Geheimnisse

 

 

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Kapitel 55: Zeit


Die Ruhe ist eine liebenswürdige Frau und wohnt in der Nähe der Weisheit

Epicharm, Fragmente 101



Er war wiedergekommen, grob und unbarmherzig. Hatte ihn aufgezehrt, ins Gesicht geschlagen und dabei gelacht. Dabei war er so müde so unendlich müde. Sein Geist verstand nicht warum er noch hier war, sein Körper, geschunden zerschlagen, sehnte sich nach der Ruhe in der Dunkelheit.
Endlich waren sich Geist und Körper einig, es war an der Zeit zu gehen und die Uhr begann zu ticken. Lautlos und unscheinbar setzte sich das innere Uhrwerk in Gang. Seltsam, dass es so endete, mit Schmerzen, ja damit hatte er gerechnet, auch dass sein Tod langsam und qualvoll sein würde - mit diesem Gedanken hatte er sich schon vor Jahren auseinandergesetzt und sich mit dem Ergebnis abgefunden. Aber in einer so abnormalen Umgebung zu sterben von der Hand eines verrückten Auroren, das war ungewöhnlich und zerstörte ein wenig seinen inneren Frieden. Auf eine Rettung wartete er jetzt vergebens, Dumbledore würde ihn nie suchen, hatte er nie getan. Hagrid war tot und Sirius? Sirius Black hatte weder die Weisheit seines Herrn noch die Erfahrung von Hagrid, er würde ihn nie finden. Moray hatte ihm schon in allen Einzelheiten erklärt warum dieses Versteck für Verhöre so überaus genial war, kein Laut drang nach oben in das Haus, keiner vermutete diesen Kerker hier und er war durch eine Reihe von Zaubern gegen magische Aufspürung geschützt. Ein absolut toter Punkt auf jeder magischen Landkarte.

Moray lachte weiter als er die Ketten schloß. Es war ein kaltes und absolut berechnendes Lachen, es brach sich in dem Gewölbe und gab ihm einen unheimlichen Klang. Was brachte den Auroren zum Lachen? Glaubte er wirklich, dass er, Severus Snape, nun bereit war. bettelnd und winselnd vor ihm alles auszusprechen was er wusste, nur um sterben zu dürfen? Glaubte Moray das wirklich? Seine Uhr tickte bereits und für diesen Tod brauchte er nicht mehr viel von Peter Moray, das Betteln war überflüssig. Als Moray, nun pfeifend, seine Folterwerkzeuge durchging wußte es Severus so sicher, wie nach dem Tag immer die Nacht kam. Er war auf Moray in dieser Hinsicht nicht mehr angewiesen, nein jetzt nicht mehr. Es lag allein in seinem Ermessen und dem der inneren Uhr.
Moray verzichtete auf Flüche, auf die dunkle Foltermagie, er ging gleich zum ältesten Folterwerkzeug über, das die Menschheit kannte: die Peitsche. Mit jedem Schlag näherte sich seine Uhr der inneren Grenze, mit jedem Schlag wurde seine Stimme leiser. Die Dunkelheit wartet auf ihn wie eine trügerische Geliebte, kratzte am Rande seines Bewußtseins, zeigte ihre Verlockungen. Moray lachte wieder, mit jedem Schlag mehr, sprach auf ihn ein, verhöhnte ihn. Was war geschehen? Fast war Snape versucht das zu fragen als Moray stoppte und sich umdrehte. Müde sah Snape auf, da stand jemand im Eingang zur Folterkammer, doch der Schmerz vernebelte ihm die Sinne und die Dunkelheit umfing ihn gnädig. Ließ die Agonie hinter sich.

Wärme.
Wärme war das erste, was er hatte Hagrid erklären können, war mitunter das erste Gefühl, das er jemandem hatte vermitteln können.
Wärme und die damit meist einhergehende Geborgenheit.
Wärme und Leben.
Meist war jemand bei ihm, wenn er diese Wärme spürte und, meist bedeutete es, dass er noch lebte.
Noch.
Die Uhr stand still, die Zeiger zitterten. Taten nicht ihren Dienst.
Rettung?
War dies die Rettung?
Der Schmerz war wieder da, unbarmherzig fesselte er ihn an das Leben.
Murmeln, starke Arme, die ihn hielten, Lichter, die vor seinen Augenlidern flackerten. Frische Luft, die in seine Lungen strich.
Die Dunkelheit kam.
In seinem Träumen holte ihn der Schmerz ein und die Erinnerung kam wieder. Fast wie ein ungebetener Besucher schlich er sich auch hier ein. Er spürte die Schmerzen der Folter und seiner Fehler. Alte und auch neue gruben sich unerbittlich in Geist und Körper fest. Hielten ihn umklammert, ließen ihn nicht los.
Schmerz, Schmerz über all diese Agonie. Er trieb von der Bewußtlosigkeit zur grauen Zwischenwelt des Erwachens. Nur nicht schreien, eine Hand auf der seinen, beruhigende Worte, die sich durch den Nebel von Agonie kämpften.
Eine zweite Stimme ruhig und fließend, der Wald, im Wald wäre vielleicht alles einfacher.
Ruhiger. Der Schmerz verließ ihn etwas, lockerte seinen Griff und er wurde sich seines Körpers wieder voll bewußt. Es war hell, so viel konnte er durch die geschlossenen Augenlider sehen. Mit größter Anstrengung öffnete er die Augen. Er sah unscharf, doch das Bild kam langsam und stockend. Bekannte Gesichter waren es, freundliche besorgte Gesichter.
Eine raue Stimme ,die ihn begrüßte.
Sirius Black und Firenze.
Der Pate von Harry hatte ihn wider allen Erwartens gefunden. Firenze stand über ihm groß und mächtig, mit der Aura des Verbotenen Waldes. Wenigstens hatte Black Hilfe gehabt. Oder war das alles nur eine Illusion gewesen, ein weiterer grausamer Trick von Moray, der dieses hoffnungsvolle Erlebnis in seinem Schmerz eingebettet hatte? Es war einfach zu viel Glück in diesem Moment und zu viel Hoffnung.

Black streichelte seine Hand und murmelte beruhigende Worte. Ein Fremder kam und reiche Sirius ein Glas mit Wasser.
Wasser. Aber sich darüber Gedanken zu machen... dazu hatte er nicht mehr die Kraft. Er hatte ganz vergessen wie durstig er war. Moray hatte ihm gerade genug Flüssigkeit gegeben um zu überleben. Sein Mund war ganz trocken und pelzig. Vorsichtig schlucke er das ihm dargebotene Nass und spürte wie viel Kraft ihn schon dieser einfache Vorgang kostete. Rasselnd holte er Luft, er war so müde, so müde.
Hoffnung?
Keine Illusion?
"Alles wird gut."
Dunkelheit.
Die Schmerzen jagten ihm nach.

***



Black saß ruhig am Bett des Verletzten. Der Mond schien hell in das Zimmer und warf unheimliche Schatten auf den Parkettboden. Keine Kerze brannte, kein Kamin war entzündet worden. Sie warteten, jeder auf seine Art und Weise. Während Black von Zeit zu Zeit Puls und Temperatur prüfte, war Firenze zu einer Salzsäule erstarrt. Der Zentaur stand still und starr am Fußende des Bettes, nur wenn er mit seinem Schweif wedelte erkannte man, dass es sich hier nicht um eine Statue handelte. Das ungewöhnlichste Lebewesen im Raum, ein Einhorn, lag wie erschossen auf einem Teppich vor dem Bett. Die Mähne lag wie ein weißer Strahlenkranz auf dem Boden, tauchte das Einhorn in seine mystische Umgebung. Sirius fühlte sich an einen Heiligenschein der Muggel erinnert, nur dass dieser hier rein wie Schnee war und älter als die Menschheit.

Die nächtlichen Schatten wanderten weiter und spielten mit den Möbeln, Vorhängen, Teppichböden Schattenspiele. Sirius sah auf das eingefallene Gesicht seines ehemaligen Feindes. In den letzten Wochen hatte sich viel getan, er hatte viel erfahren, fast zu viel. Sein Verstand wollte vieles von dem nicht wahr haben was geschehen war. Aber seine Logik wies unmissverständlich auf die vergangenen Taten hin. Seine innere Stimme schalt ihn, er hatte sich nicht zu beschweren, er hatte immerhin Hilfe gehabt, die Rollen von Hagrid, die Gespräche mit Dumbledore.
Hagrid und Dumbledore hatten keine Hilfe gehabt, mußten alles von allein neu lernen.
Dumbledore.
Voll Trauer verbarg er sein Gesicht in den Händen.
Dumbledore.
Wie sehr wünschte er sich nun die Weißheit des alten Mannes. Dass Hagrid getötet worden war hatte zwar viele betrübt und Trauer gesät. Aber da war immer noch Dumbledore gewesen. Vor seinem inneren Auge sah er den alten Mann voll Sorge auf Snape blicken, sah mit welcher Vorsicht er die Wunden reinigte, sah den Schmerz in den Augen, als Snape in alte Rituale zurück viel. Wie viel hatte er ertragen müssen um ein Menschenleben zu retten? Wie viele seiner Prinzipien hatte er aufgeben müssen für Severus Snape?
Black gefiel die Antwort nicht und erst recht nicht, dass er sie nicht mit Dumbledore besprechen konnte. Der alte Mann hatte einmal versucht es ihm zu erklären, die Erklärung war ihm nur teilweise gelungen. Sirius hatte darin immer noch eine Menge Probleme und Verrat an der eigenen Sache gesehen.
Vorsichtig prüfte er zum wiederholten Male den Puls und die Temperatur. Mit einem Stirnrunzeln legte er ein weiteres Mal die Hand auf die schweißnasse Stirn.
Firenze sprach seit langer Zeit leise. "Probleme?"
Black stand auf und sah in dem Halbdunkeln des Mondlichts Firenze in die Augen. "Die beginnen gerade!"
Mit diesen Worten verließ er den Raum und suchte das Apothekerschränkchen im Keller auf.



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