.
Harry drückte die Türklinke nach unten und versuchte die Tür zu öffnen. Zu seiner Erleichterung war sie nicht verschlossen. Im Kamin lagen ein paar Holzscheite, die noch etwas glühten und über der Feuerstelle hing ein Kessel mit Wasser. Alles deutete darauf hin, dass Hagrid noch vor kurzem hier gewesen war.
Harry schloß die Tür hinter sich und beschloß auf den Wildhüter zu warten. Er ging hinüber zu einem der großen Sessel und machte es sich gemütlich. Hedwig flog von seiner Schulter und landete auf dem Tisch, wo sie gierig die dort verstreuten Brotkrümel aufpickte.

Kapitel 9

Kapitel 11

 

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