Blutsbande - Kapitel 13: Von Kleider- und Herzensangelegenheiten

 

 

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Kapitel 13: Von Kleider- und Herzensangelegenheiten


Jedes Jahr gab es in Hogwarts Ereignisse, auf die sich die meisten freuten und die den Alltag dann doch noch auflockerten. Eines davon war die große Halloween-Party im November, doch da war es noch eine zeitlang hin. Ein anderes waren die Samstage, an denen den Schülern der Besuch in Hogsmeade gestattet war - und der erste davon stand unmittelbar bevor.

Am Abend davor herrschte in Gryffindors Gemeinschaftsraum fröhliche Erwartungsstimmung, man überschlug seine Ersparnisse und machte Pläne, wofür man sein Taschengeld wohl am besten ausgeben sollte.

"Ich kann's kaum erwarten, dem Honigtopf einen Besuch abzustatten", strahlte Ron. Seine Vorliebe für Süßigkeiten war nach wie vor ungebrochen. "Und was haltet ihr davon, wenn wir uns zusammen das eine oder andere Butterbier in den Drei Besen genehmigen?"

"Typisch, du denkst wohl mal wieder nur an etwas Essbares", meinte Hermine schnippisch. Dabei war sie ein bisschen neidisch auf Ron, der diese Köstlichkeiten mengenweise konsumieren konnte, ohne dass man ihm das ansah. Hermine hielt sich seit einigen Jahren auf diesem Gebiet sehr zurück, denn sie war davon überzeugt, auf ihre Figur achten zu müssen.

"Ich mag das ganze süße Zeugs nicht", ließ sich Emily unaufgefordert vernehmen.

"Hast du ein Glück!" Hermine seufzte. "Allerdings würden dir ein paar Pfunde mehr nur gut tun - im Gegensatz zu mir."

"Och Hermine, von so einem kleinen Schokofrosch wirst du schon nicht gleich aus den Nähten platzen", spottete Harry. "Ich finde sowieso, dass eine Frau weibliche Formen haben und nicht wie ein wandelndes Knochengerüst aussehen sollte."

Ron, der genau wusste, dass das bei Hermine ein heikles Thema war, beeilte sich, ihm zuzustimmen - und all das versetzte Emily einen Stich. Unauffällig blickte sie an sich herunter. Sicher, sie war noch immer sehr dünn, doch lange nicht mehr so sehr, wie am Anfang des Schuljahres. Und sie fühlte sich jetzt auch sehr viel besser.
Aber sah sie wirklich immer noch so schlimm aus?
Zu ihrem nicht unerheblichen Ärger musste sie feststellen, dass ihr das irgendwie doch immer wichtiger wurde.

"Gehst du morgen eigentlich auch mit nach Hogsmeade?", erkundigte sich Lavander ohne großes Interesse.

"Oh ja, ich brauche dringend ein paar neue Klamotten", entgegnete Emily.
Damit hatte sie Lavanders ungeteilte Aufmerksamkeit und auch die anderen wurden hellhörig.

"Wieder so ein schwarzes, flatteriges Etwas?", kicherte Ron und Emily errötete ein wenig.

"Nichts da, ich habe diese Fetzen satt", meinte sie. "Und wenn ich das bekomme, was mir so vorschwebt, wirst du noch Augen machen."
"Was genau soll es denn sein?", schaltete sich jetzt auch Parvati begierig ein. Wenn es um etwas zum Anziehen ging, standen sie und Lavander an vorderster Front.

"In erster Linie etwas Praktisches", überlegte Emily. "Und wie ist das hier eigentlich an Halloween? Braucht man da etwas Besonderes?"

"Dazu musst du dich nicht allzu groß aufstylen", wurde sie von Parvati aufgeklärt. "Aber ein bisschen festlich sollte es schon sein…"

"Oh Gott, erinnere mich nur nicht daran!" stöhnte Ron und verdrehte die Augen gen Zimmerdecke. "Da muß ich dann wieder meinen Festumhang tragen… was mir Malfoy bereits seit einer Woche unter die Nase reibt."

"Wen interessiert es, was Malfoy für Bosheiten von sich gibt", wurde er von Hermine getröstet. "Und so schlecht sieht dein Umhang doch gar nicht aus…"

"Na ja, nur, dass ich während des letzten Jahres bestimmt noch einmal um zehn Zentimeter gewachsen bin… und das blöde Teil leider nicht."

"Was hat es denn mit Rons Festumhang auf sich, dass Malfoy so darüber herzieht?", erkundigte sich Emily.

"Er gehörte seinem Bruder - und das sieht man halt auch", erklärte Harry. "Und Malfoy hackt da schon seit Jahren drauf herum."

"Dem werden wir schon das Maul stopfen", sagte Emily. Auch sie verabscheute Draco Malfoy bereits von Herzen. "Wirst schon sehen." Sie lächelte geheimnisvoll.

"Meinst du wirklich?" Ein kleiner Hoffnungsschimmer glomm in Rons Augen auf. Es wurmte ihn gewaltig, dass er deswegen immer zur Zielscheibe der Slytherins wurde. Aber Emily mit ihrer scharfen Zunge bekam es vielleicht wirklich fertig, diese Lästermäuler zum Schweigen zu bringen.

Emily nickte nur. "Keine Sorge, Draco wird sich noch wundern", versprach sie.

Ron strahlte. "Das ist riesig nett von dir! Und kommst du dann morgen mit auf ein Glas Butterbier?"

Emily überlegte. "Mal sehen, ich weiß noch nicht. Ich muß wirklich eine ganze Menge besorgen - und dann treffe ich mich mit meiner Großmutter. Sie will morgen extra nach Hogsmeade kommen."

"Ihr steht euch wohl sehr nah?" Hermine war noch immer begierig, alles über Emily zu erfahren.

"Näher als meinen Eltern. Sie ist rundrum eine wundervolle Frau." Emily lächelte. "Ich freue mich wirklich, sie wiederzusehen."

"Ich wünschte, so etwas könnte ich auch von wenigstens einem meiner Familienmitglieder sagen", seufzte Harry. "Aber bis auf meinen Paten kann man die alle vergessen."

"Meine auch", verriet ihm Emily. "Aber Großmutter wiegt alle auf - ich wüsste nicht, was ich ohne sie täte."

"Du könntest sie uns doch morgen vorstellen?" Auch Ron war neugierig auf jemanden, den die eigenbrötlerische Emily anscheinend so sehr mochte.

"Mal sehen, wenn es sich ergibt…" Emily wollte sich nicht festlegen und gähnte demonstrativ. "Ich gehe jetzt schlafen, wird morgen sicher ein langer Tag."

"Heute keine abendlichen Studien bei Snape?", erkundigte sich Lavander. "Du bist doch sonst beinahe jeden Abend da unten."

"Heute hatte ich keine Lust dazu", meinte Emily leichthin.
Die Wahrheit war allerdings, dass sie furchtbar gerne mit Snape zusammen weiter am Effingo gearbeitet hätte - und die abschließende Tasse Tee, die sie dann immer nach getaner Arbeit zusammen tranken, war für sie immer der Höhepunkt des Tages. Doch heute hatte Snape irgendetwas anderes vorgehabt.
Was das war, wusste Emily nicht, doch sie hoffte inständig, dass es nichts mit Laryssa Twinkleto zu tun hätte.

"Außerdem will ich morgen früh raus." Und mit diesen Worten stieg sie die Treppe hinauf zum Mädchenschlafsaal.

"Tja, das sollten wir dann wohl auch", meinte Hermine. "Wir wollen ja schließlich alle früh aufstehen."



***



Wenn Severus Snape etwas von Emilys Befürchtungen geahnt hätte, hätte er es wohl eher komisch gefunden. Die Idee, mit Laryssa Twinkleto einen Abend zu verbringen, wäre zwar nach wie vor sehr reizvoll, aber völlig utopisch gewesen.
Vielleicht hätte er sich auch geschmeichelt gefühlt - und vielleicht hätte es ihn sogar ein bisschen gefreut…

Der Grund, der ihn heute von seinem Labor fernhielt, war jedoch viel prosaischer und hieß Albus Dumbledore. Beim Mittagessen hatte der Schulleiter ihn für diesen Abend um eine Unterredung gebeten - und Snape war neugierig, was er wohl von ihm wollte.

"Setzen Sie sich, Severus", wurde er von Dumbledore empfangen. Die Miene des Rektors war außergewöhnlich besorgt.

"Sie sehen nicht so aus, als ob Sie gute Neuigkeiten hätten", meinte Snape dann auch. "Ist etwas passiert?"

Dumbledore seufzte und strich sich mit einer fahrigen Bewegung einige Haarsträhnen aus dem Gesicht.
"Eben nicht", sagte er. "Noch nicht. Und das ist es, was mich beunruhigt."

Snape schaute ihn nur verständnislos an.

"Wenn man es so betrachtet, ist alles in bester Ordnung", begann Dumbledore. "Sogar diese geheimnisvollen Angriffe auf die Muggel haben aufgehört. Es gäbe also keinen Grund zur Sorge - wenn da nicht mein Gefühl wäre. Diese gewisse Vorahnung. Und die hat mich nur selten getrogen."

"Was sagt es denn?", erkundigte sich Snape etwas lahm. Gefühle waren noch nie seine Sache gewesen.

"Es sagt, dass da etwas ziemlich Unschönes auf uns alle zusteuert. Daß etwas in der Luft liegt - und dass die kleine McElwood irgendwie damit zu tun hat…"

"Ich habe sie einmal gefragt, ob sie weiß, wo Voldemort sich aufhält", sagte Snape nachdenklich. "Und sie hat das vehement verneint. Emily sagt zwar nicht bei allem die absolute Wahrheit, aber das glaube ich ihr."

"Wir müssen unbedingt erfahren, was sie vor uns verbirgt. Auch, wenn es nichts damit zu tun hat, wir dürfen keine Möglichkeit außer Acht lassen. Ich hasse es, völlig ahnungslos und unvorbereitet in eine schlimme Situation zu geraten!"

Auch wenn es Snape nicht nachvollziehen konnte, hatte er längst gelernt, dass man die Vorahnungen des Schulleiters besser nicht auf die leichte Schulter nahm; zu oft hatten sie sich dann auch bewahrheitet.

"Emily wollte mir in den nächsten Tagen sowieso alles erzählen", meinte er. "Dann werden wir ja sehen, ob uns das weiterhilft. Obwohl ich eigentlich nicht glaube…"

Dumbledore maß ihn mit einem unergründlichen Blick. "Sie mögen die Kleine, nicht wahr?"

"Wie kommen Sie denn darauf?"

"Weil Sie von ihr als ‚Emily' reden - und nicht als ‚McElwood'. Wann hat es das schon einmal gegeben, dass Sie von einem Schüler mit seinem Vornamen sprechen?"

Snape begann, sich unbehaglich zu fühlen. "Ja, ich mag sie tatsächlich", gestand er dann. "Sie ist hochintelligent und auch ganz amüsant. Und mir wirklich eine große Hilfe…"

Dumbledore lächelte. "Wie schön zu sehen, dass Sie doch noch einem menschlichen Wesen Sympathie entgegenbringen können. Das hätte ich schon nicht mehr zu hoffen gewagt…"

"Zumindest ist sie einmal eine erfreuliche Abwechslung zu den Heerscharen von Dummköpfen, die ich sonst immer unterrichten muß", knurrte Snape. "Und nächsten Sommer nach den Prüfungen ist sie sowieso wieder weg…"

"Höre ich da so etwas wie Bedauern?"

"Ja, denn eine so talentierte Hilfskraft werde ich so schnell nicht wieder finden", entgegnete Snape trocken. "Ansonsten ist es mir ziemlich egal."

Doch das stimmte so ganz und gar nicht. Er würde sie vermissen, wenn sie Hogwarts verließ, ihre langen Diskussionen, ihre Schlagfertigkeit, ihre Fähigkeit, zuhören zu können, um nur einiges zu nennen. Doch das würde Snape nicht einmal vor sich selber zugeben.

Dumbledore sah zwar aus, als ob er noch etwas hinzufügen wollte, schwieg dann aber. "Ich erwarte jedenfalls, dass Sie mir sofort berichten, wenn Emily Ihnen ihre Geschichte erzählt hat", meinte er nur.

"Selbstverständlich, Professor Dumbledore." Snape überlegte verzweifelt, wie er das bewerkstelligen sollte. Emily hatte verlangt, dass er das Ganze für sich behalten würde - und er hatte ihr sein Wort gegeben.

‚Das Wort eines ehemaligen Todessers', spottete seine innere Stimme. ‚Was ist das schon wert?' Doch er war kein Todesser mehr - und wollte wenigstens von sich selbst sagen können, ehrenvoll zu handeln und sein Wort zu halten. ‚Tja Severus', tönte es in seinem Kopf. ‚Bei den Muggeln nennt man so etwas eine Zwickmühle…' Und Snape verfluchte in Gedanken den Tag, an dem Emily nach Hogwarts gekommen war - und hätte ihre Gesellschaft doch um keinen Preis missen mögen…



***



Selten wurde in Hogwarts dem Frühstück so wenig Beachtung geschenkt, wie an den Samstagen, an denen die Schüler Ausgang hatten. So dauerte es auch nicht lange, und fröhliche Trüppchen zogen, von den neidischen Blicken der Erstklässler verfolgt, in Richtung Hogsmeade.

Emily war zwar zusammen mit Hermine, Ron und Harry gegangen, setzte sich dann aber ab, als sie den kleinen Ort erreichten.
"Bis später", rief sie ihnen noch hinterher.
Und während sich Ron und seine Freunde in das Gedränge um den Honigtopf einreihten, stattete sie dem Salon von Madame Aurelia einen ausgiebigen Besuch ab.

Madame Aurelia war erst vor kurzem von London nach Hogsmeade übergesiedelt und hatte hier eine Filiale ihrer Bekleidungskette ‚zauberhafte Zaubermoden' eröffnet.
Sie bildete sich einiges darauf ein, jeden Kunden zufrieden stellen zu können, doch als die kleine, unscheinbare Gestalt, gekleidet in einen unförmigen, schwarzen Lappen, ihren Laden betrat, kam sie doch etwas ins Grübeln.

"Und was darf es bei Ihnen sein, junge Dame?", erkundigte sie sich etwas zögernd.

Emily lächelte. "Wohl so ziemlich alles", meinte sie fröhlich. "Und es wäre nett, wenn Sie mich dabei etwas beraten könnten. Ich brauche nämlich…" Und sie begann, eine beachtliche Liste aufzuzählen.

Madame Aurelia taute sichtlich auf. "Wundervoll", meinte sie entzückt. "Ich bin sicher, wir werden genau das Richtige finden!"

Emily verbrachte geschlagene zwei Stunden in diesem Laden, bevor sie, schwer bepackt, wieder zum Vorschein kam. Sie tätigte auch noch ein paar weitere Einkäufe, bevor sie dann endlich in den Drei Besen ankam.

Hier herrschte Hochbetrieb und sie entdeckte Hagrid inmitten einer Schar Gryffindors. Auch Hermine, Ron und Harry waren darunter. Sie nickte ihnen kurz zu und wandte sich an einen kleinen Tisch in der hinteren Ecke, der nur von einer einzigen Person besetzt war. Eine zierliche, alte Dame mit silberweißem Haar und Augen, die von demselben dunklen Blau waren, wie die von Emily. Morticia McElwood, trotz ihrer 95 Jahre unangefochtenes Oberhaupt des McElwood-Clans strahlte übers ganze Gesicht, als sie ihre Enkelin auf sich zusteuern sah.

"Emily, Kind, wie schön, dich zu sehen!"

"Großmutter!" Emily umarmte die alte Frau herzlich und setzte sich dann neben sie. "Ich muß dir so vieles erzählen…"

"Laß dir Zeit, meine Kleine, trink erst einmal etwas." Sie schenkte Kürbissaft aus einem bereitstehenden Krug in ein zweites Glas.

Emily nahm durstig ein paar Schlucke. "Hast du in letzter Zeit etwas von Lennard gehört?", fragte sie ohne große Hoffnung und ihre Großmutter seufzte.
"Dasselbe wollte ich dich auch fragen", erwiderte sie. "Aber erzähl doch zuerst, was es bei dir so Neues gibt."

Und Emily erzählte. Wie gut sie sich in Hogwarts eingelebt hatte, dass sie endlich gut schlafen konnte, was für Fortschritte das Projekt von Professor Snape machte…
Das meiste davon hatte sie ihrer Großmutter zwar auch schon geschrieben, doch es war doch etwas anderes, wenn man darüber reden konnte.

"Wie ist dieser Snape eigentlich", unterbrach sie Emilys Redefluß irgendwann. "Ich habe zwar schon so einiges von ihm gehört, ihn aber niemals persönlich kennengelernt."

"Oh, Professor Snape ist…" Emily stockte. "Das ist nicht so einfach zu beschreiben", meinte sie dann. "Er ist anspruchsvoll, und ziemlich schwierig. Irgendwie innerlich zerrissen. Die meisten haben Angst vor ihm, denn im Unterricht ist er kaum zu ertragen. Wenn man allerdings mit ihm alleine ist, kann er ganz wundervoll sein… Er weiß so viel… und es macht so viel Spaß, mit ihm an dem Effingo zu arbeiten… "

"Hmmm…", machte Morticia Mc Elwood und betrachtete den Gesichtsausdruck ihrer Enkelin, der plötzlich von einem inneren Strahlen erleuchtet zu sein schien. "Hab ich's mir doch gedacht…"

"Was denn?"

Ihre Großmutter seufzte. "Ich hatte schon so etwas vermutet, als ich deine Briefe gelesen habe. Und wenn ich dich jetzt so ansehe…"

"Was willst du eigentlich sagen?" Emily hatte zwar so eine Ahnung, was gleich kommen würde, doch sie verbot sich, daran zu denken.

"Kleines, anscheinend hast du dich verliebt."

"Wie bitte? Wie kommst du denn da drauf?" Emily tat entrüstet, doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass es stimmte. Ihre Großmutter hatte das ausgesprochen, was sie sich die ganze Zeit krampfhaft geweigert hatte, einzugestehen.

"Ich habe ein Paar Augen im Kopf und verfüge auch über ein Gehirn - und beides funktioniert noch erstaunlich gut", entgegnete Morticia. "Außerdem bin ich nicht erst seit vorgestern auf der Welt und kenne diese Symptome recht gut."

Emily ließ den Kopf beinahe auf die Tischplatte sinken. "Das hat mir gerade noch gefehlt", stöhnte sie. "Ich habe es nicht sehen wollen, aber du hast wohl völlig Recht."

"Hat er denn auch… ich meine, werden deine Gefühle erwidert?"

"Nein, natürlich nicht!" Bei dieser Vorstellung lachte Emily bitter auf. "Ich bin ihm nützlich und er mag mich wohl auch ein wenig, aber er würde mich niemals als Frau betrachten."

"Kleines… nein, so sollte ich dich nicht länger nennen. Du bist kein Kind mehr, eigentlich schon lange nicht mehr. Doch jetzt fängst du an, eine Frau zu werden."

"Wirklich großartig! Erst Lennard… und als nächstes dann mein Lehrer… läuft denn bei mir gar nichts normal ab?"

"Eigentlich hätte ich es kommen sehen müssen", überlegte Morticia. "Du warst einsam und verzweifelt - und er war der erste seit langem, der dich freundlich behandelt und dir Interesse entgegengebracht hat. Kein Wunder, wenn du dich in ihn verliebst."

"Zumindest wäre das mal ein neuer Grund, wegen dem ich von einer Schule fliege. Den hatten wir noch nicht."

"Wer sagt denn, dass man dich hinauswirft? Es darf nur niemand davon erfahren…"

Emily starrte ihre Großmutter mit offenem Mund an. "Soll das heißen, du findest das auch noch gut? Es klingt beinahe so, als würdest du es unterstützen, wenn ich mit einem Lehrer eine Affäre hätte…"

"Nicht so laut, das muß ja nicht jeder mitbekommen. Und nein, ich finde es nicht gut, dass es dein Lehrer ist, aber in Anbetracht der Umstände können wir nicht wählerisch sein."

"Und was soll das jetzt heißen??"

"Nun, mir ist eine lebendige Enkelin, die eine Affäre mit einem ihrer Lehrer hat, wesentlich lieber, als eine tote, die sich auf diesem Gebiet zurückgehalten hat. Man muß Prioritäten setzen."

Emily verstand nun überhaupt nichts mehr. Was meinte Großmutter nur damit?

"Du weißt, was Lennard dir angetan hat." Das war keine Frage sondern eine Feststellung und Emily nickte nur.

"Ich werde mir nie verzeihen, dass ich diese Gefahr damals nicht eher erkannt und das verhindert habe", seufzte Morticia. "Aber passiert ist passiert - und wir müssen sehen, dass wir das Beste daraus machen. Weißt du eigentlich, was genau Lennard und der dunkle Lord planen?"

"Nicht mit Sicherheit", erwiderte Emily. "Nur das, was ich dir schon geschrieben habe."

"Voldemort wird dich nicht am Leben lassen, irgendwann und irgendwo wird er dich schließlich finden."

"Wie könnte ich das vergessen!" Emily seufzte traurig. "Und ich habe keine Kraft mehr, noch länger wegzulaufen. Wenigstens bin ich in Hogwarts sicherer als anderswo. Der verdammte Consanguiniti!"

‚Doch wenn ich schnell genug bin - und mein Plan gelingen sollte, würde mich auch Voldemort in Ruhe lassen', dachte sie. ‚Das hoffe ich jedenfalls.'
Sie hatte ihre Großmutter in vieles eingeweiht, ihr eigenes, wahnsinniges Vorhaben jedoch selbst ihr verschwiegen…

"Aber was hat das damit zu tun, dass ich mich verliebt habe?", kam sie auf das ursprüngliche Thema zurück. "Oder… wird dieser Fluch dadurch vielleicht gebrochen?" Eine wilde Hoffnung glomm in ihren Augen auf.

Morticia seufzte. "Nichts bricht einen Consanguiniti. Allerdings…"

"Was?"

"Ach gar nichts. Es ist nur so eine Idee - und es ist besser, wenn du nichts davon weißt. Vertrau mir. Und verschwende keine Gedanken an irgendwelche Regeln der Schulordnung, höre einfach auf das, was dein Herz dir sagt."

Emily seufzte erneut. Ihre Großmutter schien mehr zu wissen, als sie sollte - andererseits hatte sie mit keinem Wort Näheres erwähnt. Bedeutete das, dass sie von ihrem Plan wusste und ihn guthieß? Und wollte sie, dass ihr wenigstens noch etwas Schönes widerfuhr, wenn es sie schon das Leben kosten würde?
Irgendwie gab das alles so keinen rechten Sinn, doch Emily beschloß, jetzt besser nicht weiter nachzufragen. Aus Großmutter würde sie dazu nicht mehr herausbekommen, das wusste sie aus Erfahrung.

"Es spielt sowieso keine Rolle, denn Professor Snape würde in mir niemals etwas anderes sehen, als eine Schülerin."
Emily machte ein betrübtes Gesicht. Dieser Tag hatte ihr einen Haufen neuer Probleme beschert.

"Nun, das werden wir ja sehen", murmelte Morticia in sich hinein. "Unterschätze niemals die Waffen einer Frau." Laut sagte sie: "Aber bei Gelegenheit würde ich deinen Professor Snape gerne einmal kennenlernen."

"Dann musst du schon nach Hogwarts kommen, denn er verlässt die Schule nur äußerst selten."

"Das hatte ich eh in nächster Zeit vorgehabt, dem guten, alten Dumbledore mal wieder einen Besuch abstatten."

"Du kennst ihn?"

"Aber natürlich!" Morticia lächelte. "Ein großartiger Mann. Allerdings haben wir uns schon sehr lange nicht mehr gesehen."

"Hey Emily", tönte es plötzlich. "Wolltest du uns nicht vorstellen?" Ron und seine beiden Freunde hatten vor ihrem Tisch Aufstellung genommen.

"Tja also…" Emily war etwas aus dem Konzept gebracht. "Großmutter, das sind drei meiner Klassenkameraden, Hermine Granger, Ron Weasley und Harry Potter. - Meine Großmutter Morticia McElwood."

"Sehr erfreut, Madame", sagte Ron artig und alle schüttelten der alten Dame die Hand.
"Schön, Sie alle kennenzulernen", entgegnete Morticia. "Und von Ihnen, Mr. Potter, habe ich schon viel gehört." Sie musterte Harry mit Interesse.

"Wer wohl auch nicht", meinte Harry missmutig.

"Machen Sie sich nichts draus, irgendwann wird selbst diese Geschichte in Vergessenheit geraten", sagte Morticia, die Harrys Problem sofort verstanden hatte.

"Ja, aber wahrscheinlich erst, wenn ich Urenkel habe." Alle lachten.

"Wir wollten eigentlich nicht stören, aber so langsam sollten wir uns auf den Rückweg machen", ließ sich Hermine vernehmen. Mit einem erstaunten Blick musterte sie Emilys Einkäufe. "Lieber Himmel, du musst ja halb Hogsmeade leergekauft haben!"

"Och, das sieht nur so aus", meinte Emily etwas verlegen. "Aber ich brauchte dringend was zum Anziehen…"

"Du wirst doch nicht etwa von deiner schwarze-Fetzen-Phase kuriert sein?" Morticia schaute ziemlich erfreut drein. "Wurde auch langsam Zeit!"

Sie zwinkerte ihrer Enkelin verschwörerisch zu. ‚Ich weiß genau, wer oder was daran schuld ist', besagte dieser Blick - und Emily errötete.

"Sollen wir dir beim Tragen helfen?", erbot sich Harry.

"Ja danke, das wäre wirklich sehr lieb von euch." Emily verabschiedete sich mit einer innigen Umarmung von ihrer Großmutter.

"Paß gut auf dich auf, mein… nicht mehr so Kleines", sagte Morticia und schüttelte dann auch den anderen die Hand. "Und kommt gut zurück."



***



"Was ist denn da überall drinne?" Lavander und Parvati hatten sich ihnen angeschlossen und platzten fast vor Neugierde.

"Ihr werdet's ja sehen", lächelte Emily. Sie freute sich schon darauf, was die anderen für Gesichter machen würden.

"Ein Ballkleid für Halloween?" Parvati ließ nicht locker.

"Oh Gott, dafür brauche ich doch kein Ballkleid. Oder etwa doch?" Emily schaute sich hilfesuchend nach den anderen um.

"Wenn's dir Spaß macht, kannst du eins anziehen, muß aber nicht sein." Hermine hielt nicht viel von extravaganter Garderobe.

"Und wenn, dann würde ich mir eines von Zuhause schicken lassen, da habe ich einen ganzen Schrank voll davon", meinte Emily.

"Du hast EINEN GANZEN SCHRANK voll mit Abendkleidern?" Lavander konnte es kaum fassen. "Das wäre das letzte, was ich bei dir erwartet hätte."

"Meine Mutter legt viel Wert auf so was." Emily zuckte mit den Schultern. "Und sie gibt dauernd irgendwelche Empfänge, zu denen man die dann auch anziehen muß."

"Ich gäbe alles darum, wenn ich mir die mal anschauen könnte", hauchte Parvati.

"Wen? Meine Mutter? Oder ihre Abendgesellschaften?"

"Deine Kleider natürlich!"

"Och, das lässt sich machen. Ich kann sie mir ja herschicken lassen, dann kannst du sie dir alle ansehen."

"Die armen Posteulen werden sich einen Bruch heben", spottete Ron.

"Das fürchte ich allerdings auch. Wahrscheinlich kann man das gar nicht verantworten…"

"Oooooch Emily, bitte!"

"Na schön, Parvati, ich lasse die Dinger herkommen. Dann hat wenigstens endlich jemand auch mal Spaß daran."

Lavander und Parvati strahlten übers ganze Gesicht.
"Und wisst ihr was?" Emily kicherte. "Wenn euch etwas davon passt, leihe ich es euch für Halloween. Im Vergleich dazu werden dann zur Abwechslung mal die Slytherins aussehen, wie aus der Mülltonne."

Lavander vergaß von einem Moment zum anderen alle Ressentiments, die sie gegen Emily gehabt hatte und fiel ihr um den Hals. "Das ist wirklich große Klasse von dir! Ihr werdet sehen, von diesem Halloween wird man noch lange sprechen."

"Also, ICH ziehe jedenfalls kein Kleid an!"

Schallendes Gelächter.

"Verlangt auch niemand, Ron." Emily lächelte, sagte aber nichts weiter. Sie wollte die Überraschung für ihn nicht verderben.

"Wir kommen grade richtig zum Abendessen", stellte Harry fest, als sie Hogwarts erreichten. "Hat jemand noch Hunger?"

Niemand hatte, sie waren alle noch voll von den diversen Köstlichkeiten aus Hogsmeade.

"Dann gehen wir doch gleich nach oben und packen Emilys Einkäufe aus!" Parvati zappelte ungeduldig herum. "Das ist ja sooo spannend!"

Die schwer bepackte Schar erregte einiges Aufsehen, als sie die Große Halle durchquerten.

"Gryffindor war wohl geschlossen im Kaufrausch", höhnte Pansy Parkinson.

"Nö, Emily hat sich nur neu eingekleidet", tönte Lavander giftig zurück. "Und jetzt feiern wir in unserem Schlafsaal ne Klamottenparty!"

Pansy erbleichte vor Neid. So eine Party wäre auch so richtig nach ihren Geschmack gewesen, doch sich in Hogsmeade einen solchen Berg von Kleidung zu kaufen, überstieg ihre Mittel doch erheblich.

"Und was wird aus uns?", verlangte Harry zu wissen, als sie gemeinsam die Treppe hochstiegen. "In euren Schlafsaal dürfen wir nicht rein."

"Euer Pech", kicherte Parvati. "Aber das ist Frauensache."

"Wir kommen dann in den Gemeinschaftsraum", tröstete Hermine. "Später. Dann feiern wir da weiter und futtern wir all deine Schätze aus dem Honigtopf auf." Sie grinste.

"Na schön", meinte Harry. "Aber beeilt euch gefälligst!"

"Weiber", schimpfte Ron. "Weiber, Weiberkram und Weiberangelegenheiten." Er meinte es allerdings nicht böse.

Im Gemeinschaftsraum stellte Emily eine ihrer Tüten ab und wühlte darin herum.
"Das ist für dich", sagte sie, holte ein ziemlich großes Päckchen hervor und warf es Ron zu

Er fing es auf und drehte es neugierig nach allen Seiten. "Was ist da drinne?"

"Schau rein, dann weißt du es." Und mit diesen Worten folgte sie den anderen Mädchen hinauf zu ihrem Schlafsaal.

Ron riß - unter den neugierigen Blicken seiner Freunde - das Packpapier herunter und zum Vorschein kam… ein Festumhang.
Aber was für einer! Weit und großzügig geschnitten schwang er um Rons hoch aufgeschossene Gestalt herum, als er ihn anlegte. Er war aus tiefdunkelbraunem Samt, mit rostfarbenem Satin gefüttert und wurde von einer Schnalle aus Bronze zusammengehalten.

"Oh Mann", sagte Harry. "Ich hätte nicht gedacht, dass es eine Farbe gibt, zu der deine Karottenhaare gut aussehen."

Ron drehte sich vor dem Spiegel über dem Kamin. "Der muß ein Vermögen gekostet haben", brachte er schließlich heraus.

"Emily!", brüllte er dann die Treppe hinauf.

"Was ist?" Die Türe zum Mädchenschlafsaal öffnete sich.

"Das ist wirklich lieb von dir, aber…"

"Aber was, gefällt er dir nicht?"

"Doch, er ist traumhaft." Er rang sichtlich mit sich selbst. " Aber das kann ich nicht annehmen…"

"Und wieso nicht? Was glaubst du, was Malfoy sagen wird, wenn er dich so sieht?"

Ron schluckte nur.

"Und außerdem", schallte es von oben, " was soll ich damit? Mir steht diese Farbe nicht!"
Die Türe wurde wieder zugeschlagen und anscheinend war für Emily das Thema damit erledigt.

"Sie wollte dir wohl eine Freude machen", meinte Harry. "Also freu dich jetzt gefälligst auch."

"Das tu ich ja…" Ron war noch immer ziemlich sprachlos. "Aber ich habe noch nie ein so schönes… und so teures Kleidungsstück gehabt."

"Mach dir wegen des Geldes keine Gedanken, die McElwoods dürften mehr als genug davon haben. Was mich viel mehr erstaunt, ist die Tatsache, dass Emily auch Geschmack zu haben scheint. Ich bin sehr gespannt, was sie für sich gekauft hat."

Das waren alle anderen auch - doch als Emily dann eine gute Stunde später mit den anderen Mädchen wieder auftauchten, fielen ihnen beinahe die Augen aus dem Kopf.

"Emily… was ist DAS?" Ron kam ins Stottern und Emily schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.

"Etwas Praktisches", meinte sie verschmitzt.


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