Engel der Hölle

 

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Kapitel 8


Die roten Augen glühen in der Dunkelheit. Gier leuchtet aus ihnen. Der Meister wartet ungeduldig auf das, was sein Diener ihm bringen wird. Die Beute, nach der er seit Jahren gelechzt hat. Alles andere Töten war nur Spiel, er wollte diesen hier, die ganze Zeit. Seinen Feind. Den, der ihm seine große Niederlage angetan hatte. Nun ist er nicht mehr stark. Völlig wehrlos wird er vor ihm liegen: tot. Und er wird triumphierend lachen und mit seiner Leiche spielen, wie mit einer Puppe. Ekelerregende Dinge wird er mit dem wehrlosen Körper tun. Nicht umsonst ist er der Herr der Death Eaters. Todesser. Kein Respekt vor dem Tod und den Toten. Schon gar nicht vor diesem, der ihn in Schande gebracht hat. Ihn!

Die Todesser erschauern unter ihren Masken bei seinem wilden Keuchen, als er sich der Leiche nähert. Das grauenerregende Wesen beugt sich über den Toten, schnuppert an ihm, mit seinen schlangenartigen Nüstern, gurgelt heiser. Ein hässliches Siegerlächeln auf dem unmenschlichen Gesicht. Die Krallenhand greift nach dem toten Körper, dreht ihn um... Der Schrei des Wesens lässt die Baumkronen erzittern. Die Todesser stöhnen vor Schmerz, als das schrille Kreischen ihre Ohren beinahe zerreißt.

"AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAHHHHHH!!! DAS IST ER NICHT! DAS IST ER NICHT! DU WAGST ES...?"

Seine zornglühenden Augen scheinen seinen Diener zu verbrennen. Der kleine, dickliche Mann wirft sich in den Staub. Er hält seine Arme schützend über den Kopf und wimmert: "Ich bin euer treuer Diener, Herr! Ich dachte... die wirren, schwarzen Haare, die Brille, und sein Freund bei ihm: Longbottom..."
"Schwachsinniger!" kreischt das Wesen, "er hat nicht einmal eine Narbe! Sieh her, das Abzeichen! Gryffindor? Nein! Ravenclaw! Wurmschwanz, du elender Versager! DAS IST NICHT POTTER!"

"Es war nicht ganz umsonst, Herr", jammert die verängstigte Gestalt zu seinen Füßen, "ich habe nicht alles falsch gemacht! Der Vielsaft-Trank! Euer anderer Feind, Herr, er wird dafür büßen!"

"So wie du, Wurmschwanz!" zischt sein Meister, "CRUCIO!"


Harry erwachte schreiend. Die Narbe auf seiner Stirn brannte wie Feuer. Er glaubte, den Cruciatus körperlich mitzufühlen. Und vor seinen Augen blieb das Bild des Jungen, der nicht tot sein sollte. Er, Harry Potter, sollte tot sein.

***



Albus Dumbledore fand auch in dieser Nacht keinen Schlaf. Es blieben nur noch so wenige Tage, um seinen Freund zu retten, und sie hatten nichts. Nichts! Harrys Träume, die das Ministerium als Fantastereien abtat, und eine Vielsaft-Theorie, die Fudge und seine Leute als widerlegt betrachteten. Severus´ Schicksal schien besiegelt.

Zum hundertsten oder tausendsten Mal las er Neville Longbottoms Zeugenaussage, in der längst nicht mehr aufrichtigen Hoffnung, irgendetwas zu finden, was sie übersehen hatten.

"Ich, Neville Longbottom, schwöre feierlich, dass die folgende Aussage die Wahrheit und nichts als die Wahrheit ist:
Ich ging mit Tony Parker auf den Feldern in der Nähe des Sees spazieren, als plötzlich Professor Severus Snape hinter uns auftauchte. Er versteinerte mich mit "Petrificus totalus". Tony erkannte ihn und rief seinen Namen: "Professor Snape!" Daraufhin tötete Snape ihn mit "Avada Kedavra". Er befreite mich mit "Enervate" aus der Starre, und ich setzte mit "Incendio" seinen Umhang in Brand. Professor Snape entwaffnete mich mit "Expelliarmus", löschte die Flammen an seiner Kleidung und folterte mich dann mit dem Cruciatus-Fluch. Nach schätzungsweise einigen Minuten löste er den Fluch und ergriff die Flucht. Ich versuchte ihn zu verfolgen. Hinter der Ecke, wo das Gebüsch ist und, wie ich heute weiß, der Eingang zu Professor Snapes Tunnel, verlor ich ihn aus den Augen. Leider entdeckte ich den geheimen Eingang nicht, sondern ließ mich von einem Geräusch ablenken und schaute in die entgegengesetzte Richtung. Die Ursache des Raschelns war aber nur eine Ratte gewesen, und in der Zwischenzeit war mir Professor Snape entkommen."

"Oh Gott!" stöhnte Dumbledore, "die Beweisführung erscheint so lückenlos! Aber es muss doch irgendeine undichte Stelle geben! Ich weiß, dass Severus unschuldig ist, und Harry weiß es, aber wer wird uns glauben? Severus, mein armer Junge, du hast mir immer so sehr vertraut, und nun haben sie dich direkt vor meinen Augen abgeholt und nach Askaban verschleppt. Wie du mich angeschaut hast, und ich konnte dir nicht helfen! Ich kann es immer noch nicht, während sie dir dort Dinge antun, die ich nur erahnen kann. In wenigen Tagen werden sie dir das Grausamste antun, was einem Menschen widerfahren kann. Und ich werde dir auch dann nicht helfen können. Ich werde da sein, ich lasse dich in dieser furchtbaren Stunde nicht allein. Aber ich werde zerbrechen an dem Blick, mit dem du mich ansehen wirst. Mein armer, unschuldiger Severus!"

Die Tür des Büros flog auf, und Harry stürzte herein. "Ich habe wieder geträumt!" rief er atemlos, "ich weiß jetzt, wo Tonys Leiche ist: Voldemort hat sie! Und ich weiß, warum Tony sterben musste: Es war eine Verwechslung, ich sollte das Opfer sein! Und ich weiß, wer mit dem Vielsaft-Trank Snapes Äußeres angenommen hat! Ich weiß, wer der Mörder ist: Wurmschwanz! Peter Pettigrew."

Dumbledores erste Aufregung wich schnell wieder Resignation. "Harry", sagte er traurig, "wir wissen soviel, und es nützt uns nichts. Für das Ministerium ist auch dies wieder nichts als ein Traum. Nicht greifbar, nicht beweisbar. Wenn Voldemort Tonys Leiche hat, werden wir sie niemals finden. Die Todesser apparieren wahllos in allen möglichen Wäldern zu ihren Treffen. Die Geschichte mit dem Vielsaft-Trank glauben sie uns nicht, weil man den flüchtigen Täter hätte sehen müssen. Und dass Peter Pettigrew lebt, hält das Ministerium bis heute für ein Gerücht. Sonst wäre Sirius schon lange rehabilitiert und nicht mehr auf der Flucht." Er seufzte. Sein Blick fiel hoffnungslos wieder auf das Pergament mit Nevilles Zeugenaussage. "Wir haben nach wie vor nichts in der Hand. Wenn wir nicht irgendetwas übersehen haben..." Plötzlich sprang der alte Zauberer auf und schlug sich mit der Hand an die Stirn:

"Die Ratte!"

***



"Snape! Steh auf, du Miststück, wenn ich mit dir rede! Oder ich kette dich wieder an, dann hast du einen gute Ausrede, liegenzubleiben."
Lys war in ihre Ecke gehuscht, als Bait und Brooks die Zelle betraten.
Severus erhob sich von seiner Pritsche und sah den Auror an. "Was wollen Sie von mir?" fragte er müde, "brauchen Sie jemanden zum Verprügeln?"
"Keine schlechte Idee", erwiderte Bait, "vor allem, wenn du schon wieder so frech wirst. Aber heute haben wir etwas anderes mit dir vor." Er zog ein kleines Fläschchen mit einer Flüssigkeit aus der Tasche. "Dein Dumbledore", erklärte er, "probiert es echt mit allen Mitteln. Direkt rührend, der alte Narr. Neuerdings versucht er, dem Ministerium einzureden, dass ein Mann, der vor über fünfzehn Jahren bei einem Attentat ums Leben kam, wiederauferstanden ist und sich erst in dich und anschließend in eine Ratte verwandelt hat, um Tony Parker zu ermorden. Es ist mir zwar ein Rätsel, wieso Fudge sich Opa Dumbledores Märchenstunde überhaupt anhört, aber bitte. Damit der Alte endlich Ruhe gibt, hat das Ministerium eine weitere Überprüfung angeordnet. Mithilfe eines Zaubertranks, das müsste dir doch gefallen."
Snapes Gesicht hellte sich etwas auf. "Verita-Serum?" fragte er hoffnungsvoll. "Darauf hätten Sie auch früher kommen können. Aber mit dem Stock macht Ihnen die Befragung mehr Spaß, nicht wahr?"
"Werd nicht unvorsichtig, Miststück, wir können den Spaß jederzeit fortsetzen! Aber Verita-Serum? Nee, der experimentelle Vorrat, den das Labor von Hogwarts uns mal geliefert hatte, ist aufgebraucht."
Snape wurde ganz aufgeregt: "Ich hatte ihn hergestellt! Der Trank ist meine Erfindung! Wenn Sie mir die nötigen Zutaten zur Verfügung stellen, braue ich ihn nach, und dann können Sie..."
Bait lachte höhnisch über Snapes Hoffnung. "Für wie blöd hältst du uns eigentlich, du mieses, kleines Stück Dreck? Wir wissen, dass du der einzige bist, der diesen Trank hinkriegt. Und wir wissen auch sehr gut, dass du ihn verändern kannst, wie es dir passt, ohne dass wir Laien etwas merken. Am Ende modifizierst du ihn zu einem Lügen-Serum und erzählst uns das Blaue vom Himmel, damit wir dich gehen lassen!"
Das kleine Leuchten in Snapes Augen erlosch wieder und wich dem glanzlosen Ausdruck, den sie hier in Askaban angenommen hatten. "Und warum haben Sie dann von einem Zaubertrank gesprochen?" fragte er resigniert.

"Ich spreche von diesem Zeug hier", erwiderte Bait und hielt die kleine Glasflasche hoch. Snape betrachtete die Flüssigkeit fachmännisch. Ihre Farbe schimmerte abwechselnd in schwarz und weiß. Der Meister der Zaubertränke wurde blass. "Vinovatia-Serum?" flüsterte er.
"Ja, so heißt das Zeug", brummte Bait, "es ist nicht ganz so gut wie das Verita-Serum. Es kann nur zwischen Schuld und Unschuld unterscheiden, aber das reicht ja für unsere Zwecke vollkommen aus."
"Nicht ganz so gut?" ächzte Snape. "Es ist total ungenau! Es ist noch niemandem gelungen, ein wirklich zuverlässiges Vinovatia zu brauen. Wer hat diese Probe fabriziert?"
"Oberamtszauberer Root."
Snape stöhnte: "Auch das noch!"
"Hey!" fragte der Auror lauernd und griff 'zufällig' nach dem Knüppel an seinem Gürtel, "willst du etwa die Kompetenz unseres Mitarbeiters anzweifeln?"
"Wie könnte ich!" hauchte Snape mit verzweifeltem Spott. Er versuchte es mit einem anderen, vorsichtigen Einwand: "Das Serum ist nicht genügend erprobt. Und es hat starke Nebenwirkungen. Übelkeit und..."
Bait sah ihn mit einem gefährlichen Blick an und zischte: "Übelkeit? Ich kann dir stattdessen auch so lange in den Magen treten, bis dir übel wird. Also, nimmst du das Zeug freiwillig, oder muss ich nachhelfen?"

Snape streckte sich, schloss kurz die Augen und atmete tief durch, dann antwortete er, so ruhig er konnte: "Ich bin wohl gezwungen, es freiwillig zu nehmen. Trotzdem ist das Vinovatia-Serum ein völlig unzureichendes Mittel, im Vergleich zu der differenzierten Wirkungsweise des Verita-Serums. Es gibt nun einmal mehr zwischen Himmel und Erde als Schuld und Unschuld, schwarz und weiß..."
Weiter kam er nicht. Dreimal prallte der Stock hart auf seinen schon so fürchterlich schmerzenden Kopf auf. "Ich wollte keinen Vortrag, Professor Snape! Du wirst dir das Denken hier schon noch abgewöhnen. Los, schluck das Zeug!"
Snape ergab sich in sein Schicksal, ergriff das Fläschchen und kippte den Inhalt hinunter, bevor er näher darüber nachdenken und es sich anders überlegen konnte.

Der Trank brannte in seiner Speiseröhre wie heißes Wasser und erfüllte seinen Magen mit einer unangenehmen Hitze. Nach wenigen Minuten setzte die Wirkung ein. Ihm wurde schwindlig, alles drehte sich, so dass er die Augen schließen musste, doch auch dann hielt das Karussell in seinem Kopf nicht an. Eine alles umfassende Übelkeit ergriff von ihm Besitz, und er fing an zu würgen.
"Kotz du die Zelle voll, und ich brech dir eigenhändig jeden Knochen im Leib!" schrie Bait.
Da dies bei Bait vermutlich keine bloße Redewendung war, unterdrückte Snape mit äußerster Selbstbeherrschung den Würgreiz. Er wollte nur noch sterben, damit diese Übelkeit aufhörte. Etwa zehn Minuten saß er in diesem Zustand da, dann ließen die Nebenwirkungen langsam nach. Er öffnete die Augen und sah Bait verschwommen an.
"Na also", stellte Bait zufrieden fest, "jetzt haben wir dich da, wo wir dich haben wollen. Jetzt musst du die Wahrheit bekennen: Schuldig oder unschuldig? Los, sag schon, du Miststück: Was bist du? Schuldig oder unschuldig?"
Snape konnte nicht mehr eigenständig denken. Die Macht des Serums diktierte ihm die Antwort, suchte sie aus den hintersten Winkeln seines Bewusstseins hervor und brachte sie auf seine Zunge, ohne dass er sie verändern konnte.

"Schuldig", stöhnte Snape und sank dann erschöpft auf sein Bett zurück.
"Als ob das eine Überraschung wäre", stellte Bait zufrieden fest, "das war´s dann, Snape."


Kapitel 7

Kapitel 9

 

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