Engel der Hölle

 

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Kapitel 7


Der Auror stemmte die Arme in die Hüften und sah Dumbledore genervt an. "Ich habe Ihnen doch gesagt, dass das nichts bringt", sprach er zu dem alten Zauberer, wie mit einem kleinen Kind, "wie lange wollen Sie noch an die Unschuld Ihres Schützlings glauben, wider alle Vernunft? Das Ministerium hatte wirklich viel Geduld mit Ihnen. Wir sind sogar Ihrer haarsträubenden Vielsaft-Theorie nachgegangen. Ich bin eigens hierher gereist und mit Ihnen hier heraus gekommen, an den Tatort. Aber auch der sagt uns nur noch einmal, was wir schon wissen: Der Mörder ist kein anderer als Severus Snape.
Ich erläutere es Ihnen jetzt ein letztes Mal: Bis hier zu diesem Gebüsch hat Neville Longbottom den Täter verfolgt, dann war er plötzlich seinen Blicken entschwunden. Aufs offene Feld kann er nicht geflüchtet sein. Der Junge hätte ihn noch meilenweit sehen können. Das einzig mögliche Versteck ist dieser Geheimgang, der von dem Gebüsch aus... nun, wohin führt? Richtig, direkt in Professor Snapes Kerker! Sie wissen selbst, wie sorgfältig er seinen Privatbereich stets verschlossen hat. Nur er hatte den Schlüssel zu diesem Gang. Niemand außer Severus Snape kann hier entlang geflüchtet sein, auch niemand, der so aussah wie er. Er ist von hier aus in seinen Kerker geschlichen und konnte von dort aus, völlig normal und unauffällig, wenige Stunden später zum Essen in der Großen Halle erscheinen. Seelenruhig, als wäre nichts geschehen. Das einzige, was wir hier bewiesen haben, Dumbledore, ist Snapes unglaubliche Kaltblütigkeit. Wenn Sie mich nun entschuldigen würden, ich habe zu tun."

***



Lys schaukelte hin und her. Das tat sie fast ständig. Ein weiteres Indiz dafür, dass sie wohl doch eine echte Gefangene von Askaban war. Hospitalismus ist keine seltene Erscheinung bei Menschen, die lange Zeit eingesperrt und isoliert waren. Kinder in heruntergekommenen Waisenhäusern schaukeln so, oder Tiere im Zoo.
Sie hatte Severus nach seinem Zusammenbruch lange Zeit im Arm gehalten und hin und her gewiegt. Und jetzt, als er schon seit einer Weile wieder auf seinem Bett saß, hockte sie immer noch auf dem Boden und schaukelte monoton hin und her, die Augen geschlossen. Sie summte verschiedene Melodien und sang ab und an auch Textfetzen dazu, sehr leise und völlig in sich versunken. Severus war dankbar für alles, was die Leere in seinem Kopf füllen konnte, die die schrecklichen Stimmen hinterlassen hatten. Er strengte sich an, ihre gesungenen Worte herauszuhören.

"Er ist, den die Edelsten scheuen,
Er ist von den Dornen des Grauens umzäunt,
Und der treueste aller Getreuen
Fand selber nicht einen hingebenden Freund."


"Was ist das für ein Lied?" fragte Severus.
Lys öffnete die Augen, und sie waren ganz klar, als sie ihn anlächelte. "Eine alte Ballade", sagte sie, "sie handelt von einem dunklen Ritter namens Hagen von Tronje. Sein Herr war ein großer König, aber er wäre es nicht geblieben, ohne ihn. Der dunkle Ritter hat immer die heimlichen und die nicht ganz so schönen Dinge für den guten König tun müssen, deswegen hat ihn jeder gehasst."
"Wie ungerecht", murmelte Snape.
"Aber er hat es doch freiwillig getan!" warf Lys mit einem strahlenden Lächeln ein, "er war ein Held. Er hat dem König geschworen: 'Mein sei die Schuld!' Die hat er für den König getragen, weil einer es tun musste. Er war stark, weißt du?"
Severus sah sie nachdenklich an. "Ich denke nicht, dass er glücklich war", sagte er.
Lys hob leicht die Schultern. "Das kommt darauf an", meinte sie, "ob er an dieser Schuld erstickt ist, oder ob er gesehen hat, dass er ein Held ist."

Sie hatte wieder diesen zärtlichen Ausdruck in den Augen, als sie ihn ansah. Wie eine Mutter ihr Kind, auf das sie stolz ist. Oder wie eine Frau, die... nein, das wagte er nicht weiterzudenken. Die Verletzungsgefahr war zu groß. "Du bist mein schwarzer Ritter, mon corbeau", sagte sie lächelnd. Sie erhob sich und trat an sein Bett. Ihre Fingerspitzen strichen sanft über sein Gesicht. "Aber das passt nicht!" neckte sie ihn lachend.
"Was?" Severus sah sie mit großen, verwirrten Augen an.
"Das!" rief sie und schabte mit dem Finger über die Bartstoppeln, die ihm gewachsen waren.
"Oh!", murmelte er sarkastisch, "Sie müssen verzeihen, die sanitären Einrichtungen hier sind nicht sehr gut."
"Aber dagegen muss etwas getan werden", beharrte Lys, "warte einen Moment!" Sie ging auf die Wand zu und... lief durch die Mauer hindurch, wie durch einen Wasserfall! Er sah erst ihre Hand und ihren Kopf darin verschwinden, dann des Rest. Genau wie an der Absperrung am Gleis Neundreiviertel in King´s Cross! Severus rieb sich die Augen. Permeable Mauern, wie an jenem Bahnhof, waren für ein Gefängnis aber nicht sehr typisch...

Kurze Zeit später kam ein Arm durch die Mauer hereingeglitten, und dann der Rest von Lys. Sie trug einen Beutel in der Hand und hielt ihm den lächelnd hin, als wäre sie eine Hausfrau, die gerade von einem ganz normalen Einkauf heimkehrt. Sie packte einen Laib Brot und ein Messer aus. "Etwas zu essen hab ich auch gleich mitgebracht", sagte sie leichthin, "du bist zu dünn und brauchst Kraft. Und das Messer ist für das Brot und für deinen Bart." Erst jetzt bemerkte sie, wie fassungslos er sie anstarrte.
"Wie hast du das gemacht?" stammelte er. Es fiel ihm gar nicht auf, dass er sie zum ersten Mal geduzt hatte.
"Was? Die Sachen besorgt? Oh, ich kenne mich hier gut aus."
Severus schüttelte benommen den Kopf: "Nein... Wie bist du durch die Wand gegangen? Hast du den magischen Code für die Wände? Ein Code wie in King´s Cross? Hast du ihn einem Wärter geklaut, oder wie... ?"
Sie dachte kurz nach, dann nickte sie: "So muss es gewesen sein. Man vergisst soviel. Ich bin so lange hier. Ich habe immer in meiner Zelle gesessen, aber eine Tages konnte ich heraus. Ja, man vergisst hier soviel. Sie haben mich auch vergessen. Ich schleiche herum, wo ich will, und sie suchen mich nicht mehr."

Severus versuchte verzweifelt, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. "Warum bist du dann noch hier?" fragte er.
Sie hob leicht die Schultern: "Weil es draußen kalt ist. Noch kälter als hier. Der Wind. Und da ist nur das Meer. Man kann nicht weg. Ich kann niemals weg von hier." Sie strahlte plötzlich wie ein Kind, dem eine neue Spiel-Idee gekommen ist. Sie ergriff Snapes Hände und schlug vor: "Lass uns zusammen durch die Gänge streifen. Es ist zu eng, immer nur hier drinnen."
Der Gedanke war unglaublich, aber es war einen Versuch wert. Denkbar, dass er an ihrer Hand mit hindurchgehen konnte, wenn sie den magischen Code besaß.

Sie ging zügig auf die Wand zu und zog ihn an der Hand hinter sich her. Er folgte ihr entschlossenen Schrittes, wohl wissend, dass man so besser durch die Absperrung von Gleis Neundreiviertel kam, als wenn man langsam und vorsichtig ging. Lys verschwand in der Mauer, nur die Hand, an der sie Severus hielt, ragte noch heraus. Snape ging energisch weiter - und prallte schmerzhaft mit der Stirn an den harten Stein. "Na wunderbar!" schnaubte er, "ich nehme meinen Wärtern die Arbeit ab, mir den Schädel einzuschlagen!"

Lys kehrte zurück und sah ihn entschuldigend an.
"Schon gut", murmelte er und rieb sich seine neue Beule, "es muss ein personenspezifischer Code sein. Da kann man nichts machen. Es ist immerhin ein großer, neuer Vorteil, dass du uns Dinge besorgen kannst."
Sie nickte und schnitt mit dem Messer eine Scheibe Brot ab. Sie drückte sie ihm in die Hand, dann wischte sie das Messer an ihrem Kleid ab und begann, sehr vorsichtig, Severus´ Kinn damit zu rasieren. Er äugte hinunter auf das scharfe Messer, und ihm kam ein Gedanke. Kein schöner, aber ein nützlicher, logischer, wie es sich für einen Slytherin gehörte. Er wartete, bis sie mit ihrer Arbeit fertig war und ihn zufrieden betrachtete, dann sah er ihr ernst in die Augen und fragte: "Tust du mir noch einen Gefallen, Lys? Einen großen?"
"Gern. Welchen?"
Er schloss kurz die Augen, dann bat er leise: "Töte mich!"

Ihre Hand mit dem Messer zuckte zurück, und sie sah ihn entsetzt und wütend an. "Oh, nein!" rief sie zornig aus. "Das werde ich sicher nicht tun! Und du auch nicht! Du wirst stark sein und leben!"
Tränen stiegen ihm in die Augen, als er leise antwortete: "Leben... Das würde ich gern, Lys. Aber ich darf nicht." Er holte tief Luft und fuhr fort: "Bitte, lass mich sterben, bevor sie mich holen! Ich möchte lieber tot sein, als seelenlos."
Doch sie schüttelte energisch den Kopf. "Du wirst leben!" sagte sie bestimmt. "Du weißt nicht, was kommt. Vielleicht wirst du gerettet. Und wenn nicht... Deine Seele wird weiterleben, mon corbeau."
Snapes Gesicht war verbittert, als er erwiderte: "Nein, Lys, das wird sie nicht. Mag sein, dass es ein Leben nach dem Tode gibt, Lys, Himmel oder Hölle und das alles. Aber nicht für mich. Ich habe nicht das Glück, zum Tode verurteilt zu sein. Ich erhalte den Kuss der Dementoren. Mein Körper muss als leere Hülle dahinvegetieren, und meine Seele ist nicht mehr."
"Ist nicht mehr!" äffte Lys seine Stimme nach, "du redest Unsinn, mon corbeau! Was ist denn die 'Seele'? Der Teil von uns, der nicht vernichtet werden kann! Ich kann dir nicht sagen, wo sie sein wird, mon corbeau, aber sie wird sein!"
"Wer´s glaubt", seufzte Severus, "aber dir zuliebe, weil ich dir etwas schulde: Bring das Messer wieder weg, bevor ich es mir anders überlege!"


Kapitel 6

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