Engel der Hölle

 

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Kapitel 9


Lys rüttelte verzweifelt an dem schlaffen Körper auf dem Bett. "Mon corbeau! Sag doch was! Lebst du noch? Haben sie dich vergiftet?"
Snape hob mühsam die Augenlider ein Stück an und ächzte: "Ich wünschte, das hätten sie, endgültig!" Er fühlte sich so unendlich elend. Sein Kopf fühlte sich an, als würde Bait in regelmäßigem Takt darauf einhämmern - nur diesmal nicht von außen, sondern von innen. Ihm war flau und schwach und schlecht. Und sein Gehirn stand immer noch unter dem langsam nachlassenden Einfluss des Vinovatia-Serums.

"Schuldig", stöhnte Snape leise.
"Schuldig?" fragte Lys. "Schuldig woran? Das hat er dich nämlich gar nicht gefragt!"
"An allem", wimmerte Snape.
"Wie, an allem?"
"Von Anfang an!" Lys schlang ihre Arme um den völlig verwirrten Mann und begann wieder, ihn sanft hin- und her zu schaukeln.
"Sie haben mir immer an allem die Schuld gegeben", sprudelte es mit schwacher Stimme aus Snape heraus, "in Hogwarts, als ich ein Schüler war und später, als Lehrer. An allem, was passierte."
"Und du warst es gar nicht?"
"Nein, meistens nicht..."
Lys´ sanftes Gesicht nahm einen zornigen Ausdruck an: "Aber warum hast du ihnen das nicht deutlich gesagt?"
Er sah sie hilflos mit seinem immer noch ziemlich verschwommenen Blick an und flüsterte: "Sie hatten doch Recht! Ich muss doch bestraft werden. Ich bin doch schuldig. Das da..." Er griff nach dem Mal an seinem Unterarm. "Da war es doch nur gerecht... Sie haben doch Recht, ich bin böse! Ich war es schon vor... diesem Ding da! Ich mache alles kaputt. Schon immer. Ich verdiene nichts anderes." Ihm war gar nicht richtig bewusst, was er alles sagte. Es kam einfach aus den Tiefen seiner Seele hervorgequollen, und das Serum ließ keinen Widerstand dagegen zu.

Lys schüttelte ihn wieder. Severus stöhnte auf, als sich das Schwindelgefühl und der pochende Schmerz in seinem Kopf dadurch noch verstärkten. Lys hörte schnell damit auf und drückte ihn an sich, hielt ihn fest. Aber ihr Tonfall war eindringlich, als sie nachhakte: "Wofür haben sie dich eingesperrt? Wofür sollst du sterben?"
"Mord", murmelte Snape, "Mord an Tony Parker."
"Und hast du das getan?"
"Nein."
"Dann bist du unschuldig! Unschuldig, mon corbeau, unschuldig! Warum hast du ihnen das nur nicht gesagt?" Ihre Stimme klang jetzt verzweifelt.

Severus blickte sie verstört an. "Ich bin doch schuldig!" jammerte er, "so, genau so! So hat sie mich angesehen, wie du! Sie hat mich geliebt, über alles! Und er auch! Ich habe sie hierher gebracht. Deshalb muss ich auch hier sein. Wegen mir sind sie tot. Deshalb muss ich auch sterben. Sie hatten mich lieb, und ich bin schuld, dass sie für immer weg sind, und deshalb hat mich dann keiner mehr liebgehabt. Weil es gefährlich ist. Ich bin böse. Ich mache jeden kaputt, den ich lieb habe. Deshalb darf ich niemanden lieb haben. Ich muss alle wegscheuchen, bevor es zu spät ist. Du musst auch gehen, bitte!"

"Ich gehe nicht", sagte sie in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. Severus stand noch immer unter der Wirkung des Trankes und wühlte sein Innerstes hervor, ob er wollte oder nicht. Sein ganzer Körper zitterte von der vergeblichen Anstrengung, es zurückzuhalten. Lys strich ihm über seinen schmerzenden Kopf, ganz vorsichtig, immer und immer wieder. "Was hast du denn so Schlimmes getan, dass du dich dein ganzes Leben lang dafür bestrafen musst?" fragte sie leise und traurig.

Severus starrte mit weit aufgerissenen, panischen Augen die Wand an und stieß hervor: "Mami und Daddy. Ich war ein böses Kind. Ich bin in den Keller gegangen, obwohl es verboten war. Ich habe Daddy zugeguckt. Ich habe es einem anderen Kind erzählt. Sein Daddy war Auror. Er hat sie weggebracht. Alle beide. Für immer. Es war alles meine Schuld. Ich habe sie umgebracht. Ich bin ein Mörder. Ich habe die Strafe verdient."

Lys vergrub ihr Gesicht in seinen wirren, schwarzen Haaren. Sie weinte. "Du armes Kind", flüsterte sie, "es war doch nicht deine Schuld! Sie haben unrechte Dinge getan, deshalb hat man sie weggebracht. Es war ihre Schuld, nicht deine! Sie hatten ein Kind und hätten aufpassen müssen. Auf dich, dass du nichts sehen kannst, was sie gefährdet. Auf sich, dass sie nichts tun, was sie und dich gefährdet."
Severus´ schwarze Augen rissen sich von der Wand los und schauten sie an, ungläubig und fragend, groß wie Kinderaugen. "Es war nicht meine Schuld?" wisperte er.
"Nein, es war nicht deine Schuld", bestätigte sie, "und deine Mami würde nicht wollen, dass du so traurig bist. Deine Eltern sind irgendwo da oben und schauen auf dich herunter und wollen, dass du lebst und glücklich bist. Wenn deine Mami dich immer so angesehen hat wie ich, dann will sie das. Ganz bestimmt."
"Es war doch meine Schuld...", murmelte er.
"Nein, es war nicht deine Schuld!"

Stunden um Stunden (war es ein Tag? eine Nacht? das war hier drinnen nicht zu erkennen) hielt sie ihn fest und sagte ihm immer wieder, dass er nicht schuld war. Er protestierte ebenso oft, doch es klang immer unsicherer. Irgendwann hörte er ganz auf und lehnte sich nur noch erschöpft an. "Sie hatten dich lieb", flüsterte sie, "sie haben dich immer noch lieb. Und ich habe dich lieb."


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