Blutsbande - Kapitel 8: Dunkle Schatten

 

 

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Kapitel 8: Dunkle Schatten



Auch an einem ganz anderen Ort machte man sich über dieses Thema Gedanken.

"Er hat angebissen, Meister", sagte eine Stimme gerade. "Er weiß es nur noch nicht."

"Guuut", ertönte ein unheimliches Flüstern, das von einer schemenhaften Gestalt zu kommen schien. "Der Plan ist zwar völlig aberwitzig, doch erstaunlicherweise scheint er zu funktionieren!"

Hoffentlich', dachte der junge Mann inbrünstig, als er fröstelnd vor das flackernde Kaminfeuer trat. ‚Ich wage gar nicht daran zu denken, was passiert, wenn es schief gehen sollte…'

"Ich gebe zu, ich habe dich unterschätzt."
Das war wieder der Schatten, der unruhig im Raum umherwaberte. Es war schwer, seine genauen Umrisse auszumachen, dennoch wären seine rudimentären Gesichtszüge wohl von jedem in der Zauberwelt erkannt worden.
Aus diesem Grund hielten sich die beiden auch in diesem abgelegenen Landhaus versteckt.
Niemand würde sie hier vermuten - und so konnten sie ungestört darangehen, ihre dunklen Pläne in die Tat umzusetzen.

Der junge Mann lächelte selbstbewusst. "Diesen Fehler haben schon so einige gemacht", meinte er. ‚Und meistens war es ihr letzter', fügte er in Gedanken hinzu, doch das konnte er seinem Gegenüber natürlich nicht sagen. Noch nicht.

"Ich werde dich nicht unterschätzen", sagte der Schatten drohend. "Vergiss das besser niemals!"

"Natürlich nicht, Meister", entgegnete der Mann. Er stand jetzt mit dem Rücken zu seinem seltsamen Gesprächspartner, so dass dieser das verächtliche Lächeln nicht wahrnehmen konnte, das um seine Mundwinkel spielte.

"Dank deiner Hilfe werde ich mit jedem Tag stärker - und wenn alles vorbei ist, werde ich auch wieder einen fleischlichen Körper haben." Der Schatten klang zufrieden.
"All die Jahre des Wartens, doch nun sind wir bald am Ziel. Dieser Plan wird ein Meisterstück - und er wird die Zauberwelt bis in die Grundfesten erschüttern. Ich bewundere deine Genialität, wie du soviel Doppelbödigkeit ersinnen konntest."

Der junge Mann hatte jetzt Mühe, nicht laut herauszulachen. Doppelbödigkeit? Sein ‚Meister' hatte ja keine Ahnung, dass die von langer Hand geplante Aktion nicht zwei, sondern drei doppelte Böden besaß - doch wenn er es dann merken würde, würde es zu spät sein.
Er ließ alle Gefühle von seinem Gesicht verschwinden, als er sich umdrehte.

"Es ist mir eine Ehre, Ihnen dienen zu dürfen, Meister!" Jetzt war er wieder die Unterwürfigkeit in Person.

"Und dafür werde ich dich reich belohnen", entgegnete der Schatten. "Du hast das Zeug dazu, mein Erbe anzutreten!"

‚Und zwar schon viel eher, als du es dir auch nur träumen läßt', dachte der Mann den Satz zuende. "Trotzdem, es ist noch nicht soweit und wir dürfen jetzt nicht ungeduldig werden", meinte er laut. "Aber nach all den Jahren spielen ein paar Monate mehr oder weniger schließlich auch keine Rolle mehr."

"Wie wahr - doch ich kann es kaum noch erwarten, endlich meine Rache zu bekommen! Sieh zu, was die Kleine gerade macht!"

"Das weiß ich nicht, Meister", entgegnete der Angesprochene wahrheitsgemäß. "Die Verbindung ist noch immer zu schwach. Aber sie wird stärker werden, " Beeilte er sich zu versichern, als sein Herr ein unzufriedenes Gesicht machte.
Dabei war er sich dessen gar nicht so sicher. ‚Bei aller schwarzer Magie, es durfte jetzt einfach nicht mehr schief gehen', dachte er. Schließlich hing seine Zukunft davon ab… und damit auch die Zukunft der Zauberwelt…

Er musterte den Schatten, der jetzt schon seit einigen Jahren sein einziger Gefährte war.
Hoffentlich würde sich sein launenhafter ‚Herr' in Zukunft endlich zu beherrschen lernen.

"Wenn ich etwas anmerken dürfte, mein Lord", begann er vorsichtig. "Sie sollten sich mit den unverzeihlichen Flüchen etwas zurückhalten, jedenfalls, bis es soweit ist. Anderenfalls könnte man uns auf die Spur kommen - und außerdem brauchen wir die Kleine noch."

"Es hat wohl wehgetan?", höhnte der Schatten.

"Es war zu ertragen - und sie bedeutet mir nichts, nicht mehr", entgegnete der junge Mann. Doch innerlich kochte er vor Zorn. "Du wirst für jedes einzelne Mal teuer bezahlen, das schwöre ich dir', dachte er. Dann holte er tief Atem. Er musste unbedingt seine Wut abreagieren, anderenfalls wusste er nicht, was passieren würde.

"Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, Lord Voldemort, ich würde mich gerne zurückziehen. Ich brauche etwas… Anwechslung."

"Dann geh", herrschte ihn der Schatten an und der Mann wandte sich ab.

"Lennard", sagte der Schatten noch. "Sieh zu, dass dich niemand sieht!"

"Sie müssen sich deswegen keine Sorgen machen, Meister", versicherte der junge Mann mit einem Lächeln, das jedem außer Voldemort das blanke Grauen eingejagt hätte. "Ich bin kein Anfänger und beherrsche mein Fach!" Und mit diesen Worten disapparierte er.

‚Genau das ist es, was mich etwas beunruhigt', dachte Voldemort. Doch warum sollte er seinem Zögling nicht ab und zu auch etwas Spaß gönnen?



***



Mitternacht war längst vorüber, doch noch immer fand Professor Dumbledore keinen Schlaf. Unruhig wanderte er in seinen Räumen auf und ab und versuchte, in all den Vorkommnissen einen Zusammenhang zu finden. Wenn es ihn denn überhaupt gab.

Dumbledore war sich da nicht restlos sicher, doch seine Intuition sagte ihm, dass alles etwas miteinander zu tun hatte.
Die schrecklichen Angriffe auf Bürger der Zauberwelt, die vor ein paar Jahren begonnen hatten, schienen sich immer mehr zu häufen - und sich seit neuestem auch auf die Muggel auszudehnen.

Bis jetzt hatten diese Vorkommnisse größtenteils unter den Teppich gekehrt werden können - da hatte das Zaubereiministerium wirklich ganze Arbeit geleistet - doch wenn sich außer ihm noch jemand die Mühe machte, zwei und zwei zusammenzuzählen, würde es auffallen.

Irgendjemand trieb sein Unwesen, indem er andere Menschen aufs Schrecklichste quälte, nicht selten sogar bis zum Tode. Und niemand konnte sich erklären, wer da dahintersteckte.

Voldemort? Doch das war eher unwahrscheinlich. Der dunkle Lord war wohl noch irgendwo und in irgendeiner Form am Leben, darüber hegte Dumbledore nicht die geringsten Zweifel. Doch er würde sich nicht damit begnügen, vereinzelt Menschen mit den schrecklichsten Zaubern und Flüchen anzugreifen - um dann wieder im Nichts zu verschwinden.
Voldemort war zwar von eher ungeduldiger Natur - doch er war nicht dumm. Wenn er wieder stark genug wäre, würde er seine Kräfte zu einem einzigen Schlag gebündelt haben - und sich nicht auf Nebenschauplätzen verzetteln, bei denen die Gefahr, entdeckt zu werden, jedes Mal aufs Neue gegeben war.

Nein, das war nicht Voldemorts Handschrift.

Obwohl, die Sache mit der kleinen McElwood und dem modifizierten Cruciatus könnte etwas damit zu tun haben. Könnte.
Wäre es möglich, dass der dunkle Lord an all den anderen Opfern der letzten Jahre sozusagen nur ‚geübt' hatte?
Bis er stark genug war, die Barrieren von Hogwarts zu durchbrechen?

Dumbledore seufzte.
Doch warum dann ausgerechnet Emily McElwood? Warum nicht er selbst - oder Potter? Es musste doch für Voldemort lohnendere Ziele geben, als ein verzogenes, siebzehnjähriges Mädchen, das es aus unerfindlichen Gründen darauf anlegte, an keiner Schule lange zu bleiben.

Dem Schulleiter war Mr. McElwoods Vergangenheit als Todesser durchaus bekannt, doch wenn sich Voldemort tatsächlich an ihm rächen wollte, gäbe es wirkungsvollere Methoden, als ausgerechnet seine Tochter mit dem Cruciatus zu quälen.

Dumbledore konnte es drehen und wenden, wie er wollte, es ergab einfach keinen Sinn. Er hatte ein schlechtes Gewissen, dass er den Ernst der Situation so heruntergespielt hatte, doch er hatte keine andere Möglichkeit gesehen.

Und wenn nicht nur der Cruciatus, sondern auch Avada Kedavra… es war gar nicht auszudenken, was das bedeutete. Die gesamte Zauberwelt war in Gefahr.
Schweren Herzens entschloß sich Dumbledore, dass das Zaubereiministerium informiert werden müsste.
Sie würden Emily befragen müssen, auch wenn er nicht glaubte, dass die Kleine tatsächlich etwas wusste. Aber in dieser Situation musste man nach jedem Strohhalm greifen.

Doch vorher würde er noch etwas abwarten, ob Snape nicht irgendetwas in Erfahrung bringen würde. Er kannte den Zaubertrankmeister lange genug um zu wissen, dass er früher oder später noch jedes Geheimnis ans Tageslicht befördern würde, so neugierig, wie er veranlagt war.



***



Emily, die natürlich nicht ahnte, was sich da zusammenbraute, hatte wieder einmal eine grauenvolle Nacht. Erneut hatten sie diese furchtbaren Visionen heimgesucht, und wieder einmal war sie schreiend aufgewacht. Sie wunderte sich gar nicht einmal so sehr darüber, denn bis jetzt war es jedes Mal so schlimm gewesen, nachdem sie den Cruciatus…

"Emily, so geht das wirklich nicht weiter", ertönte Hermines Stimme schlaftrunken durch den Raum. "Vielleicht macht es dir ja tatsächlich nichts aus, doch wir anderen brauchen unseren Schlaf."

Die restlichen Mädchen, die ebenfalls von ihren Schreien aufgeweckt worden waren, stimmten Hermine zu.

"Aber ich weiß doch auch nicht, was ich dagegen machen soll", jammerte Emily. Sie zitterte am ganzen Körper, noch ganz von den schrecklichen Bildern gefangen, die sie miterlebt hatte.

"Du gehst morgen zu Madame Pomfrey und lässt dir etwas gegen deine Albträume geben", verlangte Hermine. "Anderenfalls werde ich das übernehmen!"

Das passte Emily zwar ganz und gar nicht, doch sie musste unbedingt vermeiden, noch mehr aufzufallen, als sie es sowieso schon tat.

"Also gut, ich werde morgen mal Poppy fragen, was man dagegen tun kann", stimmte sie widerwillig zu.

Hermine nuschelte eine unverständliche Antwort und schien damit zufrieden zu sein. Nicht lange darauf verkündeten regelmäßige Atemzüge, dass ihre Zimmerkameradinnen wieder fest schliefen.

Emily lag wach in ihren Kissen. Sie war unendlich müde, doch sie wagte nicht, auch nur die Augen zu schließen. Wenn sie jetzt einschlief, würde es von vorne losgehen - und das war mehr, als sie im Augenblick ertragen konnte.

Erst gegen Morgen übermannte sie die Erschöpfung, und sie fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.



***



Den Wecker nahm Emily nicht einmal annähernd wahr und Hermine musste sie heftig rütteln, bis Emily endlich die Augen aufmachte.

"Höchste Zeit zum Aufstehen", meinte Hermine, "du musst dich beeilen, wenn du noch rechtzeitig zum Frühstück kommen willst!"

"Ich hab eh keinen Hunger", knurrte Emily und versuchte, sich die Decke über den Kopf zu ziehen.

"Nichts da, raus aus dem Bett!" Hermine war unerbittlich, dann stutzte sie. "So, wie du heute aussiehst, gehst du besser gleich in den Krankenflügel", ordnete sie an.

Und Emily fühlte sich zu schwach, um ihr zu widersprechen. Vielleicht gab es ja tatsächlich ein Mittel, das ihr helfen würde? Sie gönnte sich eine schwache Hoffnung. Langsam war sie so zermürbt, dass sie sogar ernsthaft in Erwägung zog, die Krankenschwester einzuweihen. Na ja, natürlich nur, soweit es unbedingt nötig war...

"Vielleicht sollten wir Poppy besser herholen", meinte Lavander, nachdem sie einen Blick auf Emily geworfen hatte.

"Nicht nötig, ich steh schon selber auf", entgegnete Emily und setzte sich auf.

"Mach besser ganz langsam, sonst liegst du gleich wieder flach!" Auch Parvati hatte sich dazugesellt und machte ein besorgtes Gesicht.

Emily schwankte ins Bad und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser. Danach fühlte sie sich etwas besser.

"Mädels, wo bleibt ihr denn so lange?", ließ sich Rons Stimme von unten vernehmen. "Heute haben wir doch gar keine Stunde bei Mayflower, ihr braucht also nicht stundenlang vor dem Spiegel zu stehen!"

"Klappe, Ron, Emily geht's nicht gut", rief Hermine zurück. "Geht schon mal vor, wir bringen sie zu Poppy."

"Ist es schlimm?" Das war Harry und er klang besorgt.

"Ach was", meinte Emily, jetzt mit etwas festerer Stimme. "Ich hab schlecht geschlafen und bin etwas übermüdet, das ist alles!"

"Ich frage mich, wann sie das letzte mal GUT geschlafen hat", sagte Lavander leise zu Parvati. "Diese ständigen Albträume müssen höllisch sein."

Parvati nickte nur. Langsam leuchtete sogar ihr ein, dass jemand, der sich mit so etwas herumzuschlagen hatte, weder Interesse an seinem eigenen Aussehen, noch an Professor Mayflower hatte.

"Gibt's einen Weg zum Krankenflügel, der nicht durch die Große Halle führt?", fragte Emily zaghaft. "Ich hab nämlich keine Lust, mich schon wieder von allen anstarren zu lassen."

"Ja, komm, ich zeige ihn dir." Hermine nickte verständnisvoll und nahm Emily am Arm.
Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zu Madame Pomfrey, während die anderen zum Frühstück gingen.



***



"Was ist denn jetzt schon wieder mit ihr?" Seamus klang etwas ungeduldig, als Lavander und Parvati die Jungen kurz vor der Großen Halle einholten.

"Sie muß mal wieder irgendwas Grässliches geträumt haben", meinte Parvati. "Wir sind alle von ihrem Geschrei aufgewacht."

"Wer hat etwas Grässliches geträumt?" Eine näselnde, wohlbekannte Stimme ließ sie alle zusammenfahren. Snape war unvermittelt hinter ihnen aufgetaucht.

"Ähhh… Emily… sie träumt jede Nacht so schlimm", stammelte Lavander. "Hermine bringt sie gerade zu Madame Pomfrey, weil das echt nicht zum Aushalten ist."

"Macht sich die Granger doch tatsächlich mal nützlich", murmelte Snape, mehr zu sich selbst. Und ohne ein weiteres Wort marschierte er an ihnen vorbei in die Große Halle.

"Wo kommt dieser um-die-Ecken-Schleicher denn so plötzlich her", giftete Ron. "Auf nüchternen Magen vertrage ich so was nicht!"

"Der taucht doch immer genau da auf, wo er nichts verloren hat", meinte Seamus. "Was soll's, gehen wir was essen."

Dann bog Hermine mit eiligen Schritten um die Ecke. "So, ich hab sie abgeliefert", meinte sie. "Hoffentlich kann Poppy da was machen. Und was gibt's zum Frühstück?"

Sie betraten gemeinsam die Große Halle.

"Einmal Snape, halbroh", witzelte Harry. "Ron ist er bereits auf den Magen geschlagen."

"Wieso? Ist Snape jetzt dazu übergegangen, schon vor dem Frühstück Punkte abzuziehen?"

"Das nicht gerade, er schien nur irgendwie herumzuschnüffeln." Ron grinste verächtlich. "Hat unser Gespräch wohl mitbekommen und wollte wissen, was los war."

"Seit wann interessiert sich Snape eigentlich dafür, wie gut oder schlecht die Gryffindors schlafen?" Lavander war nicht die einzige, die sich darüber wunderte.

"Wahrscheinlich wollte er sich vergewissern, dass seine neue Hilfskraft heute auch brav auf der Matte steht", meinte Dean achselzuckend. "Wen interessiert schon, was in Snape vorgeht?"

Mich zum Beispiel', dachte Hermine. ‚Hier ist in letzter Zeit so einiges ziemlich seltsam.'

"Und was für ne Show zieht Gryffindors neueste Errungenschaft heute ab?" Goyle war unmittelbar vor ihnen aufgetaucht und dachte wohl, damit einen besonders gelungenen Witz gemacht zu haben. "Diese Vogelscheuche hat ja echten Unterhaltungswert. Wo steckt sie überhaupt?"

Im selben Moment kam Emily aus einem Seitengang. "Goyle, du langweilst", sagte sie kalt. "Schieb ab, wenn sich hier Erwachsene unterhalten."
Goyle lief dunkelrot an - und trottete davon.

"Immerhin, du hast genau den richtigen Ton für diesen Deppen drauf", meinte Harry. "Hat Poppy dir helfen können?"

Emily schaute finster drein. "Nein, konnte sie nicht."

Die Mädchen stöhnten auf. "Aber wenn du jede Nacht…"

"Kriegt euch wieder ein, Poppy hat mich zu Snape geschickt. Sie hat gemeint, er würde sich mit so was auskennen." Ihr Gesicht wurde noch finsterer, dann setzte sie sich an den Tisch, ohne die anderen weiter zu beachten, und lud sich ihren Teller voll.

"Mann, die hat vielleicht eine Laune", meinte Lavander. "Sowas von muffelig! Harry hat's doch nur nett gemeint…"

"Überleg mal, wie du dich fühlen würdest, wenn du mit einem ziemlich privaten Problem ausgerechnet zu Snape gehen müsstest", gab Hermine zu bedenken. "Ich wäre da jedenfalls auch nicht gerade glücklich drüber."

"Ist ein Argument", musste Lavander zugeben. "Und jetzt lasst uns zur Abwechslung mal über was anderes reden. Es gibt außer Emily schließlich auch noch andere interessante Dinge auf der Welt."

Sie setzte sich so, dass sie Professor Mayflower genau im Blickfeld hatte und lächelte ihm zu. Geistesabwesend lächelte er zurück und Lavander errötete wieder einmal.

"Ja, das nächste Quidditch-Turnier zum Beispiel", kicherte Ron. "Oder die Stunde bei Professor Binns, die uns gleich bevorsteht, die verspricht auch mal wieder atemberaubend spannend zu werden."
Alle kicherten und Lavander wurde noch röter. "Blödmänner", murmelte sie.

Hermine war schon wieder dabei, auf einem großen Papierbogen eifrig Notizen zu machen und Harry schaute ihr über die Schulter.

"Was wird das?", wollte er wissen, doch Hermine schüttelte den Kopf. "Ich zeig's euch, wenn ich fertig bin."



***



Es wurde ein ziemlich langweiliger Vormittag.
Professor Binns stellte einen neuen Rekord im Langweilen seiner Schüler auf, und Professor Sprout hielt einen ellenlangen Vortrag über irgendein kaum verwendetes Heilkraut, was - außer Neville - niemanden interessierte.

"Oh Mann", stöhnte Dean, als sie endlich beim Mittagessen saßen. "Ich hätte nie gedacht, dass man an Langeweile sterben kann!"

"Nachher haben wir Pflege von magischen Geschöpfen, das wird sicher lustiger", meinte Ron.

"Und wir haben Hagrid noch gar nicht besucht, wird höchste Zeit", sagte Hermine

"Emily kennt ihn auch noch nicht", überlegte Ron. "Bin gespannt, ob sie mit ihm zurechtkommt."

Alle blickten zu Emily hinüber, die schweigend in ihren Teller starrte.
‚Zumindest isst sie endlich mal was', dachte Harry - aber das war auch das einzig Positive.
Sie hatte den ganzen Vormittag über kein einziges Wort gesagt - und sah auch jetzt nicht so aus, als ob sich das in absehbarer Zeit ändern würde.

"Vielleicht kann Hagrid sie ja ein bisschen aufmuntern", meinte Ron ohne sonderliche Hoffnung.

"Glaub ich nicht", entgegnete Parvati. "Wahrscheinlich wird's erst besser, wenn sie den Besuch bei Snape hinter sich hat."

"Sie soll sich nicht so anstellen, so schlimm ist das ja nun auch wieder nicht", meinte Dean.

Doch für Emily war es schlimm. Wie sollte sie ausgerechnet Snape erklären, was genau mit ihr los war? Das wäre für ihn doch ein gefundenes Fressen. Außerdem schämte sie sich etwas, ihn mit einer solchen Lappalie, wie sie es in ihren Augen war, behelligen zu müssen.
Und sie hatte Angst. Sie fühlte sich so schwach, elend und zermürbt, dass sie fürchtete, beim geringsten Anlaß zusammenzubrechen. Anscheinend war der letzte Cruciatus doch zuviel gewesen.

Ich gäbe alles darum, wenn das endlich vorbei wäre', dachte sie. ‚So oder so.'



***



Snape war von Madame Pomfrey bereits unterrichtet worden, dass Emily unter eigenartigen Schlafstörungen litt.
"Ich kann da nichts machen, Professor Snape", hatte sie gemeint. "Sie braucht einen speziellen Trank, der sie nicht mehr so entsetzlich träumen lässt."

"Dazu müsste ich schon etwas mehr wissen", gab Snape zurück. "Es gibt hunderte von Tränken, die für so etwas in Frage kommen."

"Das soll sie ihnen besser selbst erzählen. Ich bin aus Emilys Beschreibung nicht richtig schlau geworden, deshalb habe ich sie zu Ihnen geschickt."

Snape warf einen Blick hinüber zu Emily an den Gryffindortisch. Sie sah heute noch elender aus als sonst (es schien erstaunlicherweise von allem immer noch eine Steigerung zu geben), doch wenigstens aß sie etwas. Er beschloß, bis zum Abend (denn eher würde sie sicher nicht bei ihm vorstellig werden) noch einmal nachzulesen, welche Zaubertränke man gegen Albträume einsetzen konnte - und platzte ansonsten fast vor Neugierde, welche Geschichte ihm Emily wohl dazu auftischen würde…

"Severus, was meinen Sie eigentlich dazu?"
Laryssa Twinkletos Stimme neben ihm riß Snape aus seinen Gedanken. Er drehte sich unwillig zu ihr um… und blickte direkt in ihr strahlendes Lächeln.
Sein Herz machte einen heftigen Satz - und Emily war augenblicklich vergessen.

"Was meinten Sie, bitte?"
Er lächelte zurück, konnte es kaum fassen, dass Laryssa ihm ihre Aufmerksamkeit schenkte. Und dann auch noch ein solches Lächeln…
Wenn Snape allerdings sein Gehirn zum Denken benutzt hätte, wäre er auch sofort dahintergekommen, woran das lag: Narcissus Mayflower war in ein angeregtes Gespräch mit Dumbledore vertieft - und schenkte Miss Twinkleto nicht die geringste Beachtung.

"Ich meinte, wir sollten WIRKLICH einmal zusammen Tee trinken, Professor Snape!" Laryssa hatte ihre Stimme merklich angehoben, doch Mayflower reagierte nicht.

"Ähhh… wenn Sie meinen… natürlich, sehr gerne", entgegnete Snape, der langsam die Welt nicht mehr verstand.

"Und bei dieser Gelegenheit könnten Sie mir doch auch einmal Ihr Labor zeigen, es muß furchtbar interessant sein!"

Snape hatte es endgültig aufgegeben, die weibliche Logik begreifen zu wollen, er strahlte nur noch. "Es wäre mir eine große Freude, Miss Twinkleto. Um welche Zeit wäre es Ihnen denn Recht?"

Doch er bekam keine Antwort mehr. In diesem Moment drehte sich Mayflower nämlich wieder um, sein Gespräch mit Dumbledore schien beendet. "Pardon, Laryssa, was sagtest du gerade?"

"Ich habe mich gefragt, ob du mir heute Abend nicht Gesellschaft leisten möchtest, ich muß noch einmal einen Blick in meine Kristallkugel werfen…"
Der unglückliche Snape wurde von ihr keines Blickes mehr gewürdigt.

Jetzt begriff Snape endlich - und wurde weiß vor Wut. Für dieses Miststück war er wohl gerade gut genug, um als Lückenbüßer herhalten zu dürfen, wenn der ach so angebetete Narcissus gerade anderweitig beschäftigt war.
‚Manche kapieren's halt erst auf die harte Tour', spottete seine innere Stimme. ‚Lernst du gelegentlich auch noch mal was dazu?'

Spätestens jetzt schwor sich Snape, kochend vor Zorn, von Laryssa Twinkleto endgültig kuriert zu sein - doch das sollte sich leider als Trugschluß erweisen.



***



Dieses Intermezzo am Lehrertisch war auch unter der Schülerschaft nicht unbemerkt geblieben, und viele zogen endlich die richtigen Schlüsse, was es mit Snapes wundersamer Verwandlung auf sich hatte.

"War wohl ne Bauchlandung, was unser verehrter Herr Professor da hingelegt hat", spottete Ron. "Trotzdem, das war nicht gerade nett von der Twinkleto."

Emily gab ihm in Gedanken Recht - und merkte plötzlich, dass sie sich ärgerte. Nicht über das hübsche Püppchen Laryssa, nein, die war es gar nicht wert. Aber Snape hätte sie eigentlich mehr Intelligenz zugetraut, als dass er auf eine hübsche Hülle hereinfallen würde.

‚Großmutter hatte also mal wieder Recht', dachte sie amüsiert. ‚Männer verfügen über ein zusätzliches Körperteil, mit dem sie manchmal meinen, denken zu müssen.'

"Ein Glück, dass wir heute keine Zaubertrankstunde haben", seufzte Seamus. "Mir tun diejenigen zutiefst leid, die jetzt seine Laune ausbaden müssen."

‚Diejenigen' waren die Viertklässler aus Hufflepuff - und wenn man sich ihre Gesichter so anschaute, schienen sie bereits zu einem ähnlichen Schluß gekommen zu sein.

"Sehen wir besser zu, dass wir rauskommen", stimmte Harry zu. "Ich möchte Snape jetzt jedenfalls nicht über den Weg laufen!"

Alle beeilten sich, die letzten Bissen zu vertilgen und steuerten dann zielstrebig auf den Ausgang zu.

"Zwanzig Punkte Abzug für Ravenclaw", hörten sie beim Hinausgehen Snape irgendwo im Hintergrund wettern. Aha, da war also irgendjemand nicht schnell genug gewesen - oder dumm genug, dem erbosten Zaubertränkemeister unter die Augen zu kommen.

‚Keine guten Aussichten für heute Abend.' Emily hatte nicht vergessen, dass sie Snape später noch um einen Trank gegen ihre Träume bitten musste. Eigentlich hatte sie sich gefreut, heute im Labor anfangen zu dürfen, aber unter diesen Voraussetzungen…

Sie seufzte und beeilte sich, zu den anderen aufzuschließen. Was nützte es schließlich, sich jetzt schon Sorgen zu machen? Die dunklen Schatten würden sie früh genug einholen.


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