A bad prank

 

 

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Kapitel 9 - Auf Händen und Knien kriechen

 

Minerva McGonagall durchschritt ihr Zimmer und lauschte aufmerksam dem Ticken der riesigen Großvater- Standuhr aus Mahagoni, die auf der anderen Seite vom Kamin stand.
Normalerweise empfand sie den Raum als gemütlich, doch heute Nacht engten sie die reichen roten und goldenen Wandbehänge und Kissen ein.
Sie brauchte Luft zum Atmen. Ihre Nerven waren vor Sorge zum Zerreißen gespannt. Sie hatte die ganze Nacht gewartet, dass Severus von seinem Treffen zurückkehrte. Enttäuschung und Unruhe begannen, sie zu verzehren.
Es war richtig, dass sie so etwas noch nie zuvor getan hatte. Sie hatte niemals richtig erkannt, was für ein Risiko ihr Kollege auf sich nahm.
Sie hatte sich immer vorgestellt, dass Severus nur an den Treffen teilnahm, Entschuldigungen gab, um seine Teilnahme an Angriffen zu verhindern, alles belauschte, was gesagt wurde und gelegentlich "Ihm, der nicht genannt werden durfte" ein paar Bruchstücke an Informationen gab, sorgfältig geplant von Dumbledore.
Sie hatte nie erkannt, dass auch Severus seinerseits von Voldemort auf irgendwelche Anzeichen von Verrat geprüft und befragt werden würde.
Es war ihr nicht einmal in den Sinn gekommen, bis zu jenem Tag.
Minerva starrte auf die Uhr.
Die Szene kam von selbst wieder in ihr Gedächtnis zurück.

***



Sie bog um die Ecke in Snapes Korridor. Der Ort erschien ihr in ihrer Animagus- Form sogar noch beeindruckender.
Severus' Tür war offen.
Sie zögerte.
Sie konnte Stimmen hören.
"Du hast meine Frage nicht beantwortet, Lucius. Warum bist du hier?"
Es entstand eine lange Pause. Eine seltsame Spannung brodelte in dem Zimmer und Minerva wich ein wenig zurück.
"Nun, Severus", Lucius Malfoys affektierte Stimme tröpfelte durch die Luft, "ich habe bloß beobachtet, dass einige von uns weniger loyal unserem Herrn gegenüber erscheinen als andere."
Eine weitere Pause. Dann sprach Severus mit langsamer, fester Stimme.
"Was sagst du, Lucius?"
"Ich weiß, dass du Dumbledore hilfst, mein Freund." Die Worte tropften wie Gift von Lucius' Zunge. "Ich kann es in seinem Gesicht erkennen. Er vertraut dir."
"Nein, nein, Lucius, da liegst du falsch, ich...."
"Expelliarmus!"
"Lucius, ich....."
Blaues Licht explodierte im Zimmer.
Minerva wich zurück, als Severus über die Türschwelle flog und sein dünner Körper gegen die Wand prallte. Lucius kam hinterher, riss ihn an seinem Kragen hoch und schmetterte ihn gegen die Mauer.
"Vielleicht sollte ich unseren Herrn entscheiden lassen, ob du schuldig bist oder nicht", zischte Lucius.
Seine eisblauen Augen bohrten sich in die umherirrenden Pupillen von Severus. Lucius hielt ihre beiden Zauberstäbe fest in seiner Hand.
"Unser Herr ist bereits in meinen Geist eingedrungen, Lucius. Denkst du wirklich, dass er mir völlig vertraut?" sagte Snape mit düsterer Stimme, seine Augen brannten sich in die von Lucius.
"Ah, aber er kann dich nicht so gründlich befragen, wie er wahrscheinlich möchte, Severus."
Ein grausames Lächeln breitete sich auf dem perfekten Antlitz von Lucius aus.
"Er muss nur deine Schwäche entdecken."
"Ich habe keine", erwiderte Severus scharf. "Ich bin an niemanden gebunden, es gibt keinen, den ihr benutzen könnt, um mich zu brechen."
Lucius lachte. Ein kalter Schauer lief an Minervas Rückgrad herab, ihr dichtes Fell stellte sich an ihrem Rücken auf.
"Nein, Severus. Ich dachte nicht an jemanden, um den du dich sorgst. Das war noch nie eine Möglichkeit, mit dir umzugehen."
Severus warf ihm einen Blick der reinen Verachtung zu. Lucius verstärkte den Druck auf Snapes Kehle und sprach sehr ruhig weiter.
"Ich denke, ich werde dem Dunklen Lord von deinem Vater erzählen."
Severus schmaler Körper versteifte sich an der Wand. Seine gehetzten Augen erforschten unsicher Lucius Gesicht.
"Was?"
"Oh ja, ich weiß alles darüber."
Lucius sah beunruhigend fröhlich aus. Er fuhr in einem sanften Gemurmel fort.
"Komm schon, Severus. Ich habe mein halbes Leben in eurem elenden Herrenhaus zugebracht, denkst du wirklich, ich wüsste nicht genau, was dein Vater dir angetan hat?"
Severus starrte jetzt unverwandt nach links, sein Kiefer fest zusammengebissen und er schien ein wenig zu zittern.
Minerva war schockiert - was hatte sein Vater mit ihm gemacht? Sie hatte ihn einige Male getroffen. Er war ihr immer wie ein Ehrenmann vorgekommen, wenn auch ein wenig angsteinflößend. Gott, was hatte sie übersehen?
Lucius' Faust hielt den Kragen von Snapes Robe weiterhin fest umklammert. Er hob die Hand mit den beiden Zauberstäben an Severus' Hals und Minerva zuckte automatisch zusammen.
Nichts geschah.
Sie beobachtete angespannt, wie Lucius fast zärtlich das schwarze Haar von Severus aus seinem Gesicht strich. Er rückte näher an Severus heran und pustete sanft an seinen Hals. Minerva zitterte vor Ekel. "Ich stelle mir vor, dass unser Herr einen großen Nutzen aus einer solchen Information zieht, nicht wahr? Und wer weiß...", er hob einen Finger und streichelte langsam Severus verspannte Wange, "....vielleicht werden wir dich endlich brechen."
Severus' Faust rammte mit lautem Krachen in seinen Kieferknochen. Lucius stolperte rückwärts und verlor den Halt an der Robe. Er kämpfte sich rasch wieder auf die Beine und zielte mit beiden Zauberstäben auf das Herz des anderen Mannes. Severus stand herausfordernd vor der Mauer, sein Rücken aufrecht, Wellen des Zorns strahlten von seinem Körper aus. Lucius atmete tief ein und hob langsam einen Finger an seinen Mundwinkel. Als er ihn wegzog, war er mit Blut verschmiert. Lucius lächelte, aber seine Augen waren kalt wie Stein und glitzerten merkwürdig. Seine Stimme war angespannt und hart. "Wenn wir uns das nächste Mal sehen, wirst du auf Händen und Füßen vor mir kriechen."
Minerva war entsetzt, sie schaute zu Severus, aber der schüttelte nur sacht den Kopf und versuchte gleichgültig auszusehen. "Du wirst es ihm niemals erzählen, Lucius. Du bist schon immer ein Feigling gewesen."
Der blonde Mann legte seinen Kopf etwas in den Nacken und lächelte sanft. "Ah, Severus. Du kennst mich so gut. Aber diese Dinge kann man nie vorhersehen. Es könnten schon Überraschungen vor dir liegen." Die Männer standen aufrecht und starrten einander ohne Gefühl über den Gang hinweg an. Sie glichen gegnerischen Schachfiguren, ernst und konzentriert. Schwarz gegen Weiß. Gut gegen Böse. Es war eine grausame Ironie, dass der weiße Engel, von so strahlender Schönheit und Gestalt, der Bote des Bösen sein sollte, während das finstere, gehetzte Skelett von einem Mann, eingehüllt in Dunkelheit und Gefahr, berufen war, ein Beschützer des Lichtes zu sein.
Lucius grinste höhnisch. "Leb wohl, mein Freund." Er riss die Augen von Severus, drehte sich um und lief eilig den Korridor hinunter. Severus starrte ausdruckslos auf die Wand vor seinen Augen. Minerva zog sich in den Schatten zurück, als die Füße von Lucius fast ihre Schnurrhaare berührten. Ein dumpfer Aufprall erschallte, als Lucius den edlen Zauberstab von Severus auf den Boden fallen ließ. Die Schritte verhallten.
Minerva drehte sich um, um nach ihrem jungen Kollegen zu sehen. Seine vertraute, dunkle Silhouette stand steif und angespannt. Severus schmales Gesicht wandte sich, um nach seinem Zauberstab zu sehen. Gott, sie wollte sich zurückverwandeln und den jungen Mann umarmen. Sie hätte nie geglaubt, dass er den Mut hätte, Lucius einfach so zu schlagen. Besonders nicht, da Lucius zwei Zauberstäbe in der Hand gehalten hatte. Er hatte es geschafft, seine Bestimmung zu ändern. Es wäre für ihn so leicht gewesen, einfach sein Todesser-Dasein fortzuführen, aber nein, Severus hatte gegen die Erwartungen der Leute angekämpft und hatte sich siegreich erhoben, um für die Seite des Lichtes zu kämpfen. Er war ein Held. Doch als sie ihn mit vor Bewunderung glänzenden Augen betrachtete, fielen plötzlich seine schmalen Schultern herab. Er legte den Kopf in seine Hand, schwankte und griff nach der Wand, um sich abzustützen. Seine Finger verfärbten sich weiß gegen die Mauer.
Minerva hätte weinen mögen. Sie war ein solcher Dummkopf. Severus war kein Held. Er war nur ein junger Mann, der verzweifelt versuchte, das zu tun, was richtig war und gegen Druck und Angst ankämpfte, genau so wie jedes andere menschliche Wesen. Das machte ihn noch wertvoller als einen Helden, denn was hatten Helden schon zu tun, außer heldenhaft zu sein? Männer auf der anderen Seite, Männer hatten viele Möglichkeiten zur Wahl und dass der eine Mann, der so viel gelitten hatte, wie der eine vor ihr, sich dafür entschieden hatte, mutig zu sein, nun, das machte ihn zu etwas Besserem als einen Helden. Sie konnte nicht mehr weiter zusehen. Er verdiente seine Privatsphäre, er verdiente es, Angst haben zu dürfen und er verdiente den Respekt von allen. Leider würde er das letzte niemals erlangen, so lange dieser schreckliche Krieg andauerte. Minerva wandte sich um und schlich fort, zurück in die Sicherheit des Lichtes.

***



Minerva hörte auf, herumzulaufen. Sie starrte zur Uhr, dann setzte sie die Brille ab.
Das war vor ein paar Wochen gewesen. Sie hatte nie mit Severus darüber gesprochen, was sie belauscht hatte. Dies war das erste Todessertreffen seit diesem Tag. Minerva wusste nicht, was zu erwarten war. Sie fragte sich immer noch, was Lucius mit dem Vater von Severus gemeint hatte. Sie hatte wieder und wieder überlegt. Sie glaubte nicht, dass der Junge allzu schlecht behandelt worden war, sicher hätte sie es mitbekommen, wenn Severus daheim geschlagen worden wäre. Dennoch, sie hatte ein ungutes Gefühl im Herzen. Severus war ein so stilles Kind gewesen, immer verschlossen und zu niemandem genug Vertrauen, um um Hilfe zu bitten, ganz zu schweigen von Freunden. Minerva hatte ihn als Schüler nie richtig gemocht; es war so unerfreulich gewesen, wie er da im Schatten, ganz hinten im Klassenzimmer, gesessen hatte, eine knochige Gestalt, in Schwarz gekleidet und wie seine langen, ebenholzfarbenen Haare herunter hingen und sein Gesicht verdeckten.
Auf der anderen Seite waren seine Manieren so untadelig gewesen, dass es ihr tatsächlich ein wenig auf die Nerven gegangen war. Er hatte ihr immer die Tür aufgehalten und sich allen anderen Lehrern mit dem äußersten Respekt zugewendet, wenn er angesprochen wurde. Er hatte sie auch ständig durch seine enormen Bemühungen überrascht, die er in jede seiner Hausaufgaben legte, immer bedacht, die geforderte Länge einzuhalten und normalerweise verbunden mit einem Berg an Hintergrundwissen und Tatsachen, die Minerva selbst manchmal nicht gekannt hatte. Aber Severus war in so viele Gerüchte eingehüllt gewesen, die ihn zu einem Experten für die dunklen Künste erklärt hatten, die sagten, er wäre dazu bestimmt, ein Todesser zu werden. Natürlich war Minerva nie jemand gewesen, der solchen Gerüchten, mit denen ihre Schüler ihre Zeit verschwendeten, viel Aufmerksamkeit schenkte, aber in Anbetracht von Severus' Hintergrund hatte sie es für klüger gehalten, zu ihm auf sicheren Abstand zu gehen.
Dennoch war sie ein wenig ärgerlich. Severus hätte wissen müssen, dass er mit ihr oder einem der anderen Lehrer hätte reden können. Sie alle nahmen Kindesmisshandlung unglaublich ernst, ungeachtet, wer das Opfer war, sie hätten irgendetwas getan, um zu helfen. Aber sie wusste nicht was. Severus' Vater war ein sehr mächtiger Zauberer; wenn er nicht direkt von einem glaubwürdigen Zeugen beobachtet worden wäre, wie er seinem Sohn Schaden zufügte, dann hätte er niemals für so eine Tat angeklagt werden können. Severus war nicht dumm, er hätte das gewusst.
Sie seufzte traurig; er hatte sich wahrscheinlich nur die Verlegenheit ersparen wollen, dass sein häusliches Leben Allgemeinwissen unter den Schülern würde. Es war ja auch nicht so, als hätten sie nicht schon genug auf ihm herumgehackt. Severus hatte keine Freunde gehabt. So etwas wird zwar oft über Menschen gesagt, aber man findet selten eine Situation, in der das wirklich der Fall ist, besonders nicht in Hogwarts. Normalerweise haben Menschen ohne Freunde zumindest andere, die ihnen gegenüber Anteilnahme zeigen, aber in der Welt von Severus war es nicht so sehr das Problem, keine Freunde zu haben, das diese extreme Isolation des Jungen verursachte, das Problem war, dass er nichts außer Feinde hatte. Minerva kam plötzlich zu Bewusstsein, dass sie ihn selten zu den Mahlzeiten in der Großen Halle gesehen hatte, sie vermutete, dass er es vorzog, die anderen Schüler zu meiden und später in die Küche ging oder so etwas. Vielleicht hatte er auch manchmal tagelang kein Essen, dachte sie. Sie erinnerte sich, wie sie den Jungen jeden Tag mit frischen Blutergüssen im Klassenzimmer angekommen gesehen hatte. Das war fast der einzige Weg gewesen, wie man Severus hatte verletzen können. Er war sehr in der Kunst der Verteidigungszauber geübt gewesen, verglichen mit seinem Alter, und er hatte es nie zugelassen, wenn sie sich genau erinnerte, ihn mit einem unbekannten Zaubertrank zu vergiften. Die anderen Schüler hatten mehr von der körperlichen Methode Gebrauch gemacht, sie trafen ihn *versehentlich* mit ihren Schultaschen, stellten ihm ein Bein, wenn er vorbeiging, oder, wie in Sirius Blacks Fall, schlugen ihn einfach ins Gesicht, wenn er nahe genug kam. Sie erinnerte sich mit einer Grimasse an die vielen Punkte, die sie gezwungenermaßen von Gryffindor wegen der Angriffe auf Severus hatte abziehen müssen. Sie war sehr zornig gewesen, dass ihre Schüler gewillt gewesen waren, so viele Punkte zu riskieren, nur um einen seltsamen kleinen Jungen zu verletzen.

Sie seufzte. Wer hätte sich vorstellen können, dass dieser sonderbare, verdrehte Junge ihr später soviel Achtung abnötigen würde?
Minerva konnte den Zwiespalt in ihrer Seele nicht länger ertragen. Es war schon über eine Stunde vergangen, seit sie das letzte Mal die Zimmer von Severus überprüft hatte. Sie wollte nicht drinnen warten, denn wenn Severus zurückkam und sie in seinen Räumen vorfand, würde er wahrscheinlich denken, sie hätte herumgeschnüffelt und sie wusste, wie sehr er seine Privatsphäre hütete.
Sie und Severus standen sich jetzt sehr nahe. Er unterhielt keine freundschaftlichen Beziehungen zu anderen aus der Lehrerschaft und sie hatte sich geehrt gefühlt, als er ihr Freundschaftsangebot angenommen hatte. Sie berührten niemals Themen mit persönlichem Inhalt, aber sie hatten tiefschürfende Gespräche, die die letzten Errungenschaften der Zauberwelt und deren Langzeit-Auswirkungen betrafen.
Severus' Verstand, wenn man sein relativ jugendliches Alter bedachte, schaffte es immer wieder, sie zu überraschen. Soweit sie wusste, sprach er mindestens zwölf Sprachen und sein Wissen, natürlich unübertroffen auf dem Gebiet der Zaubertränke, war so umfassend, dass es alle Bereiche der Zauberei abdeckte. Der junge Mann war bereit, ihr begierig zuzuhören, wenn sie höchst fortgeschrittene Punkte der Verwandlung diskutierten und er hatte ihr erst kürzlich gestanden, dass er sich darin übte, ein Animagus zu werden. Doch auch mit dieser engen Verbindung war es ihr nie möglich gewesen, Severus auf Dinge wie seine Kindheit oder die Todessertreffen anzusprechen, trotz ihrer wiederholten Versuche. Severus hatte ihr nicht eine Information enthüllt, die seinen persönlichen Hintergrund oder seine Beziehung zu Voldemort betraf. Wann sie auch immer versucht hatte, diese Themen anzuschneiden, hatte sich der Mann nur in sich selbst zurückgezogen und ein paar Entschuldigungen gefunden, um zu gehen. Sie hatte versucht, ihn zu beruhigen, indem sie über ihre eigene Kindheit erzählte, doch seine Augen hatten sich verschleiert, er wurde zurückhaltend und nachdenklich, hatte aber nie seine eigenen Erfahrungen angedeutet oder freiwillig davon erzählt. Sie hatte es einzig und allein geschafft, nach all diesen Jahren das Vertrauen des Mannes zu erlangen. Das wollte sie nicht verlieren, denn Severus war eine so einzigartige Persönlichkeit; aber sie konnte sich nicht helfen, sie hatte das Gefühl, wenn er als Kind misshandelt worden war, dann würde zumindest ein Teil von ihm es ihr übel nehmen, dass sie nichts bemerkt hatte, als sie die Möglichkeit gehabt hatte, es aufzuhalten.

Minerva hatte sich schuldig und beschämt gefühlt, nachdem sie die Unterhaltung mit Lucius belauscht hatte. Es war ihr auf einmal unmöglich gewesen, Severus in die Augen zu schauen, wenn sie sich unterhielten und sie war sich sicher, dass er begann, ihr ungewöhnliches Verhalten zu bemerken.

Sie nahm den Weg über den Lehrerkorridor zu den Kerkern und versuchte sich darauf vorzubereiten, was sie vorfinden würde, wenn sie Severus' Zimmer betrat. Minerva erinnerte sich, dass sie die Grundheilerausbildung absolviert hatte und in der Lage wäre, ihrem Kollegen zu helfen, falls er verletzt wäre. Sie betete, dass es nicht zu furchtbar sein würde. Doch sie konnte sich nicht richtig vorstellen, wie so etwas geschehen könnte, Albus hätte Severus verboten, zu den Treffen zu gehen, wenn er jedes Mal verletzt würde. Albus konnte es nie ertragen, eines seiner Kinder verletzt zu sehen. Sie fragte sich, ob Albus gewusst hatte, was zwischen Severus und seinem Vater vorgefallen war. Albus wusste alles, was in Hogwarts vor sich ging, oder nicht? Aber dann konnte sie nicht verstehen, warum Albus sie nicht informiert hatte, wenn er es selbst gewusst hatte. Minerva war schließlich stellvertretende Rektorin, sie hatte das Recht, alle Tatsachen zu wissen, die die Lehrer und Schüler betrafen.
Aber damals war es (und war es auch heute noch) ihre Aufgabe gewesen, Kindesmisshandlung innerhalb der Schule herauszufinden und zu verhüten. Wenn Severus geschlagen worden war, dann hatte es in ihrer Verantwortung gelegen, das zu bemerken. War sie so blind gewesen? Gott, Severus musste sie hassen.
Sie schüttelte heftig den Kopf. Das geriet außer Kontrolle. Wahrscheinlich reagierte sie übermäßig, vielleicht hatte sie Lucius falsch verstanden. Sie war ein gutes Stück von ihm entfernt gewesen, vielleicht hatte er überhaupt nicht 'Vater' gesagt.
Minerva zog ihren schottischen Morgenmantel fest um die Schultern und fing an, schneller durch die stille Halle zu laufen, die Hand um ihren Zauberstab geklammert. Sie versuchte sich einzureden, dass sie nicht besorgt war, dass sie nur Severus kontrollierte, um ihr Gewissen zu beruhigen.
Aber eine nagende Stimme im Hintergrund ihres Verstandes wusste, dass sie entsetzt war, wusste, dass sie mit ihren katzenartigen Sinnesorganen gehört hatte, wie Lucius 'Vater' gesagt hatte und wusste, dass sie dafür verantwortlich war, wenn Severus schweigend unter Misshandlungen gelitten hatte.

Minerva wurde gewaltsam aus ihren Gedanken gerissen, als ein rasender Schrei, der von der Treppe zu den Kerkern aufstieg, die Luft zerriss.
Sie blieb vor Schreck wie angewurzelt stehen, ihr Herz flatterte gewaltig.
"Severus", murmelte sie besorgt und begann, so schnell wie sie konnte zu rennen; sie verwünschte dabei die Tatsache, dass es unmöglich war, innerhalb von Hogwarts zu apparieren. Sie hätte in einer Sekunde in Severus' Zimmern sein können, statt dessen musste sie ihm zu Hilfe rennen und sie war kaum in hervorragender Kondition.
Als sie in den Gang einbog, der an den von Severus angrenzte, schallte ein erneuter Schrei des reinen Entsetzens durch die Hallen. Ein Lichtblitz explodierte in Severus' Korridor, gefolgt von einigem Gepolter. Ihr Atem brannte schmerzhaft, als sie sich der Abzweigung näherte. Panisches Geflüster und das Geräusch von vielen rennenden Füßen hallte in ihre Passage. Zu dem Zeitpunkt, als sie endlich um die Ecke in Severus' Gang brach, war er leer. Minerva sauste zum Zimmer ihres jungen Kollegen und hielt entgeistert an, unfähig zu atmen. "Mutter Gottes." Severus' ausgemergelter Körper hing kraftlos an schweren Ketten in einer Ecke seines verdunkelten Zimmers. Er bewegte sich nicht. Kerzenlicht flackerte über seinen nackten Oberkörper, um die blutigen Quetschungen und Wunden zu enthüllen, die seine ansonsten glatte, elfenbeinerne Brust verunstalteten. Seine eine Seite war durch Blutergüsse verfärbt. Sein hageres Gesicht war mit verfilztem, schwarzen Haar umrahmt und Blut tropfte aus einem tiefen Schnitt am Haaransatz an seinem Gesicht herab.
Der Teppich war mit Blut besprenkelt.

 

Kapitel 8

Kapitel 10

 

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