Blutsbande

 

 

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Kapitel 17: Auge um Auge


Auch für Emily waren es zehn sehr lange Tage geworden, doch im Gegensatz zu Snape merkte man ihr nichts davon an. Sie gab sich - für ihre Verhältnisse - halbwegs fröhlich, hatte sich mit einigen Mitschülern beinahe schon angefreundet - und hatte auch ohne den Trank keine Schlafprobleme. Anscheinend hielten sich sowohl Lennart als auch der Dunkle Lord mit ihren Machenschaften im Moment sehr zurück.

Von ihren Hausgenossen glaubten alle, dass sie ihre Abende nach wie vor in Snapes Labor zubrachte, denn Emily verließ jeden Abend den Gemeinschaftsraum und kehrte immer erst sehr spät zurück. Wenn sie wüssten, was Emily während dieser Zeit tatsächlich machte …
Emily konnte bei ihrem geheimen ‚Training' tatsächlich ein paar Fortschritte verbuchen, doch bei weitem nicht so viele, dass es ausgereicht hätte. Trotzdem hatte sie daraus ein klein wenig Zuversicht gewonnen, vielleicht würde sie ja doch noch rechtzeitig in der Lage sein …

Sie schob diese Gedanken gewaltsam beiseite. Die Halloween-Party stand morgen an und irgendwie hatte sie es sogar geschafft, sich darauf zu freuen.
Natürlich würde sie nicht in Begleitung von Draco Malfoy dort erscheinen (zum Schluß waren darüber sogar Wetten abgeschlossen worden) und Draco hatte den Korb mit Fassung getragen.
Jetzt war Freitag, der Tag vor Halloween, und trotz dem heute ganz normal Unterricht war, sprach doch niemand von etwas anderem als dem morgigen Ereignis.

Die Ankunft der Post beim Frühstück tat zumindest bei den Gryffindors ein Letztes, um die Schulstunden für den heutigen Tag zur endgültigen Nebensache werden zu lassen.
Das Rauschen und Flattern der Vögel war heute besonders laut, und das lag an dem Pulk von bestimmt fünfzehn riesigen Eulen, die ein gewaltigen Paket in ihren Klauen transportierten. Zielstrebig steuerten sie den Gryffindor-Tisch an und Hermine, die die Gefahr zuerst bemerkte, sprang hektisch auf.

"Schnell, räumt das Geschirr beiseite", rief sie und kaum hatte man eine Schneise zwischen den Haferbreischüsseln freigemacht, ließen die Eulen ihre Last dort fallen.

"Das wurde aber auch Zeit", sagte Emily erleichtert und musterte den riesigen Karton, der an sie adressiert war. "Anscheinend hat Mutter einen ganzen Kleiderschrank voll da reingepackt!"

"Du meinst, deine Abendkleider sind doch noch gekommen?" Lavander drängte sich, mit Parvati im Schlepp, rücksichtslos zu Emily durch. "Komm, packen wir's aus, ich platze vor Neugier!"

Emily lachte. "Nichts da, das machen wir heute Nachmittag. Aber ihr könnt mir helfen, dieses Riesenteil zu uns nach oben zu befördern."
Das taten die beiden nur zu gerne und genossen die neidischen Blicke von den anderen Tischen.

"Ihr seid wohl nicht mehr rechtzeitig zum Einkaufen gekommen", versuchte Millicent Bullstrode ihre Missgunst zu übertünchen.

"Wer geht denn heutzutage noch einkaufen", ließ sich Hermine zu einer Antwort herab. "Ein Zauberer von Welt lässt seine Festtagsausstattung einfliegen, das ist viel stilvoller."
Alles lachte und fragte sich um so mehr, was Emilys geheimnisvolles Paket wohl alles enthalten mochte.

Selbst Snape lächelte still in sich hinein. Anscheinend planten die Gryffindors für morgen etwas Größeres - und ausnahmsweise war ihm das sogar einmal sehr Recht. Sehnsüchtig betrachtete er Emilys schlanke Gestalt, fragte sich, wie sie wohl in einem eleganten Kleid aussehen würde. Wenn er das abgehärmte, dürre Geschöpf mit der aparten, selbstbewussten jungen Frau verglich, zu der sich Emily in dieser kurzen Zeit entwickelt hatte … er lächelte ihr verstohlen zu und für den Bruchteil einer Sekunde wurde das Lächeln erwidert. Sein Herz begann, schneller zu klopfen und er musste seine Gedanken gewaltsam in andere Bahnen lenken.

Professor Dumbledore waren Snapes Blicke nicht entgangen, doch er ließ sich nichts anmerken. ‚Unglaublich, was Morticia da für ein Teufelszeug entwickelt hat', dachte er voller Bewunderung, denn er hatte noch nie gesehen, wie das Amoris-Pulver wirkte, wenn es sich voll entfaltete. Die Wirkung musste längst abgeklungen sein, doch das, was es freigesetzt hatte, war erhalten geblieben.
‚Wahrscheinlich hat Morticia Severus damit sogar einen Gefallen getan, wenn er es auch nie erfahren wird', überlegte Dumbledore weiter. ‚Denn ohne dieses Pulver wäre er wohl niemals in der Lage gewesen, sich solche Gefühle einzugestehen und diese Erfahrung überhaupt zu machen.'

Nur die Slytherins machten betretene Gesichter, denn mit ihrer spöttischen Bemerkung hatte Hermine sie ziemlich provinziell aussehen lassen.

~*~


Sämtliche Lehrer hatten eingesehen, dass sie heute mit ihrem Unterricht keinen Blumentopf gewinnen konnten und waren nachsichtig mit ihrer unaufmerksamen Schülerschar, selbst bei Snape durfte man heute ungestraft Luftholen.
Und endlich waren die Schulstunden vorüber und man konnte sich angenehmeren Dingen zuwenden.

In Gryffindors Gemeinschaftsraum machten sich die Mädchen eifrig daran, Emilys Paket auszupacken - und brachen bei jedem Stück, was da zutage kam, in begeisterte Rufe aus.

"Hinreißend, dieses rote hier", rief Lavander, hielt es sich an und drehte sich bewundernd vor dem Spiegel über dem Kamin. "Darf ich das morgen anziehen, Emily?"

"Na klar, dafür ist das Zeug ja da." Emily fischte lachend eines in Dunkelblau heraus. "Das hier ist mein Lieblingskleid, das bekomme ich. Unter allen anderen habt ihr freie Auswahl."

Das ließen sich die Mädchen nicht zweimal sagen und wühlten begeistert in der Kiste, selbst Hermine, die sich sonst nicht viel für festliche Garderobe übrig hatte, machte mit. Und es waren so viele, dass auch die Mädchen der unteren Jahrgangsstufen etwas abbekamen.

"Lavander und Parvati, ihr müsst mir dafür dann bitte morgen mit meinen Haaren helfen," bat Emily, als alles verteilt war. "Und mit dem Anmalen auch, ich komme damit alleine einfach nicht zurecht."

"Aber gerne, wir werden dich wunderschön zurecht machen", versprachen die beiden.

"Es ist nicht zu fassen, wie man so viele Kleider haben kann", wunderte sich Hermine. "Hast du die dir alle selbst ausgesucht?"

"Kein Gedanke, bis auf mein Blaues hier hat alle meine Mutter angeschafft. Mir ist so etwas auch nicht so wichtig." Emily schüttelte selbst über die große Anzahl den Kopf. "Ich wusste gar nicht, dass es so viele sind, die meisten davon habe ich noch nie angehabt."

"Wie kann man nur solche Kleider haben, ohne sie jemals auch nur anprobiert zu haben?" Lavander verstand die Welt nicht mehr. "Wenn ich so was zuhause hätte …"

"Würdest du dich wahrscheinlich jeden Tag zwölfmal umziehen", vollendete Hermine den Satz.

"Es kann halt nicht jeder so ein Bücherwurm sein wie du." Lavander war viel zu glücklich, um sich an solchen Spitzen zu stören.

"Hast Recht", meinte Hermine gutmütig. "Es ist ja eigentlich ein Riesenglück, dass die Menschen so verschieden sind."

"Jedenfalls wird unser letztes großes Fest auf Hogwarts ein denkwürdiges Ereignis", sagte Ron. Er freute sich schon auf Dracos Gesicht, wenn er seinen neuen Festumhang ausführen würde.

"Das hoffe ich doch - und jetzt haben wir jetzt die besten Chancen, einen Tanz mit Narcissus zu ergattern", freute sich Parvati.

"Hauptsache, ich bleibe von ihm verschont!" Emily setzte ein spitzbübisches Lächeln auf. "Ich wäre euch also zutiefst dankbar, wenn ihr ihn mir vom Leib haltet."

"Du darfst dafür Snape ganz für dich alleine haben", konterte Lavander und alles lachte.

"Der tanzt sowieso mit niemandem", meinte Harry. "Obwohl … vielleicht macht er ja diesmal ne Ausnahme? Es schien beinahe so, als würde er sich auf morgen freuen."

Lavander schüttelte sich. "Eine schreckliche Vorstellung, von Snape zum Tanzen aufgefordert zu werden!"

Ron kicherte. "Würde ich auch so sehen aber ich glaube, du hast da nicht viel zu befürchten. Wenn überhaupt, wäre Emily wohl die einzige Kandidatin, die da in Frage käme."

Emily fand an dieser Vorstellung ganz und gar nichts Schreckliches, insgeheim hoffte sie sogar, dass genau das passieren würde. Mittlerweile kam ihr ihr Benehmen der letzten Tage doch ziemlich kindisch vor und sie hatte sich vorgenommen, dass es an der Zeit wäre, damit aufzuhören.
‚Es könnte dein Leben retten', hatte ihre Großmutter gesagt. Doch was bei allen explodierenden Kesseln hatte sie damit nur gemeint?

"Möchtest du morgen nicht doch in Begleitung gehen", wurde sie von Nevilles schüchterner Stimme unterbrochen, der sie flehentlich ansah. Sie lächelte ihm freundlich zu.

"Vielen Dank, Neville, aber zu so etwas gehe ich am liebsten alleine", sagte sie. "Bitte nicht beleidigt sein, es hat wirklich nichts mit dir zu tun."

"Das tun eh die meisten", meinte Seamus.

Neville lächelte tapfer. "Aber den ersten Tanz bekomme ich?" Das versprach ihm Emily, wenn sie auch insgeheim befürchtete, dass Neville ihr dabei ständig auf die Füße treten würde.

Bald darauf verebbten die Gespräche und die Gryffindors gingen relativ früh zu Bett, schließlich würde es morgen ein langer Abend werden, für den alle ausgeschlafen sein wollten.

~*~


Die Große Halle empfing sie bereits am Morgen festlich geschmückt und mit unzähligen Kürbissen dekoriert. Es ging das Gerücht, dass Professor Dumbledore sogar eine Band engagiert hatte, die am Abend für stilvolle Untermalung sorgen sollte.

Überall hatten sich die Mädchen aller Jahrgangsstufen zu mehr oder weniger großen Pulks zusammengefunden und diskutierten eifrig ihre Garderobe für den Abend.
Die Jungen ließen es indessen gemütlich angehen und manch einer tippte sich über der weiblichen Klamottenhysterie verhalten an die Stirn.

"In solchen Situationen bin ich jedes Mal zutiefst froh, nicht als Frau auf die Welt gekommen zu sein", verkündete Ron und nahm sich eine zweite Portion Rührei. "Ich weiß nicht wie ich es durchstehen würde, mich stundenlang über irgend so ein dummes Kleid unterhalten zu müssen."

"Mädchen haben da ein paar zusätzliche Gene", vermutete Harry. "Anders kann ich es mir zumindest nicht erklären."

"Jedenfalls haben wir es wesentlich einfacher", meinte Seamus. "Wir schmeißen uns einfach in unseren Festumhang und sind fertig - ohne vorher Stunden im Bad verbringen zu müssen."

"Es soll auch männliche Wesen geben, die, zumindest in bestimmten Situationen, auch etwas mehr Aufmerksamkeit auf ihr Äußeres verwenden", sagte Parvati spitz. "Und wenn ihr mich fragt, ich halte das nicht für die schlechteste Idee."

"Wir haben dich aber nicht gefragt." Ron grinste ungeniert. "Und überhaupt, wir wollen doch keinesfalls unserem schönen Narcissus den Rang ablaufen …" Seine Geschlechtsgenossen kicherten beifällig.

"Das würdet ihr sowieso niemals schaffen", gab Parvati etwas pikiert zurück. "Aber bitte, wenn ihr alle wie Snape aussehen wollt, tut euch keinen Zwang an."

"Der sieht doch seit einiger Zeit sogar ganz präsentabel aus", meinte Harry nachdenklich. "Und das, obwohl er bei der Twinkleto nicht landen konnte."

"Mag sein", musste Parvati einräumen. "Trotzdem, wenn man ihn mit Narcissus vergleicht …"

"Kommt Snape auf jeden Fall um Klassen besser weg", vollendete Emily den Satz, die das Geplänkel am Rande mitverfolgt hatte. "Er macht sich wenigstens nicht zum Affen, indem er wie ein Pfau einherstolziert."

Alle schauten hinüber zum Lehrertisch, wo Mayflower und auch Snape soeben ihr Frühstück beendeten - und zumindest die Jungen gaben Emily auf der ganzen Linie Recht.
Der finstere Snape mochte zwar nicht gerade als Ausbund an Attraktivität durchgehen, doch der farbenfroh gekleidete und ständig affektiert lächelnde Mayflower wirkte um einiges unerträglicher.

"Wenigstens könnte er mal etwas weniger sauertöpfisch dreinschauen", lästerte Seamus und als ob Snape seine Worte gehört hätte, hob er den Kopf und blickte in die Runde. Dabei stahl sich beinahe ein Lächeln in seine Mundwinkel.

"Ich fasse es nicht", japste Ron. "Eine Party droht - und Snape hat gute Laune. Emily, als unser Fachmann für Zaubertränke frage ich dich: Welches Wundermittel hat man ihm verpasst?"

Emily lachte lauthals heraus. "Frag mich nicht, das übersteigt meine Kenntnisse. Auf jeden Fall könnte man mit so etwas, wenn es denn existiert, ein Vermögen machen."

Ihr helles, vergnügtes Lachen drang bis an den Lehrertisch und Snape fühlte, wie sich seine Laune noch etwas hob. ‚Wie wundervoll ihr Lachen klingt', dachte er. ‚Schade, dass sie es nur so selten hören lässt.'

Wenn Dumbledore vermutet hatte, dass Morticia ihm mit dem Amoris-Pulver einen Gefallen getan hatte, lag er damit nur zum Teil richtig.
Snape fühlte sich zwar einerseits fast schon glücklich, ohne dass er genau hätte sagen könnte, woran das lag, war aber mindestens ebenso sehr völlig verwirrt und außerstande zu verstehen, was da eigentlich mit ihm vorging. Es war ein wenig, als wäre er zum Spielball von etwas geworden, was außerhalb seines Begriffsvermögens lag. Lust und Begehren waren ihm durchaus vertraut, aber daß dieses mit solch eigenartigen Gefühlen Hand in Hand gehen konnte, war für ihn ziemliches Neuland.

‚Jahrzehntelang hast du alle verachtet, denen so etwas passiert ist", spottete seine innere Stimme. ‚Und jetzt hat es dich doch noch eingeholt - und auch noch in Form von einer deiner Schülerinnen.'

Und zu seinem eigenen Erstaunen begann er diese Tatsache sogar sehr angenehm zu finden. Jetzt blieb nur noch abzuwarten, wie Emily reagieren würde …

~*~


Emily ahnte nichts von Snapes Gedanken, sie warf sich mit den anderen zusammen mit Feuereifer auf die Vorbereitungen. Und als es an der Zeit war, in die Große Halle zu gehen, hatten Lavander und Parvati ein kleines Wunder vollbracht.
Emily stand fassungslos vor dem Spiegel im Bad und erkannte sich selbst kaum wieder.

"Wir haben dir doch versprochen, dass du toll aussehen würdest", meinte Parvati und betrachtete selbstzufrieden ihr Werk. Sie hatte Emilys langes Haar kunstvoll eingeflochten und mit silbernen Spangen hochgesteckt, während Lavander ihr mit dem Make-up geholfen hatte. Emily war immer noch nicht schön im landläufigen Sinne, doch sehr apart und irgendwie außergewöhnlich. Das Blau ihres Kleides ließ ihre Augen strahlen und der weit ausladende Rock betonte ihre zerbrechlich wirkende Gestalt.

"Da könnte man fast neidisch werden", seufzte Lavander. "Ich weiß beim besten Willen nicht, wie wir Mayflower von dir abhalten sollen."

Emily machte ein entsetztes Gesicht, bis sie Lavanders Augenzwinkern bemerkte. "Ich weiß nicht, was ihr habt, ihr seid doch viel schöner", meinte sie dann und lächelte. "Jedenfalls viel mehr im Stil von den Dingen, die Narcissus gefallen."

"Meinst du wirklich?" Lavander erwiderte ihr Lächeln, was sie sehr hübsch aussehen ließ.

"Ganz bestimmt", versicherte Emily. "Besonders, wenn du ihn so anlächelst …"

Sie gingen alle zusammen in den Gemeinschaftsraum, wo die Jungen schon warteten.

"Auch wenn ihr ewig gebraucht habt, es hat sich gelohnt", sagte Ron voller Bewunderung. "Ihr seid ja nicht wiederzuerkennen!"

"Dann können wir ja runtergehen", meinte Hermine unternehmungslustig. "Aber halt, wo steckt Harry denn?"

"Der ist schon los, Cho abholen."

"Dann lasst es uns den Slytherins zeigen!"
Und lachend machte sich die festlich herausgeputzte Schar auf den Weg in die Halle.

Dort herrschte schon Hochbetrieb. Tatsächlich war eine Bühne aufgebaut worden, auf der eine Band spielte. Alle Tische waren entfernt, statt dessen war an einer Wand ein gewaltiges Buffet aufgebaut worden, wo sich jeder nach Herzenslust bedienen konnte.

"Die armen Hauselfen müssen sich ja halb tot geschuftet haben", rief Hermine, als sie die ganzen Köstlichkeiten sah. Niemand würdigte sie einer Antwort denn keiner hatte Lust, sich ausgerechnet heute mit Hermine auf eine längere Grundsatzdiskussion einzulassen.

Ihr gemeinsamer Auftritt zeigte jedenfalls die erwünschte Wirkung. Fast alle der bereits Anwesenden musterten sie, die Jungen voller Bewunderung, die Mädchen eher etwas neidisch.
Jeder hatte sich zwar viel Mühe gegeben, etwas Besonderes anzuziehen, doch mit den Kleidern aus Emilys Paket konnte niemand mithalten.

Draco Malfoy fiel buchstäblich beinahe die Kinnlade hinunter. Einmal, als er Ron in seinem Festumhang bemerkte (wie zum Teufel kam ein schäbiger Weasley an ein solch wunderschönes Stück), dann, als er Emily sah. Jetzt bedauerte er es plötzlich zutiefst, sich nicht mehr um sie bemüht zu haben, denn neben ihr wirkte Pansy, die ihn begleitete, plump und gewöhnlich.

Severus Snape hatte sich bis jetzt eher im Hintergrund gehalten und unauffällig die Treppe im Auge behalten. Als er jetzt die Gryffindors mit Emily in ihrer Mitte hereinkommen sah, fand er es plötzlich schwierig, zu atmen.
Sie strahlte und versprühte nahezu gute Laune. So würde sie sich vor Bewunderern kaum retten können und in ihm meldeten sich nagende Zweifel, ob sie ihn überhaupt beachten würde … aber der Abend hatte ja eben erst begonnen.

In der Mitte der Halle wurde bereits getanzt und Neville machte einen zaghaften Schritt auf Emily zu.
"Was meinst du, wollen wir?"

"Aber sehr gerne", lächelte Emily und ließ sich von ihm auf die Tanzfläche führen. "Ich hoffe, ich trete dich nicht, ich tanze nämlich nicht so besonders gut", gestand Neville verlegen.
"Macht nichts, das bekommen wir schon hin", meinte sie und zuckte im nächsten Moment zusammen, als Neville ihr auf den Fuß gestiegen war. Sie nahm seinen Arm fester. "Am besten, du lässt mich führen. Hör einfach nur auf die Musik - und schau auf keinen Fall auf deine Füße!"

Auf diese Weise funktionierte es erstaunlich gut und Neville entspannte sich sichtlich.

"Vielen Dank für den Tanz", sagte Emily, als das Lied vorüber war. "Und laß dir von niemandem einreden, du könntest nicht tanzen."
Neville strahlte und machte sich auf die Suche nach einem neuen Opfer, während Emily das Buffet in Augenschein nahm und außerdem alle Anwesenden in Ruhe musterte.

Die Überraschung des Abends dürfte jedoch Professor Snape sein. Er schien blendender Laune, hatte gerade mit Madame Hooch getanzt und näherte sich jetzt einer kleinen Gruppe Ravenclaws.

"Was meinen Sie, Miss Forsythe, würden Sie mir die Ehre des nächsten Tanzes gewähren", wandte er sich an Ravenclaws Vertrauensschülerin.
Diese war viel zu verblüfft um abzulehnen und als Snape sie dann auch noch freundlich anlächelte, verstand sie zwar die Welt nicht mehr, doch sie willigte ein.

Emily gewahrte Harry, der etwas abseits stand und sich mit Cho unterhielt. Die beiden waren nicht die Einzigen, die den doch ziemlich veränderten Snape voller Verblüffung betrachteten.
"Könnt ihr mir sagen, was heute mit Snape los ist?", fragte sie. "Ich dachte, er würde Partys hassen und schon gar nicht tanzen!"

"Das wollte ich dich auch gerade fragen", entgegnete Harry. "So hat er sich noch nie benommen - ich hätte nie gedacht, dass er überhaupt tanzen kann."

"Und er hat sich tatsächlich auch etwas in Schale geschmissen", fügte Cho kopfschüttelnd hinzu. Snape trug zwar sein übliches Tiefschwarz, doch wurde das heute von einem prachtvollen Festumhang aus schimmerndem Satin aufgewertet.

Als das Stück zuende war, forderte Snape eine weitere Schülerin auf, brachte sogar die eine oder andere charmante Bemerkung zustande - und schien sich bestens zu amüsieren.
Der so gefürchtete Zaubertränkemeister war wie ausgewechselt und viele Mädchen warteten gespannt, ob sie auch von ihm aufgefordert werden würden. Schon jetzt war sicher, dass man von diesem Halloween noch lange sprechen würde.

Emily tanzte auch ab und zu - und wunderte sich. Was hatte Snape vor? Denn dass er für sein Verhalten einen bestimmten Grund geben müsste, daran zweifelte sie nicht. Oder legte er es darauf an, Mayflower auszustechen? Das war eher unwahrscheinlich, denn Narcissus konnte sich über mangelnde Bewunderinnen nicht beklagen. Gerade schwenkte er schwungvoll Lavander über die Tanzfläche, die übers ganze Gesicht strahlte.

Zwei Dinge fielen Emily auf: Erstens, dass Snape anscheinend sehr gut tanzen konnte (was sie selbst auch niemals vermutet hätte), und zweitens, dass er Laryssa Twinkleto eisern ignorierte. Sie hatte ihm zwar schon mehrmals erwartungsvoll zugelächelt, doch er hatte sie jedes Mal links liegen lassen. Und da Mayflower lieber mit den Schülerinnen zu tanzen schien, machte Laryssa ein ziemlich missvergnügtes Gesicht - was Emily zutiefst freute.

Als die Band eine kleine Pause machte, holte sie sich ein Glas Fruchtpunsch und schwatzte ein wenig mit ihren Hausgenossen. Alle waren bester Laune, das Fest war ein voller Erfolg.
Plötzlich sah sie voller Schrecken, wie Professor Mayflower zielstrebig auf sie zusteuerte.

"Miss McElwood, endlich finde ich die Zeit, mich Ihnen zu widmen", tönte er. "Darf ich Sie um den nächsten Tanz bitten?"
Die Band setzte wieder ein und zu Emilys Unmut auch noch mit einem langsamen Stück.
Sie wusste nicht, dass Snape die Szene sehr genau beobachtet hatte.

Jetzt oder nie', dachte er sich. ‚Das ist die Gelegenheit, auf die du den ganzen Abend gewartet hast.' Und mit dem Mut der Verzweiflung drängte er sich zu Emily und Mayflower durch.

"Verzeihung, werter Kollege", sagte er, an Mayflower gewandt. "Aber diesen Tanz hat Miss McElwood bereits mir versprochen."

Emily starrte ihn verblüfft an, dann durchzuckte sie ein bösartiger Gedanke: ‚Ich könnte ihn einfach stehen lassen und mit Mayflower tanzen. Er wäre restlos blamiert und ich hätte mich gründlichst gerächt. Auge um Auge, wie es bei den Muggeln so treffend heißt.'
Und seinem Gesichtsausdruck nach war er sich dieser Tatsache auch sehr wohl bewusst.

Dann verstand sie. ‚Er gibt mir absichtlich diese Gelegenheit. Die ganze Schule würde über ihn lachen, Mayflower vorneweg, wenn ich das tun würde - es wäre ein vernichtender Schlag für seinen Stolz.
Ich bin ihm aus dem Weg gegangen, habe mich geweigert, mit ihm zu reden. Jetzt bietet er mir auf diese Art Entschuldigung und Wiedergutmachung an.'


Emily begriff, was es ihn gekostet haben musste, sich dermaßen in ihre Hand zu begeben, für ihn war es ein Spiel mit höchstem Einsatz. Aber sie wäre um keinen Deut besser als er, wenn sie sich jetzt ebenfalls schäbig verhalten würde.
Deshalb lächelte sie ihm zu und nahm seinen dargebotenen Arm.
"Richtig, das hätte ich ja beinahe vergessen", meinte sie und konnte sich dafür darüber freuen, wie Mayflowers siegessicheres Grinsen gefror.

Noch mehr freute sie sich allerdings über Snapes Worte.
"Meine Hochachtung, Miss McElwood", sagte er leise. "Sie haben mehr Charakter bewiesen als ich es wohl zustande gebracht habe. Und nicht wenige hätten diese Chance genutzt, gleiches mit gleichem zu vergelten."

"Es ist mir durch den Kopf gegangen", gestand sie. "Aber wenn ich das getan hätte, würde ich mir dadurch selbst das Recht absprechen, auf Sie wütend zu sein."

Er maß sie mit einem unergründlichen Blick. "Sind Sie noch immer wütend auf mich? Ich könnte es ja verstehen und möchte Sie deshalb hier in aller Form um Verzeihung bitten. Es wird nie wieder vorkommen."

Emily überlegte. "Wütend eigentlich nicht mehr, aber immer noch verletzt."

Snape blickte fast kummervoll drein. "Kann ich das irgendwie wieder gutmachen?"

"Sie haben mich immerhin gerade vor Mayflower gerettet und dafür bin ich zutiefst dankbar." Seine Miene hellte sich auf. "Aber warum ist Ihnen das eigentlich so wichtig, welche Meinung ich von Ihnen habe?", hakte Emily nach und jetzt blickte Snape ziemlich verlegen drein.

"Weil … weil ich unsere gemeinsamen Abende vermisse", sagte er dann. "Ich habe mich in Ihrer Gesellschaft wohl gefühlt - und wie soll der Effingo denn jemals fertig werden, wenn Sie mir nicht helfen?"

Sie erreichten die Tanzfläche und Snape legte vorsichtig den Arm um sie, ängstlich bedacht, dass er sie nicht zu eng an sich zog. Anderenfalls hätte sie sicher bemerkt, dass es noch einen weiteren Grund gab, aus dem ihm ihre Meinung wichtig war, doch den brauchte sie jetzt noch nicht zu erfahren. Der Anfang war gemacht, das Risiko hatte sich ausgezahlt. Alles weitere würde sich ergeben.

"Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn Sie mich hätten stehen lassen und mit Mayflower losgezogen wären", sagte er.

"Ich auch nicht", lächelte Emily. "Ich hatte die Wahl, entweder mit Ihnen zu tanzen - oder mindestens fünf Minuten lang Mayflowers dummes Geschwätz über mich ergehen lassen zu müssen. Und da sind Sie mit Abstand das kleinere Übel."
Sie zwinkerte ihm zu und er lächelte zurück. Wenn Emily wieder zu ihrer spitzbübischen Art zurückgefunden hatte, hatte sie ihm wohl verziehen.

"Mich würde aber interessieren, warum Sie heute so gute Laune haben", sagte sie dann. "Alle sagen, Sie mögen solche Veranstaltungen nicht - und beim Tanzen hat Sie auch noch niemand gesehen."

‚Weil mir endlich eine Lösung eingefallen ist, das Problem wieder in Ordnung zu bringen', wäre er beinahe herausgeplatzt.
"Eigentlich ist es doch ganz reizvoll - und wie hätte es denn ausgesehen, wenn ich nur mit Ihnen getanzt hätte? Das hätte ein ziemliches Gerede gegeben", sagte er statt dessen.

"Das wird es so und so."

"Aber niemand wird sagen, ich würde Sie bevorzugen - oder ein unangemessenes Interesse an Ihnen hegen."

"Tun Sie das denn?"

"Aber natürlich. Ich hatte noch nie eine so talentierte Assistentin."
Wieder dieser unergründliche Blick und Emily sah ein, dass hier, in aller Öffentlichkeit, nicht gerade der geeignete Ort war, dieses Thema weiter zu erörtern.

"Darf ich also morgen Abend wieder mit Ihrer Anwesenheit im Labor rechnen?", rettete sich Snape auf sicheres Terrain. "Ich würde mich wirklich sehr freuen."

"Sie dürfen. Ich habe diese Abende auch vermisst", entgegnete Emily.
Die Musik klang aus und plötzlich stand Ron neben ihnen.
"Darf ich abklatschen, Professor Snape?"

Wenn es nach Snape gegangen wäre, hätte Ron zum Teufel gehen können, aber er ließ sich diesen Gedanken nicht anmerken.

"Aber sicher, Mr. Weasly", sagte er statt dessen. "Genießen Sie es, mit der hübschesten Dame des Abends zu tanzen." Mit diesen Worten ließ er Emily - zu seinem nicht unerheblichen Bedauern - los. "Vielen Dank für den Tanz, Miss McElwood."

"Hui, der kann ja sogar richtig charmant sein", wunderte sich Ron, als Snape außer Hörweite war.

"Ja, nicht wahr? Dabei haben wir uns die ganze Zeit über die Arbeit im Labor unterhalten", log Emily. "Ich sag's ja immer: Zaubertränke können sehr inspirierend sein."

Danach stellte sich Emily etwas abseits an eine Säule. Sie wollte einen Moment lang in Ruhe nachdenken, doch dazu kam sie nicht.

"Hier sind Sie ja wieder, Miss McElwood", erklang Mayflowers Stimme, und schon stand er direkt vor ihr. Und diesmal war niemand da, um sie zu retten.

"Ich ruhe mich etwas aus, Professor", sagte Emily. "Das viele Tanzen macht müde."

Er schaute sie an und diesmal lag keine Freundlichkeit in seinem Blick. "Was hat eigentlich ein Snape, was ich nicht habe?", verlangte er dann zu wissen.

Emily seufzte. "Wo soll ich anfangen? Er ist intelligent und versteht sein Fach, und wenn er will, ist er witzig und kann sogar charmant sein. Er muß nicht ständig im Mittelpunkt stehen und verbringt garantiert auch keine Stunden vor dem Spiegel, um sein Aussehen zu bewundern. Und außerdem riecht sein Rasierwasser nicht so süßlich-penetrant wie das Ihre. Reicht das?" Sie hatte sich nicht die geringste Mühe gegeben, freundlich zu sein und hoffte, Mayflower möglichst schnell wieder los zu werden.

"Mit Ihrer Art werden Sie noch eine Menge Probleme bekommen", entgegnete Mayflower und bemühte sich sichtlich, nicht allzu kühl zu klingen.

"Das kann Ihnen doch egal sein. Professor, wir beide mögen uns nicht sonderlich, also, was wollen Sie eigentlich von mir?"

"Wie kommen Sie darauf, dass ich Sie nicht mag? Ich schätze Ihren Verstand - und ich könnte für Sie sehr nützlich sein, wenn es darum geht, die richtigen Leute kennenzulernen."

"Danke, aber das schaffe ich schon alleine. Jedenfalls habe ich keinerlei Nutzen für Sie und ich schätze Sie nicht als einen Menschen ein, der anderen einfach so ohne Gegenleistung einen Dienst erweist."

Mayflower schien nicht beleidigt zu sein, aber er druckste jetzt herum.
"Nun, da gäbe es tatsächlich etwas, was Sie für mich tun könnten, Miss McElwood …" Und als Emily schwieg, setzte er hinzu: "Der Merlin Orden. Erster Klasse."

"Was ist damit?"

"Ihr Vater hat den Vorsitz in dem Ausschuß, der für die Ordensverleihung zuständig ist. Und da dachte ich, wenn Sie bei ihm ein gutes Wort für mich einlegen …"

Emily lachte. "Vergessen Sie's. Mein Vater ist nicht der Typ, bei dem man in solchen Dingen ein gutes Wort einlegen könnte. Wenn Sie den Merlin verdient haben, werden Sie ihn erhalten. Wenn nicht, wäre ich die letzte, die daran etwas ändern könnte."

"Aber er würde es doch sicher in Erwägung ziehen, wenn seine eigene Tochter vorschlagen würde …"

"Er würde seiner eigenen Tochter bestenfalls sagen, dass sie ihre Nase nicht in Dinge stecken soll, von denen sie nichts versteht", klärte Emily ihn auf. "Und er würde sehr ärgerlich werden, weil er es nicht leiden kann, wenn seine Familie meint, ihm in seine Geschäftsangelegenheiten irgendwie dreinreden zu müssen. Glauben Sie mir, wenn ich ihn darauf ansprechen würde, würde das Ihre Chancen eher noch mindern."

Mayflower machte ein zutiefst enttäuschtes Gesicht. "Nun, wenn das so ist, kann man wohl nichts machen", sagte er kläglich. "Dann verzeihen Sie bitte die Belästigung - und wenn ich das trotzdem noch sagen darf: Sie sehen heute wirklich wunderschön aus. Wenn Sie etwas weniger kratzbürstig wären, würden Ihnen alle Männer zu Füßen liegen." Mit diesen Worten entfernte er sich und Emily blieb kopfschüttelnd zurück.
‚Eigentlich ist er ein armes Würstchen', dachte sie. ‚Aber dass er noch einen halbwegs stilvollen Abgang zuwege bringt, hätte ich ihm gar nicht zugetraut.'

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