Das Auge des Ares

 

 

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Kapitel 7: Das Geständnis



Das erfolgreiche Spiel gegen die Slytherins hatte Harrys Laune deutlich gesteigert. Die Gryffindors nahmen Harry nach seinem phänomenalen Sieg den Verlust von 100 Punkten nicht mehr ganz so übel und redeten wieder mit ihm. Für seine Mannschaftskameraden war er fast schon ein Held geworden. Immer wieder mußte er erzählen wie er sich bei diesem Manöver gefühlt hatte.
Auch die Stunden von Professor Snape ertrug Harry nun viel leichter. Er versuchte die unzähligen Schikanen des Lehrers zu überhören, denn er hatte nicht vor, sich von einem Psychopathen wie Snape die Laune verderben zu lassen.
Harry hatte sich das Grinsen kaum verkneifen können, als Snape nach dem Spiel mit noch schlechterer Laune als sonst zum Unterricht kam. Er hatte es nicht fassen können, dass Harry trotz der fast schlaflosen Nacht noch den Schnatz hatte fangen können.

Eine Woche nach dem Spiel Gryffindor gegen Slytherin hatten die Lehrer es immer noch nicht geschafft Professor Flitwick wieder auftauchen zu lassen. Mit der Zeit machten sich immer mehr Schüler ernsthafte Sorgen über den Verbleib des Lehrers.
Während des Abendessens erhob sich Professor Dumbledore und bat die versammelte Schülerschaft um Ruhe.
„Meine lieben Schüler, wie ihr sicher alle schon mitbekommen habt, hatte Professor Flitwick einen tragischen Unfall. Leider ist es dem Lehrerkollegium bisher noch nicht gelungen herauszufinden wo Professor Flitwick sich befindet. Wir vermuten allerdings, dass er sich in einer Art Paralleldimension aufhält. Damit der Unterricht in ‚Zauberkunst‘ ohne Unterbrechung fortgesetzt werden kann, wird ab morgen eine Vertretung den Unterricht von Professor Flitwick übernehmen. Ich erwarte, dass ihr Professor Aspervir den Einstieg nicht zu schwer machen werdet. Die Leitung des Hauses Ravenclaw wir kommissarisch von Professor Sinistra übernommen. Ich habe bereits Spezialisten aus dem Zaubereiministerium um Hilfe gebeten. Ihr könnt euch sicher sein, dass wir unser Möglichstes unternehmen werden, damit Professor Flitwick bald wieder unter uns ist. Und jetzt, guten Appetit.“
Professor Dumbledore setzte sich wieder und ein leises Gemurmel erhob sich in der Großen Halle. Alle Schüler spekulierten darüber, wie wohl der neue Lehrer sein würde. Nur am Ravenclaw-Tisch war es sehr ruhig. Erst jetzt, als Professor Dumbledore einen neuen Hauslehrer für sie bestimmt hatte wurde ihnen deutlich bewusst, dass es wahrscheinlich noch länger dauern würde, bis ihr Professor Flitwick zurückkehren würde.
„Ich bin echt gespannt auf den neuen Lehrer“, sagte Ron und schob sich den Rest seines Schinkenbrotes in den Mund.
„Hoffentlich ist er gut und bringt uns einiges bei. So kurz vor den ZAG-Prüfungen können wir es uns wirklich nicht erlauben zu schludern“, sagte Hermine. Ron verdrehte demonstrativ die Augen.
Harry überlegte kurz. „So lange es nicht so jemand ist wie Snape ist mir alles recht“, sagte er und spähte aus den Augenwinkeln zum Lehrertisch. Snape saß zwischen den anderen Lehrern und war in ein Gespräch mit Professor Sprout vertieft.
Am nächsten Morgen hatte die fünfte Klasse der Gryffindors in der ersten Stunde ‚Zauberkunst‘. Gespannt machten sich Harry, Ron und Hermine auf den Weg zu Professor Flitwicks Klassenzimmer, in dem auch weiterhin der Unterricht stattfinden sollte.
Nachdem alle Schüler auf ihren Plätzen saßen betrat Professor Aspervir das Klassenzimmer. Sie war eine kleine, sehr korpulente Frau Mitte 50. Ihre schulterlangen, braunen Locken standen ihr wirr vom Kopf ab und ihre Körperfülle hatte sie in einen sehr unvorteilhaften, weißen Umhang gehüllt.
Ron rümpfte die Nase und flüsterte: „Was ist das denn?“
Hermine warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu und zischte: „Pssst.“
Professor Aspervir stellte sich in ihrer ganzen Leibesfülle vor die Klasse und begrüßte sie mit etwas träger, piepsiger Stimme: „Hallo liebe Kinder, ich bin Professor Agathe Aspervir.“
Ein ungehaltenes Murmeln erhob sich in der Klasse. „Kinder“, raunte Dean entrüstet.
„Für was hält die uns denn?“, fragte Parvati aufgebracht.
„Bitte ihr Lieben, bitte, seid doch ruhig“, piepste Professor Aspervir unsicher, hatte jedoch wenig Erfolg. Nur langsam verebbten die Gespräche. Als die Schüler wieder zur Ruhe gekommen waren fuhr die Lehrerin noch unsicherer fort: „Ich möchte mich euch erst einmal vorstellen. Ich habe bisher im Zaubereiministerium in der Abteilung für ‚missglückte Zauberei‘ gearbeitet. Vor vielen Jahren war ich eine gute Freundin von Professor Flitwick. Als mein Chef mir erzählt hat, dass er einen Unfall hatte, habe ich mich sofort angeboten seinen Job zu übernehmen. So, jetzt möchte ich euch kennen lernen, ihr Lieben. Wenn ich eure Namen von der Liste aufrufe antwortet ihr bitte mit ‚ja‘“.
Professor Aspervir verlas die Liste und die Schüler antworteten einer nach dem anderen mit ‚ja‘. Als sie schließlich bei „Potter, Harry“ angekommen war weiteten sich plötzlich ihre Augen. Sie stand langsam auf und schlurfte zu Harry. Mit piepsiger, weinerlicher Stimme sagte sie: „Oh, mein lieber Junge, wie freue ich mich dich kennen zu lernen. Ich hatte ja nicht erwartet die Ehre zu haben dich unterrichten zu dürfen.“ Dabei starrte sie wie gebannt auf Harrys Narbe. Harry versank halb unter seinem Tisch und versuchte sich auf diese Weise den Blicken der Lehrerin zu entziehen.
Nachdem Professor Aspervir sich wieder beruhigt hatte kehrte sie zu ihrem Pult zurück. „Meinst du die ist mit Professor Trelawney verwandt?“, fragte Ron seinen Freund.
Harry versuchte zu grinsen, doch es gelang ihm nicht. Er war es zwar gewohnt, dass alle auf seine Narbe starrten, doch irgendetwas an dem Blick dieser Frau war ihm unangenehm. Ron schien es ähnlich zu gehen, denn er verzog angewidert das Gesicht.
Als Professor Aspervir ihr Pult erreicht hatte wand wie sich wieder der gesamten Klasse zu: „Laßt uns nun mit dem Unterricht beginnen. Wir werden heute einen komplizierten Schwebezauber üben. Er lautet ‚Wingardium Leviosa‘.
Die ganze Klasse stöhnte gelangweilt auf, schließlich hatten sie diesen Zauber bereits in der ersten Klasse durchgenommen. Professor Aspervir schien das Murren der Klasse nicht zu bemerken. Schließlich meldete sich Hermine: „Entschuldigen Sie bitte, Professor, aber wir haben diesen Zauber bereits durchgenommen.“
Professor Aspervir lächelte unsicher, dann antwortete sie: „Oh, das ist aber schön, aber ich denke, dieser Zauber ist so schwierig, dass es nicht schadet dieses Wissen noch einmal aufzufrischen.“
Ron verdrehte wieder die Augen. Diese Lehrerin schien wirklich über alle Maßen unfähig zu sein. Nachdem Professor Aspervir an alle Schüler Federn zum Üben verteilt hatte erhoben sich fast sofort alle Federn hoch in die Luft. Sogar Neville schaffte es beim ersten Anlauf seine Feder in die Luft zu befördern. Über das Gesicht der Lehrerin huschte ein Lächeln. „Oh, wie schön, ich hätte nie gedacht, eine so begabte Klasse vorzufinden“, piepste sie.
Nun verdrehte auch Hermine die Augen.
Die nächsten Wochen verbrachten sie in ‚Zauberkunst‘ ausschließlich mit Zaubern, die sie bereits in der ersten oder zweiten Klasse durchgenommen hatten. Nach wenigen Stunden passte kein Schüler mehr auf. Ron und Harry unterhielten sich, Parvati und Lavender erledigten ihre Hausaufgaben für Professor Trelawney, Dean und Seamus spielten mitten auf dem Tisch Zauberschach und sogar Hermine las unter dem Tisch heimlich ‚Verflixt verzwickte Verwandlungen‘ von Valerie Varius. Nur Neville folgte mit größter Aufmerksamkeit den Ausführungen der Lehrerin, endlich gab es einmal ein Fach, in dem er nicht der Schlechteste war.

Die Bäume hatten inzwischen ihre Blätter verloren, und trugen morgens einen dicken Mantel aus Reif. Die kalte Dezemberluft hatte eine dünne Eisschicht auf den See gezaubert.
Harry, Ron und Hermine waren auf dem Weg zum Frühstück, als Hermine die beiden Jungs auf dem letzten Treppenabsatz zurückhielt. „Seht mal, kennt ihr die beiden Kerle, da unten?“, fragte sie Ron und Harry und deutete nach unten. Harry und Ron folgten ihrem Fingerzeig und sahen die beiden Gestalten, die Hermine meinte.
In der Eingangshalle standen zwei Männer. Der jüngere von beiden hatte hellblondes, strack nach hinten gekämmtes Haar und eine dickrandige Brille, was ihm einen strengen Ausdruck verlieh. Der Ältere hatte schütteres, graues Haar und einen dichten, aber sehr gepflegten Vollbart. Sie standen in der Mitte der Halle und schienen auf irgendetwas oder irgendjemanden zu warten.
„Die habe ich noch nie gesehen, was können die nur hier wollen?“, fragte Harry irritiert.
„Ich glaube, ich habe den Blonden schon einmal gesehen, als ich mit meinem Dad vor zwei Jahren mal im Ministerium war“, sagte Ron grübelnd.
„Ja, aber was wollen die hier? Meint ihr die sind hier um Professor Flitwick wieder her zu zaubern?“, fragte Hermine wieder.
In diesem Moment betrat Professor Dumbledore die Halle und ging auf die beiden Männer zu. „Guten Tag, meine Herren, bitte folgen Sie mir.“ Seine Stimme klang sehr kalt. Er verließ mit den beiden Männern die Eingangshalle.
„Los, kommt mit, ich will wissen, was da los ist“, sagte Hermine und rannte die Treppe nach unten, drei Stufen auf einmal nehmend. Harry warf Ron einen fragenden Blick zu und folgte Hermine dann so schnell er konnte. Während er die Stufen hinunter sprang hörte er, dass Ron dicht hinter ihm war. Sie folgten den drei Männern in einen verlassenen Korridor und als sie um die nächste Ecke bogen konnten sie gerade noch erkennen, dass Dumbledore die beiden in einen leeren Klassenraum führte. Er schlug energisch die Tür hinter sich zu, doch diese prallte durch die Wucht im Schloß ab und öffnete sich wieder einige Zentimeter. Hermine grinste die beiden Jungs an und schlich zu der angelehnten Tür.
„Was führt Sie hier her, Mr. Loyer, Mr. Colby?“, fragte Dumbledore die beiden Männer. Seine Stimme klang immer noch kalt und abweisend.
„Professor Dumbledore“, antwortete der Ältere, „mein Kollege Thomas Loyer und ich sind Auroren des Zaubereiministeriums. Sicher können Sie sich vorstellen, warum wir hier sind.“
„Sagen Sie es mir“, antwortete Dumbledore herausfordern.
„Professor, Sie wissen wieso wir hier sind“, sagte Colby ungeduldig, „wir haben im Auftrag von Minister Fudge die Unterlagen über Ihre Lehrer überprüft, und sind bei einer Person auf ein paar, nun sagen wir, Ungereimtheiten gestoßen.“
„So, haben Sie das, und bei wem, wenn ich fragen darf?“
„Was hat Dumbledore vor?“, zischte Ron seinen Freunden zu, „er weiß doch sicher, wovon die beiden reden.“
„Keine Ahnung“, zischte Hermine zurück.
„Professor“, sagte nun Colby noch ungeduldiger, „Sie wissen genau, dass wir von Severus Snape sprechen. Er selbst hat Minister Fudge vor einem halben Jahr gestanden, dass er einst Mitglied der Death Eater war. Vor mehr als fünfzehn Jahren hätten einige unserer Auroren ihn fast überführt. Wir sind nun hier, um Professor Snape zu überprüfen. Das Ministerium befürchtet, dass Ihr Lehrer noch immer mit den Death Eatern sympathisiert.“
„Mr. Colby, das ist lächerlich. Ich werde Ihnen nicht gestatten irgendein Mitglied meines Lehrkörpers zu bespitzeln“, entgegnete Dumbledore scharf.
„Professor Dumbledore, ich bedaure“, sagte Thomas Loyer nüchtern, „aber wir wurden von Minister Fudge persönlich beauftragt und Sie sind nicht befugt uns aufzuhalten.“
Harry blickte Ron und Hermine mit großen Augen an. Auch Hermine und Ron konnten nichts sagen. Harry hatte seinen Freunden zwar erzählt, dass Professor Dumbledore schon zu Beginn des Schuljahres eine ernsthafte Diskussion mit Fudge wegen Snape gehabt hatte, aber keiner von ihnen hatte erwartet, dass der Zaubereiminister wirklich Ernst machen und zwei Auroren nach Hogwarts schicken würde.
In diesem Moment hörten Harry, Ron und Hermine eine Tür, die sich öffnete. „Ich habe nichts zu verbergen, Direktor“, hörten sie die kalte Stimme von Snape. Er mußte durch eine zweite Tür in das Klassenzimmer gekommen sein.
„Professor Snape“, sagte der Ältere der beiden Männer, „sicher erinnern Sie sich noch an mich.“ Seine Stimme klang fast belustigt.
„Wie könnte ich Sie vergessen, Roger Colby“, antwortete Snape verächtlich, „einer der erfolglosesten Auroren des Zaubereiministeriums. Glauben Sie im Ernst, dass Sie es nach so vielen Jahren noch schaffen mir irgendetwas nachzuweisen?“
Harry beugte sich weit nach vorne und konnte durch den schmalen Türspalt erkennen, dass Thomas Loyer seinen Kollegen energisch am Arm festhielt, damit dieser nicht auf Snape losging.
„Professor Snape“, fuhr Colby wütend fort, „wir alle hier wissen, dass Sie schuldig sind, und mein Kollege und ich sind hier um das zu beweisen. Das Ministerium wird nicht tolerieren, dass Death Eater unseren Zauberernachwuchs ausbilden.
Direktor“, wandte er sich wieder an Professor Dumbledore, „sicher haben Sie nichts dagegen, wenn wir uns etwas in Ihrer Schule umsehen.“
„Das werde ich nicht zulassen“, antwortete Dumbledore bestimmt.
„Professor Dumbledore“, antwortete Thomas Loyer sachlich, „ich bedaure, aber Sie haben nicht die Kompetenz uns dieses Recht zu verwehren.“
„Die wollen Snape tatsächlich etwas anhängen“, flüsterte Ron seinen Freunden zu und grinste.
Hermine legte lautlos ihren Zeigefinger auf die Lippen, um Ron zu bedeuten er solle still sein.
„Ich habe nichts zu verbergen, Colby“, zischte Snape scharf, „durchsuchen Sie mein Büro, das ist doch das, was Sie wollen. Aber ich verspreche Ihnen, Sie werden nichts finden.“
„Falls wir irgendetwas finden, das Sie belastet, Professor Snape, verbringen Sie den Rest Ihres Lebens in Askaban“, sagte Colby scharf.
Snape schnaubte verächtlich. „Glauben Sie nur nicht, dass Sie in unserer momentanen Situation einen langen Prozeß bekommen, die Regierung ist gerade dabei ein Gesetz zu verabschieden, welches es den Auroren erlaubt Death Eater direkt nach Askaban zu überführen, und ich schwöre Ihnen, wenn Sie erst einmal dort sind sehen Sie das Tageslicht nie wieder. Dafür werde ich höchst persönlich sorgen.“
„Mr. Colby, ich werde es nicht gestatten, dass Sie einen meiner Lehrer auf diese Weise bedrohen“, sagte Professor Dumbledore scharf.
„Professor“, sagte Thomas Loyer, „bitte behindern Sie uns nicht bei unserer Arbeit. Wenn wir zügig vorankommen sind wir in ein bis zwei Tagen fertig und werden Sie nicht weiter belästigen.“ Die beiden Auroren drehten sich um und gingen in Richtung Tür.
Harry zerrte Ron und Hermine von der Tür weg und alle drei rannten so schnell sie konnten den verlassenen Korridor entlang, um nicht von den Männern entdeckt zu werden. Als sie das Klassenzimmer, in dem diese Unterhaltung stattgefunden hatte, weit hinter sich gelassen hatten hielt Ron an.
„Was meint ihr, ob die was finden?“, fragte er Harry und Hermine etwas außer Atem.
„Ich denke, dass Snape auf so eine Durchsuchung vorbereitet ist“, antwortete Hermine keuchend und blickte Harry fragend an.
„Ich weiß nicht, als ich vor ein paar Wochen Snapes Klassenzimmer geputzt habe, hatte er einige sehr kompromittierende Sachen in seinem Büro. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Auroren sich sehr für das Veritas-Gegenserum interessieren würden“, antwortete Harry grübelnd.
„Wir werden es erfahren. Dumbledore kann es schlecht verheimlichen, falls die Auroren Snape mitnehmen“, sagte Hermine entschieden. Harry und Ron nickten zustimmend.

Wie versprochen verließen die beiden Auroren Hogwarts zwei Tage später. Die meisten Schüler hatten von ihrem Besuch nichts mitbekommen, denn sie hielten sich unauffällig im Hintergrund. Scheinbar hatten sie Snape nichts nachweisen können, denn er hielt weiter wie gewohnt seinen Unterricht ab, nur Ron, Harry und Hermine fiel auf, dass er noch schlechter gelaunt war als sonst.
Täglich wurde es kälter und endlich kam der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien. In den Schlafsälen und Gemeinschaftsräumen der vier Häuser herrschte eine angespannte Vorfreude. Die meisten Schüler waren damit beschäftigt ihre Koffer zu packen, um Weihnachten zu Hause mit der Familie zu verbringen. Auch Hermine war vollauf mit Packen beschäftigt. Der Hogwarts-Express in Richtung London würde morgen, am 24. Dezember um 9:00 Uhr in Hogsmeade abfahren.
Am nächsten Morgen gingen alle Schüler noch einmal gemeinsam zum Frühstück. In der Großen Halle herrschte ein heilloses Durcheinander. Bei allen war die Freude auf Weihnachten zu spüren, ob sie nun in der ersten oder siebten Klasse waren. Nach dem Frühstück begleiteten Ron und Harry Hermine zum Bahnhof.
„Machs gut, Hermine, schöne Weihnachten, bis zum nächsten Jahr“, rief Harry dem anfahrenden Zug hinterher.
„Feier schön, bis bald“, versuchte Ron die laut ratternde Lokomotive zu übertönen. Hermine beugte sich aus dem Fenster winkte ihren beiden Freunden, während der Hogwarts-Express den Bahnhof verließ und rief: „Ich hoffe ihr nutzt die Ferien zum Lernen. Die Prüfungen kommen schneller als ihr denkt.“
Nur sehr wenige Schüler blieben auf dem Bahnsteig zurück. Ron und Harry machten sich langsam wieder auf den Weg zur Schule. Sie hatten es nicht besonders eilig und schlenderten den gewundenen, leicht aufsteigenden Weg entlang.
„Wo, hast du gesagt, verbringen deine Eltern Weihnachten? Bei Bill oder bei Charly?“, fragte Harry seinen Freund.
„Weder noch“, antwortete Ron, „sie sind bei Percy, er und seine Freundin Penelope sind beruflich für drei Monate in Schweden. Ginny, Fred und George wollten unbedingt mit, aber ich bleibe lieber hier. Mum hat Angst, dass Percy sich an Weihnachten alleine fühlen könnte. Bill und Charly sind es ja gewöhnt alleine zu sein. Sie sind schon seit mehreren Jahren im Ausland, aber für Percy ist es das erste Weihnachtsfest außerhalb von England.“
Harry versuchte verständnisvoll zu nicken. Da er seine Eltern nie kennen gelernt hatte, war es für ihn nur sehr schwer vorstellbar, ein harmonisches Weihnachtsfest mit der Familie zu verbringen. Die Weihnachtsfeste bei den Dursleys waren immer schrecklich gewesen. Dass er fast nie Geschenke bekommen hatte, war ihm eigentlich egal. Viel schlimmer war es für ihn gewesen, dass sie ihn selbst an einem solchen Tag fast völlig ignoriert hatten. Ein Jahr bevor Harry nach Hogwarts gegangen war, hatte Onkel Vernon Harry sogar im Schrank unter der Treppe, in welchem er damals noch gewohnt hatte, eingesperrt, damit er Dudley nicht das Fest versaute. Harry war an diesem Abend sehr niedergeschlagen gewesen, und Dudley war den ganzen Abend vor Harrys Schrank auf- und abgehüpft und hatte ihn verspottet.
Die schönsten Weihnachtsfeste hatte Harry in Hogwarts zusammen mit seinem besten Freund Ron erlebt. An Heiligabend hatte es immer opulente Festessen gegeben, und am Weihnachtsmorgen hatte er gemeinsam mit Ron im Gemeinschaftsraum die Geschenke ausgepackt. In seinem ersten Jahr in Hogwarts war Harry völlig überwältigt gewesen, überhaupt Geschenke zu bekommen. Er hatte es nicht fassen können.
Aber trotz der schönen Weihnachtsfeste, die Harry in den letzten Jahren in Hogwarts verlebt hatte, wünschte er sich von ganzem Herzen, wenigstens einmal Weihnachten mit Sirius verbringen zu können. Für Harry war Sirius in den eineinhalb Jahren, die er ihn nun kannte, viel mehr zu einer Familie geworden, als es die Dursleys jemals gewesen waren. Sirius war mehr als nur sein Pate, er war sein Freund und Harry konnte sich immer auf ihn verlassen. So etwas war für Harry neu.
Als sie den See erreicht hatten schlug Ron vor: „Wollen wir noch mal bei Hagrid rein schauen?“
„Okay, der freut sich bestimmt“, antwortete Harry. Sie verließen den gewundenen Pfad und liefen quer über die Wiese in Richtung zu Hagrids Hütte. Hier und da kamen sie an ein paar kahlen Bäumen vorbei, auf deren Zweigen ein paar vor Kälte zitternde Vögel saßen, aber ansonsten war kein Lebewesen weit und breit. Das ganze Schulgelände schien wie ausgestorben zu sein.
Harry und Ron verbrachten den Rest des Tages bei Hagrid. Sie hatten es nicht eilig zur Schule zurück zu kommen, da sie die einzigen Gryffindors waren, die ihre Ferien in Hogwarts verbrachten, und der Turm dadurch wie leer gefegt war.
Als es Zeit zum Abendessen wurde verabschiedeten sich Harry und Ron von Hagrid: „Machs gut Hagrid. Kommst du nachher auch hoch, in die Große Halle?“, fragte Harry seinen Freund.
„Na klar, denkt ihr ich lass mir das Festessen entgehen?“, antwortete Hagrid.
Dann verließen Harry und Ron die gemütliche Hütte und liefen durch die Dunkelheit zurück zur Schule. Sie brachten ihre Jacken in den Schlafsaal und gingen gemeinsam zur Großen Halle.
Als sie die Halle betraten sahen sie sich neugierig um. Die Haustische waren zur Seite gerückt worden und hatten einer festlich gedeckten Tafel Platz gemacht, an der etwa 16 Personen Platz fanden. An den Wänden standen ein Dutzend riesiger Tannenbäume. Alle waren auf unterschiedliche Arten geschmückt worden. An einem der Bäume hingen unzählige Eiszapfen, auf dem nächsten Baum saßen winzige hell leuchtende Feen, welche die Tanne in ein feierliches Licht tauchten. Ein anderer Baum war klassisch geschmückt mit hunderten von Christbaumkugeln, und sein Nachbar war über und über bedeckt mit frischem Schnee, der so verzaubert war, dass er nicht schmolz.
Harry und Ron staunten. Selten hatten sie die Große Halle so festlich gesehen. Die Lehrer hatten sich in diesem Jahr selbst übertroffen.
An der Tafel in der Mitte saßen bereits zwei Schüler und warteten auf den Beginn des Festes. Harry und Ron wollten gerade zu dem Tisch gehen um sich ein paar Plätze zu suchen, als Ron Harry am Arm festhielt. „Sieh mal, ich glaube ich spinne, das sind ja Malfoy und Goyle. Seit wann verbringen die denn die Ferien in der Schule?“, fragte er bestürzt.
Harry blickte irritiert in die Richtung, die Ron ihm wies. „Ich habe keine Ahnung“, antwortete er betroffen, „die haben mir gerade noch gefehlt.“
Missmutig schlurften sie zu der Tafel und gingen zu Plätzen, die so weit wie möglich von Malfoy und Goyle entfernt waren.
„Hallo Weasley, na, so einen Christbaumschmuck hast du wahrscheinlich noch nie gesehen. Vermutlich haben deine Eltern nicht mal das Geld für einen Baum“, schnarrte Malfoy und blickte Ron provozierend an.
Ron knirschte wütend mit den Zähnen, verkniff sich jedoch ein Kommentar.
„Und du Potter, gab es bei deinen Muggels überhaupt Weihnachten, oder haben sie es immer ohne dich gefeiert?“, wandte Malfoy sich nun an Harry.
Harry kochte. „Und was ist mit dir? Deine Eltern scheinen dich ja auch nicht mehr ertragen zu können, wenn sie dich an Weihnachten nicht zu Hause haben wollen“, fauchte Harry gereizt.
Malfoy streckte sich auf seinem Platz und antwortete arrogant: „Mein Vater hat über die Feiertage einen wichtigen Auftrag, und ich möchte ihn so wenig wie möglich dabei stören.“
„Pah, was kann das denn schon für ein Auftrag sein, muss er irgend ein schmutziges Geschäft für Du-Weißt-Schon-Wen erledigen?“, knurrte Ron.
Malfoy sprang von seinem Platz auf und machte einen bedrohlichen Schritt auf Ron zu. „Pass auf was du sagst, Weasley. Dein Muggel vernarrter Vater wäre froh, irgendjemand würde ihm überhaupt mal eine Aufgabe geben. Der sitzt doch nur noch im Ministerium, weil sie noch keinen guten Grund gefunden haben um ihn zu feuern. Wenn unser verehrter Minister Fudge schlau ist, wird er sich überlegen, ob es zukünftig ratsam ist, mit Muggel-Sympathisanten zu kooperieren.“
„Halt die Klappe, Malfoy“, fuhr Harry sein Gegenüber an. Ron knirschte wütend mit den Zähnen und Harry musste seinen Freund am Arm festhalten, damit dieser sich nicht auf Malfoy stürzte.
In diesem Moment betrat Professor Dumbledore den Raum. „Ach wie schön, die Ersten sind schon da. Ich dachte es wäre gemütlicher, wenn wir an diesem Abend nicht an den Haustischen sitzen, sondern alle gemeinsam essen. Wir werden sowieso nicht so viele sein.“
Harry und Ron warfen Malfoy noch einen wütenden Blick zu, gingen dann jedoch ohne ein weiteres Wort zu ihren Plätzen und setzten sich.
„Wer wird denn heute Abend außer uns noch kommen, Professor?“, fragte Harry um sich von Malfoy abzulenken.
Dumbledore dachte kurz nach, dann antwortete er: „Von den Lehrern werden nur noch Professor McGonagall, Professor Aspervir und Hagrid kommen. Professor Snape läßt sich entschuldigen, er zieht es vor, den Abend in seinem Arbeitszimmer zu verbringen. Er sagte er hätte noch etwas zu erledigen.“
„Na was für ein Glück“, flüsterte Ron seinem Freund zu, dann fragte er zu Dumbledore gewandt: „Und von den Schülern?“
„Hm, in diesem Jahr sind die meisten nach Hause gefahren. Es sind außer euch nur noch 2 Siebtklässler aus Slytherin, 4 Zweitklässler aus Hufflepuff und 2 Drittklässler aus Ravenclaw in Hogwarts geblieben. Ich denke, dass sie gleich kommen werden.“ Dumbledore setzte sich an das Kopfende des Tisches.
Nach und nach kamen auch die anderen Schüler und Lehrer in die Große Halle. Als alle versammelt waren erhob sich Professor Dumbledore und sagte feierlich: „Ich heiße euch alle herzlich an diesem Weihnachtsabend willkommen. Ich möchte keine lange Ansprache halten, aber dennoch möchte ich die Gelegenheit nutzen und uns allen eine besinnliche Feier wünschen. Und jetzt, haut rein.“
Nachdem Dumbledore diese Worte gesprochen hatte, füllte sich der Tisch mit den edelsten Speisen. Es gab gefüllten Truthahn, Schweinelenden, gebratene Entenbrust, unzählige Sorten von Gemüse, Reis, Nudeln, Kartoffeln und Schokodrops. Harry mußte lächeln. Das war nun wieder typisch Dumbledore. Immer gab es bei solchen Feiern irgendeine Süßigkeit, die absolut nicht in den Speiseplan passte.
Alle Lehrer und Schüler ließen es sich schmecken. Professor McGonagall unterhielt sich sehr angeregt mit Professor Aspervir, und wirkte an diesem Abend nicht halb so streng und ernst wie normal. Vielleicht hatte es mit Weihnachten zu tun, aber vielleicht hatte auch der Wein, den die Lehrer tranken, seinen Teil dazu beigetragen. Harry war sich nicht sicher, aber er hatte das Gefühl, dass Professor Aspervir ihm im Laufe des Abends immer wieder verstohlene Blicke zuwarf. Er versuchte sie so gut wie möglich zu ignorieren.
Professor Dumbledore schenkte sich und Hagrid immer wieder die Gläser voll und prostete der ganzen Gesellschaft fröhlich zu. Hagrid war bereits nach einer Stunde deutlich angetrunken, und erzählte jedem, der es wissen wollte, dass er eines Tages einmal einen Yeti besitzen wollte. Professor McGonagall lachte und fragte Hagrid daraufhin: „Wo willst du so ein Ungetüm denn halten? Der passt doch gar nicht in deine Hütte.“
„Ach Professor, da findet sich schon ein Plätzchen. So einen Kuschel kriege ich schon unter.“
Malfoy und Goyle, auf der anderen Seite des Tisches, hatten die Unterhaltung mitbekommen und rümpften missbilligend die Nasen und verdrehten demonstrativ die Augen.
Als alle das Essen beendet hatten hob Professor Dumbledore seinen Zauberstab und mit einem kurzen Wink verdunkelte sich die Große Halle. Er schwenkte ein zweites Mal seinen Stab und der ganze Raum wurde erhellt vom fahlen Licht von Tausenden von winzigen Sternen, welche die magische Decke nun übersäten. Dann und wann zog eine Sternschnuppe ihre Bahn über den Himmel. Alle Schüler, vor allem die Jüngeren, blickten mit staunenden Augen nach oben, und für kurze Zeit herrschte andächtige Stille im ganzen Saal.
„Na, ich wollte aber nicht, dass es euch völlig die Sprache verschlägt“, sagte Professor Dumbledore schließlich, und ein Lächeln umspielte seinen Mund.
Es war schon nach elf, als sich die ersten Schüler gähnend entschuldigten um in ihre Schlafsäle zu gehen.
„Ich glaube, es wird für euch alle Zeit“, sagte Professor McGonagall zustimmend, doch sie klang nicht halb so streng wie sonst, und kein Schüler widersprach ihr, denn alle waren nach diesem langen Tag müde.
„Ich werd dann auch ma gehn“, sagte Hagrid lallend und erhob sich gefährlich schwankend von seinem Stuhl. Harry sah Hagrid besorgt an und fragte sich, ob er es überhaupt bis in seine Hütte schaffen würde, schließlich hatte er mehr als vier Flaschen Wein fast ganz alleine getrunken. „Sollen wir dich begleiten, Hagrid?“, fragte er deshalb vorsichtig.
„Ich denke das ist eine gute Idee“, antwortete Professor Dumbledore, bevor Hagrid ablehnen konnte. „Bring Hagrid mit Ron zusammen in seine Hütte, nicht dass er auf halbem Weg liegen bleibt.“
„Na klar, das machen wir schon“, antwortete Ron zustimmend.
Nun verließen auch die restlichen Schüler die Halle und Harry und Ron schleppten ihren Freund, der die beiden um mehr als einen Meter überragte, zur Tür. Als sie die Tür erreicht hatten hielt Professor Dumbledore sie noch einmal auf und sagte leise zu Ron und Harry: „Im Turm wartet nachher noch eine Überraschung auf euch, also bleibt nicht zu lange.“
Harry blickte Dumbledore fragend an, doch dieser zwinkerte ihm nur zu, drehte sich um und verließ die Halle.
Harry und Ron hatten jedoch nicht viel Zeit über diese Überraschung nachzudenken, denn sie hatten alle Hände voll zu tun, um den bedrohlich schwankenden Hagrid aus dem Schloß zu bugsieren.
„Tut mir leid, dass ich so Umstände für euch mach“, lallte Hagrid mit weinerlicher Stimme, als sie über die große Wiese gingen, „ich wollt ja gar nich so viel trinken, aber wenns nu ma da is ..... dann musses doch auch weg, oder was sagt ihr?“
Harry und Ron zogen es vor auf diese Frage nicht zu antworten, es hatte in diesem Zustand sicherlich wenig Sinn mit Hagrid zu diskutieren. Stattdessen zogen sie ihn weiter über die Wiese.
Als sie endlich, nach mehr als zwanzig Minuten, die Hütte erreicht hatten, schoben sie Hagrid aufatmend durch die breite Tür. Fang, Hagrids Saurüde, begrüßte sie fröhlich winselnd. Er hatte seinen Herrn schon vermisst, und war überglücklich, dass Hagrid nun wieder bei ihm war.
Nachdem sie ihn auf sein Bett gelegt hatten und Ron ihm die riesigen Schuhe ausgezogen hatte, verabschiedeten sie sich, doch Hagrid hörte sie nicht mehr. Er schnarchte bereits.
Harry und Ron schlossen die Tür der Hütte und machten sich wieder auf den Weg zum Schloss. „Was glaubst du hat Dumbledore gemeint, als er sagte, dass eine Überraschung auf uns wartet?“, fragte Ron nun neugierig.
„Ich habe keine Ahnung, aber vielleicht hat er sich einen kleinen Spaß erlaubt, und die Gemeinschaftsräume noch ein bisschen weihnachtlich geschmückt“, antwortete Harry grübelnd.
Ron überlegte. „Ja, vielleicht, aber dann hätte er es doch zu allen gesagt, und nicht nur zu uns. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er den Gryffindor-Turm schmückt, und die anderen Gemeinschaftsräume nicht.“
„Da hast du auch wieder Recht. Ich glaube es hat keinen Sinn sich den Kopf zu zerbrechen, wir werden es ja gleich sehen. Komm, beeilen wir uns“, sagte Harry, und beide rannten die Treppen zum Turm der Gryffindors nach oben.
Als sie das Portrait der fetten Dame erreicht hatten sagten sie das neue Passwort „Weihnachtsengel“ und das Bild schwang zur Seite. Harry und Ron betraten den düsteren Raum der nur von einem flackernden Feuer im Kamin erhellt wurde und ihr Blick fiel auf einen Mann, der in der Mitte des Raumes stand und sie beide anlächelte. Es war........ „Sirius“, rief Harry begeistert und rannte strahlend auf seinen Paten zu.
„Seit wann bist du hier? Das ist ja eine Überraschung“, rief Harry und sank in die ausgebreiteten Arme von Sirius.
„Ich bin erst vor einer Minute angekommen. Remus wird auch bald kommen, er wollte noch einmal kurz zu Professor Dumbledore.“
Auch Ron war mittlerweile herangekommen und streckte Sirius seine Hand entgegen. Statt ihm die Hand zu schütteln, nahm Sirius jedoch auch Ron in die Arme. „Hallo Ron, schön dich mal wieder zu sehen“, sagte er und lächelte.
„Hallo Sirius, du siehst prima aus. Wieso bist du hier?“, fragte Ron und freute sich fast genauso wie Harry seinen alten Bekannten wieder zu sehen.
„Das ist eigentlich ganz einfach“, antwortete Sirius und begann zu grinsen, „Professor Dumbledore hat Remus und mir erzählt, dass ihr dieses Weihnachten die einzigen Gryffindors seid, die in der Schule bleiben, und da haben wir uns entschlossen euch ein paar Tage zu besuchen.“
„Ihr bleibt länger hier?“, fiel Harry ihm aufgeregt ins Wort, „wie lange?“
„Das hängt ganz von Professor Dumbledore ab“, antwortete Sirius, und versuchte vergeblich Harry zu beruhigen, der aufgeregt von einem Fuß auf den anderen trat, „aber ich denke, dass wir auf alle Fälle vier oder fünf Tage bleiben werden.“
Harry und Ron strahlten um die Wette. Das hatten sie am allerwenigsten erwartet. Diese Überraschung war Professor Dumbledore wirklich gelungen.
Harry konnte es nicht fassen. Sein sehnlichster Wunsch war in Erfüllung gegangen: er würde Weihnachten zusammen mit seinem Paten Sirius feiern. Was sollte ihm jetzt noch die Laune verderben?
Harry und Sirius gingen zu den Sesseln direkt vor dem Kamin und setzten sich.
„Ich muss nur mal kurz in den Schlafsaal, ich komme gleich wieder“, sagte Ron und ging die Treppe nach oben. Harry lehnte sich entspannt in seinem Sessel zurück und genoss den Augenblick. In diesem Moment öffnete sich das Portrait-Loch und Remus Lupin betrat den Gemeinschaftsraum. „Hallo Harry, schöne Weihnachten“, sagte er.
„Hallo Remus, ich kann es nicht fassen, dass ihr beide wirklich hier seid. Das ist das tollste Weihnachtsfest, das ich je hatte“, sagte Harry und strahlte die beiden Männer an.
„Harry, Sirius, kommt schnell“, unterbrach sie plötzlich ein Schrei von Ron. Harry und Sirius sprangen von ihren Sesseln auf, und alle drei rannten die Treppe zum Schlafsaal nach oben. Harry, der als erster die Tür erreicht hatte stieß sie auf und blieb wie angewurzelt stehen. Der Anblick, der sich ihm bot verschlug ihm den Atem. Sein Bett war zerwühlt und der Inhalt seines Koffers war über den ganzen Fußboden verteilt.
„Was ist hier passiert?“, fragte Lupin und blickte auf das Chaos. Ron, der in der Mitte des ganzen Durcheinanders stand war bleich und begann zu stammeln: „Ich weiß es nicht, Professor, als ich hier hoch kam, war alles verstreut.“
„Es sieht fast so aus, als ob jemand irgend etwas gesucht hat“, murmelte Sirius und ließ seinen Blick über den Boden schweifen.
Harry hatte nur mit offenem Mund da gestanden und seinen Freunden stumm zugehört. Plötzlich durchfuhr ihn die Erkenntnis wie ein Blitz. „Das Auge“, rief er aufgeregt und stürzte auf seinen Koffer zu. Fieberhaft durchwühlte er das Durcheinander. Immer wieder drehte er den Inhalt des Koffers um und prüfte seine Habe. Alles war noch da, nur das Amulett konnte er nicht finden.
Niedergeschlagen stand er auf und sah seine Freunde resigniert an. „Das ‚Auge des Ares‘ ist weg. Irgendjemand hat es gestohlen.“
Remus und Sirius rissen die Augen auf. „Oh, nein“, entfuhr es Lupin.
„Das war bestimmt Snape“, fluchte Ron.
„Wieso sollte es Snape gewesen sein?“, fragte Sirius verwundert.
„Er war den ganzen Abend nicht in der Großen Halle. Er hätte noch etwas zu tun, hat er zu Dumbledore gesagt. Na klar hatte er noch etwas zu tun, er musste Harry beklauen“, entrüstete sich Ron.
„Sirius“, unterbrach Harry die Beiden, „kannst du vielleicht als Hund eine Fährte aufnehmen?“
„Gute Idee, Harry“, pflichtete Remus ihm bei. Sirius nickte, verwandelte sich in einen großen, schwarzen Hund und begann neugierig die Sachen auf dem Boden zu untersuchen. Er schnupperte in Harrys Koffer und blickte sie schließlich mit großen Augen an.
„Was ist?“, fragte Ron aufgeregt. Er war immer noch bleich und seine Stimme zitterte leicht.
Sirius verwandelte sich wieder in einen Menschen und sagte: „Ich glaube ich habe eine Spur. Folgt mir.“ Mit diesen Worten verwandelte er sich wieder in einen Hund und rannte aus dem Zimmer, die Treppe hinunter. Harry, Ron und Lupin folgten ihm so schnell sie konnten. Als sie den Gemeinschaftsraum erreicht hatten saß der große Hund bereits vor dem Portrait-Loch und winselte. Harry öffnete die Tür und Sirius sprang nach draußen. Er rannte quer durch die Schule und machte nur ab und an einmal halt, um zu überprüfen, ob er die Fährte noch hatte. Seine Freunde hatten große Mühe ihm zu folgen. Sirius führte seine Verfolger aus der Schule und lief am See vorbei in Richtung Hogsmeade.
Als er die Grenze von Hogwarts erreicht hatte, verwandelte er sich zurück und wartete, bis Harry, Ron und Remus ihn eingeholt hatten.
„Und jetzt?“, fragte Harry.
„Ich weiß nicht, ich habe die Fährte verloren. Das ist mir noch nie passiert. Ich verstehe das selbst nicht“, sagte Sirius fassungslos.
„Aber wir müssen doch irgend etwas unternehmen“, fluchte Ron.
„Wir können nichts machen, die Fährte hört hier einfach auf“, knurrte Sirius, „wahrscheinlich ist der Dieb hier disappariert.“
„Wir müssen sofort zu Professor Dumbledore“, unterbrach Lupin ihre Diskussion „wir hätten gleich zu ihm gehen sollen.“
Harry nickte niedergeschlagen. Ja, vielleicht wusste der Schulleiter, was jetzt zu tun war.
Sie gingen wieder zurück zur Schule und machten sich auf den Weg zum Büro des Direktors. Die dunklen Gänge waren wie ausgestorben.
Als sie schließlich den Wasserspeier erreicht hatten sagte Lupin das Passwort „Zitronenpudding mit Himbeergeschmack“ und sie gingen die lange, gewundene Treppe nach oben. Ron blickte sich neugierig um, denn er war noch nie in Professor Dumbledores Büro gewesen.
Als sie endlich das Ende der Treppe erreicht hatten, klopfte Lupin, und öffnete die Tür ohne auf eine Antwort zu warten. Professor Dumbledore stand mit dem Rücken zur Tür in seinem Büro und kraulte Fawkes hinter dem Kopf. Der Phönix schien diese Aufmerksamkeit zu genießen, und reckte sich wohlig. Als er die Tür hinter sich hörte, drehte Dumbledore sich um und sah seine Besucher verwundert an. „Sind euch schon nach so kurzer Zeit die Gesprächsthemen ausgegangen?“, fragte er freundlich. Wenn ihn das unerwartete Eindringen seiner Besucher verärgert hatte, so zeigte er es nicht.
„Albus, es ist etwas passiert, das keinen Aufschub duldet“, sagte Lupin ernst, ohne auf Dumbledores Frage einzugehen.
Dumbledore blickte Lupin fragend an. „Setzt euch und erzählt mir, was passiert ist“, sagte er und ging um seinen Schreibtisch herum, um sich selbst zu setzen. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, und wartete auf die Erzählung.
Harry, Ron, Sirius und Remus setzten sich auf vier Stühle vor dem Schreibtisch und Remus begann zu erzählen. Als er das ‚Auge des Ares‘ erwähnte, setzte Dumbledore sich plötzlich auf und starrte Remus entgeistert an, sagte jedoch kein Wort.
Als Remus geendet hatte blickte Dumbledore besorgt in die Runde und sagte zu Harry gewandt: „Harry, warum hast du mir nicht gesagt, dass du dieses Amulett hast?“
Harry hatte während der ganzen Geschichte den Kopf gesenkt, und traute sich auch jetzt nicht, dem Direktor in die Augen zu schauen, als er leise antwortete: „Ich habe am Anfang gar nicht gewußt, dass es so mächtig und wichtig ist, und außerdem ......“
Sirius legte Harry eine Hand auf die Schulter und sagte zu Dumbledore gewandt: „Ich habe Harry darum gebeten, dir nichts zu sagen.“
„Aber warum?“, fragte Dumbledore und blickte fragend von Sirius zu Remus. „Remus wollte, dass wir es dir sagen, aber ich dachte es wäre besser, wenn nicht zu viele davon wissen. Außerdem hättest du Harry sicher das Amulett weggenommen um es zu verwahren.“
Dumbledore nickte langsam. „Ja, das hätte ich vielleicht getan. Aber es wäre nur zu seinem Besten gewesen. Ihr zwei solltet euch doch eigentlich noch gut daran erinnern, was das letzte Mal geschehen ist, als Lord Voldemort versucht hat, an das Amulett zu kommen. Ihr habt euren besten Freund verloren, und Harry seine Eltern. Ihr beide habt die dunklen Zeiten miterlebt, die vor vielen Jahren herrschten, wie konntet ihr annehmen, dass Voldemort seine Suche aufgegeben hat? Habt ihr wirklich angenommen, dass ein fünfzehnjähriger Junge es beschützen kann?“
Sirius hatte während Dumbledores harter Worte den Blick gesenkt und war deutlich auf seinem Platz geschrumpft. Er machte den Anschein von einem Schuljungen, der von seinem Lehrer ins Gericht genommen worden war. Er wusste nicht, was er auf die Frage des Schulleiters antworten sollte. Wie hatte er annehmen können, dass Harry das Amulett verteidigen könnte. Er hätte ihn durch seine Ignoranz vielleicht sogar in ernste Gefahr bringen können.
Für eine Weile herrschte Stille im Büro. Alle waren sehr betreten. Schließlich sah Harry vorsichtig vom Boden auf und sah zu Dumbledore auf, der sie alle immer noch aufmerksam beobachtete. „Professor“, begann er langsam, „was ist denn das besondere an diesem Amulett? Was macht es so gefährlich?“
„Das ‚Auge des Ares‘ wird in der langen Geschichte der berühmten und mächtigen Zauberer zum ersten Mal im Zusammenhang mit Perikles, zur Zeit des antiken Griechenlands, erwähnt. Perikles, Herrscher über Athen, führte damals sein Volk und sein ganzes Land in bisher nie gekannten Wohlstand. Er führte unzählige Kriege und bezwang all seine Gegner mit Hilfe der Macht dieses Amulettes. Doch sein berühmtester Träger war sicherlich der große Merlin. Er konnte die Magie dieses Anhängers auf eine Art und Weise nutzen, wie es kein Zauberer vor oder nach ihm vermochte. Es machte ihn zu einer Legende.“ Dumbledore machte eine Pause. Harry und Ron, die immer noch verhältnismäßig wenig über das Amulett wussten, sahen ihn erwartungsvoll an.
„Aber was macht es so mächtig? Ich habe in einem Buch in der Bibliothek gelesen, dass es die Emotionen verstärkt?“, fragte Harry.
Dumbledore nickte. „Ja, das ist richtig. Nehmen wir zum Beispiel deinen Vater. Auch er war ein kraftvoller Träger des Medaillons. Aber nicht, weil er so viel mächtiger oder talentierter gewesen wäre als andere Zauberer, sondern weil er ein sehr emotionaler Mensch gewesen ist. Alles was er machte, tat er mit ganzem Herzen. Und so kämpfte er auch mit all seinen Gefühlen und seinem Sinn für Gerechtigkeit gegen Voldemort. Das Amulett spürte seine Emotionen und verlieh ihm große Kraft. So wurde er zu einem gefährlichen Gegner für den Lord.“
„Und Voldemort ist zerfressen von Hass“, ergänzte Lupin, „wenn er das Amulett in die Finger bekommt, wird er mächtiger, als jemals ein Zauberer vor ihm. Hass ist es, auf den das ‚Auge des Ares‘ besonders sensibel reagiert, und der dunkle Lord ist ohnehin einer der stärksten Zauberer, der jemals gelebt hat. Mit dem Amulett wäre er so gut wie unbesiegbar.“
„Verdammt, es ist meine Schuld“, fluchte Sirius, „hätte ich Harry das Amulett bloß nie gegeben.“
„Sirius, es hat keinen Sinn, sich Vorwürfe zu machen. Jetzt ist es zu spät. Es war nur eine Frage der Zeit, dass Voldemort sich auf die Suche nach dem Amulett macht.“
„Professor“, fragte Ron jetzt vorsichtig, „glauben Sie, dass er es selbst gestohlen hat?“
„Nein, ich denke es war einer seiner Anhänger. Er würde es nicht wagen in Hogwarts einzudringen. Noch nicht“, antwortete Dumbledore.
„Ja, aber wer war es dann?“, fragte Ron wieder.
„Ich weiß es auch nicht, aber vielleicht kenne ich jemanden, der es weiß“, sagte Dumbledore und erhob sich von seinem Platz. „Kommt mit“, sagte er und verließ das Büro.
Gemeinsam gingen sie durch die dunklen Gänge der Schule, bis sie das Portrait der fetten Dame erreicht hatten.
„Oh, guten Abend Professor Dumbledore, was verschafft mir das unerwartete Vergnügen?“, fragte die Dame und blickte Dumbledore freundlich an.
„Guten Abend, Olivia“, antwortete Dumbledore freundlich, „Ich möchte dir eine Frage stellen. Ist in den letzten Stunden irgendjemand in den Gryffindor-Turm gegangen, der dort nicht hingehört?“
Die fette Dame dachte einen Moment nach, dann antwortete sie: „Nein, Professor, nicht dass ich wüsste. Nur Mr. Black und Professor Lupin. Ansonsten kann ich mich an niemanden erinnern.“ Als sie den Namen Black aussprach schien ihre Stimme leicht zu zittern. Sie hatte noch nicht vergessen, dass Sirius vor zwei Jahren versucht hatte ohne ihre Erlaubnis den Turm zu betreten. Damals hatte er dem Bild vor lauter Zorn ziemlich übel mitgespielt.
Dumbledore nickte kurz und wandte sich wieder seinen Begleitern zu. „Hm, das habe ich befürchtet. Falls der Eindringling durch diesen Eingang in den Turm gelangt ist, wovon ich im Moment ausgehe, hat er wahrscheinlich einen Gedächtnis-Zauber angewandt, so dass Olivia sich nicht mehr daran erinnern kann.“
Harry blickte die drei Erwachsenen mit großen Augen abwechselnd an. „Ein Gedächtnis-Zauber bei einem Bild? Geht so etwas denn?“
„Ja, so etwas gibt es“, antwortete Lupin, „es gibt in der schwarzen Magie einige Zauber, die so mächtig sind, dass sie auch bei nicht lebenden Personen wirken, wie zum Beispiel Bilder.“
„Ich denke, wir sollten schlafen gehen“, sagte Professor Dumbledore schließlich, „Heute Abend können wir nichts mehr tun. Remus und Sirius, ihr werdet in dem leeren Schlafsaal der Vertrauensschüler am Ende des Gemeinschaftsraums gleich links schlafen. Dieser Raum wurde in den letzten Jahren nicht mehr benutzt. Ich habe die Hauselfen gebeten, ihn für euch herzurichten.“
„Danke Albus“, antwortete Lupin, „ich glaube du hast Recht, heute Abend können wir nichts mehr ausrichten. Bis morgen.“
Professor Dumbledore machte sich wieder auf den Weg in sein Büro, und Remus, Sirius, Ron und Harry gingen gemeinsam in den Gemeinschaftsraum der Gryffindors. Sie waren alle sehr niedergeschlagen.
„Hallo, Harry Potter“, schrillte ihnen eine Stimme aus dem Gemeinschaftsraum entgegen, „Dobby hat Sie so lange nicht mehr gesehen. Wie geht es Harry Potter?“ Der Hauself hüpfte aufgeregt auf und ab und grinste über das ganze Gesicht. Er hatte einen weißen Kissenbezug wie eine Toga um die Schultern geschlungen und trug wie schon so oft zwei verschiedenfarbige Socken. Eine war gelb, auf der anderen waren weiße Schäfchen, die auf einer Wiese grasten abgebildet.
„Guten Abend Dobby“, antwortete Harry müde, „was machst du denn hier?“
„Die Hauselfen haben den hinteren Schlafsaal für die Gäste von Harry Potter vorbereitet.“
„Ach so, verstehe. Sag mal, Dobby, wie geht es denn eigentlich Winky, ich habe sie lange nicht gesehen“, fragte er den kleinen Hauselfen.
Dobby fingerte nervös an einem Knopf seines Kissenbezuges herum und sagte langsam: „Ach, Harry Potter, Winky trauert immer noch um ihren Meister, aber es wird besser. Nachdem ihr junger Herr von uns gegangen ist, hat Professor Dumbledore lange mit ihr geredet, und jetzt trinkt sie nur noch halb so viel wie letztes Jahr.“
Harry nickte. „Sag ihr einen schönen Gruß von mir. Sei mir nicht böse, Dobby, aber ich bin müde. Gute Nacht.“
„Schlafen sie gut Harry Potter“, sagte Dobby, machte eine kleine Verbeugung vor Harry und wandte sich dem Ausgang zu.
Bevor er das Portrait-Loch erreicht hatte hielt Harry ihn noch einmal auf. „Dobby, einen Moment noch, ich möchte dich noch etwas fragen“, sagte er.
Der Hauself drehte sich um und lächelte Harry an. „Harry Potter darf Dobby alles fragen was er will. Dobby ist stolz darauf, wenn er Harry Potter helfen kann“, antwortete er und kam wieder einen Schritt näher.
„Hast du vielleicht irgendjemanden in der letzten Stunde im Gemeinschaftsraum oder in den Schlafsälen gesehen? Außer uns natürlich. Es ist nämlich etwas gestohlen worden“, fragte Harry den Hauselfen. Vielleicht hatte er ja gesehen, wer das ‚Auge des Ares‘ gestohlen hatte.
Dobby legte den Kopf schief und überlegte einen Moment bevor er antwortete: „Nein, Sir, Dobby hat niemanden gesehen. Nur die Hauselfen waren hier, und wir würden nie unsere Meister bestehlen.“
Harry nickte enttäuscht. „Danke Dobby“, sagte er und Dobby verließ den Gemeinschaftsraum. Harry und Ron sagten Sirius und Remus ‚Gute Nacht‘ und gingen gemeinsam in ihren Schlafsaal.

Kapitel 6

Kapitel 8

 

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