Das Auge des Ares

 

 

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Kapitel 9: Der unverzeihliche Fluch



Professor Severus Snape apparierte am alten Riddle-Haus. Nach langer Zeit hatte Voldemort ihn wieder einmal gerufen und Severus wußte nicht, ob er diesen langen Zeitraum als gutes oder schlechtes Zeichen bewerten sollte. Bei dem dunklen Lord war beides möglich.
Angespannt ging er den gewundenen Pfad entlang, der zu dem alten Haus führte. Es dämmerte bereits, aber es war noch hell genug um alles genau erkennen zu können. Die kalte Februar-Luft brannte auf seinem Gesicht und er wickelte sich fester in seinen schwarzen Umhang. Severus war absichtlich etwas weiter entfernt appariert, um sich ein genaueres Bild der Umgebung machen zu können. Das Letzte was er wollte war in einen Hinterhalt zu geraten.
Er dachte an all die viele Arbeit, die auf seinem Schreibtisch auf ihn wartete und schnaubte ungehalten. Wie immer hatte ihn der dunkle Lord äußerst ungelegen zu sich gerufen. Er hatte gerade die letzte Unterrichtsstunde des Tages beendet und war auf dem Weg zu seinem Büro gewesen, um die Stunden der nächsten Tage vorzubereiten, als ein stechender Schmerz seinen linken Unterarm durchzuckt hatte. Angewidert hatte er auf das glühende Mal auf seinem Arm gestarrt und Voldemort einmal mehr verflucht. Doch er wußte, dass es unratsam war dem Ruf des dunklen Lords nicht zu folgen.
Severus hatte das rostige Gartentor der alten Villa erreicht und der Anblick, der sich ihm bot, versetzte ihm einen herben Schlag in die Magengegend. Auf dem Grundstück standen bereits zwei Dutzend Death Eater im Kreis und umringten ihren Meister. Severus fluchte innerlich. Er hatte nicht damit gerechnet, dass der gesamte innere Zirkel anwesend sein würde. Der innere Zirkel waren Voldemorts treueste Anhänger, und die einzigen, die direkt Befehle von dem dunklen Lord erhielten. Die anderen Death Eater erhielten ihre Befehle in der Regel von Mitgliedern des inneren Zirkels. Auch Severus hatte früher einmal zum inneren Zirkel gehört, doch bis jetzt hatte Voldemort noch keine Anstalten gemacht ihn wieder bei seinen treuesten Anhängern aufzunehmen. Trotzdem war Severus einer der wenigen, die direkt Befehle vom dunklen Lord erhielten. Die versammelten Death Eater trugen alle lange, schwarze Kutten und undurchdringliche Masken.
Als er die Gruppe erreicht hatte traten mehrere von ihnen zurück und gaben ihm den Weg in das Innere des Kreises frei. Severus betrat den Kreis und begrüßte Voldemort mit der üblichen Prozedur. Nachdem er sich wieder erhoben hatte trat er einen Schritt zurück und blickte Voldemort erwartungsvoll an. Der dunkle Lord fixierte Snape kalt und begann ohne ein Wort der Begrüßung: „Hast du mir etwas mitgebracht, Snape?“
Severus wußte genau was Voldemort meinte und zu seiner Schande mußte er sich eingestehen, dass er diesen Auftrag des Lords sträflich vernachlässigt hatte. Er versuchte seine Unsicherheit zu verbergen und antwortete mit fester Stimme: „Meister, es hat sich mir noch keine Gelegenheit geboten das ‚Auge des Ares‘ in meine Gewalt zu bringen. Vor Weihnachten waren zwei Auroren in Hogwarts und ich mußte einige verdächtige Gegenstände in Sicherheit bringen.“
Die rot glühenden Augen des dunklen Lord verengten sich und seine Mundwinkel schienen leicht zu zucken. Er trat einen Schritt nach vorne, so dass sein Gesicht direkt vor Snapes war und zischte: „So, keine Gelegenheit? Warum nur, frage ich mich, hat ein anderer meiner Diener diese Gelegenheit gehabt?“ Mit diesen Worten griff er in seinen Umhang und holte etwas aus einer verborgenen Tasche. Eine goldene Münze, so groß wie ein Sickel, eingefaßt mit roten Rubinen pendelte dicht vor Severus Gesicht, so dass sie fast seine Nase berührte.
Er schluckte. Also hatte Voldemort noch jemand anderen auf das Amulett angesetzt und er hatte es nicht einmal bemerkt. Wenn ihm jetzt keine gute Ausrede einfiel würde es ihm schlecht ergehen.
Voldemort steckte das Amulett wieder in die Tasche seines Umhangs und gab den Death Eatern hinter Snape ein Zeichen. Bevor Severus sich umdrehen konnte um nachzusehen was hinter ihm vorging griffen zwei Death Eater grob seine Arme und drehten sie ihm auf den Rücken.
„Vielleicht bist du ein Lügner“, zischte Voldemort gefährlich und rammte Snape ohne Vorwarnung eine Faust in den Magen. Severus krümmte sich vor Schmerz zusammen, doch die beiden Männer hinter ihm hielten ihn gewaltsam und gnadenlos auf den Füßen. Er blickte Voldemort von unten in die vor Zorn funkelnden Augen und keuchte: „Ich würde Euch niemals belügen, Meister.“ Jedes Wort war ihm eine Qual und nur langsam kam wieder Luft zurück in seine Lungen.
„Mein lieber Wurmschwanz hier“, Voldemort machte eine kurze Pause und einer der schwarz vermummten Gestalten trat einen Schritt nach vorne. Severus konnte das Grinsen unter der Maske förmlich spüren. „Er meint, du wärst ein Spion“, fuhr Voldemort kalt fort, „deswegen würdest du die dir übertragenen Aufgaben nicht zu meiner Zufriedenheit ausführen. Ich denke jedoch, dass ich dir bei unserem ersten Treffen meinen Standpunkt mehr als deutlich klar und verständlich gemacht habe. Du wärst nicht so dumm deinen Meister zu hintergehen.“ Er machte eine kurze Pause und starrte Severus immer noch mit seinen brennenden Augen an. „Oder, Snape?“
Auf ein kurzes Zeichen von ihm ließen die beiden Death Eater Severus los und er fiel auf die Knie. Er blickte Voldemort immer noch an und antwortete mit einem Flehen in der Stimme: „Meister, ich war Euch immer treu ergeben.“ Er griff in die Tasche seines Umhangs. Im selben Moment hatte Voldemort blitzschnell seinen Zauberstab gezückt und ihn drohend auf Snape gerichtet. Ganz langsam zog Severus eine kleine Phiole aus seiner Tasche und hielt sie dem dunklen Lord entgegen. Voldemort steckte den Zauberstab wieder zurück in seinen Umhang und starrte auf die Phiole.
„Das ist ein Zeichen meiner Loyalität, Herr“, sagte Snape in unterwürfigem Tonfall. Voldemort kam einen Schritt näher und betrachtete neugierig das kleine Gefäß mit der grünlich schimmernden Flüssigkeit.
„Das ist ein Gegenmittel für das Veritas-Serum und den Veritas-Fluch.“
„Es gibt kein Gegenmittel“, unterbracht Voldemort ihn barsch und blickte Snape abschätzig an.
„Meister, verzeiht, wenn ich es wage zu widersprechen“, antwortete Snape vorsichtig und wägte genau die Worte ab die er wählte, „aber ich habe die letzten Monate damit zugebracht diesen Trank für Euch zu entwickeln.“
Ein fieses Lächeln machte sich auf Voldemorts Gesicht breit. „Sehr schlau, Snape. Du hast also einen Weg gefunden das Veritas-Serum zu neutralisieren. Wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich sagen, du hast es nicht ganz ohne Eigennutz gebraut, denn nun können wir mit Hilfe dieses Serums nicht mehr feststellen, ob du tatsächlich die Wahrheit sagst. Wirklich schlau.“
Severus schluckte wieder. Genau diese Reaktion hatte er von Voldemort erwartet. Der dunkle Lord schien manchmal fast Gedanken lesen zu können.
Voldemort nahm die kleine Phiole aus Snapes Hand und hielt sie gegen den immer dunkler werdenden Himmel. „Ich werde dieses Serum bei passender Gelegenheit ausprobieren“, murmelte Voldemort nachdenklich, bevor er wieder seine volle Aufmerksamkeit Snape widmete.
„Falls dieser Trank wirklich funktioniert denke ich, dass du trotz deines neuerlichen Versagens eine Belohnung verdient hast.“
Snape merkte auf. Damit hatte er nicht gerechnet. Er konnte das leise Murmeln der Death Eater um ihn herum hören. Scheinbar hatten auch sie nicht mit einer solchen Reaktion des dunklen Lords gerechnet.
„Bring mir Harry Potter“, sagte Voldemort laut und ein Hauch von Leidenschaft machte sich in seiner Stimme breit, die Severus noch nie bei ihm gehört hatte, „und ich gebe dir Hogwarts.“
Auf einen Schlag waren laute Proteste der Death Eater um ihn herum zu hören. „Aber Meister Ihr könnt nicht .....“, hörte Severus eine vertraute Stimme. Der Sprecher wurde von Voldemort unsanft unterbrochen: „Lucius, willst du mir etwa vorschreiben was ich kann und was nicht? Du solltest deine Worte mit Bedacht wählen, sonst könnte der Eindruck entstehen, du wolltest deinem Meister befehlen.“
Severus konnte das Gesicht von Lucius Malfoy nicht sehen, aber er konnte sich vorstellen wie in diesem Moment jegliche Farbe aus Malfoys Gesicht gewichen war.
Noch bevor Malfoy antworten konnte hatte Voldemort seinen Zauberstab gezückt und Malfoy einen Schmerz-Fluch entgegen geschleudert. Lucius brach stöhnend zusammen und krümmte sich wimmernd auf dem feuchten Boden.
Voldemort beachtete ihn nicht weiter und blickte nun wieder auf Snape der immer noch vor ihm auf dem Boden kniete. „Bring mir Harry Potter“, wiederholte er nun etwas kälter, „und ich sorge dafür, dass die Schule für Hexerei und Zauberei dein ist. Unter meiner Anleitung wirst du sie zu einem Werkzeug der Dunkelheit machen. Aus Hogwarts werden zukünftig die mächtigsten dunklen Magier hervor gehen, die die Welt je gesehen hat. Und alle werden unter meinem Befehl stehen.“ Er machte eine kurze Pause, dann zischte er: „Die Zeit der Schlammblüter ist vorbei!“ Dann erhob er seinen Zauberstab und schrie: „Morsmordre“.
Augenblicklich erschien das Dunkle Mal riesenhaft am Abendhimmel.

Als Severus in dieser Nacht wieder in Hogwarts eintraf war er immer noch verwirrt. Lord Voldemort hatte ihm tatsächlich die Leitung von Hogwarts versprochen, wenn er ihm Potter auslieferte. Bis jetzt war alles für ihn recht klar gewesen, er hatte gewußt auf welcher Seite er stand, auch wenn seine Umwelt dies oftmals nicht genau wußte, aber jetzt war alles anders.
Noch nie hatte irgend jemand ihm eine solche Macht versprochen, und Hogwarts war eine gewaltige Macht. Es war eine der größten Zauberschulen der Welt, und wer die Ausbildung der zukünftigen Zauberer kontrollierte, hatte die Herrschaft. Selbstverständlich würde Voldemort ihn dann nicht mehr aus den Augen lassen, aber er würde sicher eine Möglichkeit finden sich der Kontrolle des dunklen Lords zu entziehen.
Snape schüttelte verwirrt den Kopf. Was dachte er da bloß? Albus Dumbledore, der Leiter von Hogwarts, war sein Freund, wie konnte er auch nur im entferntesten daran denken ihn zu hintergehen, ...... und doch .....

***



Die fünfte Klasse der Gryffindors saß zusammen mit den Slytherins im Kerker und war damit beschäftigt eine höchst komplizierte Variante des Oblivious-Tranks zu brauen. Professor Snape patrouillierte durch die Reihe der Schüler und betrachtete den Fortschritt ihrer Arbeit teils anerkennend, teils abschätzend. Selbstverständlich hatte er nur Lob für die Schüler aus Slytherin übrig.
„Bei dieser Variante des Oblivious-Tranks handelt es sich um einen sehr schwachen Vergessenstrank. Er kann mit Hilfe eines einfachen Serums rückgängig gemacht werden. Geben Sie nun als letzte Zutat drei Spinnenbeine und ein Viertel gehackte Drachenleber in Ihren Kessel. Nachdem Sie die Leber hinzu gegeben haben, sollte der Trank eine satte grüne Farbe annehmen“, erklärte er und schritt weiter durch die Reihen.
Als er am Kessel von Neville vorbeikam hielt er inne und warf einen Blick auf die blaß-rosa Flüssigkeit, die sich darin befand und unheilverkündend blubberte. Er verdrehte demonstrativ die Augen, blickte durch die Klasse und sein Blick blieb für einen Moment auf Harry haften. Dann starrte er wieder Neville an. „Selten habe ich solch eine gewaltige Ansammlung von Unfähigkeit auf einem Haufen erlebt“, zischte er und machte eine kurze Pause.
„Wenn ich hier etwas zu sagen hätte würde sich einiges ändern.“ Er machte abermals eine Pause und sah nun Hermine an. In seinem Blick war leichter Ekel zu erkennen als er fortfuhr: „Es gibt Zauberer, die sind es nicht wert eine solch qualifizierte Ausbildung zu erhalten wie Hogwarts sie ihnen bietet.“
Harry sah zu Hermine hinüber, und bemerkte, dass ihr alle Farbe aus dem Gesicht gewichen war. Ihre Hände zitterten leicht, als sie die letzte Zutat ihres Zaubertranks in den Kessel gab. Glücklicherweise rettete sie das Läuten der Glocke vor weiteren Ausführungen ihres Lehrers.
Als sie den Klassenraum verlassen hatten fragte Ron Hermine: „Warum hat er dich dabei so angeschaut? Du bist doch gut.“ Bevor Hermine ihm antworten konnte ergriff Harry das Wort um Hermine die Erklärung zu ersparen: „Verstehst du denn gar nichts? Hermine hat Muggel-Eltern und nach der Meinung von Voldemort und seinen Anhängern sind solche Zauberer nichts wert.“
Hermine waren während seiner Worte die Tränen in die Augen gestiegen. Sie drehte sich um und rannte ohne ein weiteres Wort davon.
„Hermine, warte!“, rief Ron ihr hinterher, doch sie schien ihn nicht zu hören und verschwand hinter der nächsten Ecke.
„Lass sie, ich glaube sie braucht ein paar Minuten für sich“, sagte Harry unsicher. Ihm war es sichtlich peinlich, dass er seine Freundin zum Weinen gebracht hatte.
„Was ist nur in Snape gefahren?“, fragte Ron verwirrt. „Er war zwar schon immer ein Idiot, aber er hat sich bis jetzt noch nie so offen für die Reinblütigkeit eingesetzt.“
„Ich weiß auch nicht, vielleicht beeinflusst ihn Voldemort immer mehr“, überlegte Harry laut.
„Hm, das wäre auch für dich nicht besonders gut, oder?“, fragte Ron und blickte Harry fragend an.
„Ja, das weiß ich auch, aber solange Professor Dumbledore ihm vertraut muß ich abends zu ihm, ob es mir paßt oder nicht“, sagte Harry in leicht angewidertem Ton.
„Aber was ist, wenn er dich umbringt?“, fragte Ron besorgt.
Harry schwieg einen Moment. Über solch eine Möglichkeit wollte er einfach nicht nachdenken. Statt dessen sagte er: „Komm, lass uns nach Hermine suchen.“
Sie verließen gemeinsam die Kerker und machten sich auf den Weg zum Gryffindor-Turm. Als sie den Gemeinschaftsraum betraten blickten sie sich suchend nach Hermine um, aber außer ein paar Viertklässlern war niemand zu sehen.
Gerade als Ron Harry fragen wollte wo Hermine nur stecken konnte sah er Parvati Patil aus dem Schlafsaal der Mädchen kommen.
„Hey Parvati, komm mal bitte rüber“, rief er dem Mädchen zu.
Parvati sah zu Harry und Ron herüber und kam auf sie zu. „Was gibt’s?“, fragte sie.
„Hast du Hermine irgendwo gesehen?“, fragte Ron und spähte an ihr vorbei in Richtung Mädchenschlafsaal. Parvati hatte seinen Blick bemerkt und antwortete: „Ja, sie ist da oben. Sie liegt auf ihrem Bett und weint.“
„Dürfen wir?“, fragte Harry vorsichtig und deutete in Richtung des Schlafsaals, „nur ausnahmsweise.“
Parvati nickte und die beiden Jungs gingen an ihr vorbei zur Treppe des Mädchenschlafsaals.
Schon an der Tür konnten sie Hermines Schluchzen hören. Sie gingen leise zu ihrem Bett und setzten sich neben sie. Einen Moment wußten sie nicht was sie sagen sollten, dann ergriff Ron das Wort: „Du darfst das nicht zu persönlich nehmen.“
„Ich ertrage das bald nicht mehr“, schluchzte Hermine, ohne das Gesicht aus ihren Kissen zu nehmen, „überall ist dieser Haß. Es ist ja nicht nur Snape, es sind die ganzen Slytherins, und seit das Schuljahr angefangen hat wird es immer schlimmer.“ Sie setzte sich langsam in ihrem Bett auf und sah Harry und Ron mit von Tränen verschmiertem Gesicht an. „Wo soll das nur enden?“
„Das will ich mir lieber nicht vorstellen“, antwortete Harry leise. „Wenn Voldemort kann, wird er irgendwann bestimmt aus Hogwarts eine Schule für die dunklen Künste machen.“
Ron sah Harry mit aufgerissenen Augen an, doch Hermine nickte zustimmend.
„Das wird Dumbledore aber nicht zulassen“, rief Ron aufgebracht und schlug mit der Faust auf Hermines Nachttisch. „Er würde es nie so weit kommen lassen.“
„Ja, wenn er es dann noch kann“, entgegnete Harry leise und seine Freunde starrten ihn an. „Na ja, ist doch ganz klar, dass er Professor Dumbledore zuerst aus dem Weg räumen muß“, erklärte er.
„Aber Dumbledore ist doch viel zu mächtig“, entrüstete sich Ron.
„Ja, aber Du-Weißt-Schon-Wer wird immer stärker. Wer weiß wie lange es noch dauert bis er mächtiger ist als Dumbledore“, antwortete Hermine immer noch leicht schluchzend.
Für eine Weile saßen sie schweigend da. Jeder dachte noch einmal über das eben Gesagte und dessen Bedeutung nach.
Schließlich erhob Harry sich und sagte: „Kommt, es gibt gleich Abendessen.“
Hermine wischte sich die restlichen Tränen aus dem Gesicht und folgte Harry und Ron in die Große Halle.
Fast alle Schüler saßen schon an ihren Haustischen, als Harry, Ron und Hermine die Halle betraten. Sie gingen zu ihren Plätzen und setzten sich.
„Komisch“, sagte Ron nachdenklich, „warum ist denn das Essen noch nicht auf dem Tisch? Ist heute Diät-Tag?“
Wie zur Antwort stand Professor Dumbledore von seinem Platz auf und hob die Hand. Sofort erstarben die Gespräche an den vier langen Tischen und alle sahen gespannt nach vorne.
„Meine lieben Schüler, ich habe euch einige wichtige Ankündigungen zu machen. Zuerst einmal etwas sehr Positives. Gestern ist es Professor McGonagall und mir endlich gelungen Professor Flitwick aus der Paralleldimension, in der er sich befunden hat, wieder zu uns zu holen. Leider ist er sehr geschwächt und befindet sich im Moment im St. Mungos Hospital für magische Krankheiten, doch die Ärzte sagen, dass er sich wieder erholen wird. Allerdings wird er in diesem Schuljahr voraussichtlich nicht mehr unterrichten können.“
Sofort wurde es laut in der Halle, und einige Schüler am Ravenclaw-Tisch klatschten in die Hände und jubelten lautstark. Ihnen war die Erleichterung deutlich anzusehen, dass ihr Hauslehrer wieder unter ihnen war. Professor Dumbledore hob die Hand um die Schüler wieder zur Ruhe zu bringen.
„Das Zweite, das ich euch mitzuteilen habe, ist deutlich ernsterer Natur. Aus Gründen, die euch wohl allen bekannt sind, wurden alle Lehrkräfte in den Osterferien nach London in das Zaubereiministerium beordert. Es soll besprochen werden, wie wir uns gemeinsam gegen die dunklen Einflüsse, die unsere Gesellschaft immer weiter unterwandern, zur Wehr setzen können und müssen.“
Ein leises Tuscheln ging durch den Saal. „Aus diesem Grund müssen alle Schüler ohne Ausnahme zumindest eine Woche zu Hause bei ihren Familien verbringen. Wir werden eure Eltern umgehend darüber informieren. Jetzt laßt es euch schmecken.“
Sofort brandeten die Gespräche in der Großen Halle wieder auf. Einige Protestrufe wurden laut, doch die meisten Schüler waren einfach nur verwirrt. Noch nie war die Schule außer in den Sommerferien komplett geschlossen worden.
Professor Dumbledore setzte sich wieder auf seinen Platz und das Abendessen erschien auf den Tischen. Auch Harry, Ron und Hermine sahen sich wundert an.
Nach dem Essen gingen sie zusammen in den Gemeinschaftsraum.
„Harry, machen wir nachher zusammen die Hausaufgaben für Wahrsagen? Ich weiß noch gar nicht, von was ich letzte Nacht geträumt haben könnte. Vielleicht eine Explosion, oder ....“, sagte Ron.
„Ich kann nicht“, antwortete Harry und ein leichter Unwillen machte sich in seiner Stimme breit, „du weißt doch, dass ich zu Snape muß.“
Ron seufzte: „Ach stimmt ja, aber wann machst du die Hausaufgaben für Professor Trelawney?“
Nun seufzte auch Harry: „Ich werde sie wohl danach noch machen müssen. Hoffentlich komme ich dieses Mal früher von Snape weg als die letzten Wochen.“
„Glaubst du daran?“, schaltete sich Hermine in ihr Gespräch ein.
Harry schnaubte verächtlich. Als sie den Gemeinschaftsraum erreicht hatten ging Harry direkt in seinen Schlafsaal um die Unterlagen für Professor Snape zu holen und verließ den Gryffindor-Turm wieder.
Harry hatte das Gefühl ein dicker Stein würde in seinem Magen liegen, als er sich dem Klassenzimmer näherte, in dem sie ‚Verteidigung gegen die dunklen Künste‘ hatten. Nach dem, was Snape heute in ‚Zaubertränke‘ gesagt und angedeutet hatte schien es ihm nicht die beste Idee mit dem Lehrer die nächsten Stunden alleine verbringen zu müssen. Ron und Hermine gegenüber hatte er diese Bedenken nicht äußern wollen, denn er wollte sie nicht mit seinen Problemen belasten.
Als er den Klassenraum erreicht hatte zögerte er einen Moment. Vielleicht sollte er sich einfach umdrehen und wegrennen. Wenn Snape ihn am nächsten Morgen fragen würde wo er gewesen sei, konnte er sich ja irgend eine Ausrede einfallen lassen.
Je länger Harry über diese Alternative nachdachte, desto besser gefiel sie ihm. Aber nein. Es hatte keinen Sinn. Snape würde ihm mit Sicherheit nicht glauben und ihm wieder irgend eine scheußliche Strafarbeit aufdrücken, und da in einer Woche das nächste Quidditch-Spiel gegen die Hufflepuffs anstand hatte er keine Lust wieder Snapes Zorn auf sich zu ziehen.
Mißmutig öffnete er die Tür und spähte in den düsteren Raum. Er war nur spärlich beleuchtet durch ein Dutzend Kerzen. Die großen Fackeln an den Wänden waren erloschen und durch die Fenster drang schwach das Licht des aufgehenden Mondes. Professor Snape stand bereits neben seinem Schreibtisch und wartete.
„Kommen Sie herein, Potter“, sagte er kalt und blickte Harry auf eine Weise an, die keine Widerrede zuließ.
Harry trottete mißmutig zu seinem Stuhl und setzte sich.
„Sie brauchen es sich gar nicht gemütlich zu machen, wir werden heute wieder eine praktische Übung durchführen.“
Harry stöhnte innerlich auf. Er hatte mittlerweile die Erfahrung gemacht, dass die Stunden, die sie mit Übungen zubrachten, die mit Abstand Anstrengendsten waren, die er sich nur vorstellen konnte.
Snape gab sich nicht damit zufrieden, wenn Harrys Flüche endlich das gewünschte Ergebnis brachten, er legte pedantischen Wert darauf, dass die Zaubersprüche so genau und präzise wie nur irgend möglich waren. Da es sich fast immer um sehr schwierige Flüche handelte, die Snape von ihm abverlangte, brauchte Harry dafür oft viele Stunden.
„Welches ist der gefährlichste Fluch, außer dem Todesfluch, der Ihnen einfällt, Potter?“, fuhr Snape fort.
Harry brauchte nicht zu überlegen um sich an den schrecklichsten Fluch zu erinnern, den es seiner Meinung nach gab.
„Der Cruciatus-Fluch“, sagte er leise. Was hatte Snape nur vor? Er konnte doch wohl unmöglich .....
„Genau den meine ich. Ich denke, ich brauche Ihnen nicht all zu viel über diesen Fluch zu erzählen, schließlich wissen Sie aus erster Quelle, wie er wirkt.“
Harry beobachtete Snape genau und erwartete nun ein Grinsen auf dessen Gesicht, doch es blieb aus. Snape sah ihn nur kalt und berechnend an.
„Wie für die meisten Flüche gibt es auch für den Cruciatus-Fluch einen Verteidigungszauber.“
Harry starrte Snape an. „Aber Professor Moody, äh, ich meine Mr. Crouch hat uns alles über die drei unverzeihlichen Flüche erzählt, und er hat nie erwähnt, dass es eine Verteidigung dafür gibt.“
Snape lächelte selbstgefällig. „Vielleicht, Mr. Potter, wußte dieser schwarze Magier nicht all zu viel über die dunklen Künste. Es reicht eben nicht aus, sich nur auf seinen Herrn und dessen Fähigkeiten zu verlassen, hier ist Eigeninitiative und Intelligenz gefragt. Es handelt sich um einen sehr alten Zauber, ich bezweifle, dass ihn heute überhaupt noch irgend jemand kennt. Wahrscheinlich ist er nicht einmal Professor Dumbledore oder Lord Voldemort bekannt.“
Snapes Lächeln nahm einen arroganten Ausdruck an. Harry erinnerte sich an das alte Buch, das er auf Snapes Tisch gesehen hatte an dem Abend, als er den Kerker geputzt hatte. Snape mußte so lange dieses und noch andere alte Bücher durchgewälzt haben, bis er diesen Zauber gefunden hatte.
„Ich habe lange danach gesucht und bin schließlich in einem sehr alten und sehr unscheinbaren Buch fündig geworden. Sie erinnern sich an das Buch, Potter?“ Snape sah ihn durchdringend an.
Harry schluckte. Also hatte Snape tatsächlich gemerkt, dass er in dessen Büro gewesen war. Wie hatte Harry jemals etwas anderes annehmen können. Vor Snape etwas zu verbergen war fast unmöglich.
Er schwieg auf die Anspielung des Lehrers und Snape fuhr ungerührt fort: „Der Fluch ist sehr diffizil, ich erwarte nicht, dass Sie ihn lernen werden.“ Er blickte Harry abschätzig an.
„Warum erzählen Sie mir dann von dem Fluch, wenn Sie glauben, dass ich ihn sowieso nicht lerne?“, fragte Harry unwirsch, ohne darüber nachzudenken. Wieder stieg Haß in ihm auf.
Snape ignorierte Harrys Frage und sagte kalt: „Stehen Sie auf Potter und kommen Sie hier her.“
Harry erhob sich und ging zu Snape.
„Wir werden das praktisch üben“, sagte Snape und ein böses Grinsen erschien auf seinem Gesicht.
„Was meinen Sie mit üben, wollen Sie etwa ....“, fragte Harry vorsichtig.
„Was glauben Sie Potter, wie man das sonst üben soll?“, fragte Snape kalt zurück und blickte Harry noch abschätziger an. Es schien offensichtlich, dass er Harry den Gegenfluch nicht zutraute.
„NEIN“, rief Harry, „nein, Sie sind doch verrückt.“
Snape starrte Harry einen Moment stumm an. „Dann gehen Sie, Potter, raus hier, hauen Sie ab zu Ihren arroganten Gryffindor-Freunden“, fauchte Snape. „Sie glauben wohl, dass Ihre Berühmtheit Sie schützt. Sie sind genauso selbstherrlich wie Ihr Vater. Aber ein berühmter Name ist nicht alles, Potter.“
Harry drehte sich wütend um und stapfte zur Tür.
„Ich werde morgen Professor Dumbledore darüber in Kenntnis setzen, dass Sie keinen Wert mehr auf meinen Unterricht legen, Potter“, sagte Snape kalt.
Harry hatte bereits die Türklinke in der Hand als er abrupt stehen blieb.
„Der Direktor wird sehr enttäuscht darüber sein, dass Sie seine Fürsorge nicht zu schätzen wissen. Aber schließlich sind Sie auch ohne Hilfe in der Lage das nächste Mal gegen Lord Voldemort zu bestehen, nehmen Sie sich einfach ein Beispiel an Ihrem Vater.“
Harry drehte sich energisch zu Snape um und starrte ihn an. Sein Gesicht war wutverzerrt. „Okay, das reicht!“, schrie er aufgebracht.
Snapes Lächeln gefror. „Wagen Sie nicht in diesem Ton mit mir zu sprechen, Potter, ich kann Ihr Leben in Hogwarts zur Hölle machen, seien Sie sich dessen immer bewußt“, zischte er drohend, „wenn Sie wollen, dass wir Ihnen helfen, tun Sie das, was man von Ihnen verlangt. Fügen Sie sich, wenn nicht, gehen Sie zurück zu Ihren feigen, arroganten Gryffindors.“
Harry biß wütend die Zähne aufeinander. Sein Magen verkrampfte sich und das Blut in seiner Stirn pulsierte schmerzhaft gegen seine Stirn. Er haßte Snape aus dem tiefsten Grunde seines Herzens, aber er wollte andererseits Professor Dumbledore auf keinen Fall enttäuschen.
„In Ordnung“, knurrte Harry und zwang sich zu einem kontrollierten Tonfall.
„Ich erwarte eine Entschuldigung, Potter“, zischte Snape und sein fieses Lächeln kehrte zurück.
Das Pochen in Harrys Kopf nahm zu und seine Hände ballten sich zu Fäusten. „Entschuldigung, Sir“, knurrte er leise und konnte dabei ein leichtes Fauchen nicht unterdrücken.
Snape blickte ihn immer noch abschätzig an, schien jedoch Harrys Entschuldigung zu akzeptieren.
Snape schwieg einen kurzen Moment, wobei er Harry nicht aus den Augen ließ, fuhr dann jedoch ungerührt mit seinem Unterricht fort: „Der Fluch lautet securis, er muß genau in dem Moment gesagt werden, in dem auch der Cruciatus-Fluch ausgesprochen wird. Nicht nur die exakte Ausführung des Securitas-Fluchs ist entscheidend, sondern auch das perfekte Timing. Wird der Fluch zu früh oder zu spät ausgesprochen, ist er unwirksam und vermag es nicht, den Schmerzfluch aufzuhalten.“
Harry nickte, dass er verstanden hatte. Er konnte nicht antworten. Bei dem Gedanken, was gleich auf ihn zukommen würde war sein Mund trocken geworden und seine Knie zitterten leicht.
Snape erklärte nun ausführlich, wie der Securitas-Fluch ausgeführt wurde, natürlich nicht ohne hin und wieder eine scharfe Bemerkung zu machen, dass Harry ihn sowieso nicht lernen würde.
Harrys Kopf pochte noch immer, sein Magen krampfte sich immer mehr zusammen, doch er schluckte seinen immer größer werdenden Ärger hinunter. Es würde sicherlich der größte Feiertag für Snape sein, wenn Harry endgültig die Beherrschung verlor, und das ließ Harrys Stolz einfach nicht zu. Er würde sich nicht mehr provozieren lassen.
Nach den langen Ausführungen des Lehrers mußte Harry einige Trockenübungen absolvieren, wobei Snape immer wieder kleinlichst die Artikulation des Wortes und die Haltung seines Zauberstabes korrigierte.
„Halten Sie den Zauberstab nicht wie ein Kochlöffel, Potter, Sie sollen hier keine Suppe umrühren“, sagte er kalt, als Harrys Hand sich vor Anstrengung zu verkrampfen begann. Langsam begann sein Arm lahm zu werden und seine Konzentration nahm deutlich ab, durch die immer wiederkehrenden monotonen Übungen.
„Ihre Aufmerksamkeit läßt sehr zu wünschen übrig“, sagte Snape schließlich barsch, „vielleicht werden Sie sich besser konzentrieren, wenn wir zu der eigentlichen Übung wechseln.“
Harry schluckte hart. Er hatte sich wirklich bemüht den Zauberspruch korrekt auszuführen, aber irgendwie bekam er einfach kein Gefühl dafür. Irgend etwas daran hatte er einfach noch nicht im Griff.
Snape trat zwei Schritte zurück. Harry umklammerte krampfhaft den Zauberstab. Seine Hand zitterte leicht. Er beobachtete seinen Lehrer angespannt. Snapes kalte, schwarze Augen schienen dämonisch zu funkeln als er langsam seinen Zauberstab hob. „Crucio“, flüsterte er.
Securis“, rief Harry mit zitternder Stimme gleichzeitig.
Die Welt um Harry herum brach zusammen. Ein unmenschlicher Schmerz durchfuhr ihn und seinen Körper schien von innen zerbersten zu wollen. Sein Blut schien zu glühen und seine Knochen wollten verbrennen. Harry krümmte sich vor Schmerz auf dem Boden. Durch den Vorhang der Höllenqualen hörte er einen Schrei. Es war sein eigener. Verschwommen und wie in weiter Ferne sah er eine schwarze Gestalt über sich. Das bleiche Gesicht schien teuflisch zu grinsen.
Dann war alles zu Ende. So schnell wie der Schmerz begonnen hatte ebbten die Wellen wieder ab. Es waren nur wenige Sekunden gewesen, doch Harry kamen sie vor wie eine Ewigkeit. Keuchend und mit zitternden Armen und Beinen versuchte er aufzustehen, sackte jedoch wieder zurück auf seine Knie.
Snape stand immer noch an der selben Stelle. Seine kalten Augen beobachteten Harry, doch er konnte nicht erkennen was sie dachten. Snape hatte diese Macht mit Sicherheit genossen. Wahrscheinlich hatte er sich schon seit Jahren gewünscht Harry diesen Fluch auf den Hals zu hetzen.
Ganz langsam beruhigte sich Harrys Atmung wieder und das Zittern ließ nach.
„Ganz miserables Timing, Potter. Wenn ich es darauf angelegt hätte, wären Sie jetzt tot“, sagte Snape kalt, und Harry hatte das Gefühl, so etwas wie Bedauern in Snapes Gesicht erkennen zu können.
Er ließ Harry noch einige Minuten verschnaufen, dann hob er abermals den Zauberstab. Im selben Moment, als der Schmerzfluch auf ihn abgefeuert wurde schrie Harry mit leichter Panik in der Stimme den Gegenfluch. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er ein Gefühl, als wäre sein ganzer Körper taub, dann brach wieder der Schmerz über ihm zusammen. Als der Fluch das nächste Mal aufgehoben wurde, konnte Harry noch seine widerhallenden Schreie verklingen hören.
Wieder atmete er schwer, als die Nachwirkungen langsam seinen Körper verließen.
„Nicht schlecht, Potter, jetzt haben Sie gemerkt, wie der Gegenfluch wirken kann, wenn er richtig angewandt wird. Aber Ihr Timing läßt immer noch zu wünschen übrig. Außerdem müssen Sie sich besser auf die genaue Aussprache konzentrieren.“
Wenn Harry die Kraft dazu gehabt hätte, hätte er verächtlich geschnaubt. Konzentration, wie sollte er sich denn konzentrieren, wenn jeden Moment der Cruciatus-Fluch über ihn hereinbrechen würde.
Wieder wartete Snape einige Minuten um Harry etwas Kraft sammeln zu lassen, dann hob er von neuem langsam den Zauberstab. Dieses Mal schien das Taubheitsgefühl einen kurzen Moment länger anzuhalten, bevor eine gigantische Welle aus Schmerz ihn überrollte. Er hörte mehrere Schreie, doch der zweite war nicht von ihm. Er hörte durch einen Nebel aus Schmerz, wie jemand den Namen von Professor Snape rief.
„Severus, um Gottes Willen, sind Sie verrückt geworden?“
Der Schmerz brach abrupt ab und Harry nahm all seine Kraft zusammen und blickte sich um, um zu sehen, von wem der zweite Schrei gekommen war. In der Tür stand Professor McGonagall. Ihr Gesicht war bleich und ihre Augen waren panisch aufgerissen als sie abwechselnd von Harry zu Snape blickte.
„Severus“, rief sie hysterisch, „sind Sie wahnsinnig? Dieser Fluch ist verboten, Sie bringen Potter um!“ Als sie sah, dass Harry sie anblickte eilte sie nach vorne, ging in die Knie und legte ihm einen Arm um die Schulter. „Ist alles in Ordnung, mein Junge?“, fragte sie besorgt. Dann sah sie wieder zu Snape auf. „Ich schwöre Ihnen, das wird ein Nachspiel haben“, keifte sie.
Harry hatte sie noch nie so aufgelöst erlebt. Er wollte etwas sagen, die Situation erklären, die für seine Hauslehrerin mit Sicherheit erschreckend war, doch er brachte nur ein leises Stöhnen über seine Lippen.
Snape stand vor ihnen und bewegte keinen Muskel. Sein Gesicht war undurchdringlich starr und seine Augen blickten kalt auf sie herab.
Professor McGonagall strich Harry sanft über seine wirren Haare. Sie machte sich ernsthafte Sorgen um ihn. Es dauerte noch eine Minute, bis Harry die Kraft hatte etwas zu sagen.
„Es ist in Ordnung, Professor“, keuchte er unter größter Anstrengung, „das ist schon Okay.“
„Was?“, fragte Professor McGonagall und ihre Stimme schien dabei unnatürlich schrill.
„Professor Snape“, keuchte Harry weiter und richtete seinen Blick dabei nach oben auf die schwarze Gestalt über ihnen, „erklärt mir gerade einen Gegenfluch für den Cruciatus.“
„So etwas gibt es nicht, Potter“, sagte Professor McGonagall entschieden, „Severus muß das als Vorwand benutzt haben.“ Sie stand auf und baute sich drohend vor Snape auf. „Ich weiß nicht was Sie vorhaben, Severus, aber ich werde mit dem Jungen zu Professor Dumbledore gehen. Ich werde Ihnen höchst persönlich ein Disziplinarverfahren an den Hals hängen, da können Sie sich sicher sein. Ihre Tage an dieser Schule sind gezählt.“
Snape sah sie immer noch eisig an. In seinem Blick schien Verachtung mitzuschwingen. Dann, ganz langsam, verzog sich sein Mund zu einem leichten Lächeln. „Tun Sie, was Sie nicht lassen können, Minerva.“ Dann drehte er sich demonstrativ um und entfernte sich einige Schritte von ihr.
Professor McGonagall half Harry vorsichtig auf die Beine und begann ihn energisch in Richtung Tür zu schieben.
„Nein“, krächzte Harry mit trockener Stimme, „ich bleibe hier, Professor.“
„Potter, Sie kommen mit mir, wir gehen zum Direktor.“
Harry schüttelte energisch den Kopf und befreite sich aus Professor McGonagalls Griff.
Professor McGonagall starrte ihn ungläubig an. „Hier sind doch alle wahnsinnig“, sagte sie schrill und ging mit schweren Schritten zur Tür. Als sie bereits die Klinke in der Hand hatte drehte sie sich noch einmal um und sagte: „Wiegen Sie sich ja nicht in Sicherheit Severus, ich bin gleich mit dem Direktor zurück, und Gnade Ihnen Gott, wenn Sie Potter in der Zwischenzeit etwas antun.“ Mit einem lauten Rums warf sie die Tür ins Schloß und ließ Harry und Snape alleine.
Für einen Moment geschah nichts. Harry starrte verwirrt auf Snapes Rücken, der ihm immer noch zugewandt war. Langsam drehte Snape sich um. Harry versuchte in seinem Gesicht zu lesen, doch es war kalt und leer, wie immer.
„Fahren wir fort“, sagte er emotionslos, „ich hasse Störungen.“
„Aber Professor“, sagte Harry vorsichtig, „vielleicht sollten wir ......“
„Ich sagte: fahren wir fort“, wiederholte Snape nachdrücklich.
Noch einige Male an diesem Abend richtete Snape den Schmerzfluch auf Harry, und als er endlich von ihm abließ war es Harry tatsächlich gelungen seine Gegenwehr für mehrere Sekunden aufrecht zu erhalten. Doch er schaffte es lediglich die Schmerzen abzublocken, wobei sein Körper sich dabei wie gelähmt anfühlte. Er war jedoch nicht in der Lage sich zu bewegen.
„Wir werden das nächste Mal an diesem Punkt fortfahren“, sagte Snape sachlich, „Der Gegenfluch hat nicht viel Sinn, wenn man sich nicht bewegen kann.“
Harry nickte erschöpft und verließ schlurfend den Klassenraum. Mit letzter Kraft schleppte er sich in seinen Schlafsaal. Zum Glück schliefen Ron und seine restlichen Klassenkameraden bereits, sie wären sicher sehr erschrocken gewesen, wenn sie Harry in diesem Zustand gesehen hatten. Erschöpft ließ er sich auf sein Bett fallen. Ihm kam wieder Professor McGonagall in den Sinn. Es mußte für seine Hauslehrerin wirklich erschreckend gewesen sein, sie beide auf diese Weise vorzufinden. Am Liebsten wäre Harry mit ihr gegangen um den weiteren Schmerzen zu entgehen, aber er konnte einfach nicht, und Professor McGonagall war weder mit noch ohne Professor Dumbledore zurück gekehrt. Vermutlich hatte der Direktor ihr erklärt, dass er über die Vorgänge informiert war und hatte Professor McGonagall angewiesen in ihre Räume zurück zu kehren.
Noch während Harry darüber nachdachte glitt er langsam in den Schlaf.

***



Der Raum war dunkel. Dreißig schwarz gekleidete Gestalten standen in einem Kreis und warteten auf die Ankunft ihres Meisters. Zwei Dutzend von ihnen trugen schwarze Masken, die Gesichter der anderen waren blaß und angespannt. Auf dem schwarzen Altar, der sich hinter der Gruppe befand, lagen 6 ordentlich zusammengefaltete Masken, die auf ihre neuen Träger warteten.
Die Anspannung in der Gruppe war fast greifbar. Dann ertönte ein leises PLOP und alle Blicke wandten sich in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Der Kreis der 30 Death Eater öffnete sich und Lord Voldemort trat in ihre Mitte. Er blickte sich mit seinen rot glühenden Augen um und sein Blick blieb auf den 6 Zauberern ohne Maske hängen.
„Ah, ich begrüße unsere neuen Mitglieder“, sagte er leise. Seine Stimme klang wie das Zischen einer Schlange. „Bevor ihr jedoch in den Kreis der Death Eater aufgenommen werdet, müßt ihr beweisen, dass ihr würdig seid, zu meinen Anhängern zu zählen.“
Er hob seine rechte Hand und sechs Death Eater verschwanden kurz in einen Nebenraum. Kurz darauf kehrten sie mit sechs verängstigten Muggeln zurück. Die Hände der Frauen waren mit Hilfe eines Klammer-Spruchs auf den Rücken gefesselt und ihre Gesichter waren angstvoll verzerrt. Sie schrieen vor Angst und bettelten um Gnade. Lord Voldemort warf ihnen einen kurzen, verächtlichen Blick zu und wandte seine Aufmerksamkeit dem ersten unmaskierten Mann zu, der ihm am nächsten Stand. Er war kaum 18 Jahre alt und sein Gesicht war vor Aufregung weiß.
„Zeige mir, dass du es wert bist in meine Reihen aufgenommen zu werden und töte diesen Muggel“, zischte Voldemort und deutete auf eine der jungen Frauen, die von seinen Leuten herein gezerrt worden waren. Der junge Death Eater machte eine tiefe Verbeugung vor dem dunklen Lord. „Ja, Meister“, sagte er mit bebender Stimme und zog mit zitternder Hand seinen Zauberstab aus dem Umhang. Er richtete ihn auf die junge Frau, zögerte dann jedoch einen Moment.
„Töte sie“, zischte Voldemort, so dass dem jungen Mann ein kalter Schauer über den Rücken lief.
„Nein, habt Erbarmen“, kreischte die junge Frau, doch niemand beachtete ihr Flehen. Ihre Augen waren vor Angst geweitet. Der Death Eater, der sie festhielt, lachte kurz und stieß sie dann nach vorne, so dass sie hart auf dem Boden fiel.
Der junge Anwärter umklammerte krampfhaft seinen Zauberstab und schrie wie von Sinnen: „Avada Kedavra“. Die junge Frau zu seinen Füßen brach lautlos zusammen und war auf der Stelle tot.
In der Runde der Death Eater war es still. Keiner wagte ein Geräusch von sich zu geben, die überlebenden Muggel kauerten in ihrer Mitte mit panischer Angst und gaben keinen Laut von sich. Dann wurde die Stille durch ein leises, langsames Klatschen unterbrochen. Es war Lord Voldemort. Er lächelte belustigt. „Sehr schön“, zischte er und trat vor den jungen Anwärter. „Nun gelobe mir und den Death Eatern die Treue, um in unsere Reihen aufgenommen zu werden.“
Der junge Mann fiel vor dem dunklen Lord auf die Knie und sagte mit zitternder Stimme: „Ich werde all meine Kraft und mein Streben für die Reinblütigkeit einzusetzen. Mein Zauberstab und all seine Macht gehören dem dunkeln Lord. Er wird mich leiten und führen. Er ist mein Meister und ich gelobe ihm die ewige Treue.“
Wieder herrschte eisige Stille in der Runde. Der junge Mann erhob sich wieder und blickte Voldemort erwartungsvoll an.
„Streck deinen linken Arm aus“, sagte der dunkle Lord kalt. Der junge Mann krempelte seinen Ärmel nach oben und streckte seinen linken Arm in Richtung des dunklen Lords.
Lord Voldemort zog seinen Zauberstab aus dem Umhang und richtete ihn auf den Unterarm des Jungen. „Morsmordre“, zischte er und ein kurzer Aufschrei durchbrach den Raum. Es stank nach verbranntem Fleisch. Der junge Mann starrte mit verzerrtem Gesicht auf die rot glühende Stelle auf seinem vor Schmerz brennenden Arm. Langsam ließ das Glühen nach und Konturen wurden sichtbar. Der Junge erkannte einen Totenkopf aus dessen Mund sich eine Schlange wand: das Dunkle Mal.
„Nun bist du ein Death Eater“, zischte Voldemort leise und reichte dem jungen Mann eine der Masken, die auf dem Altar lagen, „enttäusche mich nicht, ich habe kein Verständnis für Versager.“ Wieder war es für einen Moment totenstill, bevor Voldemort fortfuhr. „Du wirst zukünftig deine Befehle von Mr. Mcnair empfangen. Er wird in meinem Namen zu dir sprechen, und ich erwarte, dass du ihn mit dem ihm gebührenden Respekt behandelst.“
Wieder fiel der Junge Mann auf die Knie und sagte: „Ich danke Euch, Meister!“

***



Trotz der Anstrengungen des Vortages war Harry am nächsten Morgen sehr früh wach, aber er war keineswegs ausgeschlafen. Seine Narbe brannte höllisch. Er hatte von Voldemort geträumt, daran konnte er sich noch erinnern. Viele Death Eater waren um ihn gewesen, und auch einige Unmaskierte. Harry hatte ihre Gesichter erkannt. Noch vor einem Jahr waren sie allesamt Schüler in Hogwarts gewesen. Fünf von Ihnen waren Slytherins gewesen, unter anderem Kit Carpenter und Adrian Pucey, ein ehemaliger Jäger aus dem Quidditch-Team, und außerdem Alan Armond, ein Hufflepuff. Nur langsam ließ der Schmerz in seinem Kopf nach.
Die Bilder der Nacht verschwammen allmählich, doch Harry konnte sich immer noch daran erinnern, was in seinem Traum vorgefallen war. Er war sich sicher, dass dies wirklich passiert war. Sicher waren in dieser Nacht auch die restlichen Muggel gestorben. Scheinbar gehörte es zur Aufnahmezeremonie der Death Eater, dass die Anwärter einen unschuldigen Muggel töten mußten. Harry verzog angewidert das Gesicht. Langsam stand er auf. Seine Muskeln taten im weh und jede Bewegung schmerzte. Er war blaß und hatte dunkle Ringe unter den Augen.
Ron und Hermine waren sehr bestürzt, als sie Harry in diesem Zustand sahen, doch trotz ihres Drängens konnte Harry sich einfach nicht dazu überwinden ihnen von den Vorkommnissen des letzten Abends zu berichten. Er war sich sicher, dass sie Beide seine Entscheidung nicht verstehen würden, warum er bei Snape geblieben war, obwohl Professor McGonagall ihn doch zu Professor Dumbledore bringen wollte, er verstand es ja selbst kaum. Er berichtete ihnen nur von seinem Traum. Wie er erwartet hatte waren Ron und Hermine sehr bestürzt als sie davon erfuhren.
Den Unterricht an diesem Tag erlebte Harry wie in Trance, er konnte sich kaum auf den Stoff konzentrieren, und auch die mehrmaligen Ermahnungen von Professor Binns, er solle aufpassen, änderten nichts daran.
Mit einem üblen Gefühl in der Magengegend machte Harry sich nach dem Mittagessen mit Ron auf den Weg in das Turmzimmer von Professor Trelawney. Wie er erwartet hatte, bemerkte die Lehrerin sofort Harrys angeschlagenen Zustand und prophezeite ihm wie so oft eine düstere Zukunft.
Im Laufe der nächsten Wochen verbesserte sich Harrys Zustand nur langsam. Zwei Mal in der Woche wurde er von Professor Snape mit dem Cruciatus-Fluch belegt, und Harry schaffte es nur mäßig den Fluch abzublocken. Auch wenn es ihm mittlerweile gelang die Schmerzen vollständig abzuwehren, war er nicht in der Lage seinen Körper in diesem Zustand zu bewegen. Er fühlte nur eine Taubheit, die seinen gesamten Körper lähmte. Die harten Worte von Snape, die auf diese Lektionen folgten waren auch nicht gerade dienlich Harrys angekratztes Selbstbewußtsein wieder aufzurichten.
Ron und Hermine versuchten mehrmals mit Harry zu sprechen, doch sobald sie das Thema auf Harrys angeschlagenen Zustand, oder seinen Unterricht bei Professor Snape lenkten wiegelte Harry ab und behauptete es sei alles in Ordnung.
Das Quidditch-Spiel gegen die Hufflepuffs endete für Gryffindor mit einer herben Niederlage. Zwar lagen sie zuerst in Führung, doch Harry hatte in seinem angeschlagenen Zustand gegen den Sucher der gegnerischen Mannschaft keine Chance. Gryffindor verlor deutlich mit 190 zu 70 Punkten. Durch diese Niederlage hatte nun wieder Slytherin die Führung um den Hausmeisterschaft und den Quidditch-Pokal errungen, da sie nur eine Woche später die Mannschaft der Ravenclaws dem Erdboden gleich machten.

Es war nur noch eine Woche bis zu den Osterferien und Harrys Laune verbesserte sich dadurch nicht im Geringsten. Er hatte vor über zwei Wochen an Sirius geschrieben und ihn gefragt, ob er die Osterferien bei ihm und Remus verbringen konnte, doch er hatte immer noch keine Antwort von seinem Paten erhalten. Im Gemeinschaftsraum traf er Hermine und Ron.
„Hast du schon Antwort von Sirius?“, fragte Hermine ihn.
„Nein“, antwortete Harry niedergeschlagen.
„Vielleicht ist ja heute bei der Post was dabei, los, laßt uns frühstücken gehen“, sagte Ron, drehte sich um und ging in Richtung Portrait-Loch. Hermine zögerte einen Moment, folgte ihm dann jedoch.
Harry schlurfte lustlos hinter ihnen her in Richtung der Großen Halle. Auf dem Weg zum Frühstück blickte sich Hermine mehrmals nach ihm um. Harry hatte das Gefühl, dass sie etwas zu ihm sagen wollte, doch er war froh, dass sie und Ron schon vor Wochen damit aufgehört hatten ihn zu löchern, was in letzter Zeit bei Snape geschehen war. Sie waren scheinbar überein gekommen, dass sie warten wollten, bis Harry es ihnen von sich aus erzählte, und Harry war sehr erleichtert darüber. So konnte er wenigstens über alles andere wieder mit ihnen reden, und irgendwann, wenn das alles vorbei war, würde er ihnen mit Sicherheit auch erzählen, was er in den letzten Wochen bei Snape erlebt hatte.
Harry hatte sich gerade einen Marmeladen-Toast gemacht, als ein Rauschen die Große Halle erfüllte. Kurz darauf kam ein riesiger Schwarm Eulen in die Halle geflogen und verteilte die morgendliche Post. Harry blickte gespannt nach oben, und sein Warten wurde belohnt. Ein großer Waldkauz brachte ihm die ersehnte Antwort von Sirius. Harry riß sofort den Brief auf und wollte lesen, was sein Pate ihm geschrieben hatte, als ein dunkelbrauner Uhu auf ihn zugeflogen kam, und einen großen Umschlag auf seinen Teller fallen ließ. Harry schaute überrascht den Brief an. Eigentlich erwartete er sonst keine Post. Er legte den Brief zur Seite und widmete sich wieder dem Schreiben von Sirius.
Es war ein sehr kurzer Brief, in dem Sirius Harry erklärte, dass er leider in den Osterferien zusammen mit Remus einen Auftrag für Professor Dumbledore zu erledigen hatte, und dass Harry die Ferien bei seinem Onkel und seiner Tante verbringen müsse. Er schrieb außerdem, dass er es sehr bedaure, dass Harry aber auf keinen Fall bei diesem Auftrag mitkommen konnte, da es sehr gefährlich werden könnte.
Hermine, die ebenfalls den Brief gelesen hatte legte ihm tröstend einen Arm um die Schulter. „Mach dir nichts daraus, eine Woche geht schnell vorbei. Bevor du dich versiehst bist du wieder hier.“
Harry schnaubte verächtlich. Hermine konnte sich ja nicht vorstellen, wie furchtbar es wirklich war eine volle Woche bei seinen Verwandten verbringen zu müssen.
„Von wem ist denn der andere Brief?“, riß Ron ihn aus seinen Gedanken.
„Keine Ahnung“, sagte Harry und nahm den Umschlag in die Hand. Er drehte ihn um und betrachtete mit aufgerissenen Augen den Absender. „Er ist vom Zaubereiministerium“, sagte er überrascht.
„Was wollen die denn von dir?“, fragte Ron sichtlich verwirrt.
Harry zuckte die Schultern und riß den Umschlag auf. Er enthielt nur einen kurzen Brief:


Sehr geehrter Mr. Potter,

die Anhörung Lupin gegen Dursley findet am 17. Juni statt. Bitte finden Sie sich pünktlich um 10:30 Uhr in Raum 135, Gebäude A, des Ministeriums ein.

Hochachtungsvoll

Valerie Rickpark
Abteilung für Vormundschaftsangelegenheiten
Zaubereiministerium



„Da hast du aber Glück“, sagte Hermine, die ihm wieder über die Schulter geblickt hatte. „Am 11. Juni finden die letzten ZAG-Prüfungen statt, da wirst du keine Prüfung verpassen.“
„Du hast Sorgen“, sagte Ron verächtlich.
Harry faltete den Brief zusammen und steckte ihn in seinen Umhang.
„Ich war noch nie im Ministerium, wie es da wohl aussieht“, fuhr Hermine ungerührt fort.
„Ich werde es dir erzählen“, sagte Harry und widmete sich wieder seinem Toast.
Gemeinsam gingen sie zum Unterricht. In der letzten Stunde an diesem Tag hatten sie ‚Verwandlung‘ bei Professor McGonagall. Schon seit Wochen hatte sie, wenn sie Harry anblickte, einen mitleidigen Ausdruck in ihren Augen, doch sie hatte nie ein Wort zu ihm gesagt. Harry war sehr froh darüber. Er hätte nicht gewußt, was er der Lehrerin antworten sollte.
Als die Stunde zu Ende war wollte er mit Ron und Hermine den Klassenraum verlassen, doch Professor McGonagall hielt ihn zurück.
„Warten Sie einen Moment, Potter.“
Harry drehte sich überrascht um. „Was gibt es denn Professor?“, fragte er verwundert.
„Professor Dumbledore möchte Sie sprechen, bitten kommen Sie mit, ich habe ihm versprochen, Sie direkt nach meinem Unterricht zu ihm zu bringen.“
Harry nickte und folgte seiner Lehrerin, die den Klassenraum verließ und sich auf den Weg zum Büro des Schulleiters machte. Harry konnte sich nicht vorstellen, was Dumbledore von ihm wollte. Er hatte sich in letzter Zeit nichts zu schulden kommen lassen, dazu hätte er auch gar nicht die Energie gehabt. Grübelnd folgte er Professor McGonagall. Als sie den Wasserspeier, der den Weg zu Professor Dumbledores Büro versperrte erreicht hatten, sagte Professor McGonagall das Paßwort: „Zitronenpudding mit Himbeergeschmack“ und der Wasserspeier sprang zur Seite. Gemeinsam gingen sie die Wendeltreppe nach oben. Professor McGonagall klopfte an die Bürotür des Direktors.
„Komm nur herein, Minerva“, erklang die Stimme von Professor Dumbledore aus dem Inneren des Büros und Professor McGonagall und Harry betraten das Büro.
Professor Dumbledore saß hinter seinem Schreibtisch und lächelte Harry aufmunternd an. „Danke, Minerva, du kannst gehen, ich werde das alleine mit Harry regeln“, sagte er und blickte Professor McGonagall freundlich an. Harry bemerkte, dass sie protestieren wollte, drehte sich dann jedoch um und verließ das Büro.
Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte sah Professor Dumbledore wieder auf Harry und sagte: „Setz dich.“
Harry gehorchte und setzte sich auf einen Stuhl, der Dumbledore gegenüber stand. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, warum er hier war.
„Na, alles in Ordnung?“, fragte Dumbledore.
„Ja, Sir“, antwortete Harry etwas verwirrt. Natürlich ging es Harry nicht gut. Seit Wochen war er blaß und abgespannt, er hatte Mühe sich zu konzentrieren und immer wieder kamen die körperlichen Anstrengungen des Cruciatus-Fluchs dazu.
„Ich habe heute einen Brief aus dem Zaubereiministerium bekommen. Sicher hast du deinen auch schon erhalten“, fuhr Dumbledore fort.
Harry nickte. „Professor, ich verstehe nur nicht, warum die Anhörung erst so spät stattfindet“, sagte er verwirrt.
„Das Ministerium hat im Moment sehr viel zu tun, da haben sie für solche Kleinigkeiten nicht allzu viel Zeit.“
„Werden die Dursleys auch vorgeladen?“, fragte Harry mit leicht zitternder Stimme. Ihm wurde ganz schlecht, wenn er daran dachte, dass er vielleicht auch die nächsten Jahre bei seinem Onkel und seiner Tante verbringen mußte.
„Nein, sie werden nicht anwesend sein. Das Ministerium hält nicht viel davon Muggel in ihre Räumlichkeiten vorzuladen.“
Harry atmete innerlich auf.
„Es handelt sich hierbei auch nur um eine erste Anhörung, bei der du gefragt werden wirst, bei wem du leben möchtest. Ich kann mir schon vorstellen, wie deine Antwort aussehen wird“, sagte Dumbledore und zwinkerte Harry zu, „aber ich kann dir nur raten, deine Antwort auch gut zu begründen. Das Ministerium wird sehr genau darauf achten, was du sagst.“
Harry nickte wieder. „Und wie soll ich in das Ministerium kommen, ich habe doch keine Ahnung, wo in London es sich befindet.“
„Mach dir darüber keine Sorgen“, sagte Dumbledore und lächelte Harry an, „Professor Lupin hat sich bereit erklärt dich zu begleiten.“
Auch Harry konnte nun ein Lächeln nicht unterdrücken.
„Aber ich habe dich auch noch wegen etwas anderem zu mir gebeten“, fuhr Dumbledore fort.
Harry merkte auf.
„Sirius hat mich gebeten, dich nicht mit dem Hogwarts-Express zu den Dursleys fahren zu lassen, er hält es für zu gefährlich, und ich pflichte ihm bei. Wir haben überlegt, dich mit Flohpulver in den Ligusterweg zu schicken.“
Harry schüttelte energisch den Kopf und konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. „Sir, das ist keine gute Idee“, sagte er, „die Dursleys haben ihren Kamin mit einer Holzwand verkleidet, und es gab eine größere Katastrophe, als die Weasleys mich vor eineinhalb Jahren mittels Flohpulver abholen wollten.“
Dumbledore nickte und schien einen Moment zu überlegen. „Hm, verstehe, dann werde ich bis zum Wochenende einen Portschlüssel für dich vorbereiten, der dich dort hin bringen wird. Mit ihm kannst du dann auch wieder nach Hogwarts zurückkehren. Komm bitte nächsten Samstag um halb elf in mein Büro, ich werde bis dahin deine Verwandten informieren, auf welchem Weg du zu ihnen gelangen wirst.“
„Okay, vielen Dank, Professor“, sagte Harry, und wollte aufstehen, um das Büro des Direktors zu verlassen.
„Harry“, hielt Dumbledore ihn jedoch zurück, „ist wirklich alles in Ordnung, oder gibt es etwas, das du mir sagen möchtest?“
„Nein, Sir, es ist alles in Ordnung, ich bin nur etwas überarbeitet, das ist alles, der Unterricht ist im Moment sehr anstrengend.“ Harry machte eine kurze Pause. „Vor allem ....“
Dumbledore unterbrach ihn sanft: „Ich weiß, dass Professor Snape zur Zeit eine Menge von dir abverlangt, aber ich bin sicher, dass er nur das Beste will.“
Harry versuchte seinen Mund zu einem Lächeln zu verziehen, doch der Versuch mißlang kläglich. „Ja, Professor, aber der Cruciatus .....“, fuhr Harry vorsichtig fort.
„Ich weiß, ich weiß, er hat mir gesagt, dass er ihn ansprechen wird“, unterbrach Dumbledore ihn mit gedämpfter Stimme, „und er hat meine Genehmigung dazu, das habe ich auch Professor McGonagall gesagt, als sie eines Abends sehr aufgelöst in mein Büro gestürmt kam. Aber falls das Ministerium davon Wind bekommt, bekommen wir alle große Probleme.“
Harry hätte beinahe verächtlich das Gesicht verzogen. Ansprechen konnte man das nicht gerade nennen, was Professor Snape mit dem Cruciatus-Fluch machte, Harry hatte eher das Gefühl, dass er ihn mit Hilfe dieses Fluchs langsam umbringen wollte, doch er vermied es, etwas zu Dumbledore zu sagen. Er wußte, dass Dumbledore Professor Snape vertraute.
„Professor“, begann Harry vorsichtig. Ihm war gerade wieder etwas eingefallen, über das er schon lange mit dem Direktor hatte sprechen wollen, doch er hatte es über die viele Arbeit für den Unterricht wieder vergessen. „Ich hatte vor ein paar Wochen wieder einen Traum.“
Dumbledore blickte Harry erwartungsvoll an, sagte jedoch kein Wort.
„Er handelte wieder von Voldemort. Er hat Adrian Pucey, Kit Carpenter, Alan Armond und noch ein paar andere ehemalige Schüler aus Hogwarts bei den Death Eatern aufgenommen.“
Dumbledore nickte langsam. Er wirkte nun wieder unheimlich alt. „Ich weiß, Harry. Immer mehr Zauberer schließen sich ihm an, und die Jungen lassen sich besonders leicht von ihm beeindrucken. Er verspricht ihnen den Himmel auf Erden. Meine Informanten haben mir berichtet, dass er mittlerweile über tausend Anhänger alleine in England um sich versammelt hat. Die Straßen sind nicht mehr sicher vor ihnen, die Nocturngasse ist komplett unter ihrer Kontrolle und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie auch die Winkelgasse beherrschen. Bald wird kein muggelstämmiger Zauberer mehr vor ihnen sicher sein.“
Dumbledore verstummte und Harry wagte es nicht, sich auf seinem Stuhl zu rühren. Es herrschte eine angespannte Stille im Büro des Direktors.
„Aber ich versichere dir, dass wir alles nötige unternehmen werden um zu verhindern, dass Voldemort wieder solch eine Schreckensherrschaft führen wird wie vor 15 Jahren“, sagte Dumbledore bestimmt.
„Aber Professor“, sagte Harry vorsichtig, „wenn er jetzt das ‚Auge des Ares‘ hat, ist er dann nicht noch mächtiger als damals?“
„Das ist natürlich ein harter Schlag für uns. Meine Informanten haben mir berichtet, dass er wirklich im Besitz des Amuletts ist, aber trotz allem hat er immer noch nicht zu seiner alten Kraft zurück gefunden. Er ist noch immer von den langen Jahren des Exils geschwächt. Noch stehen unsere Chancen nicht schlecht ihn zu besiegen.“
Harry antwortete nicht. Er hatte immer noch ein schlechtes Gewissen, dass er Dumbledore nichts von dem Amulett erzählt hatte, bevor es zu spät gewesen war. Dumbledore schien Harrys Gedanken gelesen zu haben, denn er sagte: „Harry, mach dir keine Vorwürfe, früher oder später hätte er das Amulett bekommen, egal wo es versteckt gewesen wäre.“
Irgendwie konnten diese Worte Harry nicht so recht aufmuntern, doch er nickte niedergeschlagen. Langsam erhob Harry sich und verließ das Büro des Direktors. Er kehrte zurück in den Gemeinschaftsraum und berichtete Ron und Hermine, was Dumbledore ihm gesagt hatte.
Hermine war natürlich ganz Dumbledores Meinung, dass es das Beste wäre, Harry mit einem Portschlüssel in den Ligusterweg zu schicken, doch Ron schien etwas eingeschnappt, dass sie nun die lange Fahrt mit dem Hogwarts-Express ohne Harry unternehmen mußten.

Kapitel 8

Kapitel 10

 

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