Das Auge des Ares

 

 

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Kapitel 5: Besuch an Halloween



An diesem Samstag herrschte beim Frühstück eine große Unruhe. Alle Schüler freuten sich darauf nach langer Zeit einmal wieder das Dorf Hogsmeade zu besuchen.
Auch Harry, Ron und Hermine konnten es gar nicht abwarten, ihren Süßigkeitenvorrat aufzufüllen und ein leckeres Butterbier zu trinken.
Sie wollten gerade die Große Halle verlassen, als eine große Schar Eulen mit der heutigen Post durch die oberen Fenster in den Saal flog. Ein großer, dunkelbrauner Uhu flog direkt auf Harry zu und ließ ihm einen Brief in die Hände fallen. „Komisch, ich erwarte überhaupt keine Post“, grübelte Harry und drehte ihn verwirrt in den Händen.
„Dann mach ihn auf, es wird schon drin stehen vom wem er ist“, sagte Ron ungerührt. Harry öffnete den Brief und las:


Hallo Harry,

bitte triff mich heute Abend um Mitternacht im Pokalzimmer. Es ist wichtig.

Sirius



Ron und Hermine hatten den Brief mit gelesen und Hermine fragte ratlos: „Was Sirius wohl von dir will? Ich finde es sehr riskant von ihm in die Schule zu kommen, er wird doch immer noch gesucht.“
„Ich weiß auch nicht“, antwortete Harry noch ratloser, „es muß wohl irgend etwas Dringendes sein, aber ich verstehe nicht, warum er nicht Remus schickt.“
Harry freute sich zwar auf seinen Paten, machte sich aber große Sorgen um dessen Sicherheit. Ron schien ihm die Sorge anzusehen und versuchte ihn aufzumuntern: „Mach dir keine Sorgen, Harry, Sirius weiß schon was er tut. Vor zwei Jahren an Halloween hat er es sogar unbemerkt bis in den Gryffindor-Turm geschafft. Da ist das Pokalzimmer für ihn doch ein Klacks.“ Harry nickte unsicher.
Sie verließen gemeinsam die Große Halle und holten ihre Mäntel, denn es war inzwischen kalt geworden. Nachdem sie sich dick eingepackt hatten, machten sie sich auf den Weg ins Dorf. Auf halbem Weg fragte Hermine: „Harry, bist du dir sicher, dass du mit dem Aufsatz für Snape fertig wirst, wenn du heute den ganzen Tag in Hogsmeade verbringst?“
Harry verdrehte die Augen und antwortete: „Hermine, bitte, ich möchte heute den ganzen Tag nichts von Snape oder sonst irgendeinem Lehrer hören. Ich schaffe das schon.“
„Okay, Okay, ist ja gut, ich wollte dir doch nur helfen“, sagte Hermine gereizt und setzte ihren Weg ohne ein weiteres Wort fort.
Als die Drei Hogsmeade erreicht hatten gingen sie als erstes in den Honigtopf. Der kleine Laden war schon voll von Hogwarts-Schülern, die alle Süßigkeiten kaufen wollten. Harry, Ron und Hermine bahnten sich einen Weg durch die Menge um zum hinteren Ende des Ladens zu gelangen. Dort standen große Fässer mit verschiedenen Schokoladen- und Pfefferminzdrops.
„Schaut mal hier“, rief Ron begeistert, „die sind ganz neu, Feuerdrops, wenn man sie isst entsteht auf der Zunge ein Feuerwerk. Fred und George haben mir schon davon erzählt. Die muss ich unbedingt haben.“
Nachdem sie eine beträchtliche Summe im Honigtopf gelassen hatten machten sie sich auf den Weg zu den Drei Besen, um ein heißes Butterbier zu trinken. Kurz bevor sie den Eingang des Pubs erreicht hatten sagte Hermine leise: „Seht mal, ist das nicht Mr. Malfoy da hinten? Was macht der denn hier?“
Harry und Ron sahen in die angegebene Richtung. „Ja, Hermine hat Recht“, sagte Harry ebenso leise, „kommt mit, wollen doch mal sehen was der hier macht.“
Sie schlichen im Schatten der Häuser auf Mr. Malfoy zu. Er stand in einer kleinen, düsteren Seitengasse und schien auf jemanden zu warten, denn er blickte sich immer wieder nervös um. Als sie ihn fast erreicht hatten hörten sie hinter sich Schritte. Schnell versteckten sie sich in einem dunklen Hauseingang um nicht entdeckt zu werden.
„Hallo Vater, da bist du ja. Hast du es?“ Es war Draco Malfoy. Er ging eilig auf seinen Vater zu.
„Hallo Draco, mein Junge. Natürlich habe ich es. ....... höchstpersönlich gegeben. ....... stolz auf dich, ...... Wenn du es schaffst ........ Dankes immer gewiß sein. Und sprich mit niemandem darüber.“ Lucius Malfoy sprach sehr leise, und Harry, Ron und Hermine konnten nicht jedes Wort verstehen.
„....... nicht enttäuschen, Vater“, sagte Draco mit leichtem Stolz in der Stimme.
Mr. Malfoy reichte seinem Sohn ein kleines Päckchen. Harry lehnte sich weit nach vorne um erkennen zu können um was es sich handelte, doch Ron und Hermine zogen ihn zurück in den Schatten. „Bist du verrückt?“, zischte Hermine, „willst du etwa, dass sie uns sehen?“
Harry schüttelte den Kopf und flüsterte zurück: „Nein, natürlich nicht, ich passe schon auf.“
Mr. Malfoy verabschiedete sich von Draco und verschwand. Draco steckte das kleine Päckchen in die Tasche und ging an Harry, Ron und Hermine vorbei, ohne sie zu bemerken.
„Was glaubst du war das?“, fragte Ron.
„Ich habe keine Ahnung“, antwortete Harry verwirrt.
„Von wem haben die zwei geredet?“, fragte Hermine, „etwa von Ihr-Wißt-Schon-Wem?“ Harry und Ron schüttelten ratlos die Köpfe.
„Kommt, laßt uns ein Butterbier trinken, in den Drei Besen können wir uns auch weiter unterhalten, mir wird kalt“, sagte Ron, und die drei machten sich auf den Weg zum Pub.
Die Drei Besen waren brechend voll mit Schülern, und Harry, Ron und Hermine hatten großes Glück noch einen Tisch in einer Seitennische zu ergattern. Harry ging zur Theke und holte für alle ein dampfendes Butterbier. Sie diskutierten noch lange über das eben Gesehene, konnten sich jedoch keinen Reim darauf machen.
Es begann schon dunkel zu werden, als sie sich schließlich auf den Weg zurück zur Schule machten. Sie brachten ihre Einkäufe in die Schlafsäle und gingen gemeinsam in die Große Halle.

Wie an jedem Halloween war die Große Halle festlich geschmückt. In der Luft schwebten hunderte ausgehöhlter Kürbisse und an der Decke flatterten Schwärme von lebenden Fledermäusen. Der ganze Saal sah zum Gruseln aus.
Harry, Ron und Hermine gingen zu ihren Plätzen, die wie am ersten Schultag mit goldenen Tellern gedeckt waren. Kaum hatten sie sich gesetzt füllte sich der Tisch wie von Zauberhand mit einer Vielzahl von Speisen. Die Platten waren überladen mit Roastbeef, Brathähnchen, Schweine- und Lammkoteletts, Würsten, Schinken, Steaks, Pellkartoffeln, Bratkartoffeln, Pommes, Yorkshire-Pudding, Erbsen, Karotten und noch vielem mehr. Harry hatte es schon seit Wochen nicht mehr so gut geschmeckt. Er verdrängte all seine Sorgen und langte herzhaft zu. Nach dem Essen blieben die meisten Schüler noch in der Halle und genossen den Abend. Erst gegen zehn machten sie sich auf den Weg in ihre Gemeinschaftsräume.
Als er den Gemeinschaftsraum erreicht hatte kehrte langsam Harrys Unruhe zurück. In nicht ganz zwei Stunden würde er Sirius wieder sehen. Eigentlich hatte er vorgehabt bis dahin noch an dem Aufsatz für Snape weiter zu arbeiten, aber er war viel zu nervös. Er setzte sich gemeinsam mit Ron und Hermine in eine Ecke des Gemeinschaftsraums und sah den beiden bei einer Partie Zauberschach zu. Natürlich gewann Ron haushoch, denn Hermine war eine katastrophale Schachspielerin.
Ganz langsam leerte sich der Gemeinschaftsraum bis sie schließlich alleine waren. Um viertel vor zwölf schlich Harry in den Schlafsaal um seinen Tarnumhang zu holen. Dieser Umhang, der einst seinem Vater gehört hatte, hatte Harry schon mehrmals gute Dienste erwiesen. Er verabschiedete sich von Ron und Hermine, die sich nun auch langsam auf den Weg ins Bett machten, und verließ den Gryffindor-Turm.
Die Korridore der Schule waren wie ausgestorben und Harry kam gut voran. Er hatte bereits den ersten Stock, in dem sich das Pokalzimmer befand, erreicht, und wollte gerade um die letzte Ecke biegen, als sich plötzlich eine schwere Hand auf seine Schulter legte. Harry blieb vor Schreck fast das Herz stehen. Fast im selben Moment zog ihm eine Hand grob den Tarnumhang vom Kopf und Harry wirbelte herum. Er blickte in die kalten Augen von Professor Snape. Harry war wie gelähmt.
„Guten Abend Mr. Potter. Darf ich mir die Frage erlauben, was Sie um diese Zeit hier zu suchen haben?“, fragte er mit kalter Stimme und ein fieses Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit.
Harry konnte es nicht fassen. Wie hatte Snape ihn sehen können? Jetzt war alles aus. Er starrte Snape mit aufgerissenen Augen an. „Professor Snape, wie ....“, stammelte er.
Snape unterbrach ihn schroff. „Seit ich Ihr kleines Geheimnis kenne, nehme ich jeden Abend, bevor ich meinen Rundgang mache, einen Schluck meines selbst entwickelten Spectabilis-Tranks. Dieses Serum schärft die Augen und erlaubt es mir auch unsichtbare Dinge zu sehen.“
Harry starrte Snape immer noch an. Er wußte nicht was er sagen sollte. Snape fuhr ungerührt fort: „Da Sie sich einmal mehr über die Schulregeln hinweggesetzt haben, Potter, werde ich Gryffindor einhundert Punkte abziehen. Außerdem werden Sie eine Strafarbeit verrichten. Die genaue Strafe werde ich Ihnen noch mitteilen. Diesen Umhang hier werde ich selbstverständlich konfiszieren.“
Harry wußte nicht was er sagen sollte. „Aber Professor, ich ....“, versuchte er schließlich sich zu verteidigen, doch er wurde wieder von einer Stimme hinter ihm unterbrochen. „Severus!!“
Harry und Snape drehten sich gleichzeitig um. Vor ihnen stand Sirius Black. Harry atmete innerlich auf. Sein Pate würde ihn sicher nicht im Stich lassen. Snape starrte Sirius hasserfüllt an.
„Severus“, wiederholte Sirius, „Harry ist unschuldig, ich habe ihn gebeten mich hier zu treffen.“
„Sirius Black“, zischte Snape bösartig, „eigentlich sollte es mich nicht wundern, dass du hinter so etwas steckst. Schon zu unserer Schulzeit hast du nicht viel von Regeln gehalten. Nichts desto trotz hat Mr. Potter den Turm der Gryffindors verlassen, und dies verlangt eine Bestrafung.“
Er bedachte Harry mit einem gefährlichen Lächeln. Sirius atmete tief durch. Es schien ihm sichtlich schwer zu fallen seine Ruhe zu bewahren. „Ich bitte dich, Severus“, sagte er mit einem leicht gereizten Ton, „das kann doch nicht dein Ernst sein. Die Probleme, die du mit Peter, Remus, James und mir während unserer Schulzeit hattest, haben nichts mit Harry zu tun. Also lass deinen Hass auf uns nicht an ihm aus.“
Snape schnaubte giftig und sein Blick wurde noch gefährlicher, als er fortfuhr: „Das hat nichts mit euch zu tun, Black, mit Potter junior habe ich ganz eigene Probleme. Das scheint wohl in der Familie zu liegen.“
Sirius atmete abermals tief durch, bevor er wieder sprach: „Severus, du wirst den Jungen doch wohl für nichts bestrafen, zu dem ich ihn angestiftet habe?“
Snape machte eine Pause bevor er fortfuhr. Bei dem nächsten Satz betonte er jede Silbe genüsslich: „Ich wiederhole: Einhundert Punkte Abzug für Gryffindor, und eine Strafarbeit. Gehen Sie jetzt zurück in Ihren Gemeinschaftsraum, bevor es zweihundert werden, Potter.“
Harry wollte sich gerade umdrehen um zum Gryffindor-Turm zurück zu kehren, doch Sirius hielt ihn zurück. Er machte ein Gesicht, als wollte er Snape gleich an die Gurgel gehen als er fortfuhr. „Severus, ich muß mit dem Jungen reden es ist wichtig. Ich werde ihn in einer halben Stunde persönlich wieder in den Turm bringen, das verspreche ich dir.“
Snapes Blick wurde noch finsterer als er zuerst Sirius und dann Harry fixierte. „Nun gut, aber wenn nicht, werden Sie sich wünschen niemals das Schloßportal überschritten zu haben, Potter.“ Mit diesen Worten drehte Snape sich um und ließ sie stehen.
Harry fiel seinem Paten um den Hals. „Oh, Sirius, bin ich froh, dass du da bist. Einhundert Punkte Abzug, das holen wir doch nie wieder auf. Und er hat Dads Tarnumhang. Wie soll ich den nur wieder bekommen?“
Sirius lächelte und antwortete: „Ach Harry, am Besten ist es, wenn erst einmal ein bisschen Gras über die Sache wächst. Wenn er sich wieder beruhigt hat, kriegen wir auch den Umhang zurück. Lass mich das nur machen. Komm, gehen wir jetzt besser ins Pokalzimmer, bevor noch jemand vorbei kommt.“
Harry und Sirius betraten das Pokalzimmer und schlossen die Tür hinter sich. Sirius zog seinen Zauberstab aus der Tasche und sagte: „Lumos“. Ein schwacher Lichtstrahl trat aus der Spitze seines Zauberstabes und tauchte den Raum in schummriges Licht, das von den unzähligen Pokalen hundertfach reflektiert wurde.
Sirius setzte sich auf einen der Tische und blickte Harry freundlich an. „Sirius, was gibt es denn so wichtiges, dass du es riskierst hier in die Schule zu kommen? Es hätte dich noch jemand anders als Snape sehen können, jemand der nicht weiß, dass du unschuldig bist. Warum hast du nicht Remus geschickt?“
Sirius lächelte und antwortete: „Langsam Harry, eins nach dem anderen. Natürlich hätte auch Remus dir sagen können was los ist, aber ich wollte lieber selbst mit dir reden. Wenn mich irgendjemand gesehen hätte, hätten sie nur einen großen, schwarzen Hund gesehen. Den hätte niemand mit Sirius Black in Verbindung gebracht.“
Harry blickte seinen Paten immer noch erwartungsvoll an. „Ja, aber was ist denn nun los? Ist etwas passiert?“
Sirius atmete tief durch, bevor er Harry antwortete: „Ja, Harry, es ist etwas geschehen. Eigentlich wollten wir es dir erst sagen wenn alles unter Dach und Fach ist, als Überraschung sozusagen, aber es läuft im Moment nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben. Remus hat nach dem Besuch bei deinem Onkel und deiner Tante die Vormundschaft für dich vor dem Zaubereiministerium beantragt. Er hat behauptet er sei dein Pate und wollte so verhindern, dass die Dursleys ihm zuvor kommen. Daraufhin hat das Ministerium den Dursleys geschrieben und sie gefragt, ob sie ebenfalls Anspruch auf die Vormundschaft erheben. Sie haben diese Frage bejaht.“
Harry starrte Sirius mit offenem Mund an „WAS? Und was bedeutet das?“, fragte er fassungslos.
„Das bedeutet“, fuhr Sirius langsam fort, „dass nun das Ministerium entscheiden wird, bei wem du zukünftig leben wirst. Falls Remus gewinnt, kannst du künftig für immer bei uns bleiben. Ich hätte die Vormundschaft ja gerne selbst beantragt, aber das geht natürlich nicht. Falls allerdings die Dursleys Erfolg haben sollten, könnten sie dir den weiteren Besuch von Hogwarts untersagen.“
„NEIN!“ Harry war entsetzt.
„Harry, reg dich nicht auf, es ist noch nichts entschieden. Das Ministerium macht sich solche Entscheidungen nicht leicht, vor allem wenn Muggel darin verwickelt sind. Sie haben zurzeit sehr viel zu tun, aus diesem Grund wird es erst nächstes Jahr eine erste Anhörung geben. Bis dahin können wir gar nichts machen. Ich wollte nur, dass du so früh wie möglich darüber Bescheid weißt.“
Harry nickte langsam. In seinem Kopf begann sich alles zu drehen. Sirius bemerkte die Verwirrung seines Patenkindes und legte seine Hände auf Harrys Schultern. „Du kannst mir glauben, wir werden alles unternehmen um zu gewinnen. Professor Dumbledore hat mir jede nur erdenkliche Hilfe zugesagt. Mit seiner Unterstützung haben wir gute Chancen.“
Harry nickte wieder. Er wusste nicht was er antworten sollte, sein Kopf war völlig leer.
Lange Zeit standen sie so da und sprachen kein Wort. Schließlich brach Sirius die Stille: „Harry, ich muss dich jetzt wieder zurück zum Gryffindor-Turm bringen bevor Severus zurückkommt.“ Er erhob sich und schob Harry vor sich her durch die Tür. Als sie das Portrait der fetten Dame erreicht hatten nahm Sirius seinen Paten zum Abschied noch einmal in die Arme. „Wir bleiben auf alle Fälle in Kontakt, Harry. Mach dir nicht zu viele Sorgen. Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird.“
Harry verabschiedete sich von seinem Paten, sagte das Passwort und ging in den Gemeinschaftsraum. Der Raum war leer. Harry setzte sich in einen Sessel vor dem Kamin, starrte in die Glut, und versank in seine Gedanken. Erst viele Stunden später, kurz vor dem Morgengrauen ging er in den Schlafsaal und legte sich in sein Bett um ein wenig zu schlafen.

Die nächsten Tage war Harry vollauf damit beschäftigt seinen Aufsatz anzufertigen. Er wollte Snape auf keinen Fall noch einen Grund geben ihm eins auszuwischen. Es fiel ihm schwer sich zu konzentrieren, zu viel ging ihm durch den Kopf. Was, wenn die Dursleys das Sorgerecht für ihn zugesprochen bekämen, was, wenn er nicht mehr nach Hogwarts gehen durfte? Und was führte Draco Malfoy im Schilde? Seine Gedanken schweiften immer wieder ab, aber es half nichts, wenn er den Aufsatz nicht bis Dienstagabend fertig bekam würde Snape ihm sicherlich den Kopf abreißen.
Von den Gryffindors störte niemand Harry bei seiner Arbeit. Ein paar seiner Hausgenossen hatten direkt am Morgen nach Harrys verbotenem Ausflug vom Schwarzen Brett erfahren, dass Gryffindor einhundert Punkte abgezogen worden waren. Zuerst hatten alle gedacht, dass es sich hierbei nur um einen Fehler handeln konnte, doch nachdem Jessica Lucas, eine Vertrauensschülerin, bei Professor McGonagall nachgefragt hatte, war für alle klar, wem sie diesen Punktverlust zu verdanken hatten. Die Hauslehrerin der Gryffindors konnte zwar selbst nicht sagen, warum diese Punkte abgezogen wurden, hatte aber die Richtigkeit des Punktestands bestätigt.
Seitdem wurde Harry von seinen Hausgenossen fast vollständig ignoriert. Einige warfen ihm finstere Blicke zu oder zischten irgendetwas boshaftes, wenn sie an Harry vorbei gingen. Harry versuchte ihre gehässigen Beleidigungen so gut es ging zu überhören. So hatte er wenigstens Zeit sich um seine Arbeit zu kümmern.
Nur Ron und Hermine versuchten mehrmals mit Harry zu reden, doch er blockte sie immer wieder ab. Er hatte ihnen zwar erzählt was in der Nacht von Halloween vorgefallen war, doch er wollte nicht weiter darüber sprechen.
Die nächsten Stunden ‚Verteidigung gegen die dunklen Künste‘ und ‚Zaubertränke‘ am Montag und Dienstag verliefen ohne Zwischenfälle. Snape bedachte Harry mit einigen giftigen Blicken, sagte aber kein Wort. Das war gar nicht gut, dachte Harry.
Den kompletten Dienstagnachmittag war Harry damit beschäftigt den Aufsatz zu vollenden. Um kurz vor sieben schrieb er die letzten Worte auf das Pergament: es waren sechzehn Seiten, eine mehr als Snape gefordert hatte. Harry packte zufrieden die Seiten zusammen und machte sich auf den Weg zu Snape.
Professor Snape erwartete ihn bereits. „Guten Abend, Mr. Potter“, begrüßte er Harry mit öliger Stimme, „ich hoffe Sie hatten bei Ihren ausgedehnten Freizeitaktivitäten noch Zeit für die wichtigen Dinge?“
Harry versuchte seinen Ärger hinunter zu schluckten und Snapes Anspielung zu überhören. „Hier ist es, Sir“, knurrte er stattdessen und reichte Snape die Pergamente.
Snape ignorierte Harrys gereizten Tonfall, nahm den Aufsatz in Empfang und bedeutete Harry sich zu setzen. Harry ging zu seinem Platz und setzte sich. Snape begab sich zu seinem Pult, machte es sich in seinem Stuhl bequem und begann den Aufsatz zu lesen.
Harry rutschte nervös auf seinem Stuhl hin und her. Hoffentlich hatte Snape nicht zu viel daran auszusetzen.
Es dauerte beinahe eine halbe Stunde bis Snape von seiner Lektüre aufsah. Er fixierte Harry und blickte ihn kalt an. „Wie ich sehe waren meine Bemühungen nicht ganz umsonst. Scheinbar haben Sie wenigstens ein paar Details behalten“, sagte er selbstgefällig. „2 Punkte für Gryffindor.“
Harry sprang von seinem Platz auf. „Aber Professor, Sie....“, begann er aufgebracht. Snape brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Harry sah Snape haßerfüllt an. „Mr. Potter“, sagte Snape mit seiner öligen Stimme, „ich sagte nicht, dass ich diese Punkte von Gryffindor abziehe, wenn sie es allerdings wünschen ... ?“ Harrys Haß wich der Überraschung. Snape hatte soweit er wußte noch nie einem anderen Haus als Slytherin Punkte gegeben. „Danke, Professor“, stammelte er und sank auf seinen Platz zurück.
Snape ignorierte Harrys Dank und fixierte ihn wieder kalt. Als er weiter sprach war seine Stimme noch öliger, und ein fieses Lächeln machte sich wieder auf seinem Mund breit. „Ich denke, Mr. Potter, wir haben noch eine Kleinigkeit zu bereden. Ich glaube mich daran zu erinnern, dass noch eine Strafarbeit ausstand?“
Dies war eindeutig keine Frage und Harry hielt es für besser nicht zu antworten. „Mein Klassenraum für Zaubertränke hätte einmal wieder eine gründliche Reinigung nötig. Ich finde, Sie könnten das nächsten Freitagabend erledigen.“
Harry dachte mit Grauen an den Kerker. Überall an den Wänden hingen dicke Spinnweben und der Boden und die Tische waren dick verkrustet von verspritzten Tränken. Das würde sicherlich die halbe Nacht dauern, und am Samstag war das erste Quidditch-Spiel der Saison: Gryffindor gegen Slytherin.
„Äh, Professor, entschuldigen Sie bitte, aber am Samstag haben wir ein Quidditch-Spiel, und wenn ich da nicht ausgeschlafen bin ...., ähm, vielleicht könnte ich das an einem anderen Tag erledigen?“, fragte Harry vorsichtig. Wenn er bis spät in die Nacht den Kerker schrubbte standen seine Chancen am nächsten Tag nicht gerade rosig in Topform zu sein und den goldenen Schnatz vor dem Sucher der Slytherin-Mannschaft zu fangen, und das war ausgerechnet Draco Malfoy.
Snapes Augen verengten sich zu gefährlichen Schlitzen als er Harry bedrohlich antwortete: „Mr. Potter, es ist mir neu, dass der Delinquent Zeitpunkt und Art der Strafe bestimmt.“
„Aber das ist nicht fair!“, ereiferte sich Harry.
Snape blickte ihn verächtlich an. „Ich würde mir an Ihrer Stelle genau überlegen, was Sie sagen. Gryffindor hat immer noch ein paar Punkte übrig, die ich mit Vergnügen abziehen kann. Wenn Sie am Freitagabend nicht pünktlich um acht Uhr im Kerker erscheinen, werde ich persönlich dafür sorgen, dass dies das letzte Quidditch-Spiel ist, das Sie bestreiten. Ein Wort von mir zu Professor McGonagall über Ihre nächtlichen Ausflüge, und Sie werden ein für alle mal von der Mannschaft ausgeschlossen.“
Harry schluckte. Professor McGonagall war zwar die Hauslehrerin von Gryffindor, und stets darauf bedacht, dass ihre Mannschaft gute Chancen auf den Pokal hatte, aber sie war auch sehr streng, und hatte sicher genauso wenig Verständnis für Harrys Regelverstoß wie Snape. Außerdem konnte Harry ihr schlecht sagen, warum er mitten in der Nacht den Gryffindor-Turm verlassen hatte, denn sie wußte nichts von seiner Beziehung zu Sirius. Für sie war Sirius Black nur ein gewöhnlicher, entflohener Verbrecher.
Harry nickte stumm.
„Dann können wir ja fortfahren“, sagte Snape kalt. Die nächsten Stunden bombardierte er Harry wieder mit Fakten und Zahlen bis ihm der Kopf rauchte. Es war schon kurz vor Mitternacht als Snape ihn endlich entließ.

Am nächsten Morgen erzählte Harry wie immer alle Vorkommnisse des Vorabends seinen Freunden.
„Das ist doch volle Absicht, dass er dich ausgerechnet einen Abend vor dem Spiel gegen Slytherin antreten läßt“, ereiferte sich Ron, „das ist nicht fair. Er weiß ganz genau, dass Malfoy keine Chance gegen dich hat, wenn du fit bist. Vielleicht solltest du einfach nicht hingehen.“
„Ron, es hat keinen Sinn sich darüber aufzuregen“, sagte Harry trocken, „wenn ich nicht erscheine, erzählt er alles Professor McGonagall. Sie weiß nichts von Sirius und mir, also wird sie nie im Leben verstehen, weshalb ich nachts durch die Schule geschlichen bin.“
Ron war immer noch außer sich. „Aber das ist unfair“, rief Ron aufgebracht, „Hermine, sag doch auch mal was.“
Hermine hatte den beiden Jungs die ganze Zeit still zugehört und kein Wort gesagt. Nun blickte sie Harry an und sagte: „Komm mit!“
„Was? Wohin?“, fragte Harry verwirrt.
„Komm mit!“, wiederholte Hermine nachdrücklich. Harry starrte sie nur an. Was hatte sie vor? Wollte sie ihn etwa zu Snape schleifen um ihn zu überzeugen, dass er an einem anderen Tag die Strafarbeit erledigen konnte? Das war Wahnsinn.
„Jetzt komm schon“, sagte Hermine leicht ärgerlich und zog Harry mit sich in Richtung Portrait-Loch.
„Hey, und was ist mit mir?“, fragte Ron leicht eingeschnappt. „Wir sind gleich wieder da, wir treffen uns beim Frühstück“, antwortete Hermine ihm ungerührt über ihre Schulter.
Harry folgte Hermine widerstrebend durch das Portrait-Loch. Nach einiger Zeit merkte Harry, wo Hermine ihn hin schleifen wollte. „Was wollen wir denn in der Bibliothek?“, fragte er ratlos.
„Wart’s ab“, antwortete sie geheimnisvoll.
In der Bibliothek angekommen ging Hermine schnurstracks in die Abteilung für ‚Magische Tränke‘. Sie holte zielsicher ein dickes, sehr altes Buch aus dem Regal. „Das hatte ich mir vor ein paar Wochen ausgeliehen, zum Entspannen“, sagte sie, „ich glaube da steht etwas drin, das dir helfen kann.“
Sie suchte einige Minuten, bis sie die gewünschte Seite gefunden hatte. „Hier“, sagte sie stolz, und deutete auf die vergilbte Seite des Buches.
„Was ist das?“, fragte Harry leicht überfordert.
„Na ein Munterkeitstrank“, antwortete Hermine ausgelassen, „wenn du den vor Beginn des Spiels trinkst, ist es egal ob du die Nacht davor geschlafen hast, oder nicht. Laß mal sehen, was wir dafür brauchen: Krötenaugen, Spinnenbeine, Arneskraut, Fervefacus-Schuppen und eine Tareswurzel.“
„Toll“, sagte Harry, „und wo glaubst du, sollen wir Fervefacus-Schuppen und Tareswurzeln her kriegen? So etwas gibt es im Schülervorrat nicht.“
„Na ja“, antwortete Hermine ungerührt, „wegen der Schuppen werden wir morgen zusammen Hagrid besuchen, und uns erkundigen, wie es seinen Lieblingen geht. Wenn er mich an die Fische ran läßt kriege ich schon diese Schuppen.“
„Okay“, sagte Harry, „aber woher sollen wir denn Tareswurzeln kriegen?“
Hermine lächelte ihn wieder vielsagend an. „Hm, du bist doch am Freitag abend direkt neben Snapes Arbeitszimmer....“
Harry blickte Hermine fassungslos an. Er konnte nicht glauben was sie da vorschlug. „Bist du verrückt?“, rief er, „wenn Snape mich erwischt bin ich tot!!“
„Schrei doch nicht so, sonst hört dich noch jemand“, zischte sie.
Harry schüttelte entgeistert den Kopf. Er brauchte einen Moment um Hermines Vorschlag zu verdauen. „Hermine“, sagte er schließlich resignierend, „wir haben wirklich keinen guten Einfluß auf dich.“

Nach dem Frühstück machten Harry, Ron und Hermine sich auf den Weg zu ‚Zauberkunst‘ bei Professor Flitwick.
Der kleine Lehrer stand wie immer auf einem großen Stapel Bücher und erklärte der Klasse mit erhobenem Zauberstab was sie heute vorhatten.
„Heute werden wir den Verschwindezauber üben. Es handelt sich hierbei um einen recht komplizierten Spruch, der sehr sorgfältig ausgeführt werden muß. Das Handgelenk muß dabei ganz locker kreisen, nur nicht verkrampfen, seht ihr, so.“
Professor Flitwick ließ seinen Zauberstab demonstrativ kreisen. „Der Zauberspruch lautet ‚discendo‘. Ich werde es euch einmal demonstrieren.“
Er deutete mit seinem Zauberstab auf eine braune Aktentasche, die sich auf seinem Schreibtisch befand, schwenkte den Zauberstab und sagte: „Discendo“.
Es ertönte ein leises PLOP und die Aktentasche löste sich in Luft auf. Ein leises, anerkennendes Raunen ging durch die Klasse. „Hey, den muss ich mir merken, wenn Mum wieder nörgelt, dass ich mein Zimmer aufräumen soll“, flüsterte Ron Harry und Hermine zu. Harry grinste.
Professor Flitwick wartete noch einen Moment, dann schwenkte er erneut seinen Zauberstab und sagte: „Apparo“. Mit einem leisen PLING tauchte die Aktentasche genau an der Stelle wieder auf, wo sie sich zuvor befunden hatte. Erneut ging ein Raunen durch den Raum.
„So“, fuhr Professor Flitwick fort, „nun habt ihr auch gesehen, wie man die verzauberten Gegenstände wieder auftauchen läßt. Die Bewegung mit dem Zauberstab ist dieselbe, nur die Formel ist anders.“
Professor Flitwick kletterte von seinem Bücherstapel herunter, holte ein paar Kerzen aus seinem Schreibtisch und verteilte sie an die Schüler.
„Wir werden das nun alle einmal praktisch üben. Aber ich muss euch warnen, wendet diesen Zauber nicht auf eure Mitschüler an. Dieser Spruch ist nur für leblose Dinge gedacht. Konstantin der Komische hat vor mehr als zweihundert Jahren einmal seinen Vater verschwinden lassen, und er ist bis heute nicht wieder aufgetaucht.“
Die Schüler holten ihre Zauberstäbe heraus und bald war das Klassenzimmer erfüllt von leisem Gemurmel. Nur selten war ein PLOP oder ein PLING zu hören, denn nur wenige Schüler schafften es auf Anhieb ihre Kerze verschwinden zu lassen.
Natürlich war Hermine eine der ersten, der es gelang doch nach einigen anfänglichen Problemen schafften auch Ron und Harry es ihre Kerzen verschwinden und wieder auftauchen zu lassen.
Professor Flitwick ging durch die Klasse, blieb bei jedem Schüler kurz stehen und erteilte wo es nötig war ein paar Korrekturen. Die meisten Schüler schafften es nach einigen Tips von Professor Flitwick ihre Kerze verschwinden und wieder auftauchen zu lassen, nur Neville schwang immer noch hilflos seinen Zauberstab wie ein Dirigent durch die Luft und rief immer wieder: „Diszento“.
Professor Flitwick, der Nevilles Probleme bemerkt hatte ging zu ihm. „Nein, nein, Neville“, sagte er, „es heißt ‚discendo‘, und nicht so verkrampfen. Ja, so ist es schon besser.“
Neville starrte Professor Flitwick an. Es wußte aus Erfahrung, dass die meisten Lehrer nach kurzer Zeit mit ihm die Geduld verloren, und seine Hand, in der er den Zauberstab hielt begann leicht zu zittern.
„Na los, versuch es noch einmal“, sagte Flitwick freundlich, der Nevilles Unsicherheit nicht zu bemerken schien. Neville richtete seinen Blick wieder auf die Kerze und versuchte sich zu konzentrieren. Seine Hand begann noch stärker zu zittern und er hatte große Mühe exakt auf die Kerze vor ihm zu zielen. Professor Flitwick trat noch einen Schritt näher an Nevilles Tisch heran. Neville richtete seinen Zauberstab auf die Kerze und sagte mit zitternder Stimme: „Dis - dis - discendo“.
Ein leises PLOP ertönte, doch die Kerze stand immer noch genau am selben Fleck wie zuvor. Neville senkte enttäuscht den Blick.
„Neville, um Gottes Willen, was hast du gemacht?“, riß Seamus Finnigan ihn aus seiner Enttäuschung. Neville hob den Blick und sah sich nach Seamus um.
„Wieso?“, fragte er ihn, und sah ihn verständnislos an. Neben Seamus waren Harry, Ron und Parvati aufgesprungen, und auch Hermine schien ihn anzustarren.
„Was hast du mit Flitwick gemacht?“, fragte Seamus aufgeregt. Neville blickte verwirrt von einem zum anderen, dann wandte er sich wieder nach vorne, zu der Stelle, an der eben noch Professor Flitwick gestanden hatte, aber der Platz war leer. Professor Flitwick war verschwunden.
Neville quiekte entsetzt. Ron und Parvati waren inzwischen nach vorne zu Neville geeilt. „Neville, du hast ihn doch nicht etwa verschwinden lassen?“, fragte Parvati ihn entsetzt. Neville sah sich immer noch verwirrt um, dann stammelte er unsicher: „Ich, ich ... ich weiß nicht, ich ... meine Hand hat so gezittert, vielleicht .... ich weiß nicht.“
„Neville, du Idiot“, rief Ron und starrte ihn an.
„Keine Panik“, rief Hermine, und versuchte ihre aufgebrachten Mitschüler zu beruhigen. Sie bahnte sich einen Weg durch ihre aufgeregt durcheinander laufenden Klassenkameraden zu Neville, atmete einmal tief durch und sagte dann besonnen: „Ganz ruhig, Neville, wenn du ihn verschwinden lassen konntest, werden wir ihn einfach wieder auftauchen lassen. Richte deinen Zauberstab auf die Stelle, an der Flitwick gestanden hat, und sprich den Gegenzauber.“
Neville tat wie ihm geheißen und sagte unsicher: „Apparo“. Nichts passierte. Der Geräuschpegel in der Klasse wurde noch lauter. Alle riefen aufgeregt durcheinander, keinen Schüler hielt es mehr auf seinem Platz.
Nun richtete Hermine ihren Zauberstab auf die Stelle an der Flitwick verschwunden war und sprach entschlossen den Gegenzauber, doch auch ihr gelang es nicht den Lehrer wieder erscheinen zu lassen.
„RUHE!“, ertönte plötzlich eine energische Stimme, und schlagartig trat Ruhe ein. Professor McGonagall hatte in dem Durcheinander unbemerkt das Zimmer betreten und stand nun mit wütend funkelnden Augen vor der Klasse.
„Was geht hier vor?“, fragte sie ärgerlich, und schien dabei jeden einzelnen Schüler mit ihren Blicken zu durchbohren. Sofort riefen alle Schüler wieder aufgeregt durcheinander um der Lehrerin zu erklären was vorgefallen war.
„RUHE!“, rief Professor McGonagall erneut, und die Schüler verstummten. „Gehen Sie alle auf Ihre Plätze, sofort“, sagte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ.
Widerstrebend gingen alle zu ihren Plätzen. „Solch ein Durcheinander habe ich selten erlebt. Sie enttäuschen mich zutiefst. Das hätte ich nie von Mitgliedern meines Hauses erwartet“, entrüstete sie sich.
„Miss Granger“, sagte Professor McGonagall nun etwas ruhiger, „erklären Sie mir bitte was hier vorgeht.“
Hermine berichtete der Lehrerin kurz was vorgefallen war, während Professor McGonagall zuerst Hermine, und dann Neville fassungslos anstarrte. Neville war auf seinem Stuhl zusammengesunken und sah aus wie ein Häufchen Elend.
Nachdem Hermine geendet hatte schien Professor McGonagall einen Moment zu überlegen, dann sagte sie in gezwungen ruhigem Ton: „Sie gehen nun alle in Ihren Gemeinschaftsraum bis Ihre nächste Unterrichtsstunde beginnt. Ich werde Professor Dumbledore informieren, vielleicht weiß er, was zu tun ist. Und machen Sie nicht solch einen Lärm auf dem Weg in den Gryffindor-Turm, in den anderen Klassenräumen findet noch Unterricht statt.“
Die Schüler packten ihren Sachen zusammen und verließen in gedrückter Stimmung den Raum. Als Neville die Tür erreicht hatte rief Professor McGonagall ihm nach: „Longbottom, Sie kommen mit mir. Ich denke Professor Dumbledore möchte noch einmal genau wissen, was passiert ist.“
Neville quiekte entsetzt, blieb jedoch stehen und wartete mit gesenktem Blick, bis der letzte Schüler den Raum verlassen hatte.

Die Gryffindors gingen gemeinsam in ihren Gemeinschaftsraum, auf dem Weg dorthin sagte niemand ein Wort. Als sie schließlich das Portrait-Loch hinter sich gelassen hatten und im Schutze des Gryffindor-Turms waren wurde es wieder laut. Alle riefen und schrieen durcheinander, die wildesten Spekulationen wurden laut, wie Dumbledore Neville wohl bestrafen würde und ob die Lehrer es wohl schaffen würden Professor Flitwick wieder auftauchen zu lassen. Bei jedem Geräusch, das von draußen kam wandten sich alle Blicke in Richtung des Portrait-Lochs, denn sie warteten ungeduldig auf die Rückkehr von Neville.
„Ich glaube nicht, dass sie Neville bestrafen“, sagte Hermine entschieden zu Ron und Harry. Die drei hatten es sich auf den Sesseln vor dem Kamin gemütlich gemacht, und diskutierten ebenso aufgeregt wie ihre Klassenkameraden.
„Ja, ich denke, dass Dumbledore einfach nur wissen will, was genau vorgefallen ist“, stimmte Harry ihr zu. Ron war sich da nicht so sicher. „Vielleicht werfen sie ihn ja von der Schule“, mutmaßte er.
„Ron“, sagte Hermine entsetzt und starrte ihn an, „es war ein Unfall, so etwas würde Professor Dumbledore niemals machen.“
„Ein Unfall, sagst du?“, wiederholte Ron nachdenklich, und ein Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit, „meint ihr, so ein Unfall könnte noch einmal in ‚Zaubertränke‘ passieren?“ Auch Harry mußte grinsen. Hermine starrte die beiden Jungs nur entsetzt an.
„Ob Neville bald kommt?“, fragte Ron und versuchte Hermines fassungslosen Blick zu ignorieren.
„Ich hoffe es“, antwortete Harry und sah in Richtung Tür. Doch Neville kam nicht.
Auch in ‚Geschichte der Zauberei‘ erschien er nicht. Erst nach dem Mittagessen kam Neville von Professor Dumbledore zurück. Seinen Augen waren rot und glitzerten von Tränen. Seine Klassenkameraden stürzten auf ihn zu und löcherten ihn mit Fragen.
„Haben sie dich von der Schule geworfen?“, fragte Dean Thomas.
„Wie haben sie dich bestraft?“, fragte Lavender Brown.
„Haben sie es geschafft Flitwick wieder her zu zaubern?“, fragte Ron.
Neville schüttelte nur den Kopf. Schließlich rief Harry: „Laßt ihn doch mal zu Wort kommen.“ Einige nickten zustimmend, und die Fragen verebbten.
„Was ist nun, Neville?“, fragte Hermine, und blickte ihn erwartungsvoll an. Neville wischte sich die letzten Tränen aus den Augen und sagte dann mit immer noch tränenerstickter Stimme: „Sie haben mich nicht bestraft, ich mußte Professor Dumbledore immer wieder erzählen was genau passiert ist, dann sind wir in Flitwicks Klassenzimmer, und Professor McGonagall und Professor Dumbledore haben versucht ihn wieder auftauchen zu lassen, aber sie haben es nicht geschafft. Schließlich haben sie gesagt ich solle in den Unterricht gehen, sie würden wohl noch etwas brauchen.“
Alle starrten Neville an. Wenn Dumbledore es nicht schaffte Flitwick wieder auftauchen zu lassen, wer sollte es dann schaffen?
Der Rest des Unterrichtstages verging quälend langsam und keiner der Gryffindors konnte sich auf den Unterrichtsstoff konzentrieren. Zu Harrys Leidwesen hatten sie an diesem Nachmittag ausgerechnet Wahrsagen.
Beim Abendessen warfen alle verstohlene Blicke zum Tisch der Lehrer, doch weder Professor Dumbledore, noch Professor McGonagall oder Professor Flitwick saßen dort.
Die Neuigkeit, was sich an diesem Morgen in ‚Zauberkunst‘ der fünften Klasse zugetragen hatte, hatte sich wie ein Lauffeuer in der Großen Halle verbreitet. Alle spekulierten, ob sie Professor Flitwick jemals wieder sehen würden. Besonders die Schüler des Hauses Ravenclaw waren sehr bestürzt, denn Flitwick war ihr Hauslehrer. Was, wenn er nie mehr auftauchen würde?


Kapitel 4

Kapitel 6

 

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